Entscheidungsdatum
02.07.2018Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W171 2108506-2/2E
W171 2108510-2/2E
W171 2108721-2/2E
W171 2108723-2/2E
W171 2108725-2/2E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Gregor MORAWETZ, MBA als Einzelrichter über die Beschwerden von 1.) XXXX , geb. XXXX , 2.) XXXX , geb. XXXX , 3.) mj. XXXX , geb. XXXX , 4.) mj. XXXX , geb. XXXX und 5.) mj. XXXX , geb. XXXX , alle StA. Russische Föderation, vertreten durch ARGE Rechtsberatung, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 14.05.2018, Zl. 1.) XXXX , 2.) XXXX , 3.) XXXX , 4.) XXXX und 5.) XXXX , beschlossen:
A)
In Erledigung der Beschwerden werden die bekämpften Bescheide behoben und die Angelegenheiten gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG zur Erlassung neuer Bescheide an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1.1. Der Erstbeschwerdeführer (in der Folge: BF1) und die Zweitbeschwerdeführerin (in der Folge: BF2) sind Ehegatten; die Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer (BF3, BF4 und BF5) sind die minderjährigen Kinder des BF1 und der BF2. Die Beschwerdeführer sind Staatsangehörige der Russischen Föderation und stellten nach ihrer Einreise in das Bundesgebiet am 08.07.2013 Anträge auf internationalen Schutz.
Der BF1 brachte in einer Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 09.07.2013 zu seinen Fluchtgründen befragt vor, er sei am 30.06.2013 von maskierten Beamten der Polizei festgenommen und einen Tag festgehalten worden. Bei seiner Festnahme sei ihm eine Pistole untergeschoben worden und er habe unterschreiben müssen, dass diese ihm gehöre. Während seiner Anhaltung sei er zudem geschlagen und gefoltert worden. Sein Cousin sei vor eineinhalb Monaten festgenommen worden und sei noch im Gefängnis. Die Behörden vermuteten, dass er - ebenso wie sein Cousin - für die Unabhängigkeit Dagestans stehe. Im Falle einer Rückkehr befürchte er getötet zu werden.
Die BF2 erklärte keine eigenen Fluchtgründe zu haben, sondern machte ausschließlich die Probleme des BF1 geltend.
In einer niederschriftlichen Einvernahme beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: BFA) am 27.08.2014 schilderte der BF1 detailliert und umfassend seine Ausreisegründe. Dabei gab er im Wesentlichen an, dass am 25.05.2013 sein jüngerer Cousin, XXXX , von maskierten Beamten des FSB festgenommen worden sei. Die Festnahme sei auf der Straße vor dem Geschäft des Beschwerdeführers passiert und sei es dabei zu einer Rangelei gekommen, wobei es dem Cousin gelungen sei, einem Beamten die Maske runterzureißen und der Beschwerdeführer das Gesicht erkannt habe. Der Grund für die Festnahme des Cousins sei gewesen, dass im Oktober 2011 ein bekannter Bürger von XXXX namens XXXX verschwunden sei und daraufhin eine Demonstration stattgefunden habe, wo auch er und sein Cousin teilgenommen hätten. Nach der Demonstration seien viele Leute verschwunden. Aus Angst vor einer Entführung sei er unverzüglich nach XXXX zu seinem älteren Bruder gereist. Etwa einen Monat später sei er zu seiner Familie zurückgekehrt. Bereits am Tag seiner Rückkehr seien Beamte des FSB zu ihm nach Hause gekommen und hätten das Haus durchsucht, wobei sie eine Pistole gefunden hätten, die nicht ihm gehört habe. Daraufhin hätten sie ihn zum Verhör mitgenommen. Da sie ihn geschlagen und psychisch unter Druck gesetzt hätten, habe er letztlich unterschrieben, dass die Waffe ihm gehöre. Weiters hätten sie von ihm verlangt für sie zu arbeiten und Informationen zu gewissen Personen zu liefern. Nachdem er sich einverstanden gezeigt habe, sei er freigelassen worden und habe unverzüglich seine Ausreise arrangiert. Er glaube, er werde von einer Behörde namens ZPE, die zur Bekämpfung von Extremismus diene, gesucht. Der Beschwerdeführer erklärte zudem einen USB-Stick vorlegen zu können, auf dem Internetberichte, Bilder und Videos zu sehen seien, die seine Fluchtgründe bestätigen würden. Sowohl über seinen Vater, als auch über ihn, könne man im Internet nachlesen. Der Beschwerdeführer wurde in Folge aufgefordert, die auf dem Stick befinden Unterlagen auszudrucken sowie eine schriftliche Stellungnahme zu den Videos abzugeben und diese gemeinsam mit den Videos vorzulegen. Zum Nachweis seiner Identität legte er seinen russischen Führerschein vor.
Die BF 2 gab zu den Ausreisegründen an, dass sie Zeugin der Entführung des Cousins des BF1 gewesen seien. Sie hätten auch den BF1 mitgenommen, da er das Gesicht des Mannes erkannt habe, dem der Cousin die Maske abgenommen habe.
Mit Eingabe vom 02.09.2014 legten die Beschwerdeführer folgende Unterlagen vor:
? russischsprachiges Schreiben inklusive Übersetzung im gebrochenen Deutsch zu den Fluchtgründen des BF1 sowie Erklärung zu den auf dem USB-Stick befindlichen Informationen
? diverse russische Dokumente in Kopie, wonach es sich laut handschriftlichen Notizen um Universitätsdiplome, die Heiratsurkunde sowie eine Arbeitsbestätigung handeln soll
Am 08.12.2014 wurde der BF5 im Bundesgebiet geboren und stellten die Eltern als gesetzliche Vertreter im Rahmen des Familienverfahrens am 22.12.2014 einen Antrag auf internationalen Schutz.
Mit Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 28.11.2014 sowie vom 19.01.2015 wurde auf Anfrage des BFA mitgeteilt, dass zur Bekämpfung von Extremismus eine Behörde namens ZPE in Dagestan eingerichtet und diese dem Innenministerium unterstellt sei. Weiters wurde bestätigt, dass am 21.10.2011 eine Demonstration wegen dem verschwundenen Bürger XXXX stattgefunden habe.
In der Stellungnahme vom 23.03.2015 wiesen die Beschwerdeführer darauf hin, dass die Anfragebeantwortungen ihre Angaben bestätigen würden und legten weitere (russischsprachige) Berichte vor. Laut Übersetzung durch das BFA handelt es sich dabei um Berichte über die Behörde "ZPE", der Menschenrechtsaktivistin XXXX sowie ein Bericht des "Caucasian Knot" vom 25.05.2013 über die Entführung des XXXX .
1.2. Mit Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.05.2015 wurden die Anträge auf internationalen Schutz der Beschwerdeführer gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 idF BGBl I Nr. 100/2005 abgewiesen und ihnen der Status der Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG der Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf ihren Herkunftsstaat nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.). Den Beschwerdeführern wurde gemäß §§ 57 und 55 AsylG ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen sie eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und weiters gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung der Beschwerdeführerin gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig sei. Weiters wurde ausgeführt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise der Beschwerdeführer gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt III.).
In der Entscheidung betreffend den BF1 wurde festgestellt, dass sein Vorbringen nicht geeignet sei, die Gewährung von internationalem oder subsidiärem Schutz zu begründen. Darüber hinaus habe sich sein Vorbringen gänzlich unglaubhaft und die behauptete Bedrohungssituation als offensichtlich nicht den Tatsachen entsprechend erwiesen. Beweiswürdigend wurde ausgeführt, dass der Beschwerdeführer trotz mehrmaliger Nachfrage nicht in der Lage gewesen sei, den behaupteten Sachverhalt auch nur ansatzweise zu substantiieren. So habe er nicht erklären können, warum er verhaftet worden sei und seien die Schilderungen zur Verhaftung vage geblieben. Zudem sei es ihm nicht möglich gewesen anzugeben, ob er in den von ihm selbst vorgelegten Beweismittel (Videos und Berichte) vorkomme. Es sei auch nicht plausibel, dass seine Familie, welche ebenfalls bei der Verhaftung des Cousins anwesend gewesen sei und das Gesicht des Beamten gesehen habe, nicht ebenso von einer Bedrohungssituation betroffen sei. Anhand der Angaben über seine Person sei nicht davon auszugehen, dass es sich beim BF1 um eine "high-profile-person" handle, die im gesamten Staatsgebiet des Herkunftslandes gesucht und gefunden werden würde.
Die Bescheide der übrigen Beschwerdeführer wurden damit begründet, dass diese keine persönliche Verfolgung dargetan, sondern sich auf die Angaben des BF1 berufen hätten. Dem BF1 sei in dessen Verfahren allerdings zur Gänze die Glaubwürdigkeit abgesprochen worden.
1.3. Gegen die Bescheide erhoben die Beschwerdeführer durch ihre ausgewiesene Vertretung innerhalb offener Frist Beschwerde.
1.4. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 07.08.2017 wurden die bekämpften Bescheide behoben und die Angelegenheiten gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG zur Erlassung neuer Bescheide an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverweisen. Begründend wurde ausgeführt, dass die belangte Behörde den maßgeblichen Sachverhalt nicht ausreichend ermittelt habe. Die vorgelegten Berichte und die auf dem USB-Stick befindlichen Beweismittel seien nicht in die Beweiswürdigung miteinbezogen worden. Die Beweiswürdigung stütze sich vielmehr nur auf allgemein gehaltene Ausführungen. Auch die von der Staatendokumentation eingeholten Anfragebeantwortungen seien nicht gewürdigt worden. Auch die Einvernahme der BF2 lasse jegliche Ermittlungen zum Sachverhalt vermissen, da sie nicht näher zu den geschilderten Vorfällen befragt worden sei. Die Beweiswürdigung stütze sich lediglich auf die Unglaubwürdigkeit des BF1. Mangels jeglicher Ermittlungstätigkeit sei der Sachverhalt völlig ungeklärt. Sollte im fortgesetzten Verfahren eine Gefährdung der Beschwerdeführer in Dagestan bejaht werden, wäre zu prüfen, ob eine innerstaatliche Fluchtalternative in Frage komme.
1.5. Am 26.04.2018 wurde der BF1 durch das BFA einvernommen, wobei er im Wesentlichen seine Angaben in der Einvernahme vom 27.08.2014 wiederholte.
Der BF1 legte als Beweismittel zu seinen Fluchtgründen mehrere Fotos seines Bruders, die diesen mit Verletzungen an Armen und Schultern zeigen, und eine Liste mit Internetadressen zu mehreren Berichten und Videos vor. Laut Angaben des BF handle es sich hierbei um die Daten, die auf dem im Verfahren bereits erwähnten USB-Stick zu finden sind.
Die BF2 wurde am selben Tag ebenfalls einvernommen und zu den fluchtauslösenden Ereignissen befragt.
1.6. Mit den oben angeführten Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurden die Anträge auf internationalen Schutz der Beschwerdeführer gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 idF BGBl I Nr. 100/2005 abgewiesen und ihnen der Status der Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG der Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf ihren Herkunftsstaat nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.). Den Beschwerdeführern wurde gemäß §§ 57 und 55 AsylG ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen sie eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und weiters gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung der Beschwerdeführer gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig sei (Spruchpunkt V.). Weiters wurde ausgeführt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise der Beschwerdeführer gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).
In der Entscheidung betreffend den BF1 wurde festgestellt, dass sein Vorbringen nicht geeignet sei, die Gewährung von internationalem oder subsidiärem Schutz zu begründen. Der BF1 habe angegeben, mit seinem Cousin an einer Demonstration im Jahr 2012 teilgenommen zu haben. Laut Anfrage an die Staatendokumentation habe diese jedoch schon 2011 stattgefunden. In der Einvernahme am 27.08.2014 habe der BF1 angegeben, er hätte gemeinsam mit seinem Cousin einen Motorblock zu seinen Eltern bringen sollen. Am 26.04.2018 habe er hingegen ausgesagt, dass sein Cousin eine Maschine habe ausborgen wollen, um sein Feld umzugraben. Im Zuge der Verhaftung des Cousins hätten die Mutter des BF1, seine Ehefrau, seine Tochter sowie weitere Passanten das Gesicht des FSB-Mitglieds gesehen. Die Mutter lebe aber nach wie vor in Dagestan, Ehefrau und Tochter seien nie persönlich bedroht worden. Im Jahr 2014 habe der BF1 angegeben, nach dem Vorfall einen Monat bei seinem Bruder gelebt zu haben, 2018 habe er jedoch ausgesagt, zwei Monate dort gewohnt zu haben. Es sei nicht glaubwürdig, dass der BF1 während seiner gesamten Anhaltung durch den FSB einen Sack über dem Kopf getragen habe, er jedoch nach seiner Freilassung das Gebäude, in dem er festgehalten worden sei, alleine verlassen und zu Fuß nach Hause hätte gehen können. Aus diesem Grund sie die geschilderte Festnahme nicht glaubhaft. Der BF1 habe die Fluchtgeschichte zu "blass", wenig detailreich und zu oberflächlich geschildert. Anhand der Angaben über seine Person sei nicht davon auszugehen, dass es sich beim BF1 um eine "high-profile-person" handle, die im gesamten Staatsgebiet des Herkunftslandes gesucht und gefunden werden würde.
Die Bescheide der übrigen Beschwerdeführer wurden damit begründet, dass diese keine persönliche Verfolgung dargetan, sondern sich auf die Angaben des BF 1 berufen hätten. Dem BF1 sei in dessen Verfahren allerdings zur Gänze die Glaubwürdigkeit abgesprochen worden.
1.7. Gegen die Bescheide erhoben die Beschwerdeführer durch ihre ausgewiesene Vertretung innerhalb offener Frist Beschwerde. Darin wurde im Wesentlichen vorgebracht, dass der BF1 die vermeintlichen Widersprüche bei eingehender Befragung hätte aufklären können. Wäre der BF1 zu den vorgelegten Fotos seines Bruders befragt worden, hätte er ausgeführt, dass sein Bruder von den Behörden aufgesucht worden sei, da der BF1 in Dagestan gesucht werde. Eine tatsächliche und inhaltliche Auseinandersetzung mit den vom BF1 vorgelegten Beweismitteln sei nicht erfolgt. Auch die Anfragebeantwortungen der Staatendokumentation seien nicht ausriechend gewürdigt worden, obwohl bereits mit Beschluss des BVwG vom 07.08.2017 ausgeführt worden sei, dass eine weitere Auseinandersetzung mit den angeführten Beweismitteln dringend geboten sei. Es fehle an der konkreten Feststellung, ob die Behörde dem BF1 glaube, dass sein Cousin aufgrund seiner politischen Überzeugung inhaftiert sei. Der BF1 habe sein Vorbringen sehr detailliert und lebensnah gestaltet und sei das Fluchtvorbringen auch von der BF2 bestätigt worden. Im Übrigen wurden im Beschwerdeschriftsatz mehrere Berichte zur Lage in Dagestan zitiert und Ausführungen zu den Spruchpunkten II. und III. getroffen.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Rechtliche Beurteilung:
Zu A):
3.1. § 28 VwGVG lautet:
(1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.
(2) Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn
1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder
2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
(3) Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.
In der Regierungsvorlage wurde zu § 28 Abs. 2 und 3 VwGVG erläuternd angemerkt (RV 2009 BlgNR, 24. GP S. 7): "Der vorgeschlagene § 28 Abs. 2 und 3 regelt, in welchen Fällen das Verwaltungsgericht in der Sache zu entscheiden hat. Gemäß Art. 130 Abs. 4 erster Satz B-VG hat das Verwaltungsgericht in Verfahren über Bescheidbeschwerden in Verwaltungsstrafsachen in der Sache selbst zu entscheiden; siehe dazu den vorgeschlagenen § 50. Gemäß § 28 Abs. 2 hat das Verwaltungsgericht in Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist; dies entspricht Art. 130 Abs. 4 B-VG. Liegen die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 bzw. des Art. 130 Abs. 4 B-VG nicht vor, hat das Verwaltungsgericht gemäß § 28 Abs. 3 in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die belangte Behörde dem nicht bei Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht; dies wiederum entspricht § 67h Abs. 1 AVG."
§ 17 VwGVG nimmt u.a. die Anwendung der Bestimmungen des IV. Teiles des AVG auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG aus, sodass § 66 Abs. 2 AVG nicht zur Anwendung kommt.
3.2. Das Modell der Aufhebung des Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit an die Behörde folgt konzeptionell jenem des § 66 Abs. 2 AVG, allerdings mit dem Unterschied, dass die Notwendigkeit der Durchführung einer mündlichen Verhandlung nach § 28 Abs. 3 VwGVG nicht erforderlich ist. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts ergeht in Beschlussform (Fister/Fuchs/Sachs; Das neue Verwaltungsgerichtsverfahren, Taschenkommentar, Seite 153 f. Anmerkung 11 f.), und hat zudem eine Bindung der Behörde an die rechtliche Beurteilung zufolge.
§ 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Verwaltungsgerichtes, wenn "die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen" hat. Zur Anwendung des § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG durch die Verwaltungsgerichte hat der Verwaltungsgerichtshof ausgehend von einem prinzipiellen Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht durch das Verwaltungsgericht präzisierend wie folgt festgehalten (VwGH 26.06.2014, Zl. 2014/03/0063): "Das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, verlangt, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer "Delegierung" der Entscheidung an das Verwaltungsgericht, vgl. Holoubek, Kognitionsbefugnis, Beschwerdelegitimation und Beschwerdegegenstand, in: Holoubek/Lang (Hrsg), Die Verwaltungsgerichtsbarkeit, erster Instanz, 2013, Seite 127, Seite 137; siehe schon Merli, Die Kognitionsbefugnis der Verwaltungsgerichte erster Instanz, in: Holoubek/Lang (Hrsg), Die Schaffung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz, 2008, Seite 65, Seite 73 f)."
In seinem Erkenntnis vom 26.06.2014, Zl. Ro 2014/03/0063-4 hat der Verwaltungsgerichtshof zuletzt in Hinblick auf die nach § 28 Abs. 3 VwGVG bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit ausgesprochen, dass prinzipiell eine meritorische Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte bestehe und von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen beziehungsweise besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden könne. Diesbezüglich führte er aus, dass eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen insbesondere dann in Betracht komme, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gelte, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden.
Der Verwaltungsgerichtshof verlangt in seiner Rechtsprechung eine ganzheitliche Würdigung des individuellen Vorbringens eines Asylwerbers unter dem Gesichtspunkt der Konsistenz der Angaben, der persönlichen Glaubwürdigkeit des Asylwerbers und der objektiven Wahrscheinlichkeit seines Vorbringens, wobei letzteres eine Auseinandersetzung mit (aktuellen) Länderberichten verlangt (VwGH 26.11.2003, Zl. 2003/20/0389).
Im gegenständlichen Fall liegen hinsichtlich der bekämpften Entscheidung des Bundesamtes näher erörterte Mangelhaftigkeiten im Sinne des § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG vor.
3.3. Das Bundesverwaltungsgericht hat die gegenständlichen Verfahren bereits einmal gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit oben unter 1.4. zitierter Begründung zurückverwiesen. Den bekämpften Bescheiden kann aber nicht entnommen werden, dass die vom Bundesverwaltungsgericht aufgestellten Anforderungen an eine neue Entscheidung seitens des BFA im ausreichenden Maße erfüllt worden wären, zumal das BFA nicht die im Kassationsbeschluss aufgetragenen Ermittlungsschritte getätigt hat.
3.4. Hinsichtlich der Gefährdung der Beschwerdeführer für den Fall einer Rückkehr in den Herkunftsstaat stützt sich das BFA im Wesentlichen auf allgemeine Länderinformationen sowie auf den Umstand, dass das Fluchtvorbringen der Beschwerdeführer nicht glaubhaft sei.
Trotz diesbezüglicher Anleitungen im hg. Erkenntnis vom 07.08.2017 hat es das BFA erneut unterlassen, dem Vorbringen der Beschwerdeführer näher nachzugehen und hat sich die Behörde damit um die Möglichkeit gebracht, den entscheidungswesentlichen Sachverhalt zu ermitteln. Die Beschwerdeführer legten schon im ersten Verfahrensgang zahlreiche Berichte vor, worunter sich unter anderem ein Bericht über die Verhaftung des XXXX befindet. Zudem wiesen die Beschwerdeführer darauf hin, dass sie auf einem USB-Stick befindliche Fotos und Videomaterial vorlegen könnten. Im Zuge der Einvernahme am 26.04.2018 legte der BF1 nunmehr eine Liste der auf diesem USB-Stick befindlichen Berichte und Videos vor. Zwei dieser Berichte wurden bereits mit der Stellungnahme der Beschwerdeführer vom 23.03.2015 vorgelegt und vom BFA übersetzt, größtenteils handelt es sich aber augenscheinlich um neue Beweismittel. Die unter den angegebenen Internetadressen zu findenden neuen Berichte liegen nicht im Verfahrensakt auf, die angeführten Videos wurden offenbar nicht angesehen, weshalb ihr Inhalt und ihre mögliche Relevanz für das Fluchtvorbringen der Beschwerdeführer nicht nachvollzogen werden kann. Auch die bereits im ersten Verfahrensgang vorhandenen Beweismittel, insbesondere der oben erwähnte Bericht über die Verhaftung des XXXX , wurden trotz diesbezüglicher Anweisung im Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts erneut nicht in die Beweiswürdigung einbezogen. Vielmehr stützt sich die Beweiswürdigung nur auf einzelne Details des Fluchtvorbringens und daraus abgeleitete Widersprüche, ohne dass in irgendeiner Weise auf die vorgelegten Beweismittel des BF1 eingegangen wurde. Darüber hinaus wurden die von der belangten Behörde eingeholten Anfragebeantwortungen der Staatendokumentation erneut nicht gewürdigt. Weiters ist festzuhalten, dass die BF2 zwar ein weiteres Mal einvernommen und zum Fluchtvorbringen befragt wurde, die Beweiswürdigung im Bescheid der BF2 sich aber wieder lediglich auf die Unglaubwürdigkeit des BF1 stützt. Die Angaben der BF2 wurden in keinster Weise in die Beweiswürdigung miteinbezogen.
Für den erkennenden Richter ist beim dargelegten Sachverhalt die Frage nach einer Gefährdung der Beschwerdeführer im Fall einer Rückkehr in den Herkunftsstaat mangels jeglicher Ermittlungstätigkeit hinsichtlich des individuellen Vorbringens der Beschwerdeführer und des Inhalts der von ihnen vorgelegten Beweismittel völlig ungeklärt und ist es prinzipiell Aufgabe der Behörde, den wesentlichen Sachverhalt eingehend zu ermitteln.
Den oben genannten Aufträgen ist die belangte Behörde im zweiten Rechtgang nicht nachgekommen und hat das BFA keine der ihm aufgetragenen Ermittlungsschritte erfüllt.
3.5. Im gegenständlichen Fall erweist sich der angefochtene Bescheid des Bundesamtes und das diesen zugrunde liegende Verfahren im Ergebnis als so mangelhaft, dass weitere Ermittlungen unvermeidlich sind. Der maßgebliche Sachverhalt stellt sich mangels entsprechender Ermittlungen - auch in Verbindung mit der Beschwerde - als ungeklärt dar. Das Verfahren vor der belangten Behörde ist mit den oben dargestellten Mängeln behaftet. Weitreichende Erhebungen, welche grundsätzlich von der belangten Behörde durchzuführen sind, wären demnach durch das Verwaltungsgericht zu tätigen. Das Unterlassen von Ermittlungen macht eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung der angezeigten Ermittlungen nötig.
Besondere Gesichtspunkte, die aus der Sicht des Verwaltungsgerichts gegen eine Kassation des angefochtenen Bescheides in den betroffenen Spruchpunkten sprechen würden, sind im vorliegenden Fall nicht erkennbar. So können keine Anhaltspunkte dafür erkannt werden, dass eine Entscheidung des Verwaltungsgerichtes in der Sache im Interesse der Raschheit gelegen wäre. Das Verfahren würde durch eine Entscheidung durch das Bundesverwaltungsgericht keine Beschleunigung erfahren, zumal es auch nicht als asyl- und fremdenrechtliches Spezialgericht anzusehen ist und die Verwaltungsbehörde durch die bei ihr eingerichtete Staatendokumentation wesentlich rascher und effizienter die notwendigen Ermittlungen nachholen kann. Weiters ergeben sich aus der Aktenlage auch keine Hinweise, wonach die Entscheidung durch das Bundesverwaltungsgericht mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden wäre.
Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG entfallen, zumal aufgrund der Aktenlage feststeht, dass die mit der Beschwerde angefochtenen Bescheide aufzuheben sind.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist.
Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, da die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzlichen Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen - im Rahmen der rechtlichen Beurteilung bereits wiedergegebenen - Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
Behebung der Entscheidung, Ermittlungspflicht, individuelleEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2018:W171.2108510.2.00Zuletzt aktualisiert am
10.09.2018