TE Bvwg Erkenntnis 2018/7/26 G314 2151787-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 26.07.2018
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Entscheidungsdatum

26.07.2018

Norm

B-VG Art.133 Abs4
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z1

Spruch

G314 2151787-2/7E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag.a Katharina BAUMGARTNER über die Beschwerde des XXXX, geboren am XXXX, Staatsangehörigkeit: Bosnien und Herzegowina, vertreten durch den Rechtsanwalt Dr. Wolfgang VACARESCU, gegen Spruchpunkt IV. des Bescheids des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 12.01.2018, Zl.: XXXX, betreffend die Erlassung eines Einreiseverbots zu Recht:

A) Der Beschwerde wird teilweise Folge gegeben und Spruchpunkt IV.

des angefochtenen Bescheids dahin abgeändert, dass es zu lauten hat:

"Gemäß § 53 Abs 1 iVm Abs 3 Z 1 FPG wird gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen."

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer (BF) wurde am XXXX.2016 im Bundesgebiet festgenommen. Mit dem Urteil des Landesgerichtes XXXXvom 24.10.2016, XXXX, wurde er wegen Suchtgiftdelinquenz zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe von 24 Monaten verurteilt.

Am 09.01.2017 wurde er vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) aufgefordert, zur beabsichtigten Erlassung einer Rückkehrentscheidung und eines Einreiseverbots Stellung zu nehmen.

Am 24.01.2017 langte beim BFA ein als "Stellungnahme" bezeichnetes E-Mail des BF ein, mit dem eine Therapiebestätigung vom 31.12.2016 vorgelegt wurde. Der gleichzeitig gestellte Antrag des BF auf Ausstellung einer Karte für Geduldete wurde mit dem Bescheid des BFA vom 03.03.2017, Zl.: XXXX, als unzulässig zurückgewiesen. Seine Beschwerde dagegen wurde mit dem Erkenntnis des BVwG vom 04.07.2017, XXXX, als unbegründet abgewiesen.

Mit dem oben angeführten Bescheid wurde dem BF ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt und gemäß § 10 Abs 2 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 1 Z 1 FPG erlassen (Spruchpunkt I.), gemäß § 52 Abs 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Bosnien und Herzegowina zulässig sei (Spruchpunkt II.), gemäß § 55 Abs 4 FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt und gemäß § 18 Abs 2 Z 1 BFA-VG einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt III.) sowie gemäß § 53 Abs 1 iVm Abs 3 Z 1 FPG gegen den BF ein achtjähriges Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt IV.). Das Einreiseverbot wurde mit der strafgerichtlichen Verurteilung des BF sowie mit seiner mit der der Verurteilung zugrundeliegenden Tat einhergehenden Gefährlichkeit begründet.

Gegen Spruchpunkt IV. dieses Bescheids richtet sich vom BF, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, fristgerecht eingebrachte Beschwerde mit den Anträgen, Spruchpunkt IV. des bekämpften Bescheids zur Gänze aufzuheben, in eventu, dahingehend abzuändern, dass die Dauer des Einreiseverbotes reduziert wird. Der BF begründet die Beschwerde zusammengefasst damit, dass er sein Fehlverhalten einsehe und bedauere. Von ihm gehe keine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit aus. Ein Einreiseverbot in der Dauer von acht Jahren sei überzogen und nicht gerechtfertigt.

Das BFA legte die Beschwerde und die Verwaltungsakten dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) vor, wo sie am 06.02.2018 einlangten.

Am 25.06.2018 langte beim BVwG die Vollmachtsbekanntgabe des oben genannten Rechtsvertreters des BF ein.

Feststellungen:

Der aktuell 39-jährige BF ist Staatsangehöriger von Bosnien und Herzegowina. Bis zu seiner Festnahme in Österreich im Mai 2016 befand sich sein Lebensmittelpunkt in seinem Herkunftsstaat, wo er im XXXX wohnte. Der BF ist verheiratet und spricht Bosnisch.

Zu einem nicht mehr näher feststellbaren Zeitpunkt vor dem XXXX.2016 reiste der BF nach Österreich, wo er Freunde und einige entfernte Verwandte hat. Er ging hier keiner legalen Erwerbstätigkeit nach. Vor 28.05.2016 (Anhaltung in der Justizanstalt) liegen keine Wohnsitzmeldungen des BF in Österreich vor; er war im Bundesgebiet ohne festen Unterstand.

Am XXXX.2016 wurde der BF in XXXX im Besitz von Suchtgift betreten, verhaftet und in Untersuchungshaft genommen. Seiner Verurteilung durch das Landesgericht XXXX vom 24.10.2016, XXXX, liegt zugrunde, dass er am XXXX.2016 gemeinsam mit einem anderen bosnisch-herzegowinischen Staatsangehörigen im bewussten und gewollten Zusammenwirken eine das Fünfzehnfache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigende Menge Suchtgift, nämlich 981,3 Gramm Kokain (beinhaltend den Wirkstoff Cocain mit einem Reinheitsgehalt von zumindest 31,58 % somit einer Reinsubstanz von zumindest 309,9 Gramm), einem verdeckten Ermittler des Bundeskriminalamts um EUR 42.000 überließ. Der BF war bei dieser strafbaren Handlung an Kokain gewöhnt und beging die Straftat vorwiegend, um sich für seinen persönlichen Gebrauch Suchtmittel oder Mittel zu deren Erwerb zu verschaffen.

Der BF hat dadurch das Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 3 und Abs 3 zweiter Fall SMG begangen und wurde (ausgehend von einem Strafrahmen von bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe) zu einer 24-monatigen Freiheitsstrafe verurteilt, wobei ein Teil der Strafe im Ausmaß von 16 Monaten unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde. Bei der Strafzumessung wurden die Unbescholtenheit, das Geständnis sowie die Sicherstellung des Suchtgiftes als mildernd gewertet. Es lagen keine besonderen Erschwerungsgründe vor. Die Voraussetzungen für die bedingte Entlassung lagen beim BF zum Zeitpunkt der Urteilsfällung nicht vor.

Gleichzeitig wurde dem BF mit Beschluss der beantragte Strafaufschub gemäß § 39 SMG ("Therapie statt Strafe") bis 24.10.2018 zur Durchführung ambulanter gesundheitsbezogener Maßnahmen (ärztliche Überwachung des Gesundheitszustands, klinisch-psychologische Beratung und Betreuung, Psychotherapie mit wöchentlichen Einzelsitzungen, Harnkontrollen) gewährt und er wurde nach der Hauptverhandlung enthaftet. Er befand sich somit vom XXXX.2016 bis zum XXXX.2016 in Untersuchungshaft in der Justizanstalt XXXX.

Im Zeitpunkt der Urteilsfällung im Strafverfahren war der BF an Suchtmittel gewöhnt. Darüberhinausgehende Erkrankungen oder eine Einschränkung seiner Arbeitsfähigkeit können nicht festgestellt werden.

Am 03.11.2016 begann der BF die ambulante Psychotherapie beim Verein XXXX in XXXX. Seit 25.11.2016 ist er in XXXX mit Hauptwohnsitz gemeldet. Er wohnt in einer Wohnung, die ihm von einem Freund kostenlos zur Verfügung gestellt wird, und finanziert seinen Lebensunterhalt durch Zuwendungen von Freunden und Verwandten.

Der BF hat keine darüber hinausgehenden familiären, sozialen oder gesellschaftlichen Bindungen im Bundesgebiet. Es können auch keine solchen Bindungen in Bezug auf andere vom Einreiseverbot umfasste Staaten festgestellt werden.

Zum Gesundheitssystem in Bosnien und Herzegowina:

Alle Bürger in Bosnien und Herzegowina haben das Recht auf Sozialversicherung (beinhaltet: Krankenversicherung, Arbeitslosenversicherung und Rentenversicherung). Grundsätzlich sind alle Arbeitstätigen, Rentner und als arbeitslos gemeldete Personen gesetzlich krankenversichert. Arbeitslose Personen werden bei ihrer Anmeldung beim Arbeitsamt versichert und können so ihr Recht wahrnehmen. Aufgrund der schwierigen wirtschaftlichen Situation ist die öffentliche medizinische Versorgung nicht vollständig kostenlos und muss der Patient einen kleinen Betrag bezahlen, dessen Höhe sich nach der Art der medizinischen Behandlung richtet.

Insgesamt sind viele - insbesondere staatliche - medizinische Einrichtungen, vor allem außerhalb von Sarajewo, in einem schlechten Zustand. Ärzte und Pflegepersonal sind noch ausreichend vorhanden, wandern aber zunehmend ins Ausland ab. Die finanzielle Ausstattung des gesamten Gesundheitswesens ist unzureichend. Einige Behandlungen (z.B. von HIV- und Krebserkrankungen, Hepatitis B/C, Versorgung nach Organtransplantationen und anderen schwerwiegenden operativen Eingriffen sowie bei frühgeburtlichen Komplikationen) nur in eingeschränktem Ausmaß durchführbar.

In Republika Srpska gibt es sechs Einrichtungen für Menschen mit körperlicher oder geistiger Behinderung bzw. für Drogenabhängige. Im Distrikt Brcko gibt es keine gesonderten Pflegeeinrichtungen für psychisch Kranke oder Drogenabhängige. In der Föderation Bosnien und Herzegowina bestehen - neben kleineren Gesundheitszentren - sechs Einrichtungen für Drogenabhängige, die auch Substitutionsprogramme anbieten; so etwa die Anstalt für Alkoholismus und andere Abhängigkeiten in Sarajevo, die Anstalt für Suchterkrankungen in Zenica und das Zentrum für Prävention und Behandlung von Abhängigkeiten in Mostar.

Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang ergibt sich widerspruchsfrei aus dem unbedenklichen Inhalt der Verwaltungsakten und des Gerichtsakts des BVwG.

Die Feststellungen zur Identität des BF und zu seinen persönlichen Verhältnissen beruhen auf den entsprechenden Konstatierungen im Strafurteil, der Vollzugsinformation und der Stellungnahme vom 24.01.2017.

Bosnischkenntnisse des BF sind aufgrund seiner Herkunft plausibel. Weitere Sprachkenntnisse sind im Verfahren nicht hervorgekommen.

Es sind keine über die behandlungsbedürftige Kokainabhängigkeit hinausgehende Anhaltspunkte für gesundheitliche Probleme des BF, der in einem erwerbsfähigen Alter ist, aktenkundig. Aus dem Akt gehen keine konkreten negativen Auswirkungen des Kokainkonsums auf seine Arbeitsfähigkeit hervor, zumal mit einer ambulanten Drogenentwöhnungstherapie das Auslangen gefunden wurde und keine stationäre Therapie notwendig war.

Die Feststellungen zur Einreise und zum weiteren Aufenthalt des BF in Österreich basieren auf dem Strafurteil. Die Behauptung des BF, einen Tag vor seiner Festnahme ins Bundesgebiet eingereist zu sein, konnte im Verfahren nicht objektiviert werden. Da er am XXXX.2016 in XXXX beim Suchtgifthandel betreten wurde, muss er sich spätestens ab diesem Zeitpunkt in Österreich aufgehalten haben. Aus dem Strafurteil ergibt sich, dass er vor seiner Festnahme in Österreich ohne festen Unterstand war. Da im Zentralen Melderegister (ZMR) nur Wohnsitzmeldungen des BF in der Justizanstalt bzw. erst nach seiner Enthaftung ab Ende November 2016 ersichtlich sind, ist davon auszugehen, dass er sich von seiner Einreise bis zu seiner Inhaftierung ohne Wohnsitzmeldung im Bundesgebiet aufhielt. Anhaltspunkte für eine (legale) Erwerbstätigkeit des BF bestehen nicht; im Strafurteil wird er als beschäftigungslos bezeichnet. Aus seiner grundsätzlich plausiblen Stellungnahme vom 24.01.2017 ergibt sich, dass er in Österreich Freunde und entfernte Verwandte hat, seit seiner Enthaftung unentgeltlich in der Wohnung eines Freundes wohnt und von Zuwendungen von Freunden und Verwandten lebt. Es gibt keine aktenkundigen Anhaltspunkte für eine darüber hinausgehende Integration oder Anbindung des BF in Österreich, sodass deren Fehlen festzustellen ist.

Die Feststellungen zu der vom BF begangenen Straftat, zu seiner Verurteilung und zu den Erschwerungs- und Milderungsgründen basieren auf dem Strafurteil, aus dem auch die Gewöhnung des BF an Kokain hervorgeht. Die Rechtskraft der Verurteilung wird auch durch das Strafregister belegt, in dem keine weiteren Verurteilungen des BF aufscheinen. Es gibt keine Hinweise auf strafgerichtliche Verurteilungen des BF in anderen Staaten, zumal seine Unbescholtenheit als Milderungsgrund berücksichtigt wurde. Die Anhaltung des BF in der Justizanstalt ergibt sich aus den aktenkundigen Vollzugsinformationen, der ZMR-Auskunft und der Vorhaftanrechnung im Strafurteil.

Die Feststellung, dass der BF am XXXX.2016 aus der Justizanstalt nach § 39 SMG entlassen wurde, konnte aufgrund des Strafurteils, aus dem sich die Suchtgiftabhängigkeit des BF im Urteilszeitpunkt sowie die Antragstellung gemäß § 39 SMG ergeben, sowie der Beschlussausfertigung vom XXXX.2016 getroffen werden. Laut ZMR ist der BF seit XXXX.2016 auch nicht mehr in der Justizanstalt gemeldet.

Der BF legte Therapiebestätigungen vom 31.12.2016 und vom 23.01.2018 des Vereins XXXX in XXXX zur Bestätigung, dass er dort seit 03.11.2016 an einer ambulanten Psychotherapie teilnimmt, vor.

Die Feststellungen zur medizinischen Versorgung in Bosnien und Herzegowina und zu den dort vorhandenen Einrichtungen für Drogenabhängige beruhen auf den vom BF nicht konkret beanstandeten Länderinformationen der Staatendokumentation, die unter detaillierter Angabe der jeweiligen Quellen in den angefochtenen Bescheid aufgenommen wurden. Dabei wurden Berichte verschiedener allgemein anerkannter Institutionen berücksichtigt, die ein übereinstimmendes Gesamtbild ohne entscheidungswesentliche Widersprüche ergeben. Es besteht kein Grund, an der Richtigkeit und Aktualität dieser Angaben zu zweifeln, zumal sie nicht im Widerspruch zum aktuellen Bericht zur medizinischen Grundversorgung in Bosnien und Herzegowina (SEM - Staatssekretariat für Migration [Schweiz]: Bosnien und Herzegowina. Bericht zur medizinischen Grundversorgung,

1. Jänner 2018,

https://www.sem.admin.ch/dam/data/sem/internationales/herkunftslaender/europa-gus/bih/BIH-med-grundversorgung-d.pdf [Zugriff am 23. Juli 2018]) stehen. Daraus ergibt sich z.B., dass an der Klinik für Psychiatrie der Universitätsklinik in Banja Luka Abhängigkeitskrankheiten behandelt werden. Die im angefochtenen Bescheid enthaltenen Länderfeststellungen werden in dieser Entscheidung zur Wahrung der Übersichtlichkeit nur auszugsweise wiedergegeben. Zu den Quellenangaben im Einzelnen wird auf den angefochtenen Bescheid verwiesen.

Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A):

Die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG, die Rückkehrentscheidung, die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung des BF nach Bosnien und Herzegowina sowie die Nicht-Gewährung einer Frist für die freiwillige Ausreise und die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung (Spruchpunkte I. bis III. des angefochtenen Bescheids) werden in der Beschwerde nicht bekämpft. Diese richtet sich vielmehr ausdrücklich nur gegen das Einreiseverbot laut Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheides. Damit erwuchsen die Spruchpunkte I., II. und III. des angefochtenen Bescheides bereits in Rechtskraft. Gemäß § 27 VwGVG beschränkt sich die Prüfung der Beschwerde somit auf Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheids.

Der BF ist als Staatsangehöriger von Bosnien und Herzegowina Fremder iSd § 2 Abs 4 Z 1 FPG und Drittstaatsangehöriger iSd § 2 Abs 4 Z 10

FPG.

Gemäß § 53 Abs 1 und 2 FPG kann das BFA mit einer Rückkehrentscheidung ein Einreiseverbot, also die Anweisung an den Drittstaatsangehörigen, für einen festgelegten Zeitraum nicht in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten der EU (außer Irlands und des Vereinigten Königreichs), Islands, Norwegens, der Schweiz und Liechtensteins einzureisen und sich dort nicht aufzuhalten, erlassen, wenn der Drittstaatsangehörige die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet. Die Dauer des Einreiseverbots ist abhängig von seinem bisherigen Verhalten. Dabei ist zu berücksichtigen, inwieweit sein Aufenthalt die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder anderen in Art 8 Abs 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft. § 53 Abs 2 FPG enthält eine demonstrative Aufzählung von Tatbeständen, deren Vorliegen eine Gefährdung öffentlicher Interessen indiziert. Dies ist z.B. dann der Fall, wenn der Drittstaatsangehörige von einem Gericht rechtskräftig zu einer bedingt oder teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten verurteilt wurde (§ 53 Abs 3 Z 1 zweiter Fall FPG). In solchen Fällen kann ein Einreiseverbot für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden.

Ein Einreiseverbot ist nicht zwingend mit jeder Rückkehrentscheidung zu verbinden, sondern steht im Ermessen der Behörde. Es soll bestimmte, mit dem Aufenthalt des betroffenen Fremden potentiell verbundene Gefährdungen öffentlicher Interessen hintanhalten. Dabei ist im Rahmen einer Interessenabwägung zu prüfen, inwiefern private und familiäre Interessen des Fremden der Verhängung des Einreiseverbots in der konkreten Dauer allenfalls entgegenstehen. Ein Einreiseverbot ist dann zu verhängen, wenn die Gefährdungsprognose eine zukünftige Gefährdung relevanter öffentlicher Interessen ergibt und eine Interessenabwägung nach Art 8 EMRK zu Lasten des betroffenen Drittstaatsangehörigen ausgeht (vgl Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht § 53 FPG K 10 ff).

Bei der Entscheidung über die Verhängung und die Dauer eines Einreiseverbots ist darauf abzustellen, wie lange die von dem betroffenen Drittstaatsangehörigen ausgehende Gefährdung zu prognostizieren ist; außerdem ist auch auf seine privaten und familiären Interessen Bedacht zu nehmen (vgl VwGH 30.06.2015, Ra 2015/21/0002).

Gemäß Art 8 Abs 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art 8 Abs 2 EMRK ist ein Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit er gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK sind gemäß § 9 Abs 2 BFA-VG insbesondere die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war (Z 1), das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens (Z 2), die Schutzwürdigkeit des Privatlebens (Z 3), der Grad der Integration (Z 4), die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden (Z 5), die strafgerichtliche Unbescholtenheit (Z 6), Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts (Z 7), die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren (Z 8) und die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist (Z 9), zu berücksichtigen.

Bei der Erstellung der für jedes Einreiseverbot zu treffenden Gefährdungsprognose ist das Gesamt(fehl)verhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die in § 53 Abs 2 FPG umschriebene Annahme gerechtfertigt ist. Bei dieser Beurteilung kommt es nicht auf die bloße Tatsache einer allfälligen Verurteilung oder Bestrafung des Fremden an, sondern auf das dieser zugrunde liegende Fehlverhalten, die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild (vgl VwGH 19.2.2013, 2012/18/0230).

Die Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Sachverhalt ergibt Folgendes:

Das BFA hat zu Recht die Erfüllung des Tatbestands des § 53 Abs 3 Z 1 FPG bejaht. Aufgrund des Handels des BF mit der "harten" Droge Kokain in großer Menge (dem 15-fachen der Grenzmenge) hat er eine erhebliche kriminelle Energie an den Tag gelegt. Der Verkauf eines besonders gefährlichen Suchtgifts indiziert aufgrund der massiven negativen gesellschaftlichen Konsequenzen des Konsums illegaler Drogen, dass vom BF auch zukünftig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit iSd § 53 Abs 2 FPG ausgehen wird. Der VwGH hat in Bezug auf Suchtgiftdelinquenz bereits wiederholt festgehalten, dass diese ein besonders verpöntes Fehlverhalten darstellt, bei dem erfahrungsgemäß eine hohe Wiederholungsgefahr gegeben ist und an dessen Verhinderung ein besonders großes öffentliches Interesse besteht (vgl VwGH 23.02.2016, Ra 2015/01/0249). Der BF wollte durch Drogenhandel seinen eigenen Drogenkonsum ermöglichen und nahm dafür die Schädigung der Gesundheit anderer in Kauf.

Dem BFA ist vor diesem Hintergrund darin beizupflichten, dass für den BF keine günstige Zukunftsprognose erstellt werden kann. Sein Aufenthalt stellt eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung dar, die ein Einreiseverbot erforderlich macht, obwohl er zum ersten Mal strafgerichtlich in Erscheinung getreten ist und erstmals in Haft war. Aufgrund der schwerwiegenden Suchtmitteldelinquenz ist in Verbindung mit dem Drogenkonsum des BF und dem Fehlen eines legalen Einkommens Wiederholungsgefahr anzunehmen. Trotz der Therapie kann noch nicht von einem Wegfall oder einer wesentlichen Minderung der von ihm ausgehenden Gefährlichkeit ausgegangen werden. Dazu bedarf es grundsätzlich eines längeren Zeitraums des Wohlverhaltens, wobei in erster Linie das gezeigte Wohlverhalten in Freiheit maßgeblich ist (VwGH 27.04.2017, Ra 2016/22/0094). Ein Gesinnungswandel eines Straftäters ist grundsätzlich daran zu messen, ob und wie lange er sich - nach dem Vollzug einer Haftstrafe - in Freiheit wohlverhalten hat. Das gilt auch im Fall einer (erfolgreich) absolvierten Therapie (zuletzt VwGH 25.01.2018, Ra 2018/21/0004). Im Fall von strafbaren Handlungen infolge Gewöhnung an Suchtmittel bedarf es neben dem Abschluss einer Therapie noch eines maßgeblichen Zeitraums des Wohlverhaltens, um einen Wegfall der Gefährdung annehmen zu können (vgl. etwa VwGH 22.5.2014, Ro 2014/21/0007, mwN). Aus dem Strafaufschub gemäß § 39 SMG, der damit einhergehenden Haftentlassung im Oktober 2016 und der seither absolvierten Psychotherapie lässt sich noch keine maßgebliche Minderung der Gefährdung, die sich aus dem strafbaren Vorverhalten ergibt, ableiten, zumal abgesehen von der Therapie (die der BF auch in seinem Herkunftsstaat fortsetzen kann) keine Anhaltspunkte für eine Stabilisierung der Lebensumstände des (nach wie vor beschäftigungslosen) BF und für seine nachhaltige Loslösung vom Suchtgiftmilieu vorliegen.

Die Verhinderung strafbarer Handlungen, insbesondere von Suchtgiftdelikten, ist vor dem Hintergrund der verheerenden Schäden und Folgen in der Gesellschaft, zu denen der Konsum von Suchtgiften führt, ein Grundinteresse der Gesellschaft zum Schutz der öffentlichen Ordnung, der Gesundheit sowie der Rechte und Freiheiten anderer.

Durch die vom BF Anfang November 2016 in Österreich begonnene Suchtgifttherapie hat er ein Interesse an der (Wieder-)Einreise nach Österreich. Über die Erteilung eines Aufenthaltstitels, die Rückkehrentscheidung und die Zulässigkeit der Abschiebung des BF in seinen Herkunftsstaat wurde jedoch bereits rechtskräftig abgesprochen, sodass feststeht, dass er nicht zum längerfristigen Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigt ist.

Nach höchstgerichtlicher Judikatur hat im Allgemeinen kein Fremder ein Recht, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, allerdings muss der Betroffene auch tatsächlich Zugang zur notwendigen Behandlung haben (siehe VwGH 10.08.2017, Ra 2016/20/0105). Das Interesse des BF an einer Weiterführung der Therapie bzw. deren Abschluss in Österreich überwiegt bei vernetzter Betrachtungsweise nicht dem großen Interesse an der Verhinderung strafbarer Handlungen, insbesondere des arbeitsteiligen Suchtgifthandels in großem Stil. Es wird dem BF möglich sein, die Therapie auch in Bosnien und Herzegowina fortzusetzen und abzuschließen, zumal er kein entgegenstehendes Vorbringen erstattet hat, keine Hinweise für eine enge Beziehung zu bestimmten Therapeuten in Österreich bestehen und sich aus den Feststellungen zur Gesundheitsversorgung ergibt, dass es in Bosnien und Herzegowina über beide Entitäten verteilt (neben kleineren Gesundheitszentren) zwölf Einrichtungen für Drogenabhängige gibt und auch Substitutionsprogramme angeboten werden. Der Umstand, dass im Distrikt Brcko bei einer Fläche von 493 km² (vgl. etwa die Fläche Stadt Wien: 414 km²) keine solchen Einrichtungen bestehen, fällt nicht ins Gewicht, da im restlichen Staatsgebiet ausreichende, für den BF erreichbare Behandlungsmöglichkeiten für Suchterkrankungen vorhanden sind. Allfällige Unannehmlichkeiten, die mit einem Wechsel der Therapieeinrichtung und der Betreuungsperson einhergehen, sind dem BF zumutbar.

Es ist daher im Ergebnis - insbesondere aufgrund der gravierenden Suchtgiftdelinquenz des BF - der von ihm ausgehenden Gefährdung und den nachteiligen Folgen einer Abstandnahme von der Erlassung des Einreiseverbotes auf Grund seines bisherigen Fehlverhaltens größeres Gewicht beizumessen als seinem vergleichsweise geringen persönlichen Interesse an einer weiteren Einreise im Bundesgebiet, zumal er die Kontakte zu seinen im Inland lebenden Bezugspersonen auch durch diverse Kommunikationsmittel (Telefon, Internet) und durch Besuche in Bosnien und Herzegowina (oder in anderen Staaten, für die das Einreiseverbot nicht gilt) pflegen kann.

Die Dauer des Einreiseverbots ist aber - in teilweiser Stattgebung der Beschwerde - auf fünf Jahre zu reduzieren, weil dies dem Fehlverhalten des BF und der von ihm ausgehenden Gefährdung entspricht. Dabei ist zu berücksichtigten, dass ein einmaliges (wenn auch sehr schwerwiegendes) Fehlverhalten vorlag, das Strafgericht den Strafrahmen nicht ausschöpfte, der BF zum ersten Mal straffällig wurde und ein Geständnis ablegte. Ein Einreiseverbot in der Dauer von acht Jahren steht außer Relation zu der über den BF verhängten teilbedingten Freiheitsstrafe, dem Unrechtsgehalt der von ihm begangenen Taten unter Berücksichtigung aller Milderungs- und Erschwerungsgründe und seiner privaten Situation. Da auch Therapiefähigkeit und -motivation zur Überwindung seiner Suchtgiftabhängigkeit vorliegen, kann die Dauer des Einreiseverbots auf fünf Jahre reduziert werden.

Ein Einreiseverbot in dieser Dauer ist notwendig, aber auch ausreichend, um der vom BF ausgehenden Gefährlichkeit wirksam zu begegnen und eine nachhaltige Änderung seines Verhaltens und seiner Einstellung zu den rechtlich geschützten Werten zu bewirken. Dadurch bleibt auch die Möglichkeit gewahrt, auf eine neuerliche bzw. noch schwerere Delinquenz mit einem entsprechend längeren Einreiseverbot reagieren zu können. Eine weitere Reduktion scheitert allerdings an der Schwere der vom BF begangenen Straftat, der mit einer großen Menge eines überaus gefährlichen Suchtgifts handelte, zumal aufgrund seiner Gewöhnung an Kokain trotz der begonnenen Therapie von einer besonders hohen Wiederholungsgefahr auszugehen ist.

Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung:

§ 21 Abs 7 BFA-VG erlaubt das Unterbleiben einer Verhandlung sogar dann, wenn deren Durchführung in der Beschwerde ausdrücklich beantragt wurde, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint. Diese Regelung steht im Einklang mit Art 47 Abs 2 GRC. Bei der Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen kommt der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks im Rahmen einer mündlichen Verhandlung zwar besondere Bedeutung zu, und zwar sowohl in Bezug auf die Gefährdungsprognose als auch in Bezug auf die für die Abwägung nach Art 8 EMRK sonst relevanten Umstände. Daraus ist aber noch keine generelle Pflicht zur Durchführung einer mündlichen Verhandlung in Verfahren über aufenthaltsbeendende Maßnahmen abzuleiten. In eindeutigen Fällen, in denen bei Berücksichtigung aller zugunsten des Fremden sprechenden Fakten auch dann für ihn kein günstigeres Ergebnis zu erwarten ist, wenn sich das BVwG von ihm einen (positiven) persönlichen Eindruck verschafft, kann auch eine beantragte Verhandlung unterbleiben (VwGH 26.01.2017, Ra 2016/21/0233).

Da der entscheidungswesentliche Sachverhalt nicht klärungsbedürftig ist und auch bei einem positiven Eindruck vom BF bei einer mündlichen Verhandlung keine weitere Reduktion oder gar ein Entfall des Einreiseverbots möglich wäre, konnte hier eine mündliche Verhandlung unterbleiben. Von deren Durchführung ist keine weitere Klärung der Rechtssache zu erwarten.

Zu Spruchteil B):

Die einzelfallbezogene Erstellung einer Gefährdungsprognose und die Bemessung der Dauer eines Einreiseverbots sind im Allgemeinen nicht revisibel (VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0284). Die Revision war nicht zuzulassen, weil sich das BVwG an bestehender höchstgerichtlicher Rechtsprechung orientieren konnte und keine darüber hinausgehende grundsätzliche Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG zu lösen war.

Schlagworte

Angemessenheit, Drogenkonsum, Einreiseverbot, Gefährdungsprognose,
Herabsetzung, öffentliches Interesse, Suchtgifthandel, Verbrechen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:G314.2151787.2.00

Zuletzt aktualisiert am

13.09.2018
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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