Entscheidungsdatum
01.08.2018Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W265 2196256-1/7E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Karin RETTENHABER-LAGLER als Einzelrichterin über die Beschwerde der XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 25.07.2018 zu Recht:
A)
I. Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt.
II. Gemäß § 3 Abs. 4 iVm § 3 Abs. 4b AsylG 2005 wird XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis 01.08.2021 erteilt.
III. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Die minderjährige Beschwerdeführerin wurde am XXXX im österreichischen Bundesgebiet geboren. Ihre Eltern, beide afghanische Staatsbürger, beantragten am 16.09.2015 internationalen Schutz. Am 11.04.2018 stellten der Vater der Beschwerdeführerin als gesetzliche Vertreter einen Antrag auf internationalen Schutz für die Beschwerdeführerin. Im Rahmen der Antragstellung brachte er die Geburtsurkunde und einen aktuellen ZMR-Auszug in Vorlage.
2. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies den Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz mit oben genanntem Bescheid bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) ab. Weiters wurde der Beschwerdeführerin kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 erteilt, gegenüber der Beschwerdeführerin gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung der Beschwerdeführerin nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.). Schließlich sprach das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl aus, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV).
3. Mit Verfahrensanordnung vom 30.04.2018 wurde der Beschwerdeführerin gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG der Verein Menschenrechte Österreich als Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht zur Seite gestellt.
4. Die Beschwerdeführerin erhob gegen den oben genannten Bescheid fristgerecht Beschwerde, welche am 17.05.2018 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einlangte. Darin wird ausgeführt, dass ihre Eltern nicht verheiratet seien und sie als uneheliches Kind geboren worden sei. In einem konservativen Land, in dem schon vorehelicher Sex strafbar sei und Schande für die Familie bedeute, wäre sie als uneheliches Kind umso mehr asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt.
5. Die gegenständliche Beschwerde und der Bezug habende Verwaltungsakt wurden vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vorgelegt und sind am 24.05.2018 beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt.
6. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 25.07.2018 in den gemäß § 39 Abs. 2 AVG zur gemeinsamen Verhandlung verbundenen Beschwerdeverfahren betreffend die Beschwerdeführerin, ihre Mutter (zu W265 2194076-1) und ihren Vater (zu W265 2194023-1) durch die erkennende Richterin in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die Sprache Dari und im Beisein der Rechtsvertretung eine öffentliche mündliche Verhandlung durch. Ein Vertreter für Fremdenwesen und Asyl nahm an der Verhandlung nicht teil. Die Verhandlungsschrift wurde der Erstbehörde übermittelt.
7. Das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 02.03.2017, eine zusammenfassende Darstellung der UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19.04.2016, eine Analyse der Staatendokumentation vom 02.07.2014, Afghanistan, Frauen in Afghanistan, ein Auszug aus den UNCHR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19. April 2016 (Frauen mit bestimmten Profilen oder unter bestimmten Bedingungen lebende Frauen und Frauen und Männer, die vermeintlich gegen die sozialen Sitten verstoßen), eine Anfragebeantwortung der Staatendokumentation "Afghanistan: außerehelicher Geschlechtsverkehr, uneheliches Kind" vom 15.09.2016 wurden in der mündlichen Verhandlung in das gegenständliche Verfahren eingebracht. Den Eltern der Beschwerdeführerin als gesetzlichen Vertretern wurde die Bedeutung dieser Berichte erklärt, insbesondere, dass auf Grund dieser Berichte die Feststellungen zu ihrem Herkunftsstaat getroffen werden, sowie deren Zustandekommen. Ihnen wurde die Möglichkeit gegeben, in die Länderberichte Einsicht zu nehmen und allenfalls dazu Stellung zu nehmen.
Die Rechtsvertretung gab im Rahmen der Verhandlung eine mündliche Stellungnahme ab.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage des erhobenen Antrages auf internationalen Schutz, der Erstbefragung und Einvernahme der Eltern der Beschwerdeführerin durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sowie des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, der Beschwerde gegen den im Spruch genannten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, der im Verfahren vorgelegten Dokumente, der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht, der Einsichtnahme in den Bezug habenden Verwaltungsakt, das Zentrale Melderegister, das Fremdeninformationssystem, das Strafregister und das Grundversorgungs-Informationssystem werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:
Zur Person und den Fluchtgründen der Beschwerdeführerin:
Die Beschwerdeführerin führt den Namen XXXX und ist am XXXX in Österreich geboren. Sie ist afghanische Staatsangehörige.
Die Beschwerdeführerin ist die minderjährige uneheliche Tochter von XXXX , geb. XXXX , und XXXX , geb. XXXX .
Der Beschwerdeführerin droht als uneheliches Kind nicht nur Gefahr seitens der Verwandten ihrer Eltern, sondern sie ist auch massiven Benachteiligungen und Diskriminierungen von staatlicher Seite ausgesetzt. Sie ist nach der afghanischen Rechtslage de facto von allen Bürgerrechten und zivilen Rechten, einschließlich des Erbrechts ausgeschlossen. Als in Österreich geborenes und aufgewachsenes Kind einer Mutter, die an dem in Europa mehrheitlich gelebten, allgemein als "westlich" bezeichneten Frauen- und Gesellschaftsbild orientiert ist, wird auch die Beschwerdeführerin in einem freien und auf Bildung bedachten Erziehungsstil erzogen. Es ist nicht zu erwarten, dass sie oder ihre Eltern von dieser persönlichen Wertehaltung und Lebensweise abgehen und sich den in Afghanistan üblichen Einschränkungen unterwerfen würden.
Vor diesem Hintergrund würde die Beschwerdeführerin im Falle ihrer Rückkehr nach Afghanistan von dem dortigen konservativen Umfeld als ein am westlichen Frauen- und Gesellschaftsbild orientiertes Mädchen angesehen werden, das als im Ausland geborenes uneheliches Kind zusätzlicher Verfolgung ausgesetzt wäre.
Die Beschwerdeführerin ist strafgerichtlich unbescholten.
1.2. Zur maßgeblichen Situation der Frauen in Afghanistan (Auszug aus den UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19. April 2016):
"7. Frauen mit bestimmten Profilen oder unter bestimmten Bedingungen lebende Frauen
Die Regierung hat seit 2001 einige wichtige Schritte zur Verbesserung der Situation der Frauen im Land unternommen, darunter die Aufnahme internationaler Standards zum Schutz der Rechte der Frauen in die nationale Gesetzgebung, insbesondere durch Verabschiedung des Gesetzes über die Beseitigung der Gewalt gegen Frauen (EVAW-Gesetz), den Erlass von Maßnahmen zur Stärkung der politischen Teilhabe von Frauen und die Einrichtung eines Ministeriums für Frauenangelegenheiten.
Die Verbesserungen der Situation von Frauen und Mädchen blieben jedoch Berichten zufolge marginal und Afghanistan wird weiterhin als "sehr gefährliches" Land für Frauen und Mädchen betrachtet. Fortschritte, die in der Vergangenheit in Hinblick auf die Menschenrechte von Frauen erzielt wurden, wurden teilweise durch die Verschlechterung der Sicherheitslage in einigen Teilen des Landes zunichte gemacht. Die tief verwurzelte Diskriminierung von Frauen bleibt endemisch. Berichten zufolge ist Gewalt gegen Frauen und Mädchen nach wie vor weit verbreitet und nimmt weiter zu. Es wird berichtet, dass derartige Gewaltakte üblicherweise straflos bleiben. Für Frauen ist die vollständige Wahrnehmung ihrer wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte nach wie vor mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden. Trotz einiger Fortschritte sind Frauen überproportional von Armut, Analphabetismus und schlechter Gesundheitsversorgung betroffen.
Beobachter berichten, dass Gesetze zum Schutz von Frauenrechten weiterhin nur langsam umgesetzt werden, dies betrifft insbesondere die Umsetzung des Gesetzes über die Beseitigung der Gewalt gegen Frauen (EVAW-Gesetz). Das im August 2009 verabschiedete Gesetz stellt 22 gegen Frauen gerichtete gewalttätige Handlungen und schädliche traditionelle Bräuche, einschließlich Kinderheirat, Zwangsheirat sowie Vergewaltigung und häusliche Gewalt, unter Strafe und legt die Bestrafung der Täter fest. Den Behörden fehlt Berichten zufolge der politische Wille, das Gesetz umzusetzen. Dementsprechend wird es Berichten zufolge nicht vollständig durchgesetzt, insbesondere nicht in ländlichen Gebieten. Die überwiegende Mehrheit der Fälle der gegen Frauen gerichteten Gewaltakte, einschließlich schwerer Straftaten gegen Frauen, wird immer noch nach traditionellen Streitbeilegungsmechanismen statt wie vom Gesetz vorgesehen strafrechtlich verfolgt. UNAMA berichtet, dass sowohl die afghanische nationale Polizei (ANP) als auch die Staatsanwaltschaften zahlreiche Fälle, einschließlich schwerwiegender Straftaten, an jirgas und shuras zum Zweck der Beratung oder Entscheidung weiterleiten und dadurch die Umsetzung des Gesetzes über die Beseitigung der Gewalt gegen Frauen (EVAW-Gesetz) unterminieren und die Praktizierung schädlicher traditioneller Bräuche fördern. Durch Entscheidungen gemäß diesen Mechanismen sind Frauen und Mädchen der Gefahr weiterer Schikanierung und Ausgrenzung ausgesetzt.
Das schiitische Personenstandsgesetz, das Familienangelegenheiten wie Heirat, Scheidung und Erbrecht für Mitglieder der schiitischen Gemeinschaft regelt, enthält mehrere diskriminierende Bestimmungen für Frauen, insbesondere in Bezug auf Vormundschaft, Erbschaft, Ehen von Minderjährigen und Beschränkungen der Bewegungsfreiheit außerhalb des Hauses.
Während die in diesem Abschnitt beschriebenen Menschenrechtsprobleme Frauen und Mädchen im gesamten Land betreffen, gibt die Situation in Gebieten, die tatsächlich von regierungsfeindlichen Kräften (AGEs) kontrolliert werden, Anlass zu besonderer Sorge.
Regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) haben Berichten zufolge in diesen Gebieten die Rechte von Mädchen und Frauen in schwerwiegender Weise beschnitten, darunter ihr Recht auf Bewegungsfreiheit und politische Partizipation. Außerdem besteht in von regierungsfeindlichen Kräften (AGEs) kontrollierten Gebieten eine höhere Wahrscheinlichkeit, dass Frauen besonderen Schwierigkeiten beim Zugang zur Justiz ausgesetzt sind und ihnen keine wirksamen Rechtsmittel gegen die Verletzung ihrer Rechte zur Verfügung stehen. Die von den regierungsfeindlichen Kräften (AGEs) in den von ihnen kontrollierten Gebieten betriebene Paralleljustiz verletzt Berichten zufolge tatsächlich regelmäßig die Rechte von Frauen.
[...]
8. Frauen und Männer, die vermeintlich gegen die sozialen Sitten verstoßen
Trotz Bemühungen der Regierung, die Gleichheit der Geschlechter zu fördern, sind Frauen aufgrund bestehender Vorurteile und traditioneller Praktiken, durch die sie marginalisiert werden, nach wie vor weit verbreiteter gesellschaftlicher, politischer und wirtschaftlicher Diskriminierung ausgesetzt. Frauen, die vermeintlich soziale Normen und Sitten verletzen, werden weiterhin gesellschaftlich stigmatisiert und allgemein diskriminiert. Außerdem ist ihre Sicherheit gefährdet. Dies gilt insbesondere für ländliche Gebiete und für Gebiete, die von regierungsfeindlichen Kräften (AGEs) kontrolliert werden. Zu diesen Normen gehören Einschränkungen der Bewegungsfreiheit von Frauen, wie zum Beispiel die Forderung, dass eine Frau nur in Begleitung einer männlichen Begleitperson in der Öffentlichkeit erscheinen darf. Frauen ohne Unterstützung und Schutz durch Männer wie etwa Witwen sind besonders gefährdet. Angesichts der gesellschaftlichen Normen, die allein lebenden Frauen Beschränkungen auferlegen, zum Beispiel in Bezug auf ihre Bewegungsfreiheit und auf Erwerbsmöglichkeiten, sind sie kaum in der Lage zu überleben. Inhaftierungen aufgrund von Verletzungen des afghanischen Gewohnheitsrechts oder der Scharia betreffen Berichten zufolge in überproportionaler Weise Frauen und Mädchen, einschließlich Inhaftierung aufgrund "moralischer Vergehen" wie beispielsweise dem Erscheinen ohne angemessene Begleitung, Ablehnung einer Heirat, außereheliche sexuelle Beziehungen (die als Ehebruch angesehen werden) und "Weglaufen von zu Hause" (einschließlich in Situationen von häuslicher Gewalt). Mehr als der Hälfte der in Afghanistan inhaftierten Mädchen und Frauen wurden "moralische Vergehen" zur Last gelegt. Da Anklagen aufgrund von Ehebruch und anderen "moralischen Vergehen" Anlass zu Ehrenmorden geben können, versuchen die Behörden Berichten zufolge in einigen Fällen, die Inhaftierung von Frauen als Schutzmaßnahmen zu rechtfertigen.
[...]
In Gebieten, die sich unter der tatsächlichen Kontrolle der Taliban und anderer regierungsfeindlicher Kräfte (AGEs) befinden, besteht für Frauen und Männer, die unmoralischer Verhaltensweisen bezichtigt werden, das Risiko, über die parallelen Justizstrukturen dieser regierungsfeindlichen Kräfte (AGEs) zu harten Strafen, einschließlich zu Auspeitschung und zum Tod, verurteilt zu werden."
1.2. Auszug aus einer Anfragebeantwortung der Staatendokumentation "Afghanistan: Außerehelicher Geschlechtsverkehr, uneheliches Kind" vom 15.09.2016:
1. Zu welchen Sanktionen führt Geschlechtsverkehr zwischen Unverheirateten?
[...]
Gemäß dem folgenden Bericht von Congressional Research Service werden Frauen regelmäßig wegen zina, einem Begriff für Ehebruch, eingesperrt, welcher laut Strafgesetzbuch eine Straftat ist. Diese Straftat beinhaltet das Weglaufen von Zuhause, sich der Wahl eines Ehemannes von der Familie zu widersetzen, durchzubrennen oder das Fliehen vor häuslicher Gewalt. Frauen können ebenso dafür verhaftet werden, ein uneheliches Kind geboren zu haben.
[...]
Human Rights Watch - eine international tätige, nichtstaatliche Organisation, die für die Wahrung der Menschenrechte eintritt - berichtet dass in Afghanistan hunderte von Frauen und Mädchen wegen "moralischer Vergehen" verhaftet werden. Diese sogenannten Vergehen beinhalten das Weglaufen von Zuhause, das Begehen von zina oder den Versuch es zu begehen, oder außerehelichen Geschlechtsverkehr. Zina ist laut afghanischem Strafgesetzbuch strafbar und kann mit bis zu 15 Jahren Haft bestraft werden. Das Weglaufen von Zuhause ist keine Straftat, dennoch wird es von der Polizei und den Richtern als solche gehandelt und manchmal als "Versuch von zina" angeklagt.
Das Auswärtige Amt berichtet ähnliches:
[...] Darüber hinaus geschieht es immer wieder, dass Frauen, die entweder eine Straftat zur Anzeige bringen oder aber von der Familie aus Gründen der "Ehrenrettung" angezeigt werden, wegen sog. Sittenverbrechen wie z.B. "zina" (außerehelicher Geschlechtsverkehr) im Fall einer Vergewaltigung verhaftet oder wegen "Von-zu-Hause-Weglaufens" (kein Straftatbestand, aber oft als Versuch der "zina" gewertet) inhaftiert werden. [...] Auswärtiges Amt (11.2015): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan.
Der Hohe Flüchtlingshochkommissar der Vereinten Nationen berichtet weiteres:
[...] Darüber hinaus besteht für Personen, denen Verstöße gegen die Scharia wie Apostasie, Blasphemie, einvernehmliche gleichgeschlechtliche Beziehungen oder Ehebruch (zina) vorgeworfen werden, nicht nur die Gefahr der strafrechtlichen Verfolgung, sondern auch der gesellschaftlichen Ächtung und Gewalt durch Familienangehörige, andere Mitglieder ihrer Gemeinschaften, die Taliban und andere regierungsfeindliche Kräfte (AGEs). [...] UNHCR (19.4.2016): UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des Internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, http://www.ecoi.net/file_upload/90_1471846055_unhcr-20160419-afg-richtlinien-de.pdf, Zugriff 15.9.2016
Der Artikel 427 des afghanischen Strafgesetzbuchs von 1979 besagt, dass eine Person, die Ehebruch oder Päderastie begeht, zu einer langfristigen Haft verurteilt werden soll.
Das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen UNICEF berichtet, dass der Artikel 427 des Strafgesetzbuches eine illegale sexuelle Beziehung als Ehebruch betrachtet, welche eine langfristige Haft für den Täter vorsieht. Laut dem Gesetz der Scharia [anm.: islamisches Recht] sind der "zani" (Täter des Geschlechtsverkehrs, üblicherweise Männer) und die "zaniah" (Empfängerin, üblicherweise Frauen) harten Strafen wie Ehrenmorde, ortsüblichen Regeln und dem Gesetz der Scharia ausgesetzt.
2. Welche Konsequenzen hätte ein uneheliches Kind?
[...]
UK Home Office berichtet, dass unehelichen Kindern ihr Recht auf Geburtenregistrierung entzogen werden kann, welche ein wesentliches Mittel ist, um die Kinderrechte zu schützen. Dies betrifft vor allem den Schutz vor Kinderheirat, Kinderarbeit, der vorzeitigen Einberufung ins Militär, oder der Strafverfolgung wie Erwachsene wenn ein Verbrechen vorliegt. Das Fehlen einer Geburtsurkunde kann ein Kind daran hindern, Gesundheitsdienstleistungen und soziale Unterstützung in Anspruch zu nehmen und sich in die Schule einzuschreiben.
[...]
UNICEF berichtet, dass laut dem afghanischen Zivilgesetzbuch und anderen entsprechenden Gesetzen, keine Rechte für uneheliche Kinder vorgesehen wurden. Ein uneheliches Kind wird "harami" genannt. Das afghanische Zivilgesetzbuch bezieht sich überhaupt nicht auf diese Kinder.
[...]
Die Süddeutsche Zeitung, eine überregionale deutsche Tageszeitung, veröffentlicht in einem Bericht über eine afghanische Frau die mit ihrer Geschichte international für Aufsehen gesorgt hat, folgendes:
[...] Aber ein uneheliches Kind zur Welt zu bringen, wird in Afghanistan gesellschaftlich geächtet. Für die Ehre der Familie stellt es eine Schande da - und es gibt kaum etwas, das Afghanen wichtiger ist als ihren guten Ruf zu wahren. [...] Süddeutsche Zeitung (15.11.2011): Gulnaz - vergewaltigt, verurteilt, begnadigt, http://www.sueddeutsche.de/panorama/rechte-von-frauen-in-afghanistan-gulnaz-vergewaltigt-verurteilt-begnadigt-1.1236145, Zugriff 14.9.2016
Afghan-Aid, ein gemeinnütziger deutscher Förderverein für das Schulwesen und die medizinische Versorgung in Afghanistan, berichtet folgendes:
[...] Ein Kind aus einem Akt von Zena (Geschlechtsverkehr vor der Heirat) ist von dem Erbe ausgeschlossen. Islam und Afghanistan kennen keine Adoption. Somit erben uneheliche Kinder nicht. Afghan-Aid (o.D): Islamisches Erbrecht in Afghanistan, http://www.afghan-aid.de/erbrecht%20in%20afghanistan.htm, Zugriff 14.9.2016
2. Beweiswürdigung:
Die Feststellungen zur Person ergeben sich aus den Angaben der gesetzlichen Vertreterin der minderjährigen Beschwerdeführerin im Verfahren sowie aus den damit übereinstimmenden Akteninhalten.
Die Feststellung, dass es sich bei der Beschwerdeführerin um die minderjährige uneheliche Tochter von XXXX und XXXX handelt, gründet sich auf die im Verfahren vorgelegte Geburtsurkunde und das übereinstimmende Vorbringen der Eltern der Beschwerdeführerin.
Die Feststellung, wonach die Beschwerdeführerin als uneheliches Kind der Gefahr einer Verfolgung in Afghanistan ausgesetzt ist, gründet sich auf die entsprechenden Länderfeststellungen zur Situation (von Frauen) in Afghanistan, welche auf den in die Beschwerdeverhandlung eingebrachten UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19. April 2016 beruhen sowie auf die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation "Afghanistan: Außerehelicher Geschlechtsverkehr, uneheliches Kind" vom 15.09.2016, die in ihren Aussagen ein übereinstimmendes, schlüssiges Gesamtbild der Situation (der Frauen) in Afghanistan ergeben und die glaubhafte Verfolgungsgefahr als uneheliches Kind nach außerehelichen Geschlechtsverkehr bestätigen. Angesichts der Seriosität der angeführten Erkenntnisquelle und der Plausibilität der Aussagen besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Darstellung zu zweifeln.
Die Feststellung zur strafgerichtlichen Unbescholtenheit ergibt sich aus der Strafunmündigkeit der Beschwerdeführerin aufgrund ihres Alters.
3. Rechtliche Beurteilung:
Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-VG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.
Gemäß § 6 BVwGG, BGBl. I Nr. 10/2013 idF BGBl. I Nr. 50/2016, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Da weder im BFA-VG noch im AsylG 2005 eine Senatsentscheidung vorgesehen ist, liegt in der vorliegenden Rechtssache Einzelrichterzuständigkeit vor.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013 idF BGBl. I Nr. 82/2015 (in der Folge: VwGVG), geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 1 leg.cit. trat dieses Bundesgesetz mit 01.01.2014 in Kraft. Nach § 58 Abs. 2 leg.cit. bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der BAO, des AgrVG und des DVG und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.
Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
Zu A.) Stattgabe der - zulässigen - Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides:
3.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der Statusrichtlinie verweist).
Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung liegt dann vor, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (vgl. VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0074 uva.). Verlangt wird eine "Verfolgungsgefahr", wobei unter Verfolgung ein Eingriff von erheblicher Intensität in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen ist, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der GFK genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes bzw. des Landes ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein. Zurechenbarkeit bedeutet nicht nur ein Verursachen, sondern bezeichnet eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr (vgl. VwGH 10.06.1998, 96/20/0287). Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintan zu halten (VwGH 24.02.2015, Ra 2014/18/0063); auch eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat aber asylrelevanten Charakter, wenn der Heimatstaat des Betroffenen aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren (vgl. VwGH 28.01.2015, Ra 2014/18/0112 mwN). Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewandt werden kann (vgl. VwGH 22.03.2000, 99/01/0256 mwN).
Bei dem in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Asylgrund der "Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe" handelt es sich um einen Auffangtatbestand, der sich in weiten Bereichen mit den Gründen "Rasse, Religion und Nationalität" überschneidet, jedoch weiter gefasst ist als diese. Unter Verfolgung wegen Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe wird eine - nicht sachlich gerechtfertigte - Repression verstanden, die nur Personen trifft, die sich durch ein gemeinsames soziales Merkmal auszeichnen, die also nicht verfolgt würden, wenn sie dieses Merkmal nicht hätten (VwGH 26.06.2007, 2007/01/0479).
Die Voraussetzung der "wohlbegründeten Furcht" vor Verfolgung wird in der Regel aber nur erfüllt, wenn zwischen den Umständen, die als Grund für die Ausreise angegeben werden, und der Ausreise selbst ein zeitlicher Zusammenhang besteht (vgl. VwGH 17.03.2009, 2007/19/0459). Relevant kann nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Bescheiderlassung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen zu befürchten habe (vgl. u.a. VwGH 20.06.2007, 2006/19/0265 mwN).
Gemäß § 3 Abs. 3 Z 1 und § 11 Abs. 1 AsylG 2005 ist der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Asylwerber in einem Teil seines Herkunftsstaates vom Staat oder von sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet und ihm der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden kann (Innerstaatliche Fluchtalternative). Schutz ist gewährleistet, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates keine wohlbegründete Furcht nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK vorliegen kann (vgl. zur Rechtslage vor dem AsylG 2005 z.B. VwGH 15.03.2001, 99/20/0036; 15.03.2001, 99/20/0134, wonach Asylsuchende nicht des Schutzes durch Asyl bedürfen, wenn sie in bestimmten Landesteilen vor Verfolgung sicher sind und ihnen insoweit auch zumutbar ist, den Schutz ihres Herkunftsstaates in Anspruch zu nehmen). Damit ist - wie der Verwaltungsgerichtshof zur Genfer Flüchtlingskonvention judiziert - nicht das Erfordernis einer landesweiten Verfolgung gemeint, sondern vielmehr, dass sich die asylrelevante Verfolgungsgefahr für den Betroffenen - mangels zumutbarer Ausweichmöglichkeit innerhalb des Herkunftsstaates - im gesamten Herkunftsstaat auswirken muss (VwGH 09.11.2004, 2003/01/0534). Das Zumutbarkeitskalkül, das dem Konzept einer "internen Flucht- oder Schutzalternative" (VwGH 09.11.2004, 2003/01/0534) innewohnt, setzt daher voraus, dass der Asylwerber dort nicht in eine ausweglose Lage gerät, zumal wirtschaftliche Benachteiligungen auch dann asylrelevant sein können, wenn sie jede Existenzgrundlage entziehen (VwGH 08.11.2007, 2006/19/0341, mwN).
3.2. Wie im Rahmen der Beweiswürdigung dargelegt, ist es gelungen, glaubhaft zu machen, dass die Beschwerdeführerin als unehelich geborenes Mädchen sowohl von privater Seite ihrer Verwandten seitens des afghanischen Staates massiven Benachteiligungen und Diskriminierungen ausgesetzt ist. Als in Österreich geborenes und aufgewachsenes Kind einer am als "westlich" bezeichneten Frauen- und Gesellschaftsbild orientierten Mutter, wird auch die Beschwerdeführerin in einem freien und auf Bildung bedachten Erziehungsstil erzogen. Sie hat damit aus folgenden Gründen eine maßgebliche Verfolgungswahrscheinlichkeit aus einem der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründe aufgezeigt:
Im Hinblick auf die derzeit vorliegenden herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen zur aktuellen Lage von Frauen in Afghanistan haben sich zwar keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür ergeben, dass alle afghanischen Frauen gleichermaßen allein auf Grund ihres gemeinsamen Merkmals der Geschlechtszugehörigkeit und ohne Hinzutreten weiterer konkreter sowie individueller Eigenschaften im Fall ihrer Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Gefahr liefen, im gesamten Staatsgebiet Afghanistans einer systematischen asylrelevanten (Gruppen-)Verfolgung ausgesetzt zu sein. Die Intensität von den in den Länderberichten aufgezeigten Einschränkungen und Diskriminierungen kann jedoch bei Hinzutreten weiterer maßgeblicher individueller Umstände, insbesondere einer diesen - traditionellen und durch eine konservativ-religiöse Einstellung geprägten - gesellschaftlichen Zwängen nach außen hin offen widerstrebenden Wertehaltung einer Frau, ein asylrelevantes Ausmaß erreichen.
Den o.a. UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19.04.2016 ist zu entnehmen, dass sich die afghanische Regierung zwar bemüht, die Gleichheit der Geschlechter zu fördern, jedoch Frauen auf Grund bestehender Vorurteile und traditioneller Praktiken nach wie vor weit verbreiteter gesellschaftlicher, politischer und wirtschaftlicher Diskriminierung ausgesetzt sind und gerade Frauen, die vermeintlich soziale Normen und Sitten verletzen, gesellschaftlich stigmatisiert werden und hinsichtlich ihre Sicherheit gefährdet sind (zur Indizwirkung solcher Länderberichte s. VwGH 16.01.2008, 2006/19/0182). Frauen sind daher besonders gefährdet, in Afghanistan Opfer von Misshandlungen zu werden, wenn ihr Verhalten - wie z.B. die freie Fortbewegung oder eine ausgeübte Erwerbstätigkeit - als nicht mit den von der Gesellschaft, der Tradition oder sogar vom Rechtssystem auferlegten Geschlechterrollen vereinbar angesehen wird.
Darüber hinaus ist die Beschwerdeführerin aufgrund ihres Status als uneheliches Kind einer zusätzlichen Verfolgungsgefahr in Afghanistan ausgesetzt. Wie in den o.a. Ausführungen zu außerehelichem Geschlechtsverkehr und unehelichen Kindern vom 15.09.2016 dargestellt, kann unehelichen Kindern ihr Recht auf Geburtenregistrierung entzogen werden, welche ein wesentliches Mittel ist, um Kinderrechte wie den Schutz vor Kinderheirat, Kinderarbeit, der vorzeitigen Einberufung ins Militär oder der Strafverfolgung wie Erwachsene zu schützen. Das Afghanische Zivilgesetzbuch und andere entsprechende Gesetze sehen keine Rechte für uneheliche Kinder vor. Kinder die aus einem vorehelichen Geschlechtsverkehr entstanden sind, sind auch vom Erbrecht ausgeschlossen.
Für die Beschwerdeführerin wirkt sich die derzeitige Situation in Afghanistan so aus, dass sie im Falle einer Rückkehr einem Klima ständiger latenter Bedrohung, struktureller Gewalt sowie unmittelbaren Einschränkungen und durch das Bestehen dieser Situation der Gefahr einer Reihe von Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt wäre. Die Beschwerdeführerin unterliegt allerdings einer erhöhten Gefährdung, in Afghanistan dieser Situation ausgesetzt zu sein, weil sie aufgrund ihrer Eigenschaft als uneheliches Kind und Tochter einer am als "westlich" bezeichneten Frauen- und Gesellschaftsbild orientierten Mutter gegenwärtig in Afghanistan als ein Mädchen wahrgenommen würde, das sich als nicht konform ihrer durch die Gesellschaft, Tradition und das Rechtssystem vorgeschriebenen geschlechtsspezifischen Rolle benimmt und das de facto von allen Bürgerrechten und zivilen Rechten ausgeschlossen ist; sie ist insofern einem besonderen Misshandlungsrisiko ausgesetzt (vgl. hierzu auch EGMR 20.07.2010, 23.505/09, N./Schweden, ebenfalls unter Hinweis auf UNHCR). Die die Beschwerdeführerin im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan bedrohende Situation ist in ihrer Gesamtheit von asylrelevanter Intensität.
Es ist nach Lage des Falles davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerin vor diesen Bedrohungen in Afghanistan nicht ausreichend geschützt werden kann. Einerseits ist der Status als Kind mit dem Verlust staatlichen Schutzes und Entzug wesentlicher Kinder- und Bürgerrechte verbunden, womit auch eine Verfolgung von staatlicher Seite zu befürchten ist. Andererseits ist es der Zentralregierung auch nicht möglich, für die umfassende Gewährleistung grundlegender Rechte und Freiheiten der afghanischen Frauen und unehelicher Kinder Sorge zu tragen um die nicht von staatlicher Seite ausgehenden angeführten Bedrohungen aufgrund der nicht traditionskonformen Wertehaltung der Beschwerdeführerin und ihres Status als uneheliches Kind zu verhindern; gegenwärtig besteht in Afghanistan dahingehend kein funktionierender Polizei- und Justizapparat. Darüber hinaus ist vor dem Hintergrund der oben getroffenen Länderfeststellungen nicht davon auszugehen, dass im Wirkungsbereich einzelner lokaler Machthaber effektive Mechanismen zur Verhinderung von Übergriffen und Einschränkungen gegenüber Frauen und unehelichen Kindern bestünden; ganz im Gegenteil liegt ein derartiges Vorgehen teilweise ganz im Sinne der lokalen Machthaber. Für die Beschwerdeführerin ist damit nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass sie angesichts des sie als westlich orientierte Mädchens und unehelichen Kindes betreffenden Risikos, Opfer von Misshandlungen und Einschränkungen zu werden, ausreichenden Schutz im Herkunftsstaat finden kann.
Auch die für die Asylgewährung erforderliche Anknüpfung an einen Konventionsgrund (Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politische Gesinnung) ist im vorliegenden Fall gegeben. Bei der Beschwerdeführerin liegt das dargestellte Verfolgungsrisiko in ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, nämlich der Gruppe der außerehelich geborenen Kinder in Afghanistan und am westlichen Frauen- und Gesellschaftsbild orientierten afghanischen Frauen (vgl. dazu VwGH 20.06.2002, 99/20/0172, mwN).
Es ist daher zu prognostizieren, dass die Beschwerdeführerin im Falle ihrer nunmehrigen Rückkehr nach Afghanistan als uneheliches Kind und damit westlich orientierten Mädchens unverheirateter Eltern mit hoher Wahrscheinlichkeit Eingriffen von erheblicher Intensität ausgesetzt sein wird.
Eine innerstaatliche Fluchtalternative ist im Fall der Beschwerdeführerin nicht gegeben. Es ist im gesamten Staatsgebiet von Afghanistan von einer Situation auszugehen, in der uneheliche Kinder und am westlichen Frauen- und Gesellschaftsbild orientierte afghanische Frauen einem erhöhten Sicherheitsrisiko ausgesetzt sind.
Da im Zuge des Verfahrens keine Hinweise hervorgekommen sind, wonach einer der in Art. 1 Abschnitt C oder F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Endigungs- oder Ausschlusstatbestände vorliegt, ist der Beschwerdeführerin gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status einer Asylberechtigten zuzuerkennen.
Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 ist die Entscheidung, mit der einem Fremden von Amts wegen oder aufgrund eines Antrages auf internationalen Schutz der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird, mit der Feststellung zu verbinden, dass diesem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
Der Beschwerde ist daher gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 3 Abs. 1 AsylG 2005 stattzugeben und festzustellen, dass der Beschwerdeführerin kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
3.3. Zur befristeten Aufenthaltsberechtigung für die Dauer von drei Jahren:
Da der gegenständliche Antrag auf internationalen Schutz am 11.04.2018 und damit nach dem 15.11.2015 gestellt wurde, finden die §§ 2 Abs. 1 Z 15 und 3 Abs. 4 AsylG 2005 daher gemäß § 75 Abs. 24 leg.cit. im vorliegenden Fall Anwendung, weshalb im Spruch ebenfalls ausgesprochen wurde, dass eine befristete Aufenthaltsberechtigung für die Dauer von drei Jahren erteilt wird.
Die Aufenthaltsberechtigung verlängert sich um eine unbefristete Gültigkeitsdauer, sofern die Voraussetzungen für eine Einleitung eines Verfahrens zur Aberkennung des Status der Asylberechtigten nicht vorliegen oder das Aberkennungsverfahren eingestellt wird.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung, des Weiteren ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten zu Spruchteil A) wiedergegeben. Insoweit die in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu früheren Rechtslagen ergangen ist, ist diese nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.
Schlagworte
asylrechtlich relevante Verfolgung, Diskriminierung, gesamtesEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2018:W265.2196256.1.00Zuletzt aktualisiert am
13.09.2018