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20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB);Norm
ABGB §1294;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Blaschek, Dr. Rosenmayr und Dr. Bachler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Enzlberger, über die Beschwerde des R G in L, vertreten durch Pallauf, Pullmann, Meißnitzer & Partner, Rechtsanwälte in Salzburg, Petersbrunnstraße 9, gegen den Bescheid der Schiedskommission beim Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen Salzburg vom 27. Mai 1998, Zl. OB. 511-018970-002, betreffend Beschädigtenrente nach dem Kriegsopferversorgungsgesetz, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit Antrag vom 14. April 1997 beantragte der 1930 geborene Beschwerdeführer die Gewährung einer Beschädigtenrente nach dem Kriegsopferversorgungsgesetz. Zur Begründung wurde ausgeführt, der Beschwerdeführer habe am 16. oder 17. Mai 1945 vor dem Haus Acharting 1 eine Phosphorgranate gefunden, deren Gefährlichkeit er als Halbwüchsiger nicht erkannt habe. Diese sei explodiert, wodurch er Verbrennungen 3. Grades an der rechten Hand und an beiden Beinen erlitten habe.
Mit Bescheid vom 27. Juni 1997 wies das Bundessozialamt Salzburg diesen Antrag ab. Begründend ging die Behörde erster Instanz davon aus, der Beschwerdeführer, der im Zeitpunkt des Vorfalles ca. 15 Jahre alt und als Bauernknecht in Acharting beschäftigt gewesen sei, habe Mitte Mai 1945 auf einer Wiese des Anwesens seines Arbeitgebers, auf der mehrere Lastwagen der deutschen Wehrmacht abgestellt gewesen seien, einen Gegenstand gefunden, den er mit nach Hause genommen und am Abend dann untersucht habe. Dieser Gegenstand habe eine Öffnung aufgewiesen, die mit einem Splint gesichert gewesen sei. Nachdem er den Splint entfernt habe, habe der Gegenstand zu rauchen angefangen. Daraufhin sei er sofort ins Freie gerannt, doch auf dem Weg dorthin sei der Gegenstand plötzlich explodiert und habe dem Beschwerdeführer Verbrennungen 3. Grades an der rechten Hand und an beiden Beinen zugefügt. Bei dem gefundenen Gegenstand habe es sich, wie sich später herausgestellt habe, um eine Phosphorgranate amerikanischer Herkunft gehandelt, die im Kriegseinsatz von der deutschen Wehrmacht verwendet worden sei.
Die Behörde erster Instanz kam nach Zitierung des § 2 Abs. 1 KOVG 1957 zum rechtlichen Schluss, dass dadurch, dass der Beschwerdeführer die Phosphorgranate mit nach Hause genommen habe, die Kausalkette unterbrochen worden sei. Durch das willkürliche Verbringen der Phosphorgranate in sein Wohnhaus Acharting Nr. 1 könne der entstandene Schaden nicht mehr als Folge einer militärischen Maßnahme angesehen werden, die mit der Ablage der Granate in der Wiese als beendet angesehen werden müsse. Da der Kausalzusammenhang mit der willkürlichen Verbringung der Phosphorgranate bereits unterbrochen gewesen sei, habe sich auch die Prüfung der Frage, ob für den Beschwerdeführer die Folgen seines Hantierens mit der Phosphorgranate hätten erkennbar sein können, erübrigt.
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung, die er im Wesentlichen damit begründete, nach § 2 Abs. 1 KOVG sei grundsätzlich davon auszugehen, dass eine Gesundheitsschädigung nur dann als Dienstbeschädigung anzuerkennen sei, wenn zwischen schädigendem Ereignis und Gesundheitsschädigung ein ursächlicher Zusammenhang bestehe. Auf den örtlichen und zeitlichen Zusammenhang hingegen komme es nicht an. Die angegebenen Gesundheitsschäden seien durch unverschuldete Einwirkung von Waffen bzw. sonstigen Kampfmitteln als Folge militärischer Maßnahmen eingetreten.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung nach Durchführung einer Verhandlung am 22. April 1998 gemäß §§ 78, 80, 86 und 94 des KOVG 1957 in Verbindung mit § 66 Abs. 4 AVG ab. Nach Darstellung des Verfahrensganges, insbesondere der Ermittlungsergebnisse erster Instanz und Zitierung der Bestimmung des § 2 Abs. 1 KOVG führte die belangte Behörde aus, eine Gesundheitsschädigung verursachende Wirkung eines Kampfmittels sei dann nicht mehr als Folge einer militärischen Maßnahme zu werten, wenn die Gesundheitsschädigung nach der willkürlichen Verbringung des Sprengkörpers eingetreten sei. Ein Kausalzusammenhang zwischen einer militärischen Maßnahme und der Gesundheitsschädigung könne daher in einem solchen Fall nicht angenommen werden. Dass es auf den örtlichen und zeitlichen Zusammenhang nicht ankomme, werde nicht in Zweifel gezogen, doch könne der Beschwerdeführer daraus nichts gewinnen. Maßgebend für die Anerkennung einer Schädigung sei vielmehr der ursächliche Zusammenhang. Dieser sei nach einschlägiger Judikatur dann nicht gegeben, wenn die Schädigung eingetreten sei, nachdem der Sprengstoff "willkürlich verbracht" worden sei. Der Beschwerdeführer habe die Granate vom Fundort "willkürlich" mitgenommen und diese sei erst beim Hantieren zu Hause explodiert. Dieser Sachverhalt sei auch in der Berufung nicht bestritten worden. Fehle es aber schon am Kausalzusammenhang, sei auf die Frage des Verschuldens des Verletzten an der Explosion nicht mehr einzugehen gewesen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides geltend gemacht wird. Der Beschwerdeführer erachtet sich in seinem Recht auf Anerkennung der Gesundheitsschädigung: Verbrennungen
3. Grades und deren Folgen an der rechten Hand und beiden Beinen, als Dienstbeschädigung und in seinem Recht auf gesetzeskonforme Anwendung des Kriegsopferversorgungsgesetzes 1957, insbesondere der §§ 2 Abs. 1 und 4 Abs. 1 KOVG, verletzt.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und in der Gegenschrift die Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die hier in Rede stehende Bestimmung des § 2 Abs. 1 Kriegsopferversorgungsgesetz, BGBl. Nr. 152/1957 (KOVG 1957) lautet:
"(1) Eine Gesundheitsschädigung, die ohne Zusammenhang mit einem schädigenden Ereignis im Sinne des § 1 durch unverschuldete Verwicklung in militärische Handlungen oder durch unverschuldete Einwirkung von Waffen und sonstigen Kampfmitteln als Folge militärischer Maßnahmen eingetreten ist, wird wie eine Dienstbeschädigung entschädigt. Das Gleiche gilt für eine Gesundheitsschädigung, die nach den bis zum Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes geltenden Vorschriften als Personenschaden oder wie ein Personenschaden zu entschädigen war."
Für die Anerkennung einer Gesundheitsschädigung als Dienstbeschädigung im Sinne des § 2 Abs. 1 zweiter Fall KOVG 1957 sind danach drei Voraussetzungen zu erfüllen:
1.
Es muss sich bei dem schadensauslösenden Objekt um Waffen oder sonstige Kampfmittel handeln;
2.
es müssen diese Waffen oder Kampfmittel als Folge militärischer Maßnahmen an den Auffindungsort gelangt sein und
3.
es darf von Seiten des Verletzten kein Verschulden an der Verletzung vorliegen.
Im Beschwerdefall ist unbestritten, dass der Beschwerdeführer im Mai 1945 durch die Explosion einer Phosphorgranate aus dem Zweiten Weltkrieg verletzt worden ist und diese Phosphorgranate ein "sonstiges Kampfmittel" im Sinne des § 2 Abs. 1 KOVG 1957 darstellt. Ebenfalls nicht in Frage gestellt wurde die Tatsache, dass dieser Sprengkörper durch die in Kriegshandlungen verstrickten militärischen Organisationseinheiten (deutsche Wehrmacht) an der Fundstelle zurückgelassen wurde. Bestritten ist lediglich die Unterbrechung der Kausalkette durch die Verbringung dieses Sprengkörpers von seiner Fundstelle an einen anderen Ort.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom 25. Juni 1992, Zl. 92/09/0038 unter Bezugnahme auf die auch von den Parteien dieses Beschwerdeverfahrens herangezogene Vorjudikatur bisher lediglich festgestellt, dass eine Gesundheitsschädigung dann als Folge militärischer Maßnahmen angesehen werden, wenn zwischen der militärischen Maßnahme und der Gesundheitsschädigung ein ursächlicher Zusammenhang besteht. Dabei können als Ursache im Rechtssinn nach diesem Erkenntnis nur diejenigen Tatsachen gewertet werden, die an dem Eintritt des Erfolges wesentlich mitgewirkt haben. Kausal im Wortsinn ist grundsätzlich jeder Umstand, ohne den der schädliche Erfolg nicht eingetreten wäre. Der Kausalzusammenhang ist ein Kriterium dafür, jene Ursachen von rechtlicher Bedeutung zu finden, die eine Haftung (oder sonstige Leistung) auslösen können. Solche Ursachen sind alle jene Verhaltensweisen und Ereignisse, die nach den - zivilrechtlichen oder öffentlich-rechtlichen schadenersatzrechtlichen Normen Haftungs-(oder Leistungs-)voraussetzungen sind. Es kann aber der Fall eintreten, dass mehrere Ereignisse zusammenwirkend den anspruchsauslösenden Schaden herbeiführen. Sind daher mehr als eine Bedingung für den Eintritt des Schadens kausal, ist zu prüfen, inwieweit beide Bedingungen einander gleichwertig gegenüberstehen oder die eine hinter die andere (als für die objektive Möglichkeit eines Schadenserfolges von der Art des eingetretenen nur unerheblich) zurücktritt.
In diesem Sinne hat der Verwaltungsgerichtshof in dem zuletzt genannten Erkenntnis vom 25. Juni 1992, Zl. 92/09/0038, dargelegt, dass dann, wenn zwei Bedingungen zu einer Verletzung geführt haben, nämlich einerseits das Herumliegen von Munition, d.h. der versorgungsrechtlich geschützte militärische Gefahrenbereich gegeben ist, und andererseits das Verhalten einer - auch dritten - Person, nicht entscheidend ist, ob diese Person schuldhaft im Sinne des Zivilrechtes (§ 1294 ABGB) ebenfalls eine Bedingung zum Erfolg gesetzt hat. Selbst im Falle zurechenbarer und schuldhafter Handlungen des Verletzten - im Bereich der Kausalitätsprüfung - oder eines Dritten kann bei Abwägung der Bedingungen im Einzelfall dennoch der militärische Gefahrenbereich derart an Bedeutung überwiegen, dass er allein die wesentliche Bedingung und damit die Ursache im Rechtssinne darstellt. Das allenfalls schuldhafte (im Sinne von fahrlässig) Verhalten des Dritten oder - wie im Beschwerdefall - des Verletzten selbst durch Aufheben und Verbringen des Sprengkörpers an einen anderen Ort führte nicht erkennbar unmittelbar zur Auslösung der Explosion, sondern erst der Versuch einer Öffnung des in seiner Gefährlichkeit nicht erkannten Sprengkörpers. Allein die Tatsache, dass der Beschwerdeführer die Granate vom Fundort nach Hause transportierte und erst dort untersuchte, wo es zur Explosion kam, reicht daher nicht aus, um den Versorgungstatbestand des § 2 Abs. 1 erster Satz KOVG 1957 zu verneinen, weil im Beschwerdefall die militärische Gefahr des Sprengkörpers als die im überwiegenden Sinne wesentliche Bedingung zu werten war, während die Verbringung desselben an einen anderen Ort an deren Gefährlichkeit keine Veränderung bewirken konnte. Lediglich die weitere Vorgangsweise des Beschwerdeführers bis zur Explosion kann darüber Auskunft geben, ob mit einer Explosion des Sprengkörpers bei vernünftigem Verständnis hätte gerechnet werden müssen. Diese Frage nach dem Verschulden ist dadurch, dass die belangte Behörde von einer vom Verwaltungsgerichtshof nicht geteilten Rechtsansicht ausgegangen ist, ungeprüft geblieben. Damit belastete die belangte Behörde ihren Bescheid mit sekundären Verfahrensmängeln, weshalb der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Das Mehrbegehren war im Hinblick auf die gemäß § 64 KOVG normierte Gebührenbefreiung abzuweisen.
Wien, am 15. Dezember 1999
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1999:1998090211.X00Im RIS seit
21.02.2002