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E000 EU- Recht allgemein;Norm
ARB1/80 Art7;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Blaschek und Dr. Rosenmayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Enzlberger, über die Beschwerde des H Ü in W, vertreten durch Mag. Dr. Michael Swoboda, Rechtsanwalt in Wien I, Wollzeile 24, gegen den Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom 28. Februar 1997, Zl. 10/13117/692 111, betreffend Feststellung gemäß Art. 7 des Assoziationsratsbeschlusses Nr. 1/80, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Arbeitsmarktservice hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.890,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Der Beschwerdeführer (ein türkischer Staatsangehöriger) stellte am 3. Oktober 1996 beim Arbeitsmarktservice Bau-Holz Wien unter Verwendung des amtlich aufgelegten Formulars den Antrag auf Feststellung "gemäß Art. 7 Abs. 1/2. Gedankenstrich des Beschlusses des Assoziationsrates Nr. 1/80".
Mit Bescheid vom 19. Dezember 1996 lehnte das genannte Arbeitsmarktservice diesen Antrag mit der Begründung ab, der Vater des Beschwerdeführers habe "seinen Wohnsitz ebenfalls in Wien" und seit 26. Mai 1995 bestehe "keine aufrechte Familiengemeinschaft", weshalb die Voraussetzungen für die begehrte Feststellung nicht erfüllt seien.
Mit dem im Instanzenzug ergangenen, vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 28. Februar 1997 wurde der Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid des Arbeitsmarktservice Bau-Holz Wien vom 19. Dezember 1996 gemäß § 66 Abs. 4 AVG in Verbindung mit
Artikel 7 Abs. 1, zweiter Gedankenstrich des Assoziationsratsbeschlusses Nr. 1/1980 keine Folge gegeben und der erstinstanzliche Bescheid bestätigt.
Diese Entscheidung wurde von der belangten Behörde nach Wiedergabe der erstinstanzlichen Feststellungen im Wesentlichen damit begründet, der Beschwerdeführer erfülle selbst unter Berücksichtigung des in der Berufung dargelegten Sachverhaltes die Voraussetzungen der begehrten Feststellung deshalb nicht, weil er bereits im 24. Lebensjahr stehe; als "Kinder" würden nur "Familienmitglieder", die das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, gelten. Des weiteren sei der Abschluß der Berufsausbildung im Bundesgebiet erforderlich; ein derartiger Abschluß habe nicht ermittelt werden können. Die Berufungsausführungen seien daher nicht geeignet, die gewünschte Feststellung zu erwirken.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.
Der Beschwerdeführer erachtete sich durch den angefochtenen Bescheid nach seinem gesamten Vorbringen in dem Recht auf Feststellung, dass bei ihm die Voraussetzungen gemäß Art. 7 Abs. 1 zweiter Gedankenstrich des Beschlusses des Assoziationsrates Nr. 1/80 gegeben sind, verletzt. Er beantragt, den angefochtenen Bescheid wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit kostenpflichtig aufzuheben.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Art. 7 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation
(ARB Nr. 1/80) lautet:
"Art. 7
Die Familienangehörigen eines dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates angehörenden türkischen Arbeitnehmers, die die Genehmigung erhalten haben, zu ihm zu ziehen,
-
haben vorbehaltlich des den Arbeitnehmern aus den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft einzuräumenden Vorrangs das Recht, sich auf jedes Stellenangebot zu bewerben, wenn sie dort seit mindestens drei Jahren ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz haben;
-
haben freien Zugang zu jeder von ihnen gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis, wenn sie dort seit mindestens fünf Jahren ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz haben.
Die Kinder türkischer Arbeitnehmer, die im Aufnahmeland einen Berufsausbildung abgeschlossen haben, können sich unabhängig von der Dauer ihres Aufenthalts in dem betreffenden Mitgliedstaat dort auf jedes Stellenangebot bewerben, sofern ein Elternteil in dem betreffenden Mitgliedstaat seit mindestens drei Jahren ordnungsgemäß beschäftigt war."
Die Beschwerde ist schon aus folgenden Erwägungen berechtigt:
Der Beschwerdeführer hat die Feststellung der tatbestandlichen Voraussetzungen gemäß Art. 7 Satz (Absatz) 1, zweiter Gedankenstrich des ARB Nr. 1/80 (Familienangehöriger eines türkischen Arbeitnehmers und ordnungsgemäßer Wohnsitz in der Dauer von fünf Jahren) begehrt. Insoweit die belangte Behörde die Ansicht vertrat, der Beschwerdeführer erfülle die Voraussetzungen eines "Familienangehörigen" im Sinn von Satz 1 leg. cit. allein deshalb nicht, weil es sich bei dem Beschwerdeführer "nicht mehr um ein Kind handelt", verkennt sie, dass Art. 7 ARB Nr. 1/80 nach seinem eindeutigen Wortlaut keine altersmäßige Begrenzung der "Familienangehörigen" und der "Kinder" enthält. Die Ansicht der belangten Behörde, Personen mit einem das 21. Lebensjahr übersteigendem Lebensalter, würden diesen Personengruppen nicht mehr angehören, entbehrt der textlichen und der rechtlichen Grundlage (vgl. hiezu nochmals das genannte hg. Erkenntnis Zl. 97/09/0012, sowie R. Gutmann, Die Assoziationsfreizügigkeit türkischer Staatsangehöriger, Baden-Baden 1996, Seite 112 und 113).
Wie der Verwaltungsgerichtshof - unter Hinweis auf Judikatur des EuGH - bereits wiederholt dargelegt hat (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 1. Oktober 1997, Zl. 97/09/0131, und vom 20. Mai 1998, Zl. 97/09/0009) verlangt die praktische Wirksamkeit des Art. 7 Satz 1 des ARB Nr. 1/80, dass sich die Familienzusammenführung während einer bestimmten Zeit im tatsächlichen Zusammenleben des Betroffenen mit dem Arbeitnehmer in häuslicher Gemeinschaft manifestiert. Daraus folgt, dass der Betroffene während des in Art. 7 Satz 1 des ARB Nr. 1/80 vorgesehenen Zeitraums tatsächlich eine Wohngemeinschaft mit diesem Arbeitnehmer führt. Etwas anderes würde nur gelten, wenn objektive Gegebenheiten es rechtfertigen, dass der Wanderarbeitnehmer und sein Familienangehöriger im Aufnahmemitgliedstaat nicht zusammenleben.
Im Beschwerdefall kann auch nicht abschließend beurteilt werden, ob der Beschwerdeführer die Voraussetzungen des Art. 7 Satz 1 zweiter Gedankenstrich ARB Nr. 1/80 zu erfüllen vermag, hat die belangte Behörde es doch unterlassen, den dafür maßgebenden Sachverhalt festzustellen. Die von der Behörde erster Instanz (allerdings ohne ausreichende Sachverhaltsfeststellungen) verneinte tatsächliche Wohngemeinschaft zwischen dem Beschwerdeführer und dem Wanderarbeitnehmer und das dazu vom Beschwerdeführer erstattete Berufungsvorbringen hat die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid lediglich referiert, aber unbeantwortet gelassen, ob eine tatsächliche Wohngemeinschaft besteht oder wenigstens die in der Berufung dargelegten objektiven Gegebenheiten es rechtfertigen, eine Wohngemeinschaft anzunehmen. Der festgestellte Sachverhalt bedarf somit auch in wesentlichen Punkten einer Ergänzung.
Der angefochtenen Bescheid war (wegen der prävalierenden) Rechtswidrigkeit seines Inhaltes daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit § 41 AMSG und der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 416/1994. Das Mehrbegehren betrifft den überhöht verzeichneten Aufwand für Stempelgebühren und die zum pauschalierten Schriftsatzaufwand zu Unrecht zusätzlich verzeichnete Umsatzsteuer.
Wien, am 15. Dezember 1999
Schlagworte
Gemeinschaftsrecht Anwendungsvorrang, partielle Nichtanwendung von innerstaatlichem Recht EURallg1 Gemeinschaftsrecht Auslegung Allgemein EURallg3European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1999:1997090102.X00Im RIS seit
20.11.2000