Entscheidungsdatum
08.08.2018Norm
AsylG 2005 §2 Abs1 Z13Spruch
W244 2142976-1/7E
Schriftliche Ausfertigung des am 11.07.2018 mündlich verkündeten Erkenntnisses:
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Verena JEDLICZKA-MESSNER als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX, geb. XXXX (alias XXXX), StA. Afghanistan, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 08.11.2016, Zl. 1093636903-151707253, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
Der Beschwerdeführer stellte am 05.11.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.
Am 06.11.2015 fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung des Beschwerdeführers statt. Dabei gab er u.a. an, afghanischer Staatsangehöriger, in der Provinz Ghazni in Afghanistan geboren und Angehöriger der Volksgruppe der Hazara zu sein.
Am 02.08.2016 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl niederschriftlich einvernommen. Hinsichtlich seines Fluchtgrundes führte der Beschwerdeführer auf das Wesentliche zusammengefasst aus, er sei wegen der Mitgliedschaft seines Vaters in einer schiitischen Miliz und deren Verwicklung in Kampfhandlungen bedroht worden. Eine Gruppe von Männern sei zu seiner Familie nach Hause gekommen und habe gedroht, den Beschwerdeführer zu entführen, falls sein Vater sich nicht stelle.
Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz mit oben genanntem Bescheid bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihm gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihm gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung (Spruchpunkt III.).
Gegen den Spruchpunkt I. dieses Bescheides wurde fristgerecht Beschwerde erhoben.
Das Bundesverwaltungsgericht führte am 11.07.2018 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, in der der Beschwerdeführer in Anwesenheit seines Vertreters ausführlich zu seinen Fluchtgründen befragt wurde. Ein Vertreter des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl nahm an der Verhandlung nicht teil.
Zu dem mit der Ladung übermittelten und in der mündlichen Verhandlung ins Verfahren eingebrachten Länderberichtsmaterial nahm der Vertreter des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung Stellung, wobei er den Länderberichten inhaltlich nicht entgegentrat.
Nach Schluss der mündlichen Verhandlung erfolgte eine mündliche Verkündung des Erkenntnisses. Die Niederschrift zur mündlichen Verhandlung vom 11.07.2018 wurde dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl samt Hinweis auf die mündliche Verkündung übermittelt. Der Beschwerdeführer beantragte fristgerecht beim Bundesverwaltungsgericht die schriftliche Ausfertigung des mündlich verkündeten Erkenntnisses.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX und ist am XXXX geboren. Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger, Angehöriger der Volksgruppe der Hazara und bekennt sich zur schiitischen Glaubensrichtung des Islam.
Der Beschwerdeführer wurde im Distrikt XXXX in der Provinz Ghazni in Afghanistan geboren. Er lebte bis zu seiner Ausreise aus Afghanistan in der zweiten Hälfte des Jahres 2015 in seinem Heimatdorf.
Der Beschwerdeführer reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich ein und stellte am 05.11.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.
Der Beschwerdeführer besuchte in Afghanistan acht Jahre lang die Schule und arbeitete anschließend mehrere Jahre lang als Taxifahrer.
Der Beschwerdeführer ist ledig und hat keine Kinder. Die Familie des Beschwerdeführers besteht aus seinen Eltern, 5 Schwestern und 2 Brüdern. Die Mutter, drei Schwestern und ein jüngerer Bruder leben im Heimatdorf des Beschwerdeführers, der Vater ist in der Herkunftsprovinz und zumindest zeitweise im Heimatdorf des Beschwerdeführers aufhältig. Zwei Schwestern des Beschwerdeführers leben im Iran. Der ältere Bruder des Beschwerdeführers ist aus Afghanistan ausgereist. Es kann nicht festgestellt werden, wo er derzeit aufhältig ist.
Die Muttersprache des Beschwerdeführers ist Dari.
Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.
1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:
Es kann nicht festgestellt werden, dass dem Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Afghanistan die Gefahr physischer und/oder psychischer Gewalt durch eine extremistische Gruppierung aufgrund der Beteiligung seines Vaters an Kampfhandlungen als Mitglied einer schiitischen Miliz droht.
Weiters kann nicht festgestellt werden, dass dem Beschwerdeführer wegen seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara, oder zur schiitischen Religion konkret und individuell physische und/oder psychische Gewalt in Afghanistan droht. Ebenso wenig kann festgestellt werden, dass jeder Angehörige der Volksgruppe der Hazara oder der schiitischen Religion in Afghanistan physischer und/oder psychischer Gewalt ausgesetzt ist.
1.3. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:
1.3.1. Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 29.06.2018 (bereinigt um grammatikalische und orthographische Fehler):
Sicherheitslage in der Provinz Ghazni:
Ghazni ist eine der wichtigsten Zentralprovinzen Afghanistans. Ghazni liegt 145 km südlich von Kabul Stadt entfernt und liegt an der Autobahn Kabul-Kandahar. Ghazni grenzt im Norden an die Provinzen (Maidan) Wardak und Bamyan, im Osten an Logar, Paktia und Paktika, im Süden an Zabul und im Westen an Uruzgan und Daikundi (UN-OCHA 4.2014; vgl. Pajhwok o.D.a). Laut dem afghanischen Statistikbüro (CSO) ist Ghazni die Provinz mit der zweithöchsten Bevölkerungszahl (Pajhwok o.D.a), die auf 1.270.3192 Bewohner/innen geschätzt wird (CSO 4.2017). Hauptsächlich besteht die Bevölkerung aus großen Stämmen der Paschtunen sowie Tadschiken und Hazara; Mitglieder der Bayat, Sadat und Sikh sind auch dort vertreten, wenngleich die Vielzahl der Bevölkerung aus Paschtunen besteht (Pajhwok o.D.a).
Ghazni besteht aus den folgenden Distrikten: Provinzhauptstadt Ghazni sowie die Distrikte Andar, Muqur, Khugiani/Khugaini/Khogyani, Qara Bagh/Qarabagh, Gilan/Gelan/Gailan, Waghiz/Waghaz, Giro/Gairo, Deh Yak/Dehyak, Nawar/Nawur, Jaghori/Jaghuri, Malistan/Malestan, Rashidan, Ab Band/Abband, Khugiani, Nawa, Jaghato/Jaghato, Zankhan/Zanakhan, Ajeristan/Ajrestan und Khwaja Omari/Khwajaumari (Pajhwok o.D.a; vgl. UN OCHA 4.2014, GI o.D.). Ghazni ist eine der Schlüsselprovinzen im Südosten, die die zentralen Provinzen inklusive der Hauptstadt Kabul mit anderen Provinzen im Süden und Westen verbindet (Khaama Press 2.7.2017; vgl. HoA 15.3.2016).
Nach mehr als zwei Jahrzehnten ohne Mohnanbau in der Provinz Ghazni (seit 1995) wird nun wieder Mohn angebaut. Mit Stand November 2017 wurden 1.027 Hektar Mohn angebaut: Opium/Mohn wurde insbesondere im Distrikt Ajrestan angebaut, in dem die Sicherheitslage schwach ist (UNODC 11.2017).
Allgemeine Informationen zur Sicherheitslage:
Im Februar 2018 wurde verlautbart, dass die Provinz Ghazni zu den relativ volatilen Provinzen im südöstlichen Teil des Landes zählt; die Provinz selbst grenzt an unruhige Provinzen des Südens. Die Taliban und Aufständische anderer Gruppierungen sind in gewissen Distrikten aktiv (Khaama Press 1.2.2018; vgl. SD 1.2.2018). In der Provinz kommt es zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen den Sicherheitskräften und Aufständischen (Xinhua 18.3.2018).
Wie in vielen Regionen in Südafghanistan, in denen die Paschtunen die Mehrheit stellen, konnten die Taliban in Ghazni nach dem Jahr 2001 an Einfluss gewinnen. Die harten Vorgehensweisen der Taliban - wie Schließungen von Schulen, der Stopp von Bauprojekten usw. - führten jedoch auch zu Gegenreaktionen. So organisierten Dorfbewohner eines Dorfes im Distrikt Andar ihre eigenen Milizen, um die Aufständischen fernzuhalten, auch andere Distrikte in Ghazni folgten. Die Sicherheitslage verbesserte sich, Schulen und Gesundheitskliniken öffneten wieder. Da diese Milizen, auch ALP (Afghan Local Police) genannt, der lokalen Gemeinschaft entstammen, genießen sie das Vertrauen der lokalen Menschen. Nichtsdestotrotz kommt es zu auch bei diesen Milizen zu Korruption und Missbrauch (IWPR 15.1.2018).
Im Berichtszeitraum der Vereinten Nationen (UN) (15.12.2017 - 15.2.2018) haben regierungsfeindliche Elemente auch weiterhin Druck auf die afghanischen Sicherheitskräfte ausgeübt, indem koordinierte Angriffe auf Kontrollpunkte der afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte unter anderem in der Provinz Ghazni verübt wurden (UNGASC 27.2.2018).
Im Zeitraum 1.1.2017 - 30.4.2018 wurden in der Provinz 163 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert.
Die meisten im Jahr 2017 registrierten Anschläge fanden - in absteigender Reihenfolge - in den Provinzen Nangarhar, Faryab, Helmand, Kandahar, Farah, Ghazni, Uruzgan, Logar, Jawzjan, Paktika und Kabul statt (Pajhwok 14.1.2018).
Im gesamten Jahr 2017 wurden 353 zivile Opfer in Ghazni (139 getötete Zivilisten und 214 Verletzte) registriert. Hauptursache waren Bodenoffensiven, gefolgt von IEDs und gezielten/willkürlichen Tötungen. Dies deutet einen Rückgang von 11% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016 (UNAMA 2.2018).
Militärische Operationen in Ghazni:
Miliärische Operationen werden in der Provinz Ghazni durchgeführt (Tolonews 17.3.2018; vgl. Xinhua 27.1.2018, ZNI 3.3.2018, Tolonews 5.2.2018, Tolonews 24.3.2018, MF 25.3.2018, Tolonews 5.12.2017; MF 18.3.2018, VoA 22.10.2017); Aufständische werden getötet und festgenommen (Pajhwok 13.3.2018; vgl. MF 25.3.2018, Tolonews 5.12.2017, MF 18.3.2018, VoA 22.10.2017). Luftangriffe werden ebenso durchgeführt (Khaama Press 1.2.2018), bei denen auch Taliban getötet werden (Khaama Press 1.2.2018; vgl. Pajhwok 12.3.2018).
Zusammenstöße zwischen Taliban und afghanischen Sicherheitskräften finden statt (AJ 11.6.2018; vgl. AJ 21.5.2018, VoA 22.10.2017).
Regierungsfeindliche Gruppierungen in Ghazni:
Sowohl Das Haqqani-Netzwerk, als auch die Taliban sind in manchen Regionen der Provinz aktiv (VoA 10.1.2018). Sicherheitsbeamte sprechen von mehreren Gruppierungen, die in der Provinz aktiv sind, während die Taliban selbst behaupten, die einzige Gruppierung in der Provinz Ghazni zu sein (Pajhwok 1.7.2017).
Basierend auf geheimdienstlichen Informationen bestritt das afghanische Innenministerium im Jänner 2018, dass der IS in der Provinz Ghazni aktiv sei (VoA 10.1.2018). Für den Zeitraum 1.1. - 15.7.2017 wurden IS-bezogene Vorfälle in der Provinz gemeldet, insbesondere an der Grenze zu Paktika. Zwischen 16.7.2017 - 31.1.2018 wurden hingegen keine Vorfälle registriert (ACLED 23.2.2018).
Religionsfreiheit:
Etwa 99,7% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime, davon zwischen 84,7 und 89,7% Sunniten (CIA 2017; vgl. USCIRF 2017). Schätzungen zufolge sind etwa 10 - 19% der Bevölkerung Schiiten (AA 5.2018; vgl. CIA 2017). Andere in Afghanistan vertretene Glaubensgemeinschaften wie die der Sikhs, Hindus, Baha¿i und Christen machen ca. 0,3% der Bevölkerung aus. Offiziell lebt noch ein Jude in Afghanistan (USDOS 15.8.2017).
Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben (USDOS 15.8.2017). Der politische Islam behält in Afghanistan die Oberhand; welche Gruppierung - die Taliban (Deobandi-Hanafismus), der IS (Salafismus) oder die afghanische Verfassung (moderater Hanafismus) - religiös korrekter ist, stellt jedoch weiterhin eine Kontroverse dar. Diese Uneinigkeit führt zwischen den involvierten Akteuren zu erheblichem Streit um die Kontrolle bestimmter Gebiete und Anhängerschaft in der Bevölkerung (BTI 2018).
Das afghanische Strafgesetzbuch, das am 15.2.2018 in Kraft getreten ist, enthält keine Definition von Apostasie (vgl. MoJ 15.5.2017). Laut der sunnitisch-hanafitischen Rechtsprechung gilt die Konversion vom Islam zu einer anderen Religion als Apostasie. Jeder Konvertit soll laut islamischer Rechtsprechung drei Tage Zeit bekommen, um seinen Konfessionswechsel zu widerrufen. Sollte es zu keinem Widerruf kommen, gilt Enthauptung als angemessene Strafe für Männer, während Frauen mit lebenslanger Haft bedroht werden. Ein Richter kann eine mildere Strafe verhängen, wenn Zweifel an der Apostasie bestehen. Auch kann die Regierung das Eigentum des/der Abtrünnigen konfiszieren und dessen/deren Erbrecht einschränken. Des Weiteren ist gemäß hanafitischer Rechtssprechung Proselytismus (Missionierung, Anm.) illegal. Dasselbe gilt für Blasphemie, die in der hanafitischen Rechtssprechung unter die Kapitalverbrechen fällt (USDOS 15.8.2017) und auch nach dem neuen Strafgesetzbuch unter der Bezeichnung "religionsbeleidigende Verbrechen" verboten ist (MoJ 15.5.2017: Art. 323). Zu Verfolgung von Apostasie und Blasphemie existieren keine Berichte (USDOS 15.8.2017).
Die Religionsfreiheit hat sich seit 2001 zwar verbessert, jedoch wird diese noch immer durch Gewalt und Drangsale gegen religiöse Minderheiten und reformerische Muslime behindert (FH 11.4.2018).
Anhänger religiöser Minderheiten und Nicht-Muslime werden durch das geltende Recht diskriminiert (USDOS 15.8.2017; vgl. AA 5.2018); so gilt die sunnitisch-hanafitische Rechtsprechung für alle afghanischen Bürger/innen unabhängig von ihrer Religion (AA 5.2018). Wenn weder die Verfassung noch das Straf- bzw. Zivilgesetzbuch bei bestimmten Rechtsfällen angewendet werden können, gilt die sunnitisch-hanafitische Rechtsprechung. Laut Verfassung sind die Gerichte dazu berechtigt, das schiitische Recht anzuwenden, wenn die betroffene Person dem schiitischen Islam angehört. Gemäß der Verfassung existieren keine eigenen, für Nicht-Muslime geltende Gesetze (USDOS 15.8.2017).
Ein Muslim darf eine nicht-muslimische Frau heiraten, aber die Frau muss konvertieren, sofern sie nicht Anhängerin einer anderen abrahamitischen Religion (Christentum oder Judentum) ist. Einer Muslima ist es nicht erlaubt, einen nicht-muslimischen Mann zu heiraten (USDOS 15.8.2017). Ehen zwischen zwei Nicht-Muslimen sind legal, solange das Paar nicht öffentlich ihren nicht-muslimischen Glauben deklariert (HO U.K. 2.2017; vgl. USDOS 10.8.2016). Die nationalen Identitätsausweise beinhalten Informationen über die Konfession des Inhabers/der Inhaberin. Das Bekenntnis zum Islam wird für den Erwerb der Staatsbürgerschaft nicht benötigt (USDOS 15.8.2017). Religiöse Gemeinschaften sind gesetzlich nicht dazu verpflichtet, sich registrieren zu lassen (USDOS 15.8.2017).
Laut Verfassung soll der Staat einen einheitlichen Lehrplan, der auf den Bestimmungen des Islam basiert, gestalten und umsetzen; auch sollen Religionskurse auf Grundlage der islamischen Strömungen innerhalb des Landes entwickelt werden. Der nationale Bildungsplan enthält Inhalte, die für Schulen entwickelt wurden, in denen die Mehrheiten entweder schiitisch oder sunnitisch sind; ebenso konzentrieren sich die Schulbücher auf gewaltfreie islamische Bestimmungen und Prinzipien. Der Bildungsplan beinhaltet Islamkurse, nicht aber Kurse für andere Religionen. Für Nicht-Muslime an öffentlichen Schulen ist es nicht erforderlich, am Islamunterricht teilzunehmen (USDOS 15.8.2017).
Christen berichteten, die öffentliche Meinung stehe ihnen und der Missionierung weiterhin feindselig gegenüber. Mitglieder der christlichen Gemeinschaft, die meistens während ihres Aufenthalts im Ausland zum Christentum konvertierten, würden aus Furcht vor Vergeltung ihren Glauben alleine oder in kleinen Kongregationen in Privathäusern ausüben (USDOS 15.8.2017).
Hindus, Sikhs und Schiiten, speziell jene, die den ethnischen Hazara angehören, sind Diskriminierung durch die sunnitische Mehrheit ausgesetzt (CRS 13.12.2017).
Beobachtern zufolge sinkt die gesellschaftliche Diskriminierung gegenüber der schiitischen Minderheit weiterhin; in verschiedenen Gegenden werden dennoch Stigmatisierungsfälle gemeldet (USDOS 15.8.2017).
Mitglieder der Taliban und des IS töten und verfolgen weiterhin Mitglieder religiöser Minderheiten aufgrund ihres Glaubens oder ihrer Beziehungen zur Regierung (USDOS 15.8.2017; vgl. CRS 13.12.2017, FH 11.4.2018). Da Religion und Ethnie oft eng miteinander verbunden sind, ist es schwierig, einen Vorfall ausschließlich durch die religiöse Zugehörigkeit zu begründen (USDOS 15.8.2017).
Schiiten:
Die Bevölkerung schiitischer Muslime wird auf 10 - 15% geschätzt (CIA 2017; vgl. USCIRF 2017). Zur schiitischen Bevölkerung zählen die Ismailiten und ein Großteil der ethnischen Hazara (USDOS 15.8.2017). Die meisten Hazara-Schiiten gehören der Jafari-Sekte (Zwölfer-Sekte) an. Im letzten Jahrhundert ist allerdings eine Vielzahl von Hazara zur Ismaili-Sekte übergetreten. Es gibt einige Hazara-Gruppen, die zum sunnitischen Islam konvertierten. In Uruzgan und vereinzelt in Nordafghanistan leben einige schiitische Belutschen (BFA Staatendokumentation 7.2016). Afghanische Schiiten und Hazara neigen dazu, weniger religiös und gesellschaftlich offener zu sein als ihre Glaubensbrüder im Iran (CRS 13.12.2017).
Die politische Repräsentation und die Beteiligung an den nationalen Institutionen seitens der traditionell marginalisierten schiitischen Minderheit, der hauptsächlich ethnische Hazara angehören, ist seit 2001 gestiegen (FH 11.4.2018). Obwohl einige schiitischen Muslime höhere Regierungsposten bekleiden, behaupten Mitglieder der schiitischen Minderheit, dass die Anzahl dieser Stellen die demographischen Verhältnisse des Landes nicht reflektiere; auch vernachlässige die Regierung in mehrheitlich schiitischen Gebieten die Sicherheit. Das afghanische Ministry of Hajj and Religious Affairs (MOHRA) erlaubt sowohl Sunniten als auch Schiiten Pilgerfahrten zu unternehmen (USDOS 15.8.2017).
Im Ulema-Rat, der nationalen Versammlung von Religionsgelehrten, die u. a. dem Präsidenten in der Festlegung neuer Gesetze und Rechtsprechung beisteht, beträgt die Quote der schiitischen Muslime ca. 30% (AB 7.6.2017; vgl. USDOS 15.8.2017). Des Weiteren tagen rechtliche, konstitutionelle und menschenrechtliche Kommissionen, welche aus Mitgliedern der sunnitischen und schiitischen Gemeinschaften bestehen und von der Regierung unterstützt werden, regelmäßig, um die interkonfessionelle Schlichtung zu fördern (USDOS 15.8.2017).
Beobachtern zufolge ist die Diskriminierung der schiitischen Minderheit durch die sunnitische Mehrheit zurückgegangen; dennoch existieren Berichte zu lokalen Diskriminierungsfällen (USDOS 15.8.2017). Afghanischen Schiiten ist es möglich, ihre Feste öffentlich zu feiern; einige Paschtunen sind jedoch wegen der Feierlichkeiten missgestimmt, was gelegentlich in Auseinandersetzungen mündet (CRS 13.12.2017). In den Jahren 2016 und 2017 wurden schiitische Muslime, hauptsächlich ethnische Hazara, oftmals Opfer von terroristischen Angriffen u.a. der Taliban und des IS (HRW 2018; vgl. USCIRF 2017).
Unter den Parlamentsabgeordneten befinden sich vier Ismailiten. Einige Mitglieder der ismailitischen Gemeinschaft beanstanden die vermeintliche Vorenthaltung von politischen Posten (USDOS 15.8.2017).
Ethnische Minderheiten:
In Afghanistan leben laut Schätzungen vom Juli 2017 mehr als 34.1 Millionen Menschen (CIA Factbook 18.1.2018). Zuverlässige statistische Angaben zu den Ethnien Afghanistans und zu den verschiedenen Sprachen existieren nicht (BFA Staatendokumentation 7.2016; vgl. CIA Factbook 18.1.2018). Schätzungen zufolge sind 40% Paschtunen, rund 30% Tadschiken, ca. 10% Hazara und 9% Usbeken. Auch existieren noch andere ethnische Minderheiten, wie z.B. die Aimaken, die ein Zusammenschluss aus vier semi-nomadischen Stämmen mongolisch-iranischer Abstammung sind, sowie die Belutschen, die zusammen etwa 4% der Bevölkerung ausmachen (GIZ 1.2018; vgl. CIA Factbook 18.1.2018).
Artikel 4 der Verfassung Afghanistans besagt: "Die Nation Afghanistans besteht aus den Völkerschaften der Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Paschai, Nuristani, Aimaq, Araber, Kirgisen, Qizilbasch, Gojar, Brahui und anderen Völkerschaften. Das Wort ‚Afghane' wird für jeden Staatsbürger der Nation Afghanistans verwendet." (BFA Staatendokumentation 7.2016). Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung (Art. 16) sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt, wo die Mehrheit der Bevölkerung (auch) eine dieser Sprachen spricht: Usbekisch, Turkmenisch, Belutschisch, Pashai, Nuristani und Pamiri (AA 5.2018; vgl. MPI 27.1.2004). Es gibt keine Hinweise, dass bestimmte soziale Gruppen ausgeschlossen werden. Keine Gesetze verhindern die Teilnahme der Minderheiten am politischen Leben. Nichtsdestotrotz beschweren sich unterschiedliche ethnische Gruppen, keinen Zugang zu staatlicher Anstellung in Provinzen haben, in denen sie eine Minderheit darstellen (USDOS 20.4.2018).
Der Gleichheitsgrundsatz ist in der afghanischen Verfassung rechtlich verankert, wird allerdings in der gesellschaftlichen Praxis immer wieder konterkariert. Soziale Diskriminierung und Ausgrenzung anderer ethnischer Gruppen und Religionen im Alltag besteht fort und wird nicht zuverlässig durch staatliche Gegenmaßnahmen verhindert (AA 5.2018). Ethnische Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen resultierten weiterhin in Konflikten und Tötungen (USDOS 20.4.2018).
Hazara:
Die schiitische Minderheit der Hazara macht etwa 10% der Bevölkerung aus (CIA Factbook 18.1.2018; CRS 12.1.2015). Die Hazara besiedelten traditionell das Bergland in Zentralafghanistan, das sich zwischen Kabul im Osten und Herat im Westen erstreckt und unter der Bezeichnung Hazaradschat (azarajat) bekannt ist. Das Kernland dieser Region umfasst die Provinzen Bamyan, Ghazni, Daikundi und den Westen der Provinz Wardak. Es können auch einzelne Teile der Provinzen Ghor, Uruzgan, Parwan, Samangan, Baghlan, Balkh, Badghis und Sar-e Pul dazugerechnet werden. Wichtige Merkmale der ethnischen Identität der Hazara sind einerseits ihr ethnisch-asiatisches Erscheinungsbild, woraus gern Schlussfolgerungen über eine turko-mongolische Abstammung der Hazara gezogen werden (BFA Staatendokumentation 7.2016); andererseits gehören ethnische Hazara hauptsäch dem schiitischen Islam an (mehrheitlich Zwölfer-Schiiten) (BFA Staatendokumentation 7.2016; vgl. AJ 27.6.2016, UNAMA 15.2.2018). Eine Minderheit der Hazara, die vor allem im nordöstlichen Teil des Hazaradschat leben, sind Ismailiten (BFA Staatendokumentation 7.2016).
Die Hazara-Gemeinschaft/Gesellschaft ist traditionell strukturiert und basiert auf der Familie bzw. dem Klan. Die sozialen Strukturen der Hazara werden manchmal als Stammesstrukturen bezeichnet; dennoch bestehen in Wirklichkeit keine sozialen und politischen Stammesstrukturen. Das traditionelle soziale Netz der Hazara besteht größtenteils aus der Familie, obwohl gelegentlich auch politische Führer einbezogen werden können (BFA Staatendokumentation 7.2016).
Nicht weniger wichtig als Religion und Abstammung ist für das ethnische Selbstverständnis der Hazara eine lange Geschichte von Unterdrückung, Vertreibung und Marginalisierung. Jahrzehntelange Kriege und schwere Lebensbedingungen haben viele Hazara aus ihrer Heimatregion in die afghanischen Städte, insbesondere nach Kabul, getrieben (BFA Staatendokumentation 7.2016). Dennoch hat sich die Lage der Hazara, die während der Taliban-Herrschaft besonders verfolgt waren, grundsätzlich verbessert (AA 5.2018; vgl. IaRBoC 20.4.2016); vornehmlich aufgrund von Bildung und vor allem auf ökonomischem und politischem Gebiet (CRS 12.1.2015; vgl. GD 2.10.2017). Hazara in Kabul gehören jetzt zu den am besten gebildeten Bevölkerungsgruppen und haben auch eine Reihe von Dichtern und Schriftstellern hervorgebracht (BFA Staatendokumentation 7.2016). Auch wenn es nicht allen Hazara möglich war, diese Möglichkeiten zu nutzen, so haben sie sich dennoch in den Bereichen Bildung, öffentliche Verwaltung und Wirtschaft etabliert (GD 2.10.2017).
So haben Hazara eine neue afghanische Mittelklasse gegründet. Im Allgemeinen haben sie, wie andere ethnische Gruppen auch, gleichwertigen Zugang zum Arbeitsmarkt. Nichtsdestotrotz sind sie von einer allgemein wirtschaftlichen Verschlechterung mehr betroffen als andere, da für sie der Zugang zu Regierungsstellen schwieriger ist; außer ein/e Hazara ist selbst Abteilungsleiter/in. Einer Quelle zufolge existiert in der afghanischen Gesellschaft die Auffassung, dass andere ethnische Gruppierungen schlecht bezahlte Jobs Hazara geben. Einer weiteren Quelle zufolge beschweren sich Mitglieder der Hazara-Ethnie über Diskriminierung während des Bewerbungsprozesses, da sie anhand ihrer Namen leicht erkennbar sind. Die Ausnahme begründen Positionen bei NGOs und internationalen Organisationen, wo das Anwerben von neuen Mitarbeitern leistungsabhängig ist. Arbeit für NGOs war eine Einnahmequelle für Hazara; nachdem nun weniger Hilfsgelder ausbezahlt werden, schrauben auch NGOs Jobs und Bezahlung zurück, was unverhältnismäßig die Hazara trifft (IaRBoC 20.4.2016). So berichtet eine weitere Quelle, dass Arbeitsplatzanwerbung hauptsächlich über persönliche Netzwerke erfolgt (IaRBoC 20.4.2016; vgl. BFA/EASO 1.2018); Hazara haben aber aufgrund vergangener und anhaltender Diskriminierung eingeschränkte persönliche Netzwerke (IaRBoC 20.4.2016).
Gesellschaftliche Spannungen bestehen fort und leben lokal in unterschiedlicher Intensität gelegentlich wieder auf (AA 9.2016; vgl. USDOS 20.4.2018); soziale Diskriminierung gegen schiitische Hazara basierend auf Klasse, Ethnie oder religiösen Ansichten finden ihre Fortsetzung in Erpressungen (illegale Steuern), Zwangsrekrutierung, Zwangsarbeit, physischer Misshandlung und Festnahmen (USDOS 20.4.2018).
Die Hazara sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 10% in der Afghan National Army und der Afghan National Police repräsentiert (Brookings 25.5.2017).
1.3.2. Auszug aus der ACCORD-Anfragebeantwortung zu Afghanistan vom 02.09.2016, a-9737-V2, zur Lage der Hazara:
"In einem Update zur Sicherheitslage in Afghanistan vom September 2015 thematisiert die regierungsunabhängige Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH) die Situation von Hazara und beschreibt Maßnahmen gegen Hazara wie folgt:
‚Diskriminierung gegenüber ethnischen und religiösen Minderheiten sind verbreitet und es kommt immer wieder zu Spannungen zwischen verschiedenen Ethnien, welche zu Todesopfern führen. Die Diskriminierung Angehöriger der Hazara äußert sich in Zwangsrekrutierungen, Zwangsarbeit, Festnahmen, physischem Missbrauch oder illegaler Besteuerung. Hazara wurden überdurchschnittlich oft zu Opfern gezielter Ermordungen.' (SFH, 13. September 2015, S. 18)
Der im April 2016 veröffentlichte Länderbericht des US-Außenministeriums (US Department of State, USDOS) zur Menschenrechtslage (Berichtsjahr: 2015) hält fest, dass Hazara von fortwährender, sozial, rassisch oder religiös motivierter gesellschaftlicher Diskriminierung in Form von Gelderpressungen durch illegale Besteuerung, Zwangsrekrutierung, Zwangsarbeit, physischer Gewalt und Inhaftierung betroffen seien. Laut NGOs seien Hazara-Mitglieder der Afghanischen Nationalen Sicherheitskräfte (ANSF) einem stärkeren Risiko ausgesetzt, in unsicheren Gebieten eingesetzt zu werden als Nicht-Hazara-Beamte. Aus mehreren Provinzen, darunter Ghazni, Zabul und Baghlan, seien eine Reihe von Entführungen von Hazara berichtet worden. Die Entführer hätten Berichten zufolge ihre Opfer erschossen, enthauptet, Lösegeld für sie verlangt oder sie freigelassen. Im Februar 2015 hätten Aufständische 31 Hazara-Männer aus einem Bus in der Provinz Zabul entführt und im Mai 2015 19 Geiseln und im November 2015 acht weitere freigelassen. Mit Stand November 2015 seien die übrigen vier Geiseln weiterhin vermisst gewesen. ...
Die Unterstützungsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UN Assistance Mission in Afghanistan, UNAMA) bemerkt in ihrem im Februar 2016 erschienenen Jahresbericht zum Jahr 2015, dass sie während des Jahres 2015 einen starken Anstieg bei Entführungen und Tötungen von Hazara-ZivilistInnen durch regierungsfeindliche Kräfte verzeichnet habe. So hätten regierungsfeindliche Kräfte zwischen 1. Jänner und 31. Dezember 2015 mindestens 146 Mitglieder der Hazara-Gemeinde bei insgesamt 20 verschiedenen Vorfällen getötet. Mit Ausnahme eines einzigen Vorfalls hätten sich alle in ethnisch gemischten Gebieten ereignet, die sowohl von Hazara als auch von Nicht-Hazara-Gemeinden besiedelt seien, und zwar in den Provinzen Ghazni, Balch, Sari Pul, Faryab, Uruzgan, Baghlan, Wardak, Jowzjan und Ghor. UNAMA habe die Freilassung von 118 der 146 entführten Hazara bestätigen können.
13 entführte Hazara seien von regierungsfeindlichen Kräften getötet worden, während zwei weitere in Geiselhaft verstorben seien. UNAMA habe den Verbleib der übrigen Geiseln nicht eruieren können. Die Motive für die Entführungen seien unter anderem Lösegelderpressung, Gefangenenaustausche, Verdacht der Mitgliedschaft bei den Afghanischen Nationalen Sicherheitskräften (ANSF) und Nichtbezahlung illegaler Steuern gewesen. In manchen Fällen seien die zugrundeliegenden Motive unbekannt gewesen. UNAMA führt folgende Beispiele für Entführungen und anschließende Tötungen von Hazara an:
Am 23. Februar 2015 seien im Bezirk Shajoy der Provinz Zabul 30 Hazara-Insassen zweier öffentlicher Busse, die von Herat nach Kabul unterwegs gewesen seien, von regierungsfeindlichen Gruppen entführt worden. Drei der Entführungsopfer seien während ihrer Gefangenschaft getötet worden, während zwei offenbar aufgrund von natürlichen Ursachen verstorben seien. Zwischen Mai und August 2015 seien die übrigen Geiseln freigelassen worden, nachdem es Berichten zufolge zu einem Austausch mit einer Gruppe von Häftlingen gekommen sei.
Am 13. Oktober 2015 hätten regierungsfeindliche Kräfte sieben Hazara-ZivilistInnen, darunter zwei Frauen, zwei Jungen und ein Mädchen, die sich auf der Autobahn zwischen Kabul und Kandahar auf dem Weg in den Distrikt Jaghuri (Provinz Ghazni) befunden hätten, entführt. Stammesälteste hätten sich vergeblich um deren Freilassung bemüht. Die Hazara seien im Distrikt Arghandab der Provinz Zabul festgehalten worden, bis Kämpfe zwischen rivalisierenden regierungsfeindlichen Gruppen, darunter auch der Gruppe, zu denen die Entführer gehört hätten, ausgebrochen seien. Im Zeitraum von 6. bis 8. November hätten die regierungsfeindlichen Kräfte allen sieben Hazara-ZivilistInnen, darunter auch den Kindern, die Kehlen durchgeschnitten. Dieser Vorfall habe Demonstrationen in der Stadt Kabul ausgelöst, bei denen mehr Schutz für die Hazara-Gemeinschaft gefordert worden sei. [...]
Das Europäische Unterstützungsbüro für Asylfragen (European Asylum Support Office, EASO), eine Agentur der Europäischen Union, die die praktische Zusammenarbeit der Mitgliedsstaaten im Asylbereich fördern soll, nennt in einem Bericht zur Sicherheitslage in Afghanistan vom Jänner 2016 Beispiele von Sicherheitsvorfällen, die Hazara betreffen. Demnach seien im Februar 2015 bei zwei Vorfällen Mitglieder der Hazara Minderheit von maskierten bewaffneten Männern im Distrikt Kajran [Provinz Daykundi, Anm. ACCORD] in ihren Fahrzeugen gestoppt worden. Die Reisenden seien nach ihrem religiösen Glauben gefragt worden und 55 der Reisenden seien entführt und an unbekannte Orte gebracht worden. Laut offiziellen Quellen hätte es sich bei den Entführern um Taliban gehandelt, Augenzeugenberichte würden aber auf eine Beteiligung der Gruppe Islamischer Staat (IS) hindeuten. [...]
Die internationale Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) erwähnt in ihrem World Report vom Jänner 2016, dass es im Jahr 2015 einen Anstieg von Entführungen und Geiselnahmen von ZivilistInnen durch aufständische Gruppen gegeben habe, darunter auch die zwei Vorfälle in der Provinz Zabul, nämlich die Entführung und Tötung von 7 ZivilistInnen am 9. November und die Entführung von 31 Businsassen am 23 Februar, von denen 19 wieder freigelassen worden seien. In beiden Fällen seien die Opfer offenbar wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit zu den Hazara ins Visier genommen worden.
[...]
Der in Prag ansässige, vom US-Kongress finanzierte Radiosender Radio Free Europe/Radio Liberty (RFE/RL) berichtet im August 2015, dass vier Männer, die in der Woche zuvor entführt worden seien, im Distrikt Nawur der Provinz Ghazni erschossen aufgefunden worden seien. Bei drei der Toten handle es sich um Hazara, bei dem Vierten um einen Paschtunen. Bei einem weiteren Vorfall im August seien mindestens acht weitere Hazara auf dem Weg in die Stadt Ghazni entführt worden. Im Februar seien 30 Hazara in der Provinz Zabul, im Süden von Ghazni, entführt worden. 19 seien im Mai wieder freigelassen worden, zwei seien getötet worden, und neun seien noch als vermisst gemeldet. Im Juli seien 11 Hazara im Norden der Provinz Baghlan entführt worden. [...]
Die Nachrichtenagentur Agence France-Presse (AFP) berichtet im September 2015, dass Bewaffnete im Distrikt Zari der größtenteils ruhigen Provinz Balch 13 männliche Hazara erschossen hätten, nachdem sie zwei Fahrzeuge aufgehalten und die Insassen gezwungen hätten, auszusteigen. [...]
Radio Free Europe/Radio Liberty (RFE/RL) berichtet im November 2015 über die Entführung von mindestens sieben Hazara durch die Taliban, nachdem es zu einem lokalen Streit um Schafe gekommen sei. Die Taliban hätten drei Busse in der Provinz Zabul aufgehalten und zunächst 17 Geiseln genommen und neun von ihnen wieder freigelassen. Ein örtlicher Taliban-Anführer habe die Entführungen mit der Begründung angeordnet, dass Hazara Schafe gestohlen hätten. [...]
In einer Pressemitteilung vom November 2015 schreibt die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) über Proteste in der afghanischen Hauptstadt Kabul am 11. November 2015 aufgrund einer Reihe von ethnisch motivierten Tötungen.
Die Pressemitteilung berichtet über die Entführung und anschließende Tötung von sieben Hazara, darunter auch zwei Mädchen, am 9. November in der Provinz Zabul. Es habe sich keine Gruppe zu dem Anschlag bekannt.
Weiters wird beschrieben, dass sich die Sicherheitslage im Berichtsjahr 2015 in vielen Gebieten Afghanistans verschlechtert, die Gewalt gegen Zivilisten zugenommen habe und dass es zu internen Machtkämpfen zwischen rivalisierenden Fraktionen innerhalb der Taliban gekommen sei. HRW berichtet, dass eine der größten Splitterfraktionen der Taliban von Mullah Abdul Manan Niazi angeführt werde, welcher zur Zeit des Massakers an tausenden von Hazara in Mazar-e-Sharif 1998 Taliban-Gouverneur in der Provinz Balch gewesen sei. Diese Gruppe werde Berichten zufolge vom Islamischen Staat (IS) unterstützt und sei in dem Gebiet in der Provinz Zabul aktiv, in dem die sieben Hazara getötet worden seien.
Wenngleich alle Zivilisten in Konfliktgebieten gefährdet seien, würden die Tötungen in Zabul die besondere Gefährdung aufzeigen, mit denen Hazara konfrontiert seien. In den vergangenen zwei Jahren seien bei einer Reihe von Vorfällen Hazara-Buspassagiere von anderen Insassen ausgesondert und entführt und in manchen Fällen getötet worden. [...]
BBC Monitoring schreibt in der Zusammenfassung eines Berichts der in Pakistan ansässigen privaten Nachrichtenagentur Afghan Islamic Press News Agency im März 2016, dass in der nördlichen Provinz Sar-e Pol 11 Hazara entführt worden seien. Laut des Polizeichefs der Polizeizentrale von Sar-e Pol, seien die 11 Hazara aufgrund ihrer Ethnizität von den Taliban entführt worden. Es handle sich bei den Entführten um Zivilisten, die nicht für die Regierung arbeiten würden. Die Taliban hätten sich noch nicht zu dem Vorfall geäußert.
In der Vergangenheit seien einige ethnische Hazara in Zabol, Ghazi und anderen Provinzen entführt worden. Manche seien freigelassen, andere seien getötet worden. [...]
Im Juni 2016 berichtet die Nachrichtenagentur Agence France-Presse (AFP), dass Bewaffnete im Bezirk Santscharak der Provinz Sar-e-Pul mindestens 17 reisende Hazara, bei denen es sich allesamt um Zivilisten, die nicht mit der Regierung in Verbindung gebracht werden könnten, handle, aus ihren zivilen Fahrzeugen gezerrt und in ein entlegenes Gebiet gebracht hätten, das sich unter Taliban-Kontrolle befinde. Laut dem ortsansässigen Gouverneur seien die Dorfältesten gebeten worden mit den Taliban über die Freilassung der Entführten zu verhandeln. [...]
Zwei Tage später berichtet Radio Free Europe/Radio Liberty (RFE/RL), dass die 17 oben erwähnten, von den Taliban entführten Hazara freigelassen worden seien. Der Vorfall in der Provinz Sar-e-Pul sei Teil einer Serie von Angriffen auf zivile Fahrzeuge gewesen. Die Taliban hätten sich nicht zu dem Vorfall geäußert.
In den letzten Monaten habe es einen Anstieg der Gewalt gegen Hazara in Form einer Reihe von Entführungen und Tötungen gegeben. In einem der letzten Vorfälle hätten die Taliban 10 Busreisende getötet, viele davon seinen summarisch hingerichtet worden, und ein Dutzend andere seien im Norden der Provinz Kunduz entführt worden. Laut dem Provinz-Gouverneur hätten die Dorfältesten und die ortsansässigen Bewohner die sichere Befreiung der Geiseln, bei denen es sich um Zivilisten handelte, ausgehandelt. [...]
In einem Statement vom Juni 2016 äußert sich die Unterstützungsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UN Assistance Mission in Afghanistan, UNAMA) besorgt über den Anstieg von Entführungen, Geiselnahmen sowie summarischen Hinrichtungen und berichtet von einer bewaffneten Entführung von 25 ZivilistInnen, bei denen es sich Berichten zufolge allesamt um Hazara gehandelt habe. Die Entführten seien in zwei Fahrzeugen im Bezirk Balkh Ab, der nördlichen Provinz Saripul (Sar-e-Pul), unterwegs gewesen. Während vier Frauen und ein älterer Herr wieder freigelassen worden seien, sei der Verbleib der 20 Anderen nicht bekannt. [...]
Im Juli 2016 beschreibt die deutsche Tageszeitung (Taz) einen Anschlag der Gruppe Islamischer Staat (IS) während einer Demonstration von Hazara in der Stadt Kabul, bei dem mindestens 80 Personen ums Leben gekommen seien:
‚Die Zahl der Todesopfer bei einem Anschlag auf friedliche Demonstranten in der afghanischen Hauptstadt Kabul ist auf mindestens 80 gestiegen. Außerdem seien bei dem Bombenanschlag am Samstag 231 Menschen verletzt worden, teilte das afghanische Innenministerium mit. Nach vorläufigen Informationen sei die Tat von drei Selbstmordattentätern begangen worden. ‚Der dritte Angreifer wurde von Sicherheitskräften niedergeschossen', hieß es weiter.
[...]
Tausende Angehörige der ethnischen Minderheit der Hazara hatten in der afghanischen Hauptstadt für den Bau einer Stromtrasse in der vernachlässigten Region Bamijan demonstriert, als inmitten der Menschenmenge mindestens ein Sprengsatz detonierte. Ein AFP-Fotograf sah am Tatort dutzende zum Teil völlig zerfetzte Leichen. Krankenwagen hatten Schwierigkeiten, zum Explosionsort zu gelangen, weil die Behörden Straßenkreuzungen blockiert hatten, um zu verhindern, dass die Demonstranten zum Präsidentenpalast marschieren.
Zu der Tat bekannte sich die Dschihadistenorganisation Islamischer Staat (IS). Die radikalislamischen Taliban, die derzeit ihre Sommeroffensive gegen die afghanischen Sicherheitsbehörden führen, wiesen jegliche Beteiligung an dem Anschlag zurück." (Taz, 23. Juli 2016)
In einem weiteren Artikel vom Juli 2016, geht die Taz auf die Motive für den oben beschriebenen Anschlag ein:
‚Der IS-Anschlag auf die Friedensdemo in Kabul mit mindestens 80 Toten hatte militärisch keinen Sinn. Ziel war eine schiitische Minderheit.
Es gibt kaum Zweifel daran, dass der schwere Anschlag am Sonnabend in Kabul vom örtlichen Ableger des Islamischen Staates (IS) durchgeführt worden ist. Die Handschrift des Anschlags spricht eindeutig dafür: Es ist ein skrupelloser Akt ohne jeglichen militärischen Sinn: gegen den friedlichen, von Zivilisten getragenen Protest der schiitischen Hazara-Minderheit und gegen die schiitische Minderheit insgesamt gerichtet, die vom IS und seinen Geistesgenossen nicht als ‚richtige' Muslime angesehen werden.'
(Taz, 25. Juli 2016)
[...]"
2. Beweiswürdigung:
2.1. Zu den Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers:
Die Feststellung zum Namen des Beschwerdeführers ergibt sich aus seinen dahingehend übereinstimmenden Angaben in der Erstbefragung vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl und in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht.
Hinsichtlich seines Geburtsdatums legte der Beschwerdeführer in der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl sowie in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht glaubhaft dar, dass es bei der Erstbefragung zu einer unrichtigen Dokumentierung gekommen ist (siehe AS 69 ff und Seite 5 des Verhandlungsprotokolls). Für die Glaubhaftigkeit dieser Angabe spricht, dass der Beschwerdeführer auf diesen Fehler von sich aus bereits im Zuge der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hingewiesen hat.
Soweit in der gegenständlichen Rechtssache Feststellungen zur Identität des Beschwerdeführers (Name und Geburtsdatum) getroffen wurden, gelten diese ausschließlich für die Identifizierung des Beschwerdeführers im Asylverfahren.
Die Feststellungen zu der Staatsangehörigkeit, der Volksgruppen- und der Religionszugehörigkeit des Beschwerdeführers gründen sich auf seine diesbezüglich glaubhaften Angaben; das Bundesverwaltungsgericht hat keine Veranlassung, an diesen - im gesamten Verfahren gleich gebliebenen und sich mit den Länderberichten zu Afghanistan deckenden - Aussagen des Beschwerdeführers zu zweifeln.
Die Angaben des Beschwerdeführers zu seinem Geburtsort, seinen Aufenthaltsorten, seinem schulischen und beruflichen Werdegang, seinem Familienstand, seinen Familienangehörigen, seiner Einreise nach Österreich sowie seiner Muttersprache waren im Wesentlichen gleichbleibend und widerspruchsfrei, weitgehend chronologisch stringent und vor dem Hintergrund der bestehenden sozio-ökonomischen Strukturen in Afghanistan plausibel.
Die Feststellungen zu den Aufenthaltsorten der Familienangehörigen des Beschwerdeführers stützen sich auf die weitgehend widerspruchsfreien Angaben des Beschwerdeführers im gesamten Verfahren (vgl. zB Seite 6 des Verhandlungsprotokolls). Zum Aufenthaltsort seines älteren Bruders konnte der Beschwerdeführer mangels Kontakt nur Mutmaßungen anstellen (vgl. insbesondere AS 73), sodass diesbezüglich eine Negativfeststellung zu treffen war.
Das Datum der Antragstellung ergibt sich aus dem Akteninhalt.
Die Feststellung zur strafgerichtlichen Unbescholtenheit ergibt sich aus der Einsichtnahme in das Strafregister.
2.2. Zu den Feststellungen zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers:
2.2.1. Das Hauptverfolgungsvorbringen des Beschwerdeführers lautet im Wesentlichen, dass er bei einer Rückkehr nach Afghanistan der Gefahr physischer und/oder psychischer Gewalt durch eine extremistische Gruppierung aufgrund der Beteiligung seines Vaters an Kampfhandlungen als Mitglied einer schiitischen Miliz ausgesetzt wäre. Dieses Vorbringen ist in seiner Gesamtheit aus folgenden Gründen nicht glaubhaft:
2.2.1.1. Zunächst ist das Vorbringen des Beschwerdeführers in wesentlichen Aspekten zu vage und unsubstantiiert, um daraus eine individuelle, konkret den Beschwerdeführer treffende Verfolgung ableiten zu können:
So konnte der Beschwerdeführer nicht einmal ansatzweise Angaben dazu machen, wer die Männer waren, die ihn als Geisel nehmen wollten, obwohl diese in regelmäßigen Abständen seine Familie aufsuchten und sich nach seinem Vater erkundigten. Der Beschwerdeführer konnte in diesem Zusammenhang nicht einmal angeben, ob diese Männer zu den Taliban oder zum IS gehörten (vgl. Seite 9 des Verhandlungsprotokolls: "RI: Zu welcher Gruppierung gehörten diese Personen? BF: Ich weiß es nicht. Wahrscheinlich gehörten sie dem IS oder den Taliban an"). Überdies waren die Angaben des Beschwerdeführers zu den politischen und militärischen Aktivitäten des Vaters, welche den Kern seines Vorbringens darstellten, über weite Strecken wenig substantiiert und detailarm (vgl. etwa AS 73:
"LA: Was ist das für eine Partei, bei der Ihr Vater Mitglied ist?
VP: Es handelt sich um eine politische Partei der Hazara. LA: Wissen Sie sonst noch etwas über die Partei? VP: Nein.").
Das Bundesverwaltungsgericht verkennt dabei nicht, dass die behaupteten Vorfälle schon einige Jahre zurückliegen und deshalb Erinnerungslücken einer vollkommen detaillierten Erzählung entgegenstehen können. Es wird weiters berücksichtigt, dass der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der fluchtauslösenden Ereignisse (gerade noch) minderjährig war. Dass der Beschwerdeführer die Ereignisse jedoch in einer derart oberflächlichen Weise wie in der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl und der mündlichen Verhandlung schildern würde, wäre allerdings nicht anzunehmen, hätten sie sich tatsächlich so zugetragen, was nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes zumindest als Indiz für ein insgesamt nicht glaubhaftes Fluchtvorbringen zu werten ist.
2.2.1.2. Weiters ist festzuhalten, dass der Beschwerdeführer erstmals in der mündlichen Verhandlung auch eine Bedrohung seines älteren Bruders vorbrachte (vgl. Seite 10 f. des Verhandlungsprotokolls). Der Beschwerdeführer muss sich daher eine Steigerung seines Vorbringens vorwerfen lassen, die sein diesbezügliches Vorbringen insgesamt in Zweifel zieht.
Es ist für das Bundesverwaltungsgericht nicht nachvollziehbar, wieso der Beschwerdeführer so wesentliche Informationen zuvor im Verfahren mit keinem Wort erwähnte, sondern erstmals in seiner mündlichen Verhandlung schilderte. Es wird hierbei nicht verkannt, dass die Befragung des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht im Vergleich zu jener vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wesentlich detaillierter erfolgte, was jedoch nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes nicht zu erklären vermag, dass der Beschwerdeführer die konkrete Bedrohung des Bruders, wenn auch nicht so detailliert wie vor dem Bundesverwaltungsgericht, in seiner Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl gar nicht erwähnte. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist ein gesteigertes Vorbringen nicht als glaubwürdig anzusehen. Vielmehr müsse grundsätzlich den ersten Angaben des Asylwerbers ein erhöhter Wahrheitsgehalt zuerkannt werden (so schon VwGH 08.04.1987, 85/01/0299), weil es der Lebenserfahrung entspricht, dass Angaben, die in zeitlich geringerem Abstand zu den darin enthaltenen Ereignissen gemacht werden, der Wahrheit in der Regel am nächsten kommen (VwGH 11.11.1998, 98/01/0261, mwH). Es ist eher davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer damit versucht, seinem Vorbringen einen zusätzlichen Aspekt hinzuzufügen, zumal es in diesem Zusammenhang auch zu Inkonsistenzen im Vorbringen gekommen ist (vgl. unten Pkt. 2.2.1.4.).
2.2.1.3. Zudem ist das Vorbringen des Beschwerdeführers in einigen Elementen so wenig plausibel, dass es in seiner Gesamtheit an Glaubhaftigkeit verliert:
So ist es nach Ansicht des Gerichts nicht lebensnah, dass der Beschwerdeführer ebenso wie sein älterer Bruder in einem anderen Vorfall von den Männern gepackt und zu einem Auto gebracht, aber auf Bitten und Flehen ihrer Mutter ohne Weiteres wieder freigelassen worden sein soll (vgl. Seite 8 und Seite 11 des Verhandlungsprotokolls). Es ist nicht anzunehmen, dass die Mitglieder der extremistischen Gruppe hier gleich zweimal in ähnlicher Weise verfahren und Gnade walten lassen würden.
Ebenso erachtet es das Gericht als unplausibel, dass die Mutter, die Schwestern sowie der jüngere Bruder des Beschwerdeführers weiterhin im Heimatdorf leben und keiner Bedrohung durch die extremistische Gruppe ausgesetzt sind (vgl. Seite 9 f. des Verhandlungsprotokolls). Dies gilt insbesondere für den jüngeren Bruder des Beschwerdeführers, der das nunmehr älteste männliche Familienmitglied ist und nach den Angaben des Beschwerdeführers inzwischen schon etwa 14 Jahre alt (AS 5; Seite 8 des Verhandlungsprotokolls) und damit einer gefährdeten Altersgruppe zugehörig ist (vgl. Seite 10 f. des Verhandlungsprotokolls: "RI: Ist Ihr jüngerer Bruder schon einmal bedroht worden? BF: Nein, er ist sehr jung. Er wird deshalb in Ruhe gelassen. Solange ich jung war, haben sie mich in Ruhe gelassen, wenn sie zu uns nach Hause gekommen sind. Erst als ich älter war, haben sie mich als Zuständigen für den Haushalt bedroht. Ich habe erfahren, dass gestern Abend der Ort, an dem mein Vater Dienst leistet, angegriffen wurde und dabei 3 Menschen getötet wurden. Diese Gruppe macht das alles systematisch. Sie nimmt Söhne als Geisel, damit diese den Ort des Vaters verraten. Ihre Fingernägel werden gezogen, damit sie den Aufenthaltsort des Vaters verraten"). Es ist daher besonders unplausibel, dass die Mutter des Beschwerdeführers noch keinerlei Vorkehrungen für die Zukunft des jüngeren Bruders des Beschwerdeführers getroffen hat (vgl. Seite 11 des Verhandlungsprotokolls: "RI: Was sind die Pläne Ihrer Mutter im Hinblick auf Ihren jüngeren Bruder? BF: Sie hat keinen bestimmten Plan. Sie ist mit ihrem Leben beschäftigt. Derzeit hat sie keinen bestimmten Zukunftsplan."). Es erscheint dem Bundesverwaltungsgericht in diesem Zusammenhang auch lebensfremd, dass diese extremistische Gruppe weiterhin regelmäßig die Familie des Beschwerdeführers aufsucht und sich nach seinem Vater erkundigen, aber keine darüberhinausgehenden Bedrohungshandlungen setzen sollte (vgl. Seite 10 des Verhandlungsprotokolls: "RI: Wo treffen diese Personen auf Ihre Mutter? Kommen Sie regelmäßig nach Hause? BF: Sie kommen nur in den Abendstunden und kommen nach Hause, eigentlich. RI: Wie laufen diese Besuche ab? Was heißt hier "eigentlich"? BF: Sie kommen nach Hause. Sie fragen, wo mein Vater ist, sie wollen ihn haben. Sie wissen, dass mein Vater gegen die Taliban und Daesh gekämpft hat"). So ist es dem Vater des Beschwerdeführers, der das eigentliche Ziel der extremistischen Gruppe darstellt, weiterhin möglich, einmal im Monat nach Hause zu kommen, um seine Wäsche zu bringen und abzuholen (vgl. Seite 10 des Verhandlungsprotokolls). Der Beschwerdeführer hat zwar in der mündlichen Verhandlung entgegnet, dass der Vater immer nur in den Nachtstunden nach Hause komme und lediglich für drei Stunden bleibe (vgl. Seite 10 des Verhandlungsprotokolls). Da jedoch auch die Mitglieder der extremistischen Gruppe jedes Mal just in den Abend- und Nachtstunden die Familie aufsuchen (vgl. Seite 10 des Verhandlungsprotokolls), lässt sich daraus für den Beschwerdeführer nichts gewinnen. Das aktuelle Leben der Familie des Beschwerdeführers im Heimatdorf lässt sich folglich insgesamt nicht mit einer akuten Bedrohungssituation in Einklang bringen.
2.2.1.4. Schließlich ergeben sich neben der mangelnden Detailfülle und Plausibilität des Vorbringens auch einige Inkonsistenzen:
So brachte der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung vor, sein älterer Bruder habe bereits vor ihm Afghanistan verlassen (Seite 7 des Verhandlungsprotokolls). Dies steht jedoch in Widerspruch zu den Angaben des Beschwerdeführers in der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, wonach sein älterer Bruder "vor ca. 2 Monaten aus Afghanistan ausgereist" sei; er habe in den Irak reisen wollen (AS 73). Auf Vorhalt der widersprüchlichen Angaben antwortete der Beschwerdeführer ausweichend und substratlos (vgl. Seite 7 des Verhandlungsprotokolls: "Ich weiß es nicht. Er hat vor mir Afghanistan verlassen.").
Weiters behauptete der Beschwerdeführer in der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, dass die vier Männer, die ihn als Geisel mitnehmen wollten, untereinander Dari sprachen. In der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht hingegen behauptete der Beschwerdeführer hingegen, dass drei der Männer Paschtu sprachen, während ein vierter Mann in Dari übersetzte (vgl. AS 79 sowie Seite 9 des Verhandlungsprotokolls).
Das Bundesverwaltungsgericht verkennt keineswegs, dass es aufgrund der mehrere Jahre zurückliegenden Vorfälle zu Erinnerungsschwierigkeiten kommen kann, allerdings ist es dem Beschwerdeführer sehr wohl zumutbar, bezüglich des Kerns seiner Fluchtgeschichte weitgehend widerspruchsfreie Angaben zu machen.
2.2.1.5. Dem Beschwerdeführer kommt aus diesen Gründen in einer Gesamtschau hinsichtlich seines Hauptverfolgungsvorbringens keine Glaubwürdigkeit zu.
2.2.2. Eine individuelle und konkrete Betroffenheit von Verfolgung aufgrund seiner Eigenschaft als Hazara und Schiit vermochte der Beschwerdeführer nicht aufzuzeigen: Sein diesbezügliches Vorbringen blieb sowohl vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl als auch in der mündlichen Verhandlung vorwiegend abstrakt gehalten und weitgehend vage (vgl. Seite 11 f. des Verhandlungsprotokolls: "RI:
Sind Sie schon einmal ganz konkret aufgrund Ihrer Volksgruppenzugehörigkeit individuell bedroht worden? BF: Die Hazara werden im Allgemeinen von den Taliban bedroht. Wenn man dieses Gebiet Richtung Hauptstadt verlässt, stellt sich bei den Check-Points heraus, zu welcher Volksgruppe man gehört, vor allem, wenn man eine Tazkira dabeihat. Auch den Medienberichten ist zu entnehmen, dass ausschließlich Hazara und Schiiten bei den Selbstmordanschlägen in der Hauptstadt Kabul und wo anders ums Leben kommen".).
Hinsichtlich einer behaupteten Gruppenverfolgung der Hazara in Afghanistan wird auf die Ausführungen zur rechtlichen Beurteilung verwiesen.
2.3. Zu den Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat:
Die Feststellungen zur im vorliegenden Zusammenhang maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Quellen. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln.
Die oben wiedergegebenen Länderberichte wurden dem Beschwerdeführer - neben darüber hinaus gehenden Länderfeststellungen - mit der Ladung übermittelt bzw. in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht übergeben. Dem Beschwerdeführer wurde Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt. Der Beschwerdeführer trat den oben wiedergegebenen Länderberichten in seiner Stellungnahme inhaltlich nicht entgegentrat.
Zu in der Beschwerde verwiesenem weiterem Länderberichtsmaterial ist anzumerken, dass die darin getätigten Aussagen in den (meist aktuelleren) Länderfeststellungen im Kern ohnehin Deckung finden.
Die Richtlinien und Anmerkungen von UNHCR wurden ausreichend berücksichtigt (zur Indizwirkung von UNHCR-Richtlinien vgl. u.a. VwGH 10.12.2014, Ra 2014/18/0103).
3. Rechtliche Beurteilung:
3.1. Die Beschwerde ist zulässig.
3.2.