TE Bvwg Erkenntnis 2018/8/8 W127 2160956-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 08.08.2018
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Entscheidungsdatum

08.08.2018

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W127 2160956-1/14E

W127 2160958-1/8E

W127 2160952-1/8E

W127 2160949-1/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin MMag. Dr. Fischer-Szilagyi über die Beschwerden von 1.) XXXX 2.) XXXX 3.) XXXX und 4.) XXXX , alle StA. Afghanistan, alle vertreten durch Diakonie Flüchtlingsdienst gemeinnützige GmbH und Volkshilfe Flüchtlings- und MigrantInnenbetreuung GmbH als Mitglieder der ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl jeweils vom 04.05.2017, Zlen. 16-1120738910-170267519, 16-1120739308-170267551, 16-1120739504-170267535 und 16-1120739907-120267527, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

I. Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

II. Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

III. Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

IV. Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Am 02.06.2016 stellte die Erstbeschwerdeführerin für sich selbst und drei minderjährige Töchter, die Zweit-, Dritt- und Viertbeschwerdeführerin, bei der österreichischen Botschaft in Islamabad, Pakistan einen Antrag auf Erteilung eines Einreisetitels gemäß § 35 AsylG 2005.

Am 17.02.2017 sind die Erst-, Zweit-, Dritt- und Viertbeschwerdeführerin legal in das österreichische Bundesgebiet eingereist und haben am 01.03.2017 Anträge auf internationalen Schutz eingebracht.

Im Rahmen der Erstbefragung am selben Tag machte die Erstbeschwerdeführerin keine eigenen Fluchtgründe geltend und beantragte unter Bezugnahme auf ihren Ehegatten für sich und ihre drei mitgereisten Töchter die Gewährung desselben Schutzes.

Bei der Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 04.05.2017 gab die Erstbeschwerdeführerin im Beisein einer Dolmetscherin für die Sprache Dari zu ihrem Ausreisegrund an, sie wolle gemeinsam mit ihrem Ehegatten in Österreich leben.

Mit nunmehr angefochtenen Bescheiden vom 04.05.2017 wurden die Anträge der Beschwerdeführerinnen auf internationalen Schutz jeweils bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) abgewiesen. Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 3 AsylG 2005 wurde ihnen der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt (Spruchpunkt III).

Hiegegen wurden Rechtsmittel erhoben und die Bescheide hinsichtlich Spruchpunkt I. angefochten. Begründend wurde insbesondere ausgeführt, die belangte Behörde habe sich unter Verletzung ihrer Ermittlungspflicht mit der individuellen Verfolgung der Beschwerdeführerinnen aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Frauen bzw. der alleinstehenden/alleinerziehenden Frauen sowie der Frauen mit westlicher Orientierung nicht auseinandergesetzt. Die Erstbeschwerdeführerin hätte vorgebracht, dass es ihr nicht erlaubt gewesen sei, die Schule zu besuchen. Sie hätte immer zu Hause bleiben und den Haushalt verrichten müssen. Bei einer Nachfrage seitens der Behörde hätte die Erstbeschwerdeführerin angegeben, dass ihr als Frau der Schulbesuch untersagt und sie gezwungen gewesen sei, religiöse Vorschriften der Taliban einzuhalten, wie etwa das Tragen einer Burka. Auch ihre Töchter hätten aus demselben Grund die Schule nicht besuchen dürfen. Insbesondere die Situation der Töchter der Erstbeschwerdeführerin in Afghanistan sei von der belangten Behörde "in keinster Weise" berücksichtigt worden.

Die Beschwerden und die Bezug habenden Verwaltungsakten langten am 09.06.2017 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

Das Bundesverwaltungsgericht führte am 04.04.2018 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der das Bundesamt nicht teilnahm. Die Erstbeschwerdeführerin wurde im Beisein einer Vertreterin und einer Dolmetscherin für die Sprache Dari zu ihren Fluchtgründen und zur Situation der Beschwerdeführerinnen in Österreich befragt. Den beschwerdeführenden Parteien wurde Gelegenheit gegeben, zu den aktuellen Feststellungen zur Situation in Afghanistan Stellung zu nehmen. Die Vertreterin der Beschwerdeführerinnen verwies diesbezüglich auf die eingebrachte Stellungnahme vom 03.04.2018, in der im Wesentlichen auf eine "Verwestlichung" der Erstbeschwerdeführerin, mangelnde staatliche Schutzfähigkeit und die aktuelle Lage in Afghanistan hingewiesen wurde. Es handle sich bei den Beschwerdeführerinnen um eine vulnerable Familie mit minderjährigen Kindern, die darüber hinaus von geschlechtsspezifischen Verfolgungsgründen als Frauen bzw. Mädchen betroffen seien.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Beschwerdeführerinnen sind Staatsangehörige von Afghanistan, der Volksgruppe der Tadschiken und der sunnitisch-muslimischen Glaubensgemeinschaft zugehörig. Die Erstbeschwerdeführerin ist mit drei minderjährigen ledigen Töchtern, der Zweit-, Dritt- und Viertbeschwerdeführerin, legal in die Republik Österreich eingereist und hat am 01.03.2017 für sich und ihre Töchter internationalen Schutz beantragt.

Die Beschwerdeführerinnen stammen aus der Provinz Farah und haben dort bis zu ihrer Ausreise gelebt. Die Erstbeschwerdeführerin konnte in ihrer Kindheit und Jugend in Afghanistan nicht die Schule besuchen und ist Analphabetin. Auch ihren minderjährigen Töchtern war aufgrund vorherrschender gesellschaftlich-religiöser Zwänge - auch aufgrund des starken Einflusses der Taliban in der Herkunftsregion der Beschwerdeführerinnen - eine Schulbildung verwehrt.

Bei der Erstbeschwerdeführerin handelt es sich um eine moderne und aufgeklärte Frau, die in ihrer Wertehaltung und ihrer Lebensweise an dem in Europa mehrheitlich gelebten Frauen- und Gesellschaftsbild orientiert ist. Sie lebt nicht mehr nach der konservativ-afghanischen Tradition und ihre Ablehnung der traditionellen Lebensweise von Frauen in Afghanistan hat sich durch ihren Aufenthalt in Österreich weiter verstärkt.

Auf Grund ihrer nach außen hin erkennbaren persönlichen Wertehaltung und ihrem in Österreich angenommen Lebensstil müsste die Erstbeschwerdeführerin daher bei einer Rückkehr nach Afghanistan mit Verfolgung rechnen, zumal sie nicht aus einem modernen urbanen Umfeld, sondern aus einem Dorf in der überwiegend ländlich geprägten Provinz Farah stammt.

Die Zweit-, Dritt- und Viertbeschwerdeführerin sind minderjährige Mädchen, die in Österreich die Schule besuchen und denen dies in ihrer Heimatregion in Afghanistan nicht oder nur unter großen Gefahren und gegen große Widerstände aufgrund der dort vorherrschenden gesellschaftlichen Verhältnisse und insbesondere des Einflusses der Taliban möglich wäre. Ein selbstbestimmtes Leben wäre ihnen bei einer Rückkehr in ihr Heimatdorf nicht möglich.

Die Erstbeschwerdeführerin ist nicht straffällig im Sinne des Asylgesetzes. Sie lebt in Österreich im gemeinsamen Haushalt mit ihren strafunmündigen Töchtern und ihrem Ehegatten, dem 2015 der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde.

Eine im Fall der Rückkehr nach Afghanistan drohende Verfolgung der Beschwerdeführerinnen aufgrund ihrer Volksgruppen- bzw. Religionszugehörigkeit kann nicht festgestellt werden. Weiters haben sich keine Anhaltpunkte ergeben, dass eine Asylantragstellung im Ausland oder eine rechtswidrige Ausreise zu Sanktionen oder Repressionen in Afghanistan führen würde.

Zur allgemeinen Lage in Afghanistan und der Situation der Beschwerdeführerinnen bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat wird Folgendes festgestellt:

In Afghanistan leben laut Schätzungen vom Juli 2016 mehr als 33,3 Millionen Menschen. Schätzungen zufolge sind 40 % Pashtunen, rund 30 % Tadschiken, ca. 10 % Hazara, 9 % Usbeken. Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnischen Minderheiten. Ethnische Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen können allerdings weiterhin in Konflikten und Tötungen resultierten.

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt insgesamt volatil und weist starke regionale Unterschiede auf. Provinzen und Distrikten mit aktiven Kampfhandlungen stehen andere gegenüber, in denen die Lage trotz punktueller Sicherheitsvorfälle vergleichsweise stabil ist. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, Transitrouten, Provinzhauptstädte und den Großteil der Distriktzentren. Ausländische Streitkräfte und Regierungsvertreter sowie die als ihre Verbündeten angesehenen Angehörigen der afghanischen Sicherheitskräfte und Vertreter der afghanischen Regierung sind prioritäre Ziele der Aufständischen. Eine Bedrohung für Zivilisten geht insbesondere von Kampfhandlungen zwischen den Konfliktparteien sowie improvisierten Sprengkörpern, Selbstmordanschlägen und komplexen Angriffen auf staatliche Einrichtungen aus.

Farah, die Herkunftsprovinz der Beschwerdeführerinnen, liegt im Westen Afghanistans und ist von den Provinzen Herat, Nimroz, Helmand und Ghor umgeben und grenzt im Westen an den Iran. Etwa 92,7 % der Einwohner der Provinz leben in ländlichen Regionen und 65,2 % arbeiten in der Landwirtschaft. Die Provinz Farah zählt zu den eher volatilen Provinzen mit steigender Taliban-Aktivität. In der Provinz werden militärische Operationen durchgeführt und es kam zu heftigen Zusammenstößen zwischen Taliban und den Sicherheitskräften.

Die Situation der Frauen hat sich seit dem Ende der Taliban-Herrschaft erheblich verbessert; die vollumfängliche Realisierung ihrer Rechte innerhalb der konservativ-islamischen afghanischen Gesellschaft bleibt schwierig. Die konkrete Situation von Frauen kann sich allerdings je nach regionalem und sozialem Hintergrund stark unterscheiden.

Artikel 22 der afghanischen Verfassung besagt, dass jegliche Form von Benachteiligung oder Bevorzugung unter den Bürgern Afghanistans verboten ist. Die Bürger Afghanistans, sowohl Frauen als auch Männer, haben vor dem Gesetz gleiche Rechte und Pflichten. Ein Meilenstein in dieser Hinsicht war die Errichtung des afghanischen Ministeriums für Frauenangelegenheiten (MoWA) im Jahr 2001.

Im Mai 2016 eröffnete in Kabul die erste Privatuniversität für Frauen im Moraa Educational Complex, mit dazugehörendem Kindergarten und Schule für Kinder der Studentinnen. Die Universität bietet unter anderem Lehrveranstaltungen für Medizin und Geburtshilfe an.

Für viele Frauen ist es noch immer sehr schwierig, außerhalb des Bildungs- und Gesundheitssektors Berufe zu ergreifen. Einflussreiche Positionen werden abhängig von Beziehungen und Vermögen vergeben. Oft scheitern Frauen schon an den schwierigen Transportmöglichkeiten und eingeschränkter Bewegungsfreiheit ohne männliche Begleitung.

Die Erwerbstätigkeit von Frauen hat sich seit dem Jahr 2001 stetig verbessert und betrug im Jahr 2016 19 %. Frauen sind dennoch einer Vielzahl von Hindernissen ausgesetzt; dazu zählen: Einschränkungen, Belästigung, Diskriminierung und Gewalt, aber auch praktische Hürden, wie z.B. fehlende Arbeitserfahrung, Fachkenntnisse und (Aus-)Bildung. Journalistinnen, Sozialarbeiterinnen und Polizistinnen berichteten von Drohungen und Misshandlungen.

Afghanistan verpflichtet sich in seiner Verfassung durch die Ratifizierung internationaler Konventionen und durch nationale Gesetze, die Gleichberechtigung und Rechte der Frauen zu achten und zu stärken. In der Praxis mangelt es jedoch oftmals an der praktischen Umsetzung dieser Rechte. Viele Frauen sind sich ihrer in der Verfassung garantierten, und auch gewisser vom Islam vorgegebener, Rechte nicht bewusst. Eine Verteidigung ihrer Rechte ist in einem Land, in dem die Justiz stark konservativ-traditionell geprägt und überwiegend von männlichen Richtern oder traditionellen Stammesstrukturen bestimmt wird, nur in eingeschränktem Maße möglich. Viele Gewaltfälle gelangen nicht vor Gericht, sondern werden durch Mediation oder Verweis auf traditionelle Streitbeilegungsformen (Schuren und Jirgas) verhandelt. Traditionelle Streitbeilegung führt oft dazu, dass Frauen ihre Rechte, sowohl im Strafrecht als auch im zivilrechtlichen Bereich wie z. B. im Erbrecht, nicht gesetzeskonform zugesprochen werden.

Sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt sind weit verbreitet. Gewalttaten gegen Frauen und Mädchen finden zu über 90 % innerhalb der Familienstrukturen statt. Die Gewalttaten reichen von Körperverletzungen und Misshandlungen über Zwangsehen bis hin zu Vergewaltigungen und Mord. Ehrenmorde an Frauen werden typischerweise von einem männlichen Familien- oder Stammesmitglied verübt. Mädchen unter 18 Jahren sind auch weiterhin dem Risiko eines Ehrenmordes ausgesetzt, wenn eine außereheliche sexuelle Beziehung angenommen wird, wenn sie vor Zwangsverheiratung davonlaufen oder Opfer eines sexuellen Übergriffs werden. Die UN und HRW schätzen die Zahl der Zwangsehen auf 70 %. In Fällen von Gewalt oder unmenschlicher traditioneller Praktiken laufen Frauen oft von zu Hause weg, oder verbrennen sich sogar selbst. Darüber hinaus kommt es immer wieder vor, dass Frauen inhaftiert werden, wenn sie z.B. eine Straftat zur Anzeige bringen, von der Familie aus Gründen der "Ehrenrettung" angezeigt werden, vergewaltigt werden oder von zu Hause weglaufen.

Weibliche Opfer von häuslicher Gewalt, Vergewaltigung oder Zwangsehe sind meist auf Schutzmöglichkeiten außerhalb der Familie angewiesen, da die Familie oft (mit-)ursächlich für die Notlage ist. Landesweit gibt es in den großen Städten Frauenhäuser, deren Angebot sehr oft in Anspruch genommen wird. Manche Frauen finden vorübergehend Zuflucht, andere wiederum verbringen dort viele Jahre. Die Frauenhäuser sind in der afghanischen Gesellschaft höchst umstritten, da immer wieder Gerüchte gestreut werden, diese Häuser seien Orte für unmoralische Handlungen und die Frauen in Wahrheit Prostituierte. Sind Frauen erst einmal im Frauenhaus untergekommen, ist es für sie sehr schwer, danach wieder in ein Leben außerhalb zurückzufinden.

Frauen, die vermeintlich soziale Normen und Sitten verletzen, werden weiterhin gesellschaftlich stigmatisiert und allgemein diskriminiert. Außerdem ist ihre Sicherheit gefährdet. Dies gilt insbesondere für ländliche Gebiete und für Gebiete, die von regierungsfeindlichen Kräften (AGEs) kontrolliert werden. Zu diesen Normen gehören Einschränkungen der Bewegungsfreiheit von Frauen, wie zum Beispiel die Forderung, dass eine Frau nur in Begleitung einer männlichen Begleitperson in der Öffentlichkeit erscheinen darf. Frauen ohne Unterstützung und Schutz durch Männer wie etwa Witwen sind besonders gefährdet. Angesichts der gesellschaftlichen Normen, die allein lebenden Frauen Beschränkungen auferlegen, zum Beispiel in Bezug auf ihre Bewegungsfreiheit und auf Erwerbsmöglichkeiten, sind sie kaum in der Lage zu überleben.

Die Situation der Kinder in Afghanistan hat sich in den vergangenen Jahren verbessert. So werden mittlerweile rund zwei Drittel aller Kinder eingeschult - etwa 40 % davon sind Mädchen. Es verbleiben allerdings Hindernisse - insbesondere für Rückkehrer - wie etwa Armut, sozio-kulturelle Einschränkungen für Mädchen, schlechte Infrastruktur und ein Mangel an qualifiziertem Lehrpersonal - vor allem hinsichtlich weiblicher Lehrkräfte. Die verfügbaren Lehrerinnen konzentrieren sich tendenziell auf die urbanen Zentren. In den Jahren 2011/2012 wurde seitens des Unterrichtsministeriums geschätzt, dass 90 % der ausgebildeten Lehrerinnen in den neun wichtigsten urbanen Zentren Kabul, Herat, Nangarhar, Mazar-e Sharif, Badakhshan, Takhar, Baghlan, Jawzjan und Faryab waren.

Öffentliche Schulen und Kindergärten sind bis zum Universitätslevel kostenlos, private Bildungseinrichtungen und Universitäten müssen allerdings bezahlt werden. Afghanistan hat die Konvention zum Schutze der Kinder ratifiziert, Kinderarbeit ist daher offiziell verboten. Dennoch haben im Jahr 2014 laut AIHRC 51,8 % der Kinder auf die eine oder andere Weise gearbeitet, da viele Familien auf die Einkünfte, die ihre Kinder erwirtschaften, angewiesen sind. Viele Kinder in Afghanistan sind unterernährt - insbesondere Straßenkinder gehören zu den am wenigsten geschützten Gruppen Afghanistans und sind jeglicher Form von Missbrauch und Zwang ausgesetzt.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit, Abstammung, ethnischen und religiösen Zugehörigkeit sowie zum Herkunftsort, Alter und familiären Beziehungen der Beschwerdeführerinnen beruhen auf den plausiblen, im Wesentlichen gleichbleibenden Angaben der Erstbeschwerdeführerin und den vorgelegten Dokumenten.

Die Feststellungen zur Einreise, Antragstellung und dem Aufenthalt der Beschwerdeführerinnen in Österreich ergeben sich aus dem Inhalt des Verwaltungsaktes und dem damit in Einklang stehenden Vorbringen der Erstbeschwerdeführerin.

Die Erstbeschwerdeführerin hat auch zu ihrem Leben in Afghanistan und den im Alltag bestehenden Einschränkungen und Bedrohungen überwiegend gleichbleibende Angaben gemacht, die mit den Länderfeststellungen in Einklang zu bringen sind.

Die Feststellungen zur Lebenseinstellung und Lebensweise der Erstbeschwerdeführerin beruhen auf ihrem schlüssigen Vorbringen und dem Erscheinungsbild im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Gericht.

Die Erstbeschwerdeführerin war in der Verhandlung nicht nur "westlich" gekleidet, sondern hat auch einen selbstbewussten Eindruck hinterlassen. Nach der Art ihres Auftretens und ihres Kommunizierens handelt es sich bei der Erstbeschwerdeführerin um eine Frau, die sich der sozio-kulturellen Problematik der Stellung der Frau in Afghanistan bewusst ist. Dies zeigte sich insbesondere, als die Erstbeschwerdeführerin ausführte, dass sie sich in Österreich frei fühle und selbst Entscheidungen treffen könne; sie könne ihre Kleidung selbst auswählen, alleine einkaufen gehen und bringe die Kinder meist in die Schule und hole sie danach wieder ab. Die Erstbeschwerdeführerin brachte glaubhaft vor, dass sie selbst die Schule besuchen und arbeiten wolle, aufgrund ihrer Schwangerschaft bzw. des im November 2017 geborenen Säuglings, der Betreuung der übrigen Töchter und des abgelegenen Wohnsitzes aber noch keine Möglichkeit dazu gehabt habe. Die Arbeit im Haushalt würden sich die Erstbeschwerdeführerin und ihr Ehegatte teilen, wobei die Erstbeschwerdeführerin das Geld der Familie verwalte.

Die Erstbeschwerdeführerin führte weiters glaubhaft aus, dass sie in Afghanistan hinsichtlich einer Schulbildung bzw. Berufstätigkeit sowie durch die Bekleidungsvorschriften eingeschränkt gewesen sei. Bei der Erstbeschwerdeführerin war zu erkennen, dass sie das streng konservativ-afghanische Frauenbild und die konservativ-afghanische Tradition ablehnt und abgelegt hat und demgegenüber bereits stark "westliche" Werte verinnerlicht hat und auch danach lebt. Dieses Verständnis der Erstbeschwerdeführerin steht im eklatanten Widerspruch zur gesellschaftlichen Situation von Frauen in Afghanistan.

Auch hinsichtlich der Zweit-, Dritt- und Viertbeschwerdeführerin hat die Erstbeschwerdeführerin glaubhaft vorgebracht, dass diese sich in Österreich frei fühlen und die Schule besuchen würden.

Die Unbescholtenheit der Erstbeschwerdeführerin ergibt sich aus einer aktuellen Abfrage des Strafregisters der Republik Österreich.

Die Feststellungen hinsichtlich einer nicht bestehenden Gefährdung der Beschwerdeführerinnen aufgrund ihrer Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, ihrer Asylantragstellung sowie einer rechtswidrigen Ausreise beruhen auf den ins Verfahren eingebrachten Länderberichten bzw. wurde auch keine dahingehende drohende Verfolgung substantiiert vorgebracht.

Die Länderfeststellungen beruhen auf den ins Verfahren eingebrachten Länderberichten, insbesondere dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 02.03.2017 (letzte Aktualisierung am 30.01.2018), das basierend auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger unbedenklicher Quellen einen in den Kernaussagen schlüssigen Überblick über die aktuelle Lage in Afghanistan gewährleistet. Ergänzend wurden insbesondere hinsichtlich der Feststellungen zur Situation der Frauen in Afghanistan die UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19.04.2016 und der EASO Country of Origin Information Report "Individuals targeted under societal and legal norms" vom Dezember 2017 herangezogen. Die Feststellungen zur Bildungssituation in Afghanistan beruhen auch auf dem EASO Country of Origin Information Report "Afghanistan Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City" vom August 2017. Die Feststellungen zur Herkunftsprovinz der Beschwerdeführerinnen stützen sich neben dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation überwiegend auf den EASO Country of Origin Information Report "Afghanistan Security Situation" vom Dezember 2017.

Angesichts der Seriosität der genannten Quellen und der Plausibilität ihrer Aussagen besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln, sodass sie den Feststellungen zur Situation in Afghanistan zugrunde gelegt werden konnten. Im Ergebnis ist auch nicht zu erkennen, dass sich seit der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht in Afghanistan allgemein und für den gegenständlichen Fall relevant eine entscheidende Lageveränderung ergeben hätte. Die Lage in Afghanistan stellt sich seit Jahren diesbezüglich im Wesentlichen unverändert dar, wie sich das erkennende Gericht durch ständige Beachtung der aktuellen Quellenlage (u.a. durch Einschau in aktuelle Berichte bzw. Folgeberichte des deutschen Auswärtigen Amtes, der Schweizerischen Flüchtlingshilfe, des European Asylum Support Office und des U.S. Department of State) versichert hat.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-VG entscheidet über Beschwerden Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl das Bundesverwaltungsgericht.

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt Einzelrichterzuständigkeit vor.

Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen (§ 28 Abs. 1 VwGVG).

Gemäß § 34 Abs. 4 AsylG 2005 sind Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind unter einem zu führen; unter den Voraussetzungen der Abs. 2 und 3 erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Entweder ist der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wobei die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten vorgeht, es sei denn, alle Anträge wären als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen.

Die Beschwerdeführerinnen sind Familienangehörige im Sinne des Asylgesetzes. Ihre Verfahren sind daher unter einem zu führen und unter den Voraussetzungen von § 34 Abs. 2 und 3 erhalten sie den gleichen Schutzumfang.

Zu A)

Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt I. der angefochtenen Bescheide:

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 AsylG 2005 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Artikel 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Artikel 9 der Statusrichtlinie verweist).

Gemäß § 3 Abs. 3 AsylG 2005 ist der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn 1. dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offen steht oder 2. der Fremde einen Asylausschlussgrund (§ 6) gesetzt hat.

Flüchtling im Sinne des Artikel 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung liegt dann vor, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (vgl. VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0074 uva.). Verlangt wird eine "Verfolgungsgefahr", wobei unter Verfolgung ein Eingriff von erheblicher Intensität in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen ist, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes bzw. des Landes ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein. Zurechenbarkeit bedeutet nicht nur ein Verursachen, sondern bezeichnet eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr (vgl. VwGH 10.06.1998, 96/20/0287). Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintan zu halten (VwGH 24.02.2015, Ra 2014/18/0063); auch eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat aber asylrelevanten Charakter, wenn der Heimatstaat des Betroffenen aus den in Artikel 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren (vgl. VwGH 28.01.2015, Ra 2014/18/0112 mwN). Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewandt werden kann (vgl. VwGH 22.03.2000, 99/01/0256 mwN).

Die Voraussetzung der "wohlbegründeten Furcht" vor Verfolgung wird in der Regel aber nur erfüllt, wenn zwischen den Umständen, die als Grund für die Ausreise angegeben werden, und der Ausreise selbst ein zeitlicher Zusammenhang besteht (vgl. VwGH 17.03.2009, 2007/19/0459). Relevant kann nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Bescheiderlassung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Artikel 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen zu befürchten habe (vgl. u.a. VwGH 20.06.2007, 2006/19/0265 mwN).

Wie im Rahmen der Beweiswürdigung dargelegt ist es der Erstbeschwerdeführerin gelungen glaubhaft zu machen, dass sie eine am westlichen Frauen- und Gesellschaftsbild orientierte Frau ist, deren selbstbestimmter Lebensstil bereits wesentlicher Bestandteil ihrer Identität geworden ist. Sie hat damit eine maßgebliche Verfolgungswahrscheinlichkeit aus einem der in Artikel 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe aufgezeigt:

Aus den vorliegenden herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen zur aktuellen Lage von Frauen in Afghanistan ergeben sich zwar keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass alle afghanischen Frauen bzw. Mädchen gleichermaßen allein auf Grund ihres gemeinsamen Merkmals der Geschlechtszugehörigkeit und ohne Hinzutreten weiterer konkreter sowie individueller Eigenschaften im Fall ihrer Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Gefahr liefen, im gesamten Staatsgebiet Afghanistans einer systematischen asylrelevanten (Gruppen-)Verfolgung ausgesetzt zu sein. Die Intensität von den in den Länderberichten aufgezeigten Einschränkungen und Diskriminierungen kann jedoch bei Hinzutreten weiterer maßgeblicher individueller Umstände, insbesondere einer diesen - traditionellen und durch eine konservativ-religiöse Einstellung geprägten - gesellschaftlichen Zwängen nach außen hin offen widerstrebenden Wertehaltung einer Frau, ein asylrelevantes Ausmaß erreichen.

Den UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19.04.2016 ist zu entnehmen, dass sich die afghanische Regierung zwar bemüht, die Gleichheit der Geschlechter zu fördern, jedoch Frauen auf Grund bestehender Vorurteile und traditioneller Praktiken nach wie vor weit verbreiteter gesellschaftlicher, politischer und wirtschaftlicher Diskriminierung ausgesetzt sind und gerade Frauen, die vermeintlich soziale Normen und Sitten verletzen, gesellschaftlich stigmatisiert werden und hinsichtlich ihre Sicherheit gefährdet sind (zur Indizwirkung solcher Länderberichte siehe VwGH 16.01.2008, 2006/19/0182). Frauen sind daher besonders gefährdet, in Afghanistan Opfer von Misshandlungen zu werden, wenn ihr Verhalten - wie z.B. die freie Fortbewegung oder eine ausgeübte Erwerbstätigkeit - als nicht mit den von der Gesellschaft, von der Tradition oder sogar vom Rechtssystem auferlegten Geschlechterrollen vereinbar angesehen wird.

Für die Erstbeschwerdeführerin wirkt sich die derzeitige Situation in Afghanistan so aus, dass sie im Falle einer Rückkehr einem Klima ständig latenter Bedrohung, struktureller Gewalt sowie unmittelbaren Einschränkungen und durch das Bestehen dieser Situation der Gefahr einer Reihe von Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt wäre. Die Erstbeschwerdeführerin unterliegt einer diesbezüglich erhöhten Gefährdung, weil sie auf Grund ihrer Wertehaltung und Lebensweise bei einer Rückkehr gegenwärtig in Afghanistan als eine Frau wahrgenommen würde, die sich als nicht konform ihrer durch die Gesellschaft, die Tradition und das Rechtssystem vorgeschriebenen geschlechtsspezifischen Rolle benimmt; sie ist insofern einem besonderen Misshandlungsrisiko ausgesetzt (vgl. hiezu auch EGMR 20.07.2010, 23.505/09, N. gegen Schweden, ebenfalls unter Hinweis auf UNHCR).

Bei den drei Töchtern der Erstbeschwerdeführerin im schulpflichtigen Alter tritt zu den Einschränkungen und Bedrohungen, die Mädchen in Afghanistan zu gewärtigen haben, insbesondere hinzu, dass ihnen bei einer Rückkehr in ihre Herkunftsregion, die ländlich geprägt und von zunehmendem Einfluss der Taliban gekennzeichnet ist, mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit der weitere Schulbesuch verwehrt wäre (vgl. hiezu VfGH 30.11.2017, E2528/2017 ua). Zu den jüngsten Entwicklungen in der Heimatprovinz der Beschwerdeführerinnen ist im Übrigen darauf hinzuweisen, dass aktuellen Medienberichten zufolge aufgrund der schlechten Sicherheitslage 411 Schulen geschlossen worden seien und 140.000 Schüler keinen Zugang zu Bildung hätten (vgl. Spiegel Online vom 19.05.2018: "Nach schweren Kämpfen - Hunderte Schulen in afghanischer Provinz geschlossen", http://www.spiegel.de/politik/ausland/afghanistan-hunderte-schulen-in-afghanischer-provinz-farah-geschlossen-a-1208646.html, Zugriff am 29.05.2018).

Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass der Erst-, Zweit-, Dritt- und Viertbeschwerdeführerin im Falle ihrer Rückkehr nach Afghanistan bei Fortsetzung ihrer in Österreich angenommenen Lebensweise mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgungshandlungen drohen würden.

Diese Verfolgungsgefahr findet auch ihre Deckung in den in Artikel 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen, zumal die Beschwerdeführerinnen einer bestimmten sozialen Gruppe, nämlich jener der am westlichen Frauen- und Gesellschaftsbild orientierten afghanischen Frauen, zugehörig sind bzw. ihr Verhalten in Afghanistan einer eingenommenen oppositionellen Einstellung zu den herrschenden politischen und/oder religiösen Normen gleichgesetzt würde (vgl. dazu VwGH 28.05.2014, Ra 2014/20/0017, mwN). Es kann von den Beschwerdeführerinnen nicht erwartet werden kann, dieses Verhalten im Heimatland zu unterdrücken, um einer drohenden Verfolgung wegen Nichtbeachtung der herrschenden politischen und/oder religiösen Normen zu entgehen (vgl. VwGH 22.03.2017, Ra 2016/18/0388).

Es ist nach Lage des gegenständlichen Falles davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerinnen vor diesen Bedrohungen in Afghanistan nicht ausreichend geschützt werden können. Zwar stellen die angeführten Bedrohungen keine Eingriffe von staatlicher Seite dar, es ist der Zentralregierung jedoch nicht möglich, für die umfassende Gewährleistung grundlegender Rechte und Freiheiten der afghanischen Frauen bzw. Mädchen Sorge zu tragen; gegenwärtig besteht in Afghanistan dahingehend kein funktionierender Polizei- und Justizapparat. Darüber hinaus ist vor dem Hintergrund der oben getroffenen Länderfeststellungen nicht davon auszugehen, dass im Wirkungsbereich einzelner lokaler Machthaber effektive Mechanismen zur Verhinderung von Übergriffen und Einschränkungen gegenüber Frauen bestünden; ganz im Gegenteil liegt ein derartiges Vorgehen gegenüber Frauen teilweise ganz im Sinne der lokalen Machthaber. Für die Erstbeschwerdeführerin ist damit nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass sie angesichts des sie als westlich orientierte Frau betreffenden Risikos, Opfer von Misshandlungen und Einschränkungen zu werden, ausreichenden Schutz im Herkunftsstaat finden kann.

Eine innerstaatliche Fluchtalternative kommt bereits aufgrund des vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl gewährten subsidiären Schutzes nicht in Betracht.

Die Beschwerdeführerinnen konnten somit glaubhaft machen, dass ihnen im Herkunftsstaat im Zusammenhang mit ihrer Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe bzw. aufgrund einer (ihnen unterstellten) oppositionellen Einstellung zu herrschenden politischen und/oder religiösen Normen mit hoher Wahrscheinlichkeit Verfolgung im Sinne des Artikels 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht. Da auch kein Asylausschlussgrund im Sinne von § 6 AsylG 2005 vorliegt, ist den Beschwerdeführerinnen jeweils gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuzuerkennen.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 war festzustellen, dass den beschwerdeführenden Parteien von Gesetzes wegen die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Artikel 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Artikel 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab noch fehlt es an einer Rechtsprechung (siehe die oben zitierte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, aber auch des Verfassungsgerichtshofes und des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte); weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

asylrechtlich relevante Verfolgung, geschlechtsspezifische
Verfolgung, Schutzunfähigkeit, Schutzunwilligkeit, soziale Gruppe,
westliche Orientierung, wohlbegründete Furcht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:W127.2160956.1.00

Zuletzt aktualisiert am

14.09.2018
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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