Index
E2D Assoziierung Türkei;Norm
ARB1/80 Art7;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Blaschek und Dr. Rosenmayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Enzlberger, über die Beschwerde der G T in H, vertreten durch Dr. Gottfried Waibel, Rechtsanwalt in Dornbirn, Schulgasse 7, gegen den Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Vorarlberg vom 4. Juli 1997, Zl. LGSV/3/13117/1997 ABA 723335, betreffend Feststellung gemäß Art. 7 des Assoziationsratsbeschlusses Nr. 1/80, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Arbeitsmarktservice hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.890,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Beschwerdeführerin (eine türkische Staatsangehörige) stellte am 9. Jänner 1997 beim Arbeitsmarktservice Bregenz unter Verwendung des amtlich aufgelegten Formulars den Antrag auf Feststellung "gemäß Art. 7 Abs. 1/2. Gedankenstrich des Beschlusses des Assoziationsrates Nr. 1/80".
Mit Bescheid vom 21. Jänner 1997 lehnte das Arbeitsmarktservice Bregenz diesen Antrag der Beschwerdeführerin mit der Begründung ab, die Beschwerdeführerin erfülle die Voraussetzungen für die begehrte Feststellung deshalb nicht, weil sie am 10. Mai 1996 ihr 21. Lebensjahr vollendet habe und derart "nicht mehr als Kind gewertet" werden könne.
Mit dem im Instanzenzug ergangenen, vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 4. Juli 1997 wurde der Berufung der Beschwerdeführerin gegen den Bescheid des Arbeitsmarktservice Bregenz vom 21. Jänner 1997 gemäß § 66 Abs. 4 AVG keine Folge gegeben und der erstinstanzliche Bescheid bestätigt.
Diese Entscheidung wurde von der belangten Behörde unter Wiedergabe der in ihrem Vorhalt vom 5. Juni 1997 dargelegten Rechtsansicht im Wesentlichen damit begründet, die Beschwerdeführerin erfülle die Voraussetzungen des Art. 7 ARB Nr. 1/80 deshalb nicht, weil diese "in Analogie zu § 1 Abs. 2 lit. m des Ausländerbeschäftigungsgesetzes nicht mehr als Kind gewertet werden kann". Des weiteren sei eine "Unterhaltsgewährung auf Grund eines bestehenden Unterhaltsanspruches" erforderlich. Den Antragsangaben sei nicht entnehmbar, dass die Beschwerdeführerin eine längere Ausbildung absolviere, oder vermindert erwerbsfähig sei. Die Einwände in der Berufung seien nicht geeignet, eine andere Entscheidung herbeizuführen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.
Die Beschwerdeführerin erachtete sich durch den angefochtenen Bescheid nach ihrem gesamten Vorbringen in dem Recht auf Feststellung, dass bei ihr die Voraussetzungen gemäß Art. 7 Abs. 1 zweiter Gedankenstrich des Beschlusses des Assoziationsrates Nr. 1/80 gegeben sind, verletzt. Sie beantragt, den angefochtenen Bescheid nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit, allenfalls wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften kostenpflichtig aufzuheben.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Art. 7 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation
(ARB Nr. 1/80) lautet:
"Art. 7
Die Familienangehörigen eines dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates angehörenden türkischen Arbeitnehmers, die die Genehmigung erhalten haben, zu ihm zu ziehen,
-
haben vorbehaltlich des den Arbeitnehmern aus den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft einzuräumenden Vorrangs das Recht, sich auf jedes Stellenangebot zu bewerben, wenn sie dort seit mindestens drei Jahren ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz haben;
-
haben freien Zugang zu jeder von ihnen gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis, wenn sie dort seit mindestens fünf Jahren ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz haben.
Die Kinder türkischer Arbeitnehmer, die im Aufnahmeland einen Berufsausbildung abgeschlossen haben, können sich unabhängig von der Dauer ihres Aufenthalts in dem betreffenden Mitgliedstaat dort auf jedes Stellenangebot bewerben, sofern ein Elternteil in dem betreffenden Mitgliedstaat seit mindestens drei Jahren ordnungsgemäß beschäftigt war."
Die Beschwerde ist schon aus folgenden Erwägungen berechtigt:
Die Beschwerdeführerin hat die Feststellung der tatbestandlichen Voraussetzungen gemäß Art. 7 Satz (Absatz) 1, zweiter Gedankenstrich des ARB Nr. 1/80 (Familienangehöriger eines türkischen Arbeitnehmers und ordnungsgemäßer Wohnsitz in der Dauer von fünf Jahren) begehrt. Insoweit die belangte Behörde die Ansicht vertrat, die Beschwerdeführerin erfülle die Voraussetzungen eines "Familienangehörigen" im Sinn von Satz 1 leg. cit. allein deshalb nicht, weil es sich bei der Beschwerdeführerin "nicht mehr um ein Kind handelt", verkennt sie, dass die Erfüllung der Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 lit. m AuslBG nicht Gegenstand des vorliegenden Feststellungsverfahrens ist und diese Bestimmung, die einen Ausnahmetatbestand vom Geltungsbereich des AuslBG regelt, die Voraussetzungen des Art. 7 ARB Nr. 1/80 inhaltlich nicht zu ändern vermag, ist diese Bestimmung doch unmittelbar anwendbar und räumt Art. 7 leg. cit dem Betroffenen subjektive Rechte ein (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 29. September 1998, Zl. 97/09/0255, und die darin angegebene hg. Judikatur). Art. 7 ARB Nr. 1/80 enthält nach seinem eindeutigen Wortlaut keine altersmäßige Begrenzung der "Familienangehörigen" und der "Kinder". Die Ansicht der belangten Behörde, Personen mit einem das 21. Lebensjahr übersteigendem Lebensalter, würden diesen Personengruppen nicht mehr angehören, entbehrt der textlichen und der rechtlichen Grundlage (vgl. hiezu nochmals das genannte hg. Erkenntnis Zl. 97/09/0012, sowie R. Gutmann, Die Assoziationsfreizügigkeit türkischer Staatsangehöriger, Baden-Baden 1996, Seite 112 und 113).
Der angefochtenen Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Von der beantragten mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 4 VwGG abgesehen werden.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit § 41 AMSG und der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 15. Dezember 1999
Schlagworte
Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtsanspruch Antragsrecht Anfechtungsrecht VwRallg9/2European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1999:1997090234.X00Im RIS seit
11.07.2001