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22/02 ZivilprozessordnungNorm
B-VG Art140 Abs1 Z1 litdLeitsatz
Zurückweisung von Parteianträgen auf Aufhebung von Bestimmungen der ZPO betreffend die Verfahrenshilfe sowie die Unterbrechung eines Verfahrens als zu eng gefasst, mangels eines tauglichen Anfechtungsgegenstandes bzw mangels Darlegung von Bedenken im EinzelnenSpruch
I. Der Antrag gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B-VG wird zurückgewiesen.
II. Der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe wird abgewiesen.
Begründung
Begründung
1. Mit Beschluss vom 23. April 2018, 10 Cg 9/18m, wies das Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz den Antrag des Klägers (der Einschreiter im verfassungsgerichtlichen Verfahren ist) auf Führung eines "Subaktes", für den die Akteneinsicht des Beklagten im gerichtlichen Ausgangsverfahren ausgenommen ist (Spruchpunkt 1) und den Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe (Spruchpunkt 2) ab. Zu Punkt 1 führte das Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz aus, dass für die Führung eines – von der Akteneinsicht des Beklagten ausgenommenen – Subaktes keine Rechtsgrundlage bestehe. Gemäß §72 Abs2 ZPO stehe auch dem Prozessgegner ein Rekurs gegen Beschlüsse über Verfahrenshilfeanträge zu. Nach der Rechtsprechung sei wegen des im Rekursverfahren herrschenden Neuerungsverbotes daher bereits das Verfahren zur Bewilligung der Verfahrenshilfe jedenfalls dann zweiseitig, wenn – wie im gegenständlichen Fall – das betreffende Hauptverfahren bereits streitanhängig geworden sei. §72 ZPO räume dem Antragsgegner nach Zustellung des verfahrenseinleitenden Antrages ausdrücklich das rechtliche Gehör zum Zweck der besseren Kontrolle der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Antragstellers ein. Damit gehe auch sein Recht auf Akteneinsicht gemäß §219 Abs1 ZPO einher. Der in Art6 EMRK gestützte Grundsatz des "fair trial" mache für die am Verfahren Beteiligten eine generelle Verweigerung des Rechtes auf Akteneinsicht und Entnahme von Aktenabschriften, die für die wirksame Rechtsdurchsetzung, insbesondere für die Erhebung von Rechtsmitteln gemäß §72 Abs2 ZPO unerlässlich seien, unzulässig. Demgegenüber sei ein schutzwürdiges Interesse des Klägers auf derartige "Geheimhaltung" als nachrangig zu werten. Zu Spruchpunkt 2 führte das Gericht aus, dass der vom Gericht erteilte Verbesserungsauftrag erfolglos geblieben sei, sodass mit meritorischer Abweisung vorzugehen gewesen sei. Der Kläger habe die ihm vom Gericht zweimalig eingeräumte Möglichkeit der Verbesserung seines Verfahrenshilfeantrages ungenützt gelassen und habe seine Vermögensverhältnisse bewusst nicht offen gelegt.
2. Aus Anlass des Rekurses gegen die genannte Entscheidung des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz stellt der Einschreiter den Antrag gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B-VG auf Aufhebung der Wortfolge "steht auch dem Gegner" in §68 Abs2 ZPO sowie der Wortfolge "steht auch dem Gegner" in §72 Abs2 ZPO wegen Verfassungswidrigkeit. Unter einem begehrt der Einschreiter die Bewilligung der Verfahrenshilfe im Umfang sämtlicher Gebühren.
3. Die §§68 und §72 des Gesetzes vom 1. August 1895, über das gerichtliche Verfahren in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten (Zivilprozessordnung – ZPO), RGBl. 113/1895, idF BGBl I 128/2004, lauten in ihrem Zusammenhang:
"§68. (1) Die Verfahrenshilfe erlischt mit dem Tod der Partei. Das Prozeßgericht erster Instanz hat von Amts wegen oder auf Antrag - auch des bestellten Rechtsanwalts - die Verfahrenshilfe so weit zur Gänze oder zum Teil erloschen zu erklären als Änderungen in den Vermögensverhältnissen der Partei dies erfordern, oder die weitere Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung als offenbar mutwillig oder aussichtslos erscheint.
(1a) Wird nicht innerhalb eines Jahres nach Abschluss des Rechtsstreits ein Vollstreckungsverfahren eingeleitet, so ist bei dessen Einleitung von Amts wegen zu überprüfen, ob die Voraussetzungen für die Gewährung von Verfahrenshilfe weiterhin vorliegen.
(2) Das Prozeßgericht erster Instanz hat von Amts wegen oder auf Antrag - auch des bestellten Rechtsanwalts - die Verfahrenshilfe so weit zur Gänze oder zum Teil zu entziehen als sich herausstellt, daß die seinerzeit angenommenen Voraussetzungen nicht gegeben gewesen sind. In diesem Fall hat die Partei die im §64 Abs1 Z1 genannten Beträge, von deren Bestreitung sie einstweilen befreit gewesen ist, insoweit zu entrichten bzw. zu ersetzen und den ihr beigegebenen Rechtsanwalt nach dem Tarif zu entlohnen. Über den Entlohnungsanspruch hat das Gericht mit Beschluß zu entscheiden.
(3) Im Zug eines in den Abs1, 1a und 2 vorgesehenen Verfahrens kann das Gericht die Parteien unter Setzung einer angemessenen Frist zur Beibringung eines neuen Vermögensbekenntnisses und, soweit zumutbar, von Belegen auffordern. Der §381 ist sinngemäß anzuwenden.
(4) Erklärt das Gericht die Verfahrenshilfe für erloschen oder entzieht es sie, so bleibt der bestellte Rechtsanwalt noch bis zum Eintritt der Rechtskraft des Beschlusses berechtigt und verpflichtet, für die Partei zu handeln, soweit dies nötig ist, um sie vor Rechtsnachteilen zu schützen. Die Zustellung des Beschlusses, womit das Gericht die Verfahrenshilfe für erloschen erklärt oder entzieht, an den Rechtsanwalt unterbricht den Lauf der Frist zur Beantwortung der Klage bzw. Erhebung von Rechtsmitteln gegen andere Entscheidungen des Gerichtes bis zum Eintritt der Rechtskraft des genannten Beschlusses. Mit dem Eintritt der Rechtskraft beginnt die volle Frist von neuem zu laufen.
[..]
§72. (1) Die nach diesem Titel ergehenden Beschlüsse sind ohne mündliche Verhandlung zu fassen, sofern das Prozeßgericht eine solche nicht zur Erörterung ihm erheblich scheinender Tatsachen für erforderlich hält.
(2) Gegen die nach diesem Titel ergehenden Beschlüsse steht auch dem Gegner sowie dem Revisor der Rekurs zu. Das Recht, einen Antrag nach §68 Abs1 oder 2 zu stellen, bleibt ihnen vorbehalten.
(2a) Ein Rekurs ist, vorbehaltlich des §65 Abs2, den Parteien und dem Revisor zuzustellen. Diese können binnen 14 Tagen ab Zustellung des Rekurses eine Rekursbeantwortung einbringen.
(3) Einer Vertretung durch Rechtsanwälte bedürfen die Parteien bei den nach diesem Titel bei Gericht vorzunehmenden Handlungen auch im Anwaltsprozeß nicht. Rekurse gegen Beschlüsse über die Verfahrenshilfe sowie Rekursbeantwortungen können auch bei Gerichtshöfen mündlich zu Protokoll erklärt werden. Ein Kostenersatz findet nicht statt."
4. Der Antrag auf Aufhebung der Wortfolge "steht auch dem Gegner" in §68 Abs2 ZPO erweist sich schon deswegen als unzulässig, weil diese Wortfolge nicht in §68 Abs2 ZPO enthalten ist. Der Antrag auf Aufhebung dieser Wortfolge in §68 Abs2 ZPO ist daher in Ermangelung eines tauglichen Anfechtungsgegenstandes zurückzuweisen.
5. Die Grenzen der Aufhebung einer auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfenden Gesetzesbestimmung sind, wie der Verfassungsgerichtshof sowohl für von Amts wegen als auch für auf Antrag eingeleitete Gesetzesprüfungsverfahren schon wiederholt dargelegt hat (VfSlg 13.965/1994 mwN, 16.542/2002, 16.911/2003), notwendig so zu ziehen, dass einerseits der verbleibende Gesetzesteil nicht einen völlig veränderten Inhalt bekommt und dass andererseits die mit der aufzuhebenden Gesetzesstelle untrennbar zusammenhängenden Bestimmungen auch erfasst werden.
Aus dieser Grundposition folgt, dass im Gesetzesprüfungsverfahren der Umfang der in Prüfung gezogenen Norm nicht zu eng gewählt werden darf (vgl. VfSlg 16.212/2001, 16.365/2001, 18.142/2007, 19.496/2011). Der Antragsteller hat all jene Normen anzufechten, welche für die Beurteilung der allfälligen Verfassungswidrigkeit der Rechtslage eine untrennbare Einheit bilden. Es ist dann Sache des Verfassungsgerichtshofes, darüber zu befinden, auf welche Weise eine solche Verfassungswidrigkeit – sollte der Verfassungsgerichtshof die Auffassung des Antragstellers teilen – beseitigt werden kann (VfSlg 16.756/2002, 19.496/2011, 19.684/2012, 19.903/2014; VfGH 15.6.2016, G25/2016; 13.10.2016, G640/2015; 12.12.2016, G105/2016).
Unzulässig ist der Antrag etwa dann, wenn der im Falle der Aufhebung im begehrten Umfang verbleibende Teil einer Gesetzesstelle als sprachlich unverständlicher Torso inhaltsleer und unanwendbar wäre (VfSlg 16.279/2001, 19.413/2011; VfGH 19.6.2015, G211/2014; 7.10.2015, G444/2015; 10.10.2016, G662/2015), der Umfang der zur Aufhebung beantragten Bestimmungen so abgesteckt ist, dass die angenommene Verfassungswidrigkeit durch die Aufhebung gar nicht beseitigt würde (vgl. zB VfSlg 18.891/2009, 19.933/2014), oder durch die Aufhebung bloßer Teile einer Gesetzesvorschrift dieser ein völlig veränderter, dem Gesetzgeber überhaupt nicht mehr zusinnbarer Inhalt gegeben würde (VfSlg 18.839/2009, 19.841/2014, 19.972/2015; VfGH 15.10.2016, G339/2015).
Unter dem Aspekt einer nicht trennbaren Einheit in Prüfung zu ziehender Vorschriften ergibt sich ferner, dass ein Prozesshindernis auch dann vorliegt, wenn es auf Grund der Bindung an den gestellten Antrag zu einer in der Weise isolierten Aufhebung einer Bestimmung käme, dass Schwierigkeiten bezüglich der Anwendbarkeit der im Rechtsbestand verbleibenden Vorschriften entstünden, und zwar in der Weise, dass der Wegfall der angefochtenen (Teile einer) Bestimmung den verbleibenden Rest unverständlich oder auch unanwendbar werden ließe. Letzteres liegt dann vor, wenn nicht mehr mit Bestimmtheit beurteilt werden könnte, ob ein der verbliebenen Vorschrift zu unterstellender Fall vorliegt (VfSlg 16.869/2003 mwN).
Ausgehend von dieser Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes erweist sich der Antrag auf Aufhebung der Wortfolge "steht auch dem Gegner" in §72 Abs2 ZPO als unzulässig: Zum einen würde durch die Aufhebung dieser Wortfolge im Hinblick auf den verbleibenden Teil des §72 Abs2 ZPO ein sprachlich unverständlicher Torso entstehen. Zum anderen stehen der erste und der zweite Satz des §72 Abs2 ZPO sowie die Bestimmung des §72 Abs2a ZPO in einem untrennbaren Zusammenhang, sodass die Anfechtung von Teilen bloß des §72 Abs2 ZPO von vornherein unzulässig ist.
6. Bei diesem Ergebnis hat der Verfassungsgerichtshof nicht zu prüfen, ob weitere Prozesshindernisse bestehen.
7. Da somit die vom Antragsteller beabsichtigte Rechtsverfolgung vor dem Verfassungsgerichtshof als offenbar aussichtslos erscheint, muss sein unter einem mit dem Antrag gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B-VG gestellter – nicht auf das Vorliegen sämtlicher Formerfordernisse geprüfter – Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe im Umfang sämtlicher Gebühren abgewiesen werden (§63 Abs1 ZPO iVm §35 VfGG).
8. Diese Beschlüsse konnten gemäß §19 Abs4 VfGG bzw. §72 Abs1 ZPO iVm §35 VfGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung gefasst werden.
Schlagworte
VfGH / Bedenken, Zivilprozess, VfGH / Prüfungsumfang, VfGH / ParteiantragEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2018:G134.2018Zuletzt aktualisiert am
13.09.2018