TE Vfgh Beschluss 2018/6/12 G79/2018

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Veröffentlicht am 12.06.2018
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Index

22/02 Zivilprozessordnung

Norm

B-VG Art140 Abs1 Z1 litd
ZPO §68 Abs2, §72 Abs2, §190

Leitsatz

Zurückweisung von Parteianträgen auf Aufhebung von Bestimmungen der ZPO betreffend die Verfahrenshilfe sowie die Unterbrechung eines Verfahrens als zu eng gefasst, mangels eines tauglichen Anfechtungsgegenstandes bzw mangels Darlegung von Bedenken im Einzelnen

Spruch

I. Der Antrag gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B-VG wird zurückgewiesen.

II. Der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe wird abgewiesen.

Begründung

Begründung

1.       Mit Beschluss vom 2. März 2018, 8 Cg 2/18g, wies das Landesgericht Leoben den Antrag des Klägers im gerichtlichen Ausgangsverfahren (der Antragsteller im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof ist), ihm die Verfahrenshilfe im Umfang der Begünstigungen des §64 Abs1 Z1 lita und c ZPO zu bewilligen, ab. Der Antragsteller habe zu seinen Vermögensverhältnissen ausgeführt, dass ihm der Käufer für den Verkauf näher bezeichneter Liegenschaften den Kaufpreis hinterlegt habe. Der Antragsteller verweigere jedoch die Annahme des Kaufpreises, weil aus seiner Sicht eine Kaufpreisschuld nicht bestehe und die Herkunft der Geldmittel unklar sei. Die Prozesskosten könnten zwar problemlos aus dem Wert der Liegenschaft gedeckt werden, auf Grund der bereits erfolgten Eintragung des Käufers im Grundbuch sei der Antragsteller jedoch nicht mehr über die Liegenschaften verfügungsberechtigt. Gegenwärtig stehe der Vermögenswert für die Deckung der Verfahrenskosten nicht zur Verfügung.

Das Landesgericht Leoben begründete die abweisende Entscheidung im Wesentlichen damit, dass sich bereits unter Bedachtnahme auf die Ausführungen des Antragstellers zum hinterlegten Kaufpreis für den Erwerb der näher bezeichneten Liegenschaften eine weitere eingehende Prüfung der Vermögensverhältnisse des Antragstellers erübrige. Der Antragsteller führe lediglich pauschal und substratlos aus, dass ihm die Herkunft der Mittel zur Bezahlung des Kaufpreises nicht bekannt sei und diese strafrechtlich behaftet sein könnten. Dem Gericht erschließe sich nicht, welches Delikt der Antragsteller erfüllen könnte, wenn er den Kaufpreis annehme. Entgegen seinen Ausführungen stehe ihm daher ein Deckungsfonds in näher bestimmter Höhe zur Verfügung, weswegen die Voraussetzungen für die Gewährung der Verfahrenshilfe nicht vorlägen.

2.       Aus Anlass des Rekurses gegen den angeführten Beschluss des Landesgerichtes Leoben stellt der Einschreiter den Antrag gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B-VG auf Aufhebung der Wortfolge "steht auch dem Gegner" in §68 Abs2 ZPO und der Wortfolge "steht auch dem Gegner" in §72 Abs2 ZPO wegen Verfassungswidrigkeit. Unter einem begehrt der Einschreiter die Bewilligung der Verfahrenshilfe im Umfang sämtlicher Gebühren.

3.       §68 und §72 des Gesetzes vom 1. August 1895, über das gerichtliche Verfahren in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten (Zivilprozessordnung – ZPO), RGBl. 113/1895, idF BGBl I 128/2004, lauten in ihrem Zusammenhang:

"§68. (1) Die Verfahrenshilfe erlischt mit dem Tod der Partei. Das Prozeßgericht erster Instanz hat von Amts wegen oder auf Antrag - auch des bestellten Rechtsanwalts - die Verfahrenshilfe so weit zur Gänze oder zum Teil erloschen zu erklären als Änderungen in den Vermögensverhältnissen der Partei dies erfordern, oder die weitere Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung als offenbar mutwillig oder aussichtslos erscheint.

(1a) Wird nicht innerhalb eines Jahres nach Abschluss des Rechtsstreits ein Vollstreckungsverfahren eingeleitet, so ist bei dessen Einleitung von Amts wegen zu überprüfen, ob die Voraussetzungen für die Gewährung von Verfahrenshilfe weiterhin vorliegen.

(2) Das Prozeßgericht erster Instanz hat von Amts wegen oder auf Antrag - auch des bestellten Rechtsanwalts - die Verfahrenshilfe so weit zur Gänze oder zum Teil zu entziehen als sich herausstellt, daß die seinerzeit angenommenen Voraussetzungen nicht gegeben gewesen sind. In diesem Fall hat die Partei die im §64 Abs1 Z1 genannten Beträge, von deren Bestreitung sie einstweilen befreit gewesen ist, insoweit zu entrichten bzw. zu ersetzen und den ihr beigegebenen Rechtsanwalt nach dem Tarif zu entlohnen. Über den Entlohnungsanspruch hat das Gericht mit Beschluß zu entscheiden.

(3) Im Zug eines in den Abs1, 1a und 2 vorgesehenen Verfahrens kann das Gericht die Parteien unter Setzung einer angemessenen Frist zur Beibringung eines neuen Vermögensbekenntnisses und, soweit zumutbar, von Belegen auffordern. Der §381 ist sinngemäß anzuwenden.

(4) Erklärt das Gericht die Verfahrenshilfe für erloschen oder entzieht es sie, so bleibt der bestellte Rechtsanwalt noch bis zum Eintritt der Rechtskraft des Beschlusses berechtigt und verpflichtet, für die Partei zu handeln, soweit dies nötig ist, um sie vor Rechtsnachteilen zu schützen. Die Zustellung des Beschlusses, womit das Gericht die Verfahrenshilfe für erloschen erklärt oder entzieht, an den Rechtsanwalt unterbricht den Lauf der Frist zur Beantwortung der Klage bzw. Erhebung von Rechtsmitteln gegen andere Entscheidungen des Gerichtes bis zum Eintritt der Rechtskraft des genannten Beschlusses. Mit dem Eintritt der Rechtskraft beginnt die volle Frist von neuem zu laufen.

[..]

§72. (1) Die nach diesem Titel ergehenden Beschlüsse sind ohne mündliche Verhandlung zu fassen, sofern das Prozeßgericht eine solche nicht zur Erörterung ihm erheblich scheinender Tatsachen für erforderlich hält.

(2) Gegen die nach diesem Titel ergehenden Beschlüsse steht auch dem Gegner sowie dem Revisor der Rekurs zu. Das Recht, einen Antrag nach §68 Abs1 oder 2 zu stellen, bleibt ihnen vorbehalten.

(2a) Ein Rekurs ist, vorbehaltlich des §65 Abs2, den Parteien und dem Revisor zuzustellen. Diese können binnen 14 Tagen ab Zustellung des Rekurses eine Rekursbeantwortung einbringen.

(3) Einer Vertretung durch Rechtsanwälte bedürfen die Parteien bei den nach diesem Titel bei Gericht vorzunehmenden Handlungen auch im Anwaltsprozeß nicht. Rekurse gegen Beschlüsse über die Verfahrenshilfe sowie Rekursbeantwortungen können auch bei Gerichtshöfen mündlich zu Protokoll erklärt werden. Ein Kostenersatz findet nicht statt."

4.       Der Antrag auf Aufhebung der Wortfolge "steht auch dem Gegner" in §68 Abs2 ZPO erweist sich schon deswegen als unzulässig, weil diese Wortfolge nicht in §68 Abs2 ZPO enthalten ist. Der Antrag auf Aufhebung dieser Wortfolge in §68 Abs2 ZPO ist daher in Ermangelung eines tauglichen Anfechtungsgegenstandes zurückzuweisen.

5.       Die Grenzen der Aufhebung einer auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfenden Gesetzesbestimmung sind, wie der Verfassungsgerichtshof sowohl für von Amts wegen als auch für auf Antrag eingeleitete Gesetzesprüfungsverfahren schon wiederholt dargelegt hat (VfSlg 13.965/1994 mwN, 16.542/2002, 16.911/2003), notwendig so zu ziehen, dass einerseits der verbleibende Gesetzesteil nicht einen völlig veränderten Inhalt bekommt und dass andererseits die mit der aufzuhebenden Gesetzesstelle untrennbar zusammenhängenden Bestimmungen auch erfasst werden.

Aus dieser Grundposition folgt, dass im Gesetzesprüfungsverfahren der Umfang der in Prüfung gezogenen Norm nicht zu eng gewählt werden darf (vgl. VfSlg 16.212/2001, 16.365/2001, 18.142/2007, 19.496/2011). Der Antragsteller hat all jene Normen anzufechten, welche für die Beurteilung der allfälligen Verfassungswidrigkeit der Rechtslage eine untrennbare Einheit bilden. Es ist dann Sache des Verfassungsgerichtshofes, darüber zu befinden, auf welche Weise eine solche Verfassungswidrigkeit – sollte der Verfassungsgerichtshof die Auffassung des Antragstellers teilen – beseitigt werden kann (VfSlg 16.756/2002, 19.496/2011, 19.684/2012, 19.903/2014; VfGH 15.6.2016, G25/2016; 13.10.2016, G640/2015; 12.12.2016, G105/2016).

Unzulässig ist der Antrag etwa dann, wenn der im Falle der Aufhebung im begehrten Umfang verbleibende Teil einer Gesetzesstelle als sprachlich unverständlicher Torso inhaltsleer und unanwendbar wäre (VfSlg 16.279/2001, 19.413/2011; VfGH 19.6.2015, G211/2014; 7.10.2015, G444/2015; 10.10.2016, G662/2015), der Umfang der zur Aufhebung beantragten Bestimmungen so abgesteckt ist, dass die angenommene Verfassungswidrigkeit durch die Aufhebung gar nicht beseitigt würde (vgl. zB VfSlg 18.891/2009, 19.933/2014), oder durch die Aufhebung bloßer Teile einer Gesetzesvorschrift dieser ein völlig veränderter, dem Gesetzgeber überhaupt nicht mehr zusinnbarer Inhalt gegeben würde (VfSlg 18.839/2009, 19.841/2014, 19.972/2015; VfGH 15.10.2016, G339/2015).

Unter dem Aspekt einer nicht trennbaren Einheit in Prüfung zu ziehender Vorschriften ergibt sich ferner, dass ein Prozesshindernis auch dann vorliegt, wenn es auf Grund der Bindung an den gestellten Antrag zu einer in der Weise isolierten Aufhebung einer Bestimmung käme, dass Schwierigkeiten bezüglich der Anwendbarkeit der im Rechtsbestand verbleibenden Vorschriften entstünden, und zwar in der Weise, dass der Wegfall der angefochtenen (Teile einer) Bestimmung den verbleibenden Rest unverständlich oder auch unanwendbar werden ließe. Letzteres liegt dann vor, wenn nicht mehr mit Bestimmtheit beurteilt werden könnte, ob ein der verbliebenen Vorschrift zu unterstellender Fall vorliegt (VfSlg 16.869/2003 mwN).

Ausgehend von dieser Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes erweist sich der Antrag auf Aufhebung der Wortfolge "steht auch dem Gegner" in §72 Abs2 ZPO als unzulässig: Zum einen würde durch die Aufhebung dieser Wortfolge im Hinblick auf den verbleibenden Teil des §72 Abs2 ZPO ein sprachlich unverständlicher Torso entstehen. Zum anderen stehen der erste und der zweite Satz des §72 Abs2 ZPO sowie die Bestimmung des §72 Abs2a ZPO in einem untrennbaren Zusammenhang, sodass die Anfechtung von Teilen bloß des §72 Abs2 ZPO von vornherein unzulässig ist.

6.       Bei diesem Ergebnis hat der Verfassungsgerichtshof nicht zu prüfen, ob weitere Prozesshindernisse bestehen.

7.       Da somit die vom Antragsteller beabsichtigte Rechtsverfolgung vor dem Verfassungsgerichtshof als offenbar aussichtslos erscheint, muss sein unter einem mit dem Antrag gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B-VG gestellter Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe im Umfang sämtlicher Gebühren abgewiesen werden (§63 Abs1 ZPO iVm §35 VfGG).

8.       Diese Beschlüsse konnten gemäß §19 Abs4 VfGG bzw. §72 Abs1 ZPO iVm §35 VfGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung gefasst werden.

Schlagworte

VfGH / Parteiantrag, VfGH / Prüfungsumfang, VfGH / Bedenken, Zivilprozess

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2018:G79.2018

Zuletzt aktualisiert am

13.09.2018
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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