Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 23. August 2018 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé, Dr. Oshidari, Dr. Michel-Kwapinski und Dr. Brenner in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Wieser als Schriftführerin in der Strafsache gegen Andreas G***** wegen des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Jugendschöffengericht vom 23. März 2018, GZ 79 Hv 102/17g-30, sowie über dessen Beschwerde gegen den unter einem gefassten Beschluss auf Absehen vom Widerruf einer bedingten Strafnachsicht unter Verlängerung der Probezeit nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde werden das Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch I./, demzufolge auch im Strafausspruch sowie der Beschluss auf Absehen vom Widerruf einer bedingten Strafnachsicht unter Verlängerung der Probezeit aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Klagenfurt verwiesen.
Die Nichtigkeitsbeschwerde in Ansehung der Schuldsprüche II./ und III./ wird zurückgewiesen.
Mit der Nichtigkeitsbeschwerde in Ansehung des Schuldspruchs I./, der Berufung und der Beschwerde wird der Angeklagte auf die Aufhebung verwiesen.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Andreas G***** des Vergehens der sittlichen Gefährdung von Personen unter 16 Jahren nach § 208 Abs 2 StGB (I./), des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB (II./) und des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall, Abs 2 SMG (III./) schuldig erkannt.
Danach hat er
I./ zwischen dem 15. Februar 2017 und dem 1. März 2017 in S***** außer dem Fall des § 208 Abs 1 StGB, um sich geschlechtlich zu erregen oder zu befriedigen, dadurch dass er der am 24. August 2005 geborenen unmündigen L***** S***** während eines Internetchats über die Anwendung „Snap Chat“ zumindest zwei Bilder seines erigierten Geschlechtsteils sendete, bewirkt, dass eine unmündige Person eine geschlechtliche Handlung wahrnimmt, die geeignet ist, die sittliche, seelische oder gesundheitliche Entwicklung von Personen unter 16 Jahren zu gefährden;
II./ am 27. März 2017 in F***** mit der am 2. Juni 2004 geborenen unmündigen B***** Sh***** den Beischlaf unternommen, indem er mit ihr Geschlechtsverkehr vollzog;
III./ in der Zeit vom September 2016 bis zum Februar 2018 in F***** und an anderen Orten den bestehenden Vorschriften zuwider mehrmals Cannabisprodukte, somit ein Suchtgift erworben und besessen, nämlich:
1.) durch Ankauf von 5 bis 10 Gramm Cannabiskraut von nicht bekannten Dealern;
2.) anlässlich des regelmäßigen Konsums von Cannabiskraut unter anderem mit Christian W*****;
wobei er die Tat ausschließlich zum persönlichen Gebrauch beging.
Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5 und Z 5a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.
Rechtliche Beurteilung
Zur amtswegigen Maßnahme:
Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde überzeugte sich der Oberste Gerichtshof von einer dem Schuldspruch I./ anhaftenden, dem Angeklagten zum Nachteil gereichenden Nichtigkeit gemäß § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO).
Die Erfüllung des objektiven Tatbestands des § 208 Abs 2 StGB erfordert eine unmittelbare gegenwärtige Wahrnehmbarkeit einer geschlechtlichen Handlung durch das unmündige Opfer. Eine „geschlechtliche Handlung“ liegt bei einer nach ihrem äußeren Erscheinungsbild sexualbezogenen Verhaltensweise vor, die sowohl nach ihrer Bedeutung als auch nach ihrer Intensität und Dauer von einiger Erheblichkeit ist (RIS-Justiz RS0078135; Philipp in WK2 StGB § 202 Rz 9 ff; Fabrizy, StGB12 § 202 Rz 3 f). Die geforderte Unmittelbarkeit ist auch dann zu bejahen, wenn das Opfer etwa durch Hilfsmittel oder technische Übertragungsvorgänge in die Lage versetzt wird, das Geschehen wahrzunehmen. Es kommt dabei darauf an, dass das Geschehen „live“ abläuft (Philipp in WK2 StGB § 208 Rz 10/1 iVm Rz 9; Fabrizy, StGB12 § 208 Rz 7; vgl auch Hinterhofer/Rosbaud BT II6 § 208 Rz 8b; EBRV 2319 BlgNR 24. GP 17).
Nach den bezughabenden Feststellungen schickte der Angeklagte L***** S***** zwei für sie sichtbare Bilder seines erigierten Geschlechtsteils über die Anwendung „Snap-Chat“ (US 3). Dazu erwogen die Tatrichter, dass der Angeklagte selbst „die Erektion“ und die Übermittlung zweier Fotos „von seinem steifen Penis“ an L***** S***** zugestanden habe (US 5). Diese Tatsachengrundlage ermöglicht schon mangels Feststellungen zu einer geschlechtlichen Handlung, die bei Übermittlung einer Abbildung eines entblößten Genitals ohne sexualbezogene Selbst- oder Fremdberührung nicht vorliegt, die Subsumtion unter § 208 Abs 2 StGB nicht.
Dieser Rechtsfehler mangels Feststellungen erfordert – wie auch die Generalprokuratur zutreffend ausführt – die Aufhebung des Schuldspruchs I./ schon in nichtöffentlicher Beratung (§ 285e StPO iVm § 290 Abs 1 zweiter Satz StPO). Solcherart erübrigt sich ein Eingehen auf das diesbezügliche Beschwerdevorbringen des Nichtigkeitswerbers.
Zur Nichtigkeitsbeschwerde im Übrigen:
Der Erledigung des undifferenziert auf „§ 281 Abs. 1 Ziff. 5 zweiter, vierter und fünfter Fall und Ziff. 5 lit. a StPO“ gestützten Beschwerdevorbringens ist voranzustellen, dass die Nichtigkeitsgründe des § 281 Abs 1 StPO voneinander wesensmäßig verschieden und daher gesondert auszuführen sind, wobei unter Beibehaltung dieser klaren Trennung deutlich und bestimmt jene Punkte zu bezeichnen sind, durch die sich der Nichtigkeitswerber für beschwert erachtet (RIS-Justiz RS0115902). Werden die angeführten Nichtigkeitsgründe (hier: Z 5 und Z 5a des § 281 Abs 1 StPO) nicht getrennt dargestellt, so gehen jegliche Unklarheiten, die durch diese Art der Rechtsmittelausführung bedingt sein könnten, zu Lasten des Beschwerdeführers (RIS-Justiz RS0100183).
Der Einwand, wonach das Erstgericht in Ansehung der Feststellungen zu Schuldspruch III./ beweiswürdigend auf die Aussagen des Zeugen Christian W***** „in der ON 2“ verwiesen habe, obwohl sich an dieser Stelle im Akt kein Protokoll über eine Vernehmung des Genannten befinde (der Sache nach Z 5 vierter Fall), geht schon daran vorbei, dass die Tatrichter insoweit
– zutreffend – auf S 21 in ON 2 in ON 19 verwiesen (US 8).
Das eine Aktenwidrigkeit (Z 5 fünfter Fall) behauptende Beschwerdevorbringen zu Schuldspruch II./, weil die Staatsanwaltschaft durch die Vernehmung der Zeugen Dr. Josef T***** und Dr. Ines K***** unter Beweis stellen wollte, dass der Angeklagte auch im Rahmen der kontradiktorischen Vernehmung diese Straftat gestanden habe (ON 26 S 12), die Genannten diesen Umstand aber nicht bezeugen konnten (vgl US 7 f), bleibt unverständlich. Liegt doch eine Aktenwidrigkeit im Sinn der Z 5 fünfter Fall des § 281 Abs 1 StPO dann vor, wenn ein Urteil den eine entscheidende Tatsache betreffenden Inhalt einer Aussage oder Urkunde in seinem wesentlichen Teil unrichtig oder unvollständig wiedergibt (RIS-Justiz RS0099431).
Den Schuldspruch II./ gründeten die Tatrichter auf die geständige Verantwortung des Angeklagten vor der Polizei in Zusammenschau mit den Angaben der Zeugin L***** S***** (US 6) und legten eingehend dar, warum sie der Aussage der Zeugin B***** Sh*****, wonach es keinen Geschlechtsverkehr gab, nicht folgten (US 8). Das dagegen gerichtete Vorbringen, es handle sich bei B***** Sh***** um eine „unmittelbare Zeugin“, sodass „dieser natürlich Vortritt zu lassen [sei] vor der mittelbaren Zeugin L***** S*****, welche über den Tathergang keinerlei unmittelbare Wahrnehmungen“ habe, zeigt weder einen Begründungsmangel iSd Z 5 des § 281 Abs 1 StPO auf, noch weckt es erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit des Ausspruchs über entscheidende Tatsachen iSd Z 5a des § 281 Abs 1 StPO. Vielmehr wendet es sich bloß nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht zulässigen Schuldberufung gegen die den Tatrichtern vorbehaltene Beweiswürdigung.
Das Vorbringen zu Schuldspruch II./, die Erwägung, wonach die Aussagen des Angeklagten widersprüchlich gewesen seien (US 6 f), während das Gericht im Rahmen der Hauptverhandlung „noch selbst davon ausgegangen [sei], dass es zwischen Oral- und Geschlechtsverkehr keinen Widerspruch gibt“, sei mit der eigenen Logik des Erstgerichts nicht in Einklang zu bringen, orientiert sich nicht an den Anfechtungskriterien der Z 5 und Z 5a des § 281 Abs 1 StPO.
Gleiches gilt für die Behauptung, es widerspreche „der allgemeinen Logik der Strafgerichte, wonach nämlich den Angaben der Angeklagten eben nicht gefolgt wird“, mit der sich der Beschwerdeführer dagegen wendet, dass die Tatrichter seinen Angaben im Rahmen der polizeilichen Vernehmung, nicht aber seiner Verantwortung im Rahmen der Hauptverhandlung Glauben schenkten (US 6).
Entgegen dem weiteren Beschwerdevorbringen haben die Tatrichter die Angaben der Zeugin B***** Sh***** keineswegs deshalb als Schutzbehauptung zugunsten des Angeklagten gewertet, weil diese eine gynäkologische Untersuchung ablehnte (vgl US 8). Der Einwand, die Begründung des Erstgerichts stehe „auch im Widerspruch zum zeitgemäßen Frauenbild“ lässt einmal mehr die Anfechtungskriterien der Z 5 und Z 5a des § 281 Abs 1 StPO außer Acht.
Soweit sich die Rüge gegen die fehlende Einstellungsumkehr des Angeklagten (US 7) richtet, verfehlt sie schon mangels Bekämpfung einer entscheidenden Tatsache (zum Begriff Ratz, WK-StPO § 281 Rz 399) ihr Ziel.
Der „Zweifelsgrundsatz“ (in dubio pro reo) kann niemals Gegenstand der formellen Nichtigkeitsgründe der Z 5 und Z 5a des § 281 Abs 1 StPO sein (RIS-Justiz RS0102162).
In Ansehung der Schuldsprüche II./ und III./ war die Nichtigkeitsbeschwerde daher – erneut in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bereits in nichtöffentlicher Beratung gemäß § 285d Abs 1 StPO zurückzuweisen.
Aus der Aufhebung des Schuldspruchs I./ folgte die Aufhebung des Strafausspruchs sowie des Beschlusses auf Absehen vom Widerruf einer bedingten Strafnachsicht unter Verlängerung der Probezeit.
Mit seiner Berufung und seiner impliziten Beschwerde sowie mit seinem Vorbringen zu Schuldspruch I./ war der Angeklagte auf die Kassation zu verweisen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.
Textnummer
E122575European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2018:0120OS00071.18K.0823.000Im RIS seit
10.09.2018Zuletzt aktualisiert am
27.07.2021