Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 23. August 2018 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé, Dr. Oshidari, Dr. Michel-Kwapinski und Dr. Brenner in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Wieser als Schriftführerin in der Strafsache gegen Jürgen S***** wegen des Verbrechens der Untreue nach § 153 Abs 1 und Abs 3 zweiter Fall StGB über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen des Angeklagten sowie der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 13. Dezember 2017, GZ 7 Hv 36/17a-140, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen auch jene Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last, die nicht durch die ganz erfolglos gebliebene Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft verursacht wurden.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil, das auch einen in Rechtskraft erwachsenen Freispruch enthält, wurde Jürgen S***** des Verbrechens der Untreue nach § 153 Abs 1 und Abs 3 zweiter Fall StGB schuldig erkannt.
Danach hat er in H***** und an anderen Orten die ihm als handelsrechtlichem Geschäftsführer der R***** GmbH durch Rechtsgeschäft eingeräumte Befugnis, über das Vermögen dieser Gesellschaft „sowie jenes der Objekt A***** GmbH & Co KG, der Objekt B***** GmbH & Co KG und der Objekt P***** GmbH & Co KG“ zu verfügen, wissentlich missbraucht und dadurch „die genannten Gesellschaften“ in einem 300.000 Euro übersteigenden Betrag am Vermögen geschädigt, indem er
1. im September 2010 43.864,72 Euro aus Mitteln der R***** GmbH für beim Bauvorhaben (US 9) der G***** Holding GmbH erbrachte Leistungen der W***** GmbH bezahlte und
2. im November 2010 eine Vereinbarung des Inhalts schloss, Forderungen der R***** GmbH gegen die J***** GesmbH (die während laufender Bauarbeiten von der P***** GmbH übernommen wurde [US 10]) und die P***** GmbH im Ausmaß von rund 521.000 Euro mit Forderungen der beiden Letztgenannten gegenüber der Sch***** GmbH „aufzurechnen“ (US 11 f).
Hingegen wurde Jürgen S***** – soweit hier von Relevanz – gemäß § 259 Z 3 StPO von dem gegen ihn erhobenen Vorwurf freigesprochen, er habe in H***** und an anderen Orten im Zeitraum vom 6. August 2010 bis zum 28. März 2012 das Vermögen der G***** Holding GmbH durch nicht betrieblich veranlasste Investitionen im Zusammenhang mit dem Bau seines privaten Wohnhauses „G*****“ vorsätzlich verringert und dadurch die Befriedigung zumindest einer ihrer Gläubiger, nämlich der St***** in einem Betrag von 502.000 Euro vereitelt.
Gegen den Schuldspruch richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5, Z 8 und Z 9 lit a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, die Staatsanwaltschaft bekämpft den dargestellten Freispruch aus § 281 Abs 1 Z 5 und Z 9 lit a StPO.
Rechtliche Beurteilung
Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten:
Mit dem zu Schuldspruch 2./ erhobenen Vorwurf der Aktenwidrigkeit (Z 5 fünfter Fall) bekämpft der Nichtigkeitswerber zusammengefasst die Feststellungen, wonach eine nach Beginn der Bauarbeiten beim Projekt „R*****“ festgestellte Kontamination des Erdreichs dazu geführt hätte, dass sich der Auftraggeber entschlossen habe, zur Reduktion der unvorhergesehenen Mehrkosten den Keller im Gegensatz zu den ursprünglichen Ausführungsplänen nur halbseitig auszuführen, was zu einer dem Angeklagten und Verantwortlichen der P***** GmbH bekannten Verringerung der von letzterer geleisteten Arbeiten und solcherart des für dieses Bauvorhaben vereinbarten Pauschalpreises von 2.498.000 Euro um einige 100.000 Euro geführt habe (US 9 f). Mit Blick auf die von der Nichtigkeitsbeschwerde unbeanstandet gebliebene Feststellung, wonach der Geschäftsführer der J***** GesmbH (P***** GmbH) nach einer Besprechung mit dem Angeklagten für die Leistung beim Projekt R***** (anstelle des vereinbarten Pauschalpreises von 2.498.000 Euro bloß) die Summe von 1.818.000 Euro abzüglich 5 % Skonto (= 1.727.100 Euro) in Rechnung stellte (US 11 iVm US 9), wendet sich das Vorbringen jedoch nicht gegen entscheidende Tatsachen (vgl RIS-Justiz RS0106268) und verfehlt schon solcherart sein Ziel.
Im Übrigen verkennt der Beschwerdeführer, dass ein Urteil nur dann aktenwidrig im Sinn der Z 5 fünfter Fall ist, wenn es den eine entscheidende Tatsache betreffenden Inhalt einer Aussage oder Urkunde in seinen wesentlichen Teilen unrichtig oder unvollständig wiedergibt (RIS-Justiz RS0099431). Der Vorwurf an die Tatrichter, aus der Urkunde oder Aussage statt der vertretbarer Weise gezogenen Schlüsse nicht andere abgeleitet zu haben, stellt hingegen bloß unzulässige Kritik an deren Beweiswürdigung dar (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 468).
Eine Anklageüberschreitung (Z 8) erblickt der Nichtigkeitswerber darin, dass ihm die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft (ON 31) eine aus den Mitteln der R***** GmbH erfolgte Zahlung von 521.000 Euro für an die Sch***** GmbH erbrachte Leistungen der J***** GesmbH und P***** GmbH (Anklagefaktum I./3./; ON 31 S 1), das Urteil jedoch eine „Aufrechnung“ von 521.000 Euro mit Forderungen der J***** GesmbH und der P***** GmbH gegenüber der Sch***** GmbH anlastet (Schuldspruch 2./, US 2 sowie US 12 f). Davon sei der Angeklagte – entgegen § 262 StPO – überrascht worden.
Ein Urteil ist dann nichtig aus § 281 Abs 1 Z 8 StPO, wenn es die Vorschriften der §§ 262, 263 und 267 StPO überschreitet. Gegenständlich kommt eine Verletzung des § 267 StPO bei Abweichungen tatsächlicher Natur und eine solche des § 262 StPO bei Abweichungen rechtlicher Natur in Frage. Gegenstand des Vergleichs von Anklage und Urteil nach Maßgabe dieser Bestimmungen ist aber nicht die Form, sondern der Inhalt von Anklage einerseits und Urteil andererseits (RIS-Justiz RS0113755 [T24] = 11 Os 49/11g mwN; Ratz, AnwBl 2013, 229). Unter Beachtung dieses Maßstabs unterscheidet sich das Strafurteil weder im Tatsächlichen noch im Rechtlichen von der Anklage, zumal sowohl die Staatsanwaltschaft als auch die Tatrichter davon ausgingen, dass beim Bauvorhaben „R*****“ nach der Inanspruchnahme der Bankgarantie durch die P***** GmbH ausgehend von deren Abrechnung der erbrachten Leistungen zu ihren Lasten und zu Gunsten der R***** GmbH eine Überzahlung von 521.000 Euro vorlag, die im Einvernehmen zwischen dem Angeklagten und einem Verantwortlichen der J***** GesmbH (P***** GmbH) mit den Forderungen der beiden Letztgenannten gegenüber der Sch***** GmbH „gegengerechnet“ wurde (ON 31 S 6; US 11 f).
Indem sich die Rüge nicht an dem in der Anklage inhaltlich zum Ausdruck gebrachten Tatgeschehen orientiert, sondern an dessen bloßer Fehlbezeichnung im Anklagetenor, verfehlt sie den Bezugspunkt des anzustellenden Vergleichs. Die Anpassung der im Anklagetenor gewählten Bezeichnung an den Anklageinhalt berührt die Verteidigungsstrategie des Angeklagten nicht.
Die zu Schuldspruch 2./ Feststellungen zum Schädigungsvorsatz betreffend die R***** GmbH vermissende Rechtsrüge (Z 9 lit a) übergeht die bezughabende (dislozierte) Konstatierung, wonach die Tatausführung im Wissen um die Vermögensschädigung der genannten Gesellschaft in einem 300.000 Euro übersteigenden Ausmaß sowie mit dem darauf bezogenen Willen erfolgte (US 23). Damit verfehlt sie die gesetzmäßige Ausführung (RIS-Justiz RS0099775).
Inwiefern dem Aspekt einer überdies in Kauf genommenen Schädigung weiterer, davon wirtschaftlich betroffener Personen oder Gesellschaften (vgl US 2, 12 f) noch schuld- oder subsumtionsrelevante Bedeutung zukommen sollte, bleibt offen.
Die unter dem Gesichtspunkt der „unrichtigen Rechtsansicht zur Frage des Befugnismissbrauchs gemäß § 153 Abs 2 StGB“ erstatteten Ausführungen entbehren einer Ableitung aus dem Gesetz (insbesondere aus § 76 Abs 2 GmbHG), weshalb dem Angeklagten bereits mit Unterfertigung des Darlehensvertrags vom 17. November 2010 (US 6 und US 26) das Eigentum an sämtlichen Geschäftsanteilen der R***** GmbH zugekommen sei (vgl RIS-Justiz RS0115336) und solcherart dem Eintritt eines Vermögensschadens eines anderen (US 12) entgegenstehen sollte.
Eine Verpfändung (vgl § 76 Abs 3 GmbHG) des Hälfteanteils der N***** Holding GmbH an der R***** GmbH an die K***** GmbH (im Darlehensvertrag vom 17. November 2010) wurde auch vom Beschwerdeführer nicht behauptet.
Dementsprechend vermag die Rechtsrüge auch nicht darzustellen, weshalb dem konkreten Datum der im November 2010 geschlossenen „Kompensationsvereinbarung“ (vgl US 12) essentielle Bedeutung für die Schuld- oder die Subsumtionsfrage zukommen sollte (vgl RIS-Justiz RS0098557).
Weiters behauptet die Beschwerde (zum „Faktum 1./“, inhaltlich aber betreffend den Schuldspruch 2./) „fehlende Feststellungen zu den zivilrechtlichen Grundlagen des Sachverhalts“. Sie lässt jedoch offen, weshalb die getroffenen Urteilsfeststellungen (US 10 ff, US 22 f), wonach der Angeklagte als Geschäftsführer der R***** GmbH, nachdem die P***** GmbH die volle, seitens der R***** GmbH beigebrachte Bankgarantie gezogen hatte, mit dem Geschäftsführer der J***** GesmbH (P***** GmbH) basierend auf dessen für die Leistung beim Projekt R***** in Rechnung gestellte Summe von 1.818.000 Euro abzüglich 5 % Skonto (= 1.727.100 Euro) eine Vereinbarung schloss, dass die von ihm vertretene Gesellschaft in Ansehung ihres (daraus resultierenden) Anspruchs in der Höhe von 521.000 Euro einer „Aufrechnung“ mit unternehmensfremden Forderungen der J***** GesmbH und der P***** GmbH gegenüber der Sch***** GmbH zustimmt, und solcherart die ihm eingeräumte Befugnis, als Geschäftsführer über das Vermögen der R***** GmbH zu verfügen, wissentlich missbrauchte und die genannte Gesellschaft in einem 300.000 Euro übersteigenden Betrag willentlich schädigte, für die vom Erstgericht vorgenommene rechtliche Beurteilung des Geschehens nicht ausreichen sollten (RIS-Justiz RS0119884 [T2]).
Zur Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft:
Die Mängelrüge (Z 5) wendet sich gegen die Konstatierung, wonach nicht festgestellt werden konnte, dass der Angeklagte im Zeitraum zwischen dem 6. August 2010 und dem 28. März 2012 das Vermögen der G***** GmbH durch nicht betrieblich veranlasste Investitionen im Zusammenhang mit dem Bau seines privaten Wohnhauses „G*****“ vorsätzlich verringert und dadurch die Befriedigung zumindest eines ihrer Gläubiger vereitelt habe (US 16 f). Diesbezüglich moniert sie eine unterlassene explizite Auseinandersetzung (Z 5 zweiter Fall) mit diversen, in der Beschwerdeschrift von der Staatsanwaltschaft mit eigenen Erwägungen angeführten Schriftstücken (ON 10 S 147 ff).
Bei der insofern erfolgten Beweiswürdigung haben die Tatrichter (ua) die „vorliegenden Urkunden, insbesondere die zitierten Verträge“ sehr wohl berücksichtigt und die bekämpfte Feststellung auf die Erwägung gegründet, dass erst Jahre nach den inkriminierten (zwischen dem 6. August 2010 und dem 28. März 2012 erfolgten) Handlungen, nämlich im Mai 2015, das Konkursverfahren über das Vermögen der G***** GmbH eröffnet wurde. Mangels konkreter Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte es zumindest ernstlich für möglich hielt und sich damit abfand, dass er durch diese Investitionen Jahre später die Befriedigung zumindest eines der Gläubiger der G***** GmbH vereiteln könnte, sei daher die bezughabende Negativfeststellung zu treffen gewesen (US 25).
Der Vorwurf unterbliebener (gesonderter) Erörterung einzelner Passagen des Antrags der St***** AG auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens vom 16. April 2015 (ON 10 S 147 ff) sowie des Inhalts einer Korrespondenz betreffend den der h***** GmbH gewährten, prolongierten und schließlich im September 2012 von der G***** GmbH übernommenen Kredit (ON 10 S 165 ff) zeigt jedoch keine Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) auf, weil die ins Treffen geführten Urkunden und Schriftsätze zwar Rückschlüsse auf tatsächliche oder rechtliche Umstände, nicht aber auch solche auf das – für den Tatzeitraum nicht als erweislich angenommene – voluntative Element des Vorsatzes (§ 5 Abs 1 StGB; vgl RIS-Justiz RS0089023, RS0088968, RS0088934) zulassen.
Da die Anklagebehörde solcherart keinen Begründungsmangel im Sinn der Z 5 des § 281 Abs 1 StPO hinsichtlich der Negativfeststellungen zur subjektiven Tatseite aufzeigt, bedarf das übrige (aus Z 9 lit a erstattete) Vorbringen, mit welchem weitere Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen gefordert werden, keiner Erörterung mehr (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 607).
Es waren daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – sowohl die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten als auch jene der Staatsanwaltschaft bereits in nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen folgt (§ 285i StPO).
Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO (vgl Lendl, WK-StPO § 390a Rz 8).
Textnummer
E122582European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2018:0120OS00060.18T.0823.000Im RIS seit
10.09.2018Zuletzt aktualisiert am
10.09.2018