TE OGH 2018/8/23 4Ob140/18v

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 23.08.2018
beobachten
merken

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Hon.-Prof. Dr. Brenn, Dr. Rassi und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei „R*****“ ***** Gesellschaft m.b.H. *****, vertreten durch Dr. Franz Gütlbauer und andere Rechtsanwälte in Wels, gegen die beklagte Partei DI J*****, S*****, Deutschland, vertreten durch MMag. Christoph Doppelbauer, Rechtsanwalt in Wels, wegen 28.350 EUR sA und Feststellung (Streitwert 35.000 EUR), über den Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Rekursgericht vom 29. Mai 2018, GZ 6 R 54/18f-21, mit dem der Beschluss des Landesgerichts Wels vom 9. April 2018, GZ 26 Cg 121/17y-17, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

         Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 2.252,61 EUR (darin enthalten 359,66 EUR an 19 % USt) bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Die Klägerin bzw ihre Gesamtrechtsvorgängerin (im Folgenden einheitlich: Klägerin) ist eine Gesellschaft mit Sitz in Österreich. Die Klägerin konstruierte und lieferte Dachbauteile für einen Verbrauchermarkt im oberbayerischen T*****. Sie beauftragte dazu den Beklagten mündlich mit der Erbringung statischer Berechnungen.

Der Beklagte ist in Deutschland ansässig und betreibt dort als beratender Ingenieur ein Büro für Baustatik, Konstruktion und Produkt-Entwicklung. In den Jahren vor dem Auftrag war er bereits ca zehnmal für die Klägerin tätig, um für sie statische Berechnungen durchzuführen. Dabei übermittelte er die Ergebnisse seiner Berechnungen meist per Fax, zum Teil telefonisch. Die klagsgegenständlichen Berechnungen führte der Beklagte in seinem Büro in Deutschland durch und schickte die vierseitige Grafik per Fax an die Klägerin nach Österreich.

Wegen des Einsturzes des Verbrauchermarkts in T***** macht die Klägerin Schadenersatzansprüche gegen den Beklagten geltend, die sie im Wesentlichen damit begründet, dass dieser eine falsche Statik errechnet habe. Die internationale Zuständigkeit des angerufenen Erstgerichts stützt die Klägerin auf Art 7 Nr 1 lit b EuGVVO und brachte dazu vor, dass ihr der Beklagte die Planungsunterlagen per Telefax übermittelt habe.

Der Beklagte wandte ein, dass er die vertragscharakteristische Leistung (Genehmigungsplanung) ausschließlich in Deutschland an seinem damaligen Sitz erbracht habe. Ein davon abweichender Erfüllungsort sei nicht vereinbart worden.

Das Erstgericht wies die Klage wegen internationaler Unzuständigkeit zurück. Es ging davon aus, dass der Beklagte die vertragscharakteristische Leistung (statische Berechnung) in Deutschland erbracht habe. Somit liege der Erfüllungsort der tätigkeitsbezogenen Dienstleistung in Deutschland.

Das Rekursgericht bestätigte die Entscheidung und hob hervor, dass es im Anlassfall auf den Ort der tatsächlichen Leistungserbringung ankomme. Abzustellen sei auf die Leistung in Deutschland, die starke persönliche Elemente der Dienstleistungserbringung aufgewiesen habe. Aus dem Klagsvorbringen ergebe sich nicht, dass vom Auftrag auch eine Montage, eine Inbetriebnahme oder eine Unterweisung umfasst gewesen sei. Das Versenden der Grafik habe nur Annexcharakter.

Das Rekursgericht ließ den ordentlichen Revisionsrekurs wegen fehlender Rechtsprechung zur Frage zu, ob die Übersendung einer Statik oder einer Planungsleistung bei der Bestimmung des Erfüllungsorts nach Art 7 Nr 1 EuGVVO maßgeblich sei.

Dagegen richtet sich der Revisionsrekurs der Klägerin mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss dahin abzuändern, dass die Entscheidung des Erstgerichts aufgehoben und diesem aufgetragen werde, das Verfahren unter Abstandnahme vom Zurückweisungsgrund fortzusetzen.

Der Beklagte beantragt, das Rechtsmittel mangels erheblicher Rechtsfrage zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig, aber nicht berechtigt.

1. Die Klägerin rügt in ihrem Rechtsmittel im Wesentlichen die Verneinung der Voraussetzungen des Art 7 Nr 1 lit b EuGVVO durch die Vorinstanzen und vertritt den Standpunkt, dass der Beklagte die vereinbarte Leistung erst mit dem Eingang der Planunterlagen bei der Klägerin erbracht habe.

2. Die erwähnte Bestimmung ermöglicht eine Klage am Erfüllungsort und lautet wie folgt:

Art 7 EuGVVO

Eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, kann in einem anderen Mitgliedstaat verklagt werden:

1. a) wenn ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag den Gegenstand des Verfahrens bilden, vor dem Gericht des Ortes, an dem die Verpflichtung erfüllt worden ist oder zu erfüllen wäre;

b) im Sinne dieser Vorschrift – und sofern nichts anderes vereinbart worden ist – ist der Erfüllungsort der Verpflichtung

–  für den Verkauf beweglicher Sachen der Ort in einem Mitgliedstaat, an dem sie nach dem Vertrag geliefert worden sind oder hätten geliefert werden müssen;

–  für die Erbringung von Dienstleistungen der Ort in einem Mitgliedstaat, an dem sie nach dem Vertrag erbracht worden sind oder hätten erbracht werden müssen;

c) ist Buchstabe b nicht anwendbar, so gilt Buchstabe a;

[…]

3. Im Anlassfall kommt eine Anwendung des Art 7 Nr 1 lit b zweiter Gedankenstrich EuGVVO in Betracht, weil die planerische Leistung des Beklagten als Dienstleistung im Sinne dieser Bestimmung zu qualifizieren ist. Der Dienstleistungsbegriff ist durch Rückgriff auf das übrige Unionsrecht so auszulegen, dass er alle Verträge erfasst, die eine tätigkeitsbezogene Leistung eines Selbständigen gegen Entgelt oder eine entgeltliche Herbeiführung eines bestimmten faktischen Erfolgs und – in Abgrenzung zum Arbeitsvertrag – nicht nur die schlichte Verrichtung einer Tätigkeit zum Gegenstand haben (RIS-Justiz RS0118508; vgl EuGH C-533/07, Falco Privatstiftung, Rn 29 ff; EuGH C-469/12, Krejci Lager & Umschlagbetriebs GmbH, Rn 26; EuGH C-9/12, Cormann-Collins, Rn 37; Czernich in Czernich/Kodek/Mayr4 Art 7 EuGVVO Rz 68).

Auch die hier vorliegenden Berechnungen fallen unter den Dienstleistungsbegriff der referierten Norm (vgl zu Architektenleistungen 9 Ob 6/17y; Czernich in Czernich/Kodek/Mayr4 Art 7 EuGVVO Rz 71; Wittwer in Mayr, Handbuch des europäischen Zivilverfahrensrechts [2017] Rz 3.277), was von der Rechtsmittelwerberin nicht in Zweifel gezogen wird.

4. Die internationale (und örtliche) Zuständigkeit des angerufenen Gerichts hängt nach Art 7 Nr 1 lit b EuGVVO vom Erfüllungsort der vom Beklagten erbrachten Dienstleistungen ab.

4.1 Der Erfüllungsort bietet nach gesicherter Rechtsprechung für alle Klagen aus demselben Vertrag das maßgebliche Anknüpfungskriterium (EuGH C-386/05, Color Drack, Rn 26; C-204/08, Rehder, Rn 33; C-381/08, Car Trim, Rn 50). Damit kommt es in diesem Bereich zu einer Zuständigkeitskonzentration (9 Ob 6/17y; Wittwer in Mayr Rz 3.283), auch für alle sekundären vertraglichen Ansprüche, wie etwa die hier geltend gemachten Schadenersatzforderungen (RIS-Justiz RS0118364).

4.2 Das Kriterium des Erfüllungsorts ist dabei autonom zu bestimmen (EuGH C-386/05, Color Drack, Rn 24; C-381/08, Car Trim, Rn 49 f; C-204/08, Rehder, Rn 33; C-469/12, Krejci Lager & Umschlagbetriebs GmbH, Rn 22; RIS-Justiz RS0119733, RS0118507; Wittwer in Mayr Rz 3.282).

4.3 Die gebotene Autonomie der Anknüpfungskriterien schließt hier einen Rückgriff auf das internationale Privatrecht des Mitgliedstaats des zuständigen Gerichts sowie auf das materielle Recht, das danach anwendbar wäre, aus (EuGH C-381/08, Car Trim GmbH, Rn 53; Wittwer in Mayr Rz 3.283), sodass auf die wechselseitigen Argumente, ob auf das Vertragsverhältnis das ABGB oder das BGB anzuwenden ist, nicht eingegangen werden muss.

4.4 Nach der Judikatur des EuGH ist die Bestimmung des Erfüllungsorts nach Möglichkeit aus dem Vertrag selbst abzuleiten (EuGH C-19/09, Wood Floor Solutions, Rn 38). Bei einem Dienstleistungsvertrag ist auf der Grundlage dieses Vertrags der Ort zu ermitteln, an dem der Dienstleister seine Tätigkeit hauptsächlich vorzunehmen hatte (EuGH C-19/09, Wood Floor Solutions, Rn 38). Dem liegt zugrunde, dass der vertragliche Erfüllungsort auf die räumliche Nähe abzielt und seinen Grund in der engen Verknüpfung zwischen dem Vertrag und dem zur Entscheidung berufenen Gericht hat (EuGH C-204/08, Reheder, Rn 32; C-386/05, Color Drack, Rn 22; C-381/08, Car Trim GmbH, Rn 48). Entscheidend ist die diesbezügliche Vereinbarung zwischen den Parteien (6 Ob 147/08p; RIS-Justiz RS0118507 [T4]; RS0118365 [T1]; Leible in Rauscher EuZPR/EuIPR I4 Art 7 Brüssel Ia-VO Rz 75; Wittwer in Mayr Rz 3.284 [„Primat der Erfüllungsortvereinbarung“]).

4.5 Eine solche Vereinbarung liegt nicht vor. Insoweit die Revisionsrekurswerberin von einer Vereinbarung dahin ausgeht, dass der Beklagte die Statikberechnungen und Planungen am Sitz der Klägerin (also in Österreich) hätte durchführen müssen, weicht sie vom festgestellten Sachverhalt ab (RIS-Justiz RS0043312).

4.6 Im Anlassfall wurde weder eine ausdrückliche Erfüllungsortvereinbarung getroffen, noch lässt sich der Erfüllungsort aus tatsächlichen Kriterien aus dem Vertrag bestimmen. Es kommt daher auf den Ort der überwiegenden tatsächlichen Leistungserbringung an (6 Ob 148/04i; 6 Ob 63/08w). Bei der dabei zu erfolgenden Prüfung des Erfüllungsorts ist auf die charakteristische Leistung abzustellen (EuGH C-19/09, Wood Floor Solutions, Rn 34; 1 Ob 146/09s; 9 Ob 6/17y).

4.7 Die charakteristische Leistung wurde im Anlassfall in Deutschland erbracht.

4.7.1 In der Entscheidung 9 Ob 6/17y, der die Dienstleistungen des klagenden österreichischen Architekten für ein Bauvorhaben in der Schweiz und dessen überwiegendes Handeln dort (va Bauaufsicht) zugrundelagen, sah der Oberste Gerichtshof in der Zurückweisung der in Österreich gegen die Schweizer Auftraggeberin eingebrachten Klage keine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung. Das Vorbringen des Klägers, seine zeichnerischen und planerischen Leistungen in Österreich seien überwiegend und daher für die Zuständigkeit maßgeblich, sei insofern unsubstantiiert geblieben, als ein zeitliches Überwiegen dieser Leistungen (in Österreich) nicht behauptet worden sei. Aus dieser Entscheidung lässt sich ableiten, dass für den Erfüllungsort von Dienstleistungen im Zusammenhang mit der Errichtung eines Gebäudes grundsätzlich auf den Ort abzustellen ist, an dem der Dienstleister (überwiegend) tätig war.

Entsprechendes ergibt sich für Anwaltsleistungen aus der Entscheidung 4 Ob 218/06x, der eine Honorarklage von Rechtsanwälten zugrundelag. Als Erfüllungsort (Anknüpfungspunkt für die Zuständigkeit) wurde dabei der Kanzleisitz erfolgreich in Anspruch genommen (zustimmend Czernich in Czernich/Kodek/Mayr4 Art 7 EuGVVO Rz 77, vgl auch BGH IX ZR 15/05 Rn 26 [„Wird ein Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung eines Mandats beauftragt, ist im Grundsatz davon auszugehen, dass er die hierdurch erforderlich werdende Tätigkeit vom Sitz seiner Kanzlei aus erbringt]).

Zu einem Vertrag über die Vermittlung von Charterverträgen zwischen Reiseveranstaltern stellte der Oberste Gerichtshof auf den Ort der Tätigkeit des Vermittlers (Dienstleisters) ab und sprach aus, dass jener Ort, wo die Dienstleistung Erfolge zeitigen solle, grundsätzlich zuständigkeitsrechtlich unerheblich ist (6 Ob 148/04i; Schlosser EuZPR4 Art 7 EuGVVO Rz 10b).

Die Vorinstanzen sind von den referierten Grundsätzen nicht abgewichen.

4.7.2 Allerdings vertreten Teile des Schrifttums, dass es bei Planungsleistung für ein Bauwerk auf den Ort ankommen soll, an dem das Bauwerk ausgeführt wird (Auer in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr, Art 5 EuGVVO Rz 71; Dörner in Saenger, ZPO7, Art 7 EuGVVO Rz 23; Simotta in Fasching/Konecny² Art 5 EuGVVO Rz 203; Wagner in Stein/Jonas22 Art 5 EuGVVO Rz 63). Aus der bisherigen Judikatur des EuGH lässt sich diese Rechtsansicht nicht ableiten.

Eine Klärung dieser Frage ist hier aber schon deshalb entbehrlich, weil im Anlassfall sowohl die statischen Berechnungen als auch die Ausführung des Daches (zur Gänze) in Deutschland erfolgt sind. Damit erweist sich die Entscheidung jedenfalls als richtig.

4.8 Die Vorinstanzen haben die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts zu Recht verneint, weil die charakteristischen Leistungen nicht in Österreich erbracht wurden.

4.8.1 Demgegenüber ist das Argument der Klägerin, die Beklagte habe die Urkunden über die statischen Berechnungen und Planungen nach Österreich geliefert, nicht geeignet, einen solchen Erfüllungsort in Österreich zu begründen. Nach dem klaren Wortlaut des Art 7 Nr 1 lit b zweiter Gedankenstrich EuGVVO ist nämlich auf die Erbringung der Dienstleistung (Leible in Rauscher EuZPR/EuIPR I4 Art 7 Brüssel Ia-VO Rz 73) und nicht auf die Lieferung (ihres Ergebnisses) abzustellen. Zutreffend sind die Vorinstanzen davon ausgegangen, dass für die Bestimmung des zu ermittelnden Ortes, an dem der Dienstleister die charakteristische Tätigkeit vorzunehmen hatte, die Übermittlung der Berechnungen nur eine untergeordnete Bedeutung hat.

4.8.2 In diesem Zusammenhang erweist sich die Bezugnahme auf die Entscheidung 5 Ob 4/07k als nicht einschlägig, weil dieser Entscheidung ein Warenlieferungsvertrag zugrundelag, bei die dem Art 7 Nr 7 lit b erster Gedankenstrich EuGVVO entsprechende Vorgängerbestimmung zu prüfen war.

5. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 50, 41 ZPO.

Textnummer

E122588

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2018:0040OB00140.18V.0823.000

Im RIS seit

11.09.2018

Zuletzt aktualisiert am

09.10.2019
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten