TE Bvwg Beschluss 2018/6/26 W168 2196852-1

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Veröffentlicht am 26.06.2018
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Entscheidungsdatum

26.06.2018

Norm

AsylG 2005 §5
BFA-VG §21 Abs3
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W168 2196852 -1/4E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. MACALKA über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 24.04.2018, Zl. 1173339409 / 171262868 -EAST Ost beschlossen:

A)

Der Beschwerde wird gemäß § 21 Abs. 3 BFA - VG idF BGBl. I Nr. 24/2016 stattgegeben und der bekämpfte Bescheid wird behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (BF) stellte nach unberechtigter Einreise in das Bundesgebiet am 09.11.2017 gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

Betreffend den Beschwerdeführer konnte ein EURODAC-Treffer der Kategorie 1 (Asylantragstellung) vom 17.08.2017 für Ungarn nachgewiesen werden.

Im Verlauf der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes vom brachte der Beschwerdeführer vor über den Iran, die Türkei, Bulgarien, Serbien nach Ungarn gelangt zu sein, von wo aus er weiter nach Österreich gelangt sei. Ihm hätte es in keinem der durchreisten Länder gefallen. Die Leute wären nicht nett gewesen und das Essen wäre nicht gut gewesen. Das Camp hätte ihm nicht gefallen. Er hätte sich in Ungarn für rund 1 Monat in einem offenen, bzw. 1 Monat in einem geschlossenen Camp aufgehalten. Er wolle in keines der durchreisten Länder zurück. Er wolle in Österreich bleiben. Es wäre ein besserer Ort, als der von dem er gekommen wäre.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: "BFA") leitete mit Ungarn Dublin-Konsultationen ein und stellte ein auf Art. 18 Abs. 1 lit. b Dublin III-VO gestütztes Wiederaufnahmegesuch an Ungarn.

Mit Schreiben vom 03.04.2018 langte die Antwort der ungarischen Dublin Behörden ein in der mitgeteilt wurde, dass dem BF mit Datum 14.09.2017 subsidiärer Schutz in Ungarn zuerkannt worden sei.

Am 08.03.2018 erfolgte die niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem BFA im Beisein eines Rechtsberaters nach durchgeführter Rechtsberatung. Der Beschwerdeführer gab im Wesentlichen zusammengefasst an, dass er Medikamente gegen Herzprobleme, bzw. aufgrund von psychischen Problemen nehme. Befragt zur aufgrund der erfolgten Antwort Ungarns angenommenen Zuständigkeit dieses Staates, führte der BF aus, dass er dort 20 Euro im Monat, sowie auch etwa zu essen und Bekleidung erhalten habe. Auch hätte er eine Unterkunft erhalten. Er wisse nicht in welcher Stadt er untergebracht worden wäre. Er hätte sich einen Monat in einem geschlossenen Lager, bzw. zwei Monate in einem offenen Flüchtlingslager aufgehalten. Seine psychischen Probleme hätte er in Serbien bekommen. In Serbien hätte er keine medizinische Behandlung erhalten, auch in Ungarn nicht. Erst in Österreich hätte er diesbezügliche Tabletten erhalten. Nach dem Stadium seines Asylverfahrens in Ungarn befragt führte der BF aus, der er in Ungarn einen Asylantrag gestellt habe, der positiv beantwortet worden wäre. Befragt zu den Gründen nach dem Verlassens Ungarns, führte der BF aus, dass die Menschen dort nicht nett gewesen wären. Die Polizei hätte ihn sehr schlecht behandelt. Das Essen wäre nicht gut gewesen, bzw. wäre das Geld auch wenig gewesen. Aus diesem Grund wäre er selbständig weiter nach Österreich gegangen. Weiter zu Ungarn befragt führte der BF aus, dass es ihm dort nicht gefallen hätte, weil die Zustände nicht gut gewesen wären, bzw. er dort keine medizinische Behandlung erhalten hätte. gab der Beschwerdeführer an, er wisse es nicht, er habe keinen Bescheid erhalten. Er wäre krank und hätte dort keine Behandlung erhalten können. Auch hätte er dort nur einen Kurs für kleine Kinder besuchen können. Sonst hätte es keine Möglichkeit gegeben etwas zu lernen. Er könne dort nicht leben, bzw. würde es dort keine medizinische Behandlung geben. Sonstige Ausführungen zu Ungarn wurden nicht erstattet.

2. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde unter Spruchpunkt I. der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 4a AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass sich der Beschwerdeführer nach Ungarn zurückzubegeben habe. In Spruchpunkt II. wurde dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt sowie gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 in Verbindung mit § 9 BFA-VG die Außerlandesbringung nach § 61 Abs. 1 FPG angeordnet und festgestellt, dass demzufolge die Abschiebung nach Ungarn gemäß § 61 Abs. 2 FPG zulässig ist.

Zur Lage in Ungarn wurden Länder -bzw. Sachverhaltsfeststellungen getroffen, die auf Länderinformationen aus den Jahren 2015 bzw. 2016 stammen.

So wurde etwa zum Thema Schutzberechtigte ausgeführt:

"Schutzberechtigte: Im März 2016 wurde ein Paket von Änderungen zum ungarischen Asylgesetz präsentiert, dessen Ziel es war, Verschärfungen bei der Versorgung von AW und Schutzberechtigten durchzusetzen. Zentraler Punkt ist dabei der Aspekt, dass Schutzberechtigte zwar ein Recht auf dieselben sozialen Leistungen haben sollen, wie ungarische Staatsbürger, jedoch darüber hinaus nicht bessergestellt werden sollen. Demgemäß sollen weder Asylwerber noch Inhaber eines Schutzstatus ein Recht auf jedwede Art von Barzuschüssen haben. Die Änderungen traten am 1.4.2016 in Kraft und sind ab 1.6.2016 umzusetzen. Relevante Punkte der sogenannten "Integration Care" sind die Abschaffung des Integrationsvertrages (d.h. keine Mehrzahlungen für Integration, Spracherwerb etc.) und Einführung automatischer Kontrolle des Schutzstatus (subsidiärer wie auch internationaler Schutz (Fortbestehen der Asylgründe und Überprüfung von Integrationsfortschritten) alle 3 Jahre. Bedürftige Schutzberechtigte dürfen 30 Tage nach Statuszuerkennung im Aufnahmezentrum bleiben (bisher 60 Tage). Nicht sozialversicherte Schutzberechtigte sollen hinkünftig für 6 Monate das Recht auf medizinische Versorgung haben (bisher 12 Monate). Wohnkostenzuschuss und Ausbildungszuschuss für Schutzberechtigte werden gestrichen, ebenso Streichung der finanziellen Unterstützung für Geduldete. Die ungarische Regierung sieht dies lediglich als Anpassung an Regelungen, wie sie in Westeuropa bereits gelten. In Ungarn gibt es diverse NGOs, Sozialzentren etc., die kostenlos Leistungen anbieten (z.B. Sprachkurse), aber es besteht auf solche Unterstützung kein Rechtsanspruch (VB 11.3.2016; VB 4.4.2016; vgl. FRA 6.2016; HHC 15.6.2016).

Geduldete können in der Gemeinschaftsunterkunft Balassagyarmat untergebracht werden (AIDA 11.2015).

Quellen: - AIDA - Asylum Information Database of the European Council on Refugees and Exiles, Forum Refugiés-Cosi, the Hungarian Helsinki Committee and the Irish Refugee Council (11.2015): National Country Report Hungary,

http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_hu_update.iv__0.pdf, Zugriff 30.6.2016 - FRA - European Union Agency for Fundamental Rights (6.2016): Monthly data collection on the current migration situation in the EU. June 2016 monthly report, http://fra.europa.eu/sites/default/files/fra_uploads/fra-june-2016monthly-migration-gender-based-violence_en.pdf, Zugriff 30.6.2016 - HHC - Hungarian Helsinki Committee (15.6.2016):

Hungary: Recent legal amendments further destroy access to protection, April-June 2016,

http://www.helsinki.hu/wp-content/uploads/HHC-Hungary-asylum-legal-amendmentsApr-June-2016.pdf, Zugriff 30.6.2016 - VB des BM.I in Ungarn (11.3.2016): Auskunft des BAH, per E-Mail - VB des BM.I in Ungarn (4.4.2016): Auskunft des VB, per E-Mail"

Zu Spruchpunkt I wurde nach Wiedergabe der anzuwendenden Rechtsvorschriften ausgeführt, dass der Beschwerdeführer in Ungarn subsidiär schutzberechtigt sei. Aus den Angaben des Beschwerdeführers seien keine stichhaltigen Gründe für die Annahme glaubhaft gemacht worden, dass er tatsächlich konkret Gefahr liefe, in Ungarn Folter oder unmenschlicher Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden oder dass ihm eine Verletzung seiner durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte dadurch drohen könne. Ungarn hätte ausdrücklich erklärt dem Beschwerdeführer in Ungarn subsidiären Schutz zuerkannt zu haben. Ein schützenswertes Familienleben in Österreich würde nicht vorliegen, bzw. wären keine schweren bzw. lebensbedrohlichen Erkrankungen vorgebracht worden die eine Überstellung der beschwerdeführenden Partei als unzulässig erscheinen lassen würden.

3. Gegen den vorzitierten Bescheid betreffend den minderjährigen Beschwerdeführer richtete die ARGE als gesetzliche Vertreterin die fristgerecht eingebrachte Beschwerde, in welcher im Wesentlichen ausgeführt wurde, dass der Beschwerdeführer minderjährig sei. Er gehöre damit einer besonders vulnerablen Personengruppe an. Insbesondere wäre bei der Heranziehung von Länderinformationen die Minderjährigkeit des BF zu berücksichtigen gewesen. Die von der Behörde übermittelten Länderinformationen würden sich kaum auf Minderjährige Schutzberechtigte in Ungarn beziehen. Vielmehr würden sie allgemein gehaltene Informationen zum Asylwesen in Ungarn enthalten und nur vereinzelt Bezug auf Minderjährige nehmen. Aus diesen Unterlagen würde sich nicht ergeben ob die Behandlung Minderjähriger in Ungarn dem Kindeswohl entsprechend ausgestaltet ist, bzw. maßgebliche Kindesinteressen dort erfüllt würden. Dieserart Informationen würden sich insgesamt nicht aus den vorliegenden Länderinformationen ergeben. Wenn auch festgehalten würde, dass Minderjährige nicht in Haft genommen würden, so würden aktuelle Berichte etwa von AI etwa aus März 2018 ein anderes Bild ergeben, bzw. darlegen, dass Minderjährige etwa in Transitzonen festgenommen würden. Weites würden die Berichte zwar enthalten, dass Minderjährige in Ungarn zwar in Kinderheimen untergebracht werden würden, nicht jedoch wäre dargelegt worden, wie sich die Situation in diesen Kinderheimen darstellen würde, bzw. ob diese adäquate Unterbringen seien, die dem Kindeswohl entsprechen würden. Auch würden Personen mit Schutzstatus kein Recht auf jedwede Art von Barzuschüssen haben. Diese dürften nur für 30 Tage nach Schutzzuerkennung in einem Lager bleiben und wären danach obdachlos ohne Wohnkostenzuschuss und Ausbildungszuschuss. Nur für 6 Monate hätten diese Personen Zugang zu medizinischer Versorgung und wären danach auf sich alleine gestellt. Auf einen Artikel von Pro Asyl aus dem Jahre 2010 wäre zu verweisen. Auch würde bei dem BF gegenwärtig eine depressive Episode vorliegen. Dieser wäre auf Medikamente wie Seroquel und Fluoexetin angewiesen und müsse diese Medikamente täglich einnehmen. Die Behörde hätte hierzu keinerlei Feststellungen getroffen. Es können nicht davon ausgegangen werden, dass der BF Zugang zu diesen notwendigen Medikamenten bzw. zu Therapien auch in Ungarn hätte. Die Einholung einer individuellen Zusicherung wäre verabsäumt worden und die Behörde hätte das Verfahren hierdurch mit einem schweren Mangel des Ermittlungsverfahrens, bzw. mit mangelhafter Beweiswürdigung belastet. Die Behörde hätte zudem eine unrichtige rechtliche Beurteilung vorgenommen indem sie vermeint habe, eine Überstellung des BF nach Ungarn verletze nicht Art. 4 und Art. 4 GRC. Bei Einer Abschiebung nach Ungarn wäre jedoch davon auszugehen, dass der BF einer unmenschlichen bzw. erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wäre. Aus diesem Grund würden die Anträge auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung, auf Stattgabe der Beschwerde und auf gänzliche Behebung des angefochtenen Bescheides, auf Zulassung des Verfahrens, auf Feststellung der Unzulässigkeit der Außerlandesbringung auf Dauer, bzw. auf Zurückverweisung des Verfahrens zur Verbesserung an die erste Instanz, bzw. in eventu auf Stattgabe einer ordentlichen Revision gestellt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der minderjährige Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Afghanistan, gelangte aus Ungarn kommend unberechtigt in das österreichische Bundesgebiet und stellte am 09.11.2017 gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: "BFA") leitete aufgrund des Vorliegens eines Kategorie 1 Treffers von Ungarn begründet mit Ungarn Dublin-Konsultationen gem. Art. 18 Abs. 1 lit. b Dublin III-VO ein.

Die ungarische Dublin Behörde teilte darauf mit, dass dem Beschwerdeführer in Ungarn bereits der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden ist.

Die Sachverhaltsfeststellungen im angefochtenen Bescheid zur Lage in Ungarn befinden sich auf dem Stand vom 30.06.2016, zuletzt aktualisiert am 14.12.2016.

Ausreichende bzw. ausreichend aktuelle Feststellungen den Gesundheitszustand des Minderjährigen BF und dessen möglichen Zugang zu allenfalls erforderlichen medizinischen Leistungen in Ungarn betreffend wurden im gegenständlichen Bescheid nicht getroffen.

Der gegenständliche Bescheid enthält ebenso keine ausreichenden bzw. keine ausreichend aktuellen Feststellungen hinsichtlich des Zuganges von Minderjährigen denen subsidiärer Schutz in Ungarn gewährt wurde zu den für sie erforderlichen allgemeinen Versorgungsleistungen.

2. Beweiswürdigung:

Die festgestellten Tatsachen ergeben sich aus dem gegenständlichen Verwaltungsakt. Insbesondere aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers im Zusammenhalt mit den Auskünften der ungarischen Dublin Behörde, den Ausführungen im angefochtenen Bescheid und der Beschwerde.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Stattgebung der Beschwerde:

3.1. Die maßgeblichen Bestimmungen des Asylgesetzes 2005 (AsylG 2005) lauten:

"§ 4a Ein Antrag auf internationalen Schutz ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn dem Fremden in einem anderen EWR-Staat oder der Schweiz der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde und er dort Schutz vor Verfolgung gefunden hat. Mit der Zurückweisungsentscheidung ist auch festzustellen, in welchen Staat sich der Fremde zurück zu begeben hat. § 4 Abs. 5 gilt sinngemäß. ...

§ 4 (5) Kann ein Drittstaatsangehöriger, dessen Antrag auf internationalen Schutz gemäß Abs. 1 als unzulässig zurückgewiesen wurde, aus faktischen Gründen, die nicht in seinem Verhalten begründet sind, nicht binnen drei Monaten nach Durchsetzbarkeit der Entscheidung zurückgeschoben oder abgeschoben werden, tritt die Entscheidung außer Kraft.

Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme

§ 10. (1) Eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz ist mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn

1. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4 oder 4a zurückgewiesen wird, [...]

und in den Fällen der Z 1 und 3 bis 5 von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt wird.

(2) Wird einem Fremden, der sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG fällt, von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt, ist diese Entscheidung mit einer Rückkehrentscheidung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden. (3) Wird der Antrag eines Drittstaatsangehörigen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 abgewiesen, so ist diese Entscheidung mit einer Rückkehrentscheidung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden. Wird ein solcher Antrag zurückgewiesen, gilt dies nur insoweit, als dass kein Fall des § 58 Abs. 9 Z 1 bis 3 vorliegt. ...

§ 57 (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zu erteilen: 1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht, 2. zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder 3. wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden

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können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zum Schutz

vor weiterer Gewalt erforderlich ist. ... § 58 (1) Das Bundesamt hat

die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 von Amts wegen zu prüfen, wenn 1. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4 oder 4a zurückgewiesen wird, ..."

§ 9 Abs. 1 und 2 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) lautet:

"§ 9 (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen: 1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war, 2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, 3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, 4. der Grad der Integration, 5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden, 6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts, 8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, 9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist."

§ 21 Abs. 3 BFA-VG lautet:

"(3) Ist der Beschwerde gegen die Entscheidung des Bundesamtes im Zulassungsverfahren stattzugeben, ist das Verfahren zugelassen. Der Beschwerde gegen die Entscheidung im Zulassungsverfahren ist auch stattzugeben, wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint."

§ 61 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) lautet: "§ 61 (1) Das Bundesamt hat gegen einen Drittstaatsangehörigen eine Außerlandesbringung anzuordnen, wenn 1. dessen Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4a oder 5 AsylG 2005 zurückgewiesen wird oder nach jeder weiteren, einer zurückweisenden Entscheidung gemäß §§ 4a oder 5 AsylG 2005 folgenden, zurückweisenden Entscheidung gemäß § 68 Abs. 1

AVG oder 2. ... (2) Eine Anordnung zur Außerlandesbringung hat zur

Folge, dass eine Abschiebung des Drittstaatsangehörigen in den Zielstaat zulässig ist. Die Anordnung bleibt binnen 18 Monaten ab Ausreise des Drittstaatsangehörigen aufrecht. (3) Wenn die Durchführung der Anordnung zur Außerlandesbringung aus Gründen, die in der Person des Drittstaatsangehörigen liegen, eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde und diese nicht von Dauer sind, ist die Durchführung für die notwendige Zeit aufzuschieben. (4) Die Anordnung zur Außerlandesbringung tritt außer Kraft, wenn das Asylverfahren gemäß § 28 AsylG 2005 zugelassen wird."

3.2. Vor dem Hintergrund der getroffenen Feststellungen, wonach der Beschwerdeführer in Ungarn aufgrund einer dort erfolgten Asylantragsstellung bereits subsidiären Schutz genießt und somit in Ungarn Schutz vor Verfolgung gefunden hat, ging das BFA zunächst zu Recht davon aus, dass aus diesem Grund der der nunmehr in Österreich gestellte Antrag auf internationalen Schutz im Lichte des § 4a AsylG auf eine Zurückweisung wegen Unzuständigkeit Österreich zu untersuchen sei.

3.3. Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (z. B. VfGH 17.06.2005, B 336/05; 15.10.2004, G 237/03) und des Verwaltungsgerichtshofes (z. B. VwGH 23.01.2007, 2006/01/0949; 25.04.2006, 2006/19/0673; 08.09.2015, Ra 2015/18/0113-0120) ist im Zuständigkeitsverfahren nämlich aus innerstaatlichen verfassungsrechtlichen Gründen das Selbsteintrittsrecht zwingend auszuüben, sollte die innerstaatliche Überprüfung der Auswirkungen einer Überstellung ergeben, dass Grundrechte des betreffenden Asylwerbers bedroht wären. Erforderlich ist in diesem Zusammenhang eine prognostische Beurteilung der Verhältnisse im Aufnahmestaat, die auf der Grundlage einer Gesamtbeurteilung der aktuellen Berichtslage unter Bedachtnahme auf die individuelle Lage des betroffenen Beschwerdeführers zu erfolgen hat.

Im vorliegenden Fall kann jedoch die allfällige Verpflichtung der Republik Österreich zur Ausübung des Selbsteintrittsrechtes noch nicht abschließend beurteilt werden. Denn nach Ansicht des Verfassungsgerichtshofes stellen die am 28.03.2017 in Kraft getretenen Änderungen im ungarischen Asylsystem eine wesentliche Veränderung der Sachlage dar, wobei der Verfassungsgerichtshof hauptsächlich die angeblich nunmehr vorgesehene Anhaltung der Asylwerber in geschlossenen Lagern zwecks faktischer Verhinderung der illegalen Weiterreise bemängelt (VfGH 14.06.2017, E 1486/2017).

Der Beschwerdeführer hat im gegenständlichen Verfahren ausgeführt, dass dieser einen Monat in einem geschlossenen Lager angehalten worden sei, die Verpflegung schlecht gewesen und er als Minderjähriger keine altersadäquate Betreuung bzw. auch keine medizinische Betreuung erhalten habe.

Wie festgestellt entsprechen die behördlichen Feststellungen zur Lage in Ungarn dem Stand vom 30.06.2016, zuletzt aktualisiert am 14.12.2016. Daraus ergibt sich, dass die vom Verfassungsgerichtshof georteten wesentlichen Veränderungen der Sachlage in Ungarn von der Behörde bisher in keiner Weise berücksichtigt wurden. Auch wenn sich die zitierte

Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes fallbezogen vorrangig auf die Lage von noch im Asylverfahren befindlichen Personen (Asylwerbern) bezieht, ist vor dem Hintergrund der von der Behörde im Beschwerdefall zugrunde gelegten, veralteten Länderfeststellungen nicht erkennbar, wie sich aktuell konkret die Lage von subsidiär Schutzberechtigten, insbesondere auch minderjährigen Schutzberechtigten, in Ungarn darstellt, bzw. ob sich auch für diese Personen entscheidungswesentliche Verschlechterungen ergeben haben. Dies ist im gegenständlichen Fall insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass es sich bei dem Beschwerdeführer um eine minderjährige Person handelt die zudem in medizinischer Behandlung steht zweifellos entscheidungswesentlich.

Zwar verweist die Behörde in diesem Zusammenhang darauf, dass im März 2016 ein Paket von Änderungen zum ungarischen Asylgesetz präsentiert worden sei, dessen Ziel Verschärfungen bei der Versorgung unter anderem von Schutzberechtigten betroffen habe. Die Änderungen sind nach diesen Ausführungen am 01.04.2016 in Kraft getreten und ab 01.06.2016 umzusetzen. Obwohl seit diesen Änderungen nunmehr rund zwei Jahre vergangen sind, findet sich in den behördlichen Feststellungen keine Darstellung der Auswirkungen dieser Neuerungen auf die betroffene Person, geschweige denn eine solche über die angesprochenen - offenbar danach erfolgten - Änderungen vom März 2017.

Das BFA als Spezialbehörde in Asyl- und Fremdenangelegenheiten hat seine Entscheidungen auf aktuelle Länderinformationen zu stützen, die eine umfassende und objektive Einschätzung der gegenwärtigen rechtlichen als auch faktischen Lage im betreffenden Staat bieten. Nur sich auf solche aktuellen Länderfeststellungen stützend können entsprechend valide Feststellungen betreffend das Vorliegen einer möglicherweise relevanten Gefährdung getroffen werden. Entsprechende Aktualisierungen der diesbezüglichen Länderinformationen hat das BFA selbständig in regelmäßigen Abständen vorzunehmen. Länderberichte, insbesondere betreffend die Situation in einem EU Nachbarstaat von Österreich, können leicht ermittelt werden und haben unmittelbar in aktualisierte Länderberichte einzufließen und diese sind zur rechtlichen Beurteilung der Situation durch das BFA heranzuziehen.

In der gegenständlichen Beschwerde wurde damit zu Recht moniert, dass sich das BFA im nunmehr angefochtenen Bescheid nicht mit dem Vorbringen des minderjährigen Beschwerdeführers auf Grundlage aktueller Länderberichte auseinandergesetzt hat. In der Beschwerde wurde zudem darauf verwiesen, dass der Beschwerdeführer als minderjährige Person besonders vulnerabel ist und es wurde ausgeführt, der Grundsatz des Kindeswohls, welcher fest im Unionsrecht verankert ist, sei im Sinne einer Interessensabwägung über dem öffentlichen Interesse der Raschheit der Durchführung der Ausweisung zu stellen.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wird sich daher im fortgesetzten Verfahren auf Grundlage zeitnaher Berichte mit der aktuellen Lage insbesondere betreffend der Versorgungs- und Unterbringungssituation (auch) von subsidiär Schutzberechtigten, bzw. in casu insbesondere relevant auch von Minderjährigen die in Ungarn schutzberechtigt sind auseinanderzusetzen haben. Erst auf Grundlage dieser aktualisierten Informationen kann das BFA die Frage klären, ob im betreffenden Staat aktuell für minderjährige Personen bzw. konkret für den minderjährigen Beschwerdeführer eine Situation vorherrscht, die einen Selbsteintritt Österreichs zur Vermeidung einer Grundrechtsverletzung nach Art. 3 EMRK (bzw. Art. 4 GRC) geboten erscheinen lässt.

Auch wird sich das BFA Im fortgesetzten Verfahren umfassender mit der vorgebrachten Erkrankung des BF auseinanderzusetzen haben, entsprechende Abklärungen hinsichtlich einer allenfalls weiterhin erforderlichen Medikation vorzunehmen haben, bzw. diesbezüglich auf Basis aktualisierter Länderfeststellungen abzuklären haben, ob der minderjährigen BF in Ungarn (weiterhin) Zugang zu erforderlichen medizinischen Versorgungsleistungen erhält.

Das Ergebnis dieser Abklärungen wird in Folge dem Beschwerdeführer zu Kenntnis zu bringen und mit diesem im Zuge einer weiteren Einvernahme umfassend zu erörtern sein.

Erst auf Basis solcherart aktualisierter Länderinformationen bzw. auf diese ergänzenden Abklärungen aufbauend kann eine abschließende rechtliche Beurteilung des konkreten Einzelfalles durch das BFA, bzw. durch das BVwG im Beschwerdefall vorgenommen werden.

Wie dargelegt wurde im gegenständlichen Fall der entscheidungsrelevante Sachverhalt nicht ausreichend ermittelt, weshalb gem. §21 Abs. 3 BFA-VG 2. Satz zwingend vorzugehen war.

Eine mündliche Verhandlung konnte gemäß § 21 Abs. 6a BFA-VG unterbleiben.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen. Nach Art. 133 Abs. 4 erster Satz B-VG idF BGBl. I Nr. 51/2012 ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Im vorliegenden Fall ist die ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung abhängt. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung, Ermittlungspflicht, gesundheitliche
Beeinträchtigung, Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung,
Minderjährige

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:W168.2196852.1.01

Zuletzt aktualisiert am

07.09.2018
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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