TE Vwgh Erkenntnis 1999/12/16 98/20/0373

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Veröffentlicht am 16.12.1999
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §7;
AVG §67d;
EGVG Art2 Abs2 D Z43a idF 1998/I/028;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Puck und die Hofräte Dr. Baur und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hohenecker, über die Beschwerde der am 11. Mai 1955 geborenen BB in Wien, vertreten durch Dr. Oliver Jungnickel, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Mahlerstraße 13, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 3. Juni 1998, Zl. 203.017/0-VIII/24/98, betreffend Asylgewährung (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund (Bundeskanzleramt) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin, eine irakische Staatsangehörige, reiste am 14. Februar 1998 unter Umgehung der Grenzkontrolle in das Bundesgebiet ein und stellte am 26. Februar 1998 einen Antrag auf Gewährung von Asyl. Bei ihrer niederschriftlichen Vernehmung vor dem Bundesasylamt gab sie im Wesentlichen zu ihren Fluchtgründen an, ihr Vater habe eine Fabrik für Sesampaste in Ninewe betrieben, bei der auch sie mitgearbeitet habe. Anfang Jänner 1998 seien zwei Männer in Zivil zu ihrem Vater in die Fabrik gekommen und hätten eine große Menge Sesampaste verlangt, ohne diese bezahlen zu wollen. Ihr Vater habe dies abgelehnt, worauf die Männer aufgebracht weggegangen seien. Ca. 15 Tage später seien sie wieder gekommen und hätten ihren Vater mitgenommen. Er sei in der Folge sieben bis acht Tage verschwunden und erst nach Entrichtung eines Geldbetrages freigelassen worden. Wo ihr Vater in diesem Zeitraum festgehalten worden sei und wie viel ihre Mutter für seine Freilassung bezahlt habe, wisse sie nicht. Zirka eine Woche bis zehn Tage nach der Freilassung ihres Vaters seien die Männer wieder gekommen, hätten Geld verlangt und den Vater mitgenommen, weil sie nichts bezahlen hätten können. Ihrer Mutter und ihr sei klar gewesen, dass sie flüchten müssten. Sie selbst habe keine persönliche Bedrohung erfahren, die beiden Männer hätten ihnen jedoch gesagt, dass sie umgebracht würden, wenn irgendetwas von den Vorfällen erzählt würde. Wer die Männer wirklich seien, könne sie nicht angeben. Im Falle ihrer Rückkehr in ihr Heimatland würde sie von den Behörden sicher umgebracht werden, weil sie das Land illegal verlassen und hier um Asyl angesucht habe.

Das Bundesasylamt wies mit Bescheid vom 9. April 1998 den Antrag auf Gewährung von Asyl gemäß § 7 des Asylgesetzes 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 (AsylG), ab (Spruchpunkt 1). Unter einem wurde festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin in den Irak gemäß § 8 AsylG nicht zulässig sei (Spruchpunkt 2). Die Abweisung des Asylantrags wurde unter Zugrundelegung des als glaubwürdig erachteten Vorbringens der Beschwerdeführerin damit begründet, dass es sich bei den von der Beschwerdeführerin geschilderten Vorfällen um befürchtete Übergriffe durch Private gehandelt habe, was die Flüchtlingseigenschaft nicht begründen könne. Dass die staatlichen Behörden des Heimatlandes nicht in der Lage und nicht gewillt gewesen wären, der Beschwerdeführerin Schutz vor Verfolgung zu gewähren, sei dem Vorbringen der Beschwerdeführerin nicht zu entnehmen gewesen.

Die Beschwerdeführerin erhob gegen Spruchpunkt I des erstinstanzlichen Bescheides (betreffend die Abweisung des Asylantrages) Berufung und brachte vor, sie sei in ihrem Heimatland wegen ihrer religiösen Zugehörigkeit zur Minderheit der Christen vor Verfolgung bedroht. Sie habe bereits klar dargelegt, dass ihr Vater Anfang Jänner 1998 verhaftet, 15 Tage festgehalten und dabei schwerstens gefoltert worden sei. Nur durch die Zahlungen eines großen Geldbetrages habe seine Freilassung erwirkt werden können. Zehn Tage nach seiner Freilassung seien die Männer wieder gekommen und hätten ihren Vater erneut festgenommen, weil der geforderte Geldbetrag nicht gezahlt habe werden können. Ihrer Mutter und ihr sei gesagt worden, der Vater werde umgebracht, wenn sie nicht bereit wären, den geforderten Betrag zu zahlen. In diesem Fall würden die Männer wiederkommen und auch sie festnehmen und umbringen. Es sei ihr nur mehr die Möglichkeit der Flucht vor dieser drohenden Gefahr geblieben. Die Verfolgung ihrer gesamten Familie sei auf den religiösen Glauben zurückzuführen. So sei es ein übliches Vorgehen der Behörden in ihrem Heimatland Christen willkürlich festzunehmen. Die staatlichen Stellen in ihrem Heimatland seien weder gewillt noch in der Lage, sie vor der ihr drohenden Verfolgung zu beschützen, da diese von staatlichen Stellen ausgehe. Es sei ihr somit nicht möglich, sich mit ihrem Anliegen an irgendwelche Behörden in ihrem Heimatland zu wenden. Es sei offensichtlich, dass die Männer, die zu ihr nach Hause gekommen seien, von der Geheimpolizei gewesen seien. Zu all dem sei sie im erstinstanzlichen Verfahren nicht befragt und ihre Angaben nicht vollständig wiedergegeben worden. Darüber hinaus sei die Verfolgungssituation von Christen im Irak durch zahlreiche Dokumentationen allgemein bekannt. Die Berufungsbehörde möge dazu Stellungnahmen vom Ludwig-Boltzmann-Institut, Amnesty International, UNHCR, Internationales Rotes Kreuz etc. einholen.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wurde die Berufung der Beschwerdeführerin gegen den (gemeint wohl: Spruchpunkt I des) Bescheid(es) des Bundesasylamtes vom 9. April 1998 gemäß § 7 AsylG abgewiesen. Die belangte Behörde begründete dies damit, dass die Asylwerberin mit ihrer Unterschrift die Richtigkeit und Vollständigkeit ihrer Angaben vor der Behörde erster Instanz bestätigt und erklärt habe, dass es keinerlei Verständigungsschwierigkeiten mit dem Dolmetscher gegeben habe. Ein Mangel im Ermittlungsverfahren der Behörde erster Instanz sei nicht hervorgekommen. Zu den neuen Behauptungen der Beschwerdeführerin in der Berufung führte die belangte Behörde aus, im Rahmen der Beweiswürdigung sei grundsätzlich den Angaben des Asylwerbers bei seiner ersten Befragung im Verwaltungsverfahren größere Glaubwürdigkeit beizumessen als späterem Vorbringen. Als glaubwürdig könnten Fluchtgründe im Allgemeinen nicht angesehen werden, wenn der Asylwerber die nach seiner Meinung einen Asyltatbestand begründenden Tatsachen unter anderem erst sehr spät im Laufe des Verfahrens vorbringe. Die inhaltlichen Darlegungen in der Berufung erschienen daher als gesteigertes Vorbringen unglaubwürdig, weil der Schluss nahe liege, die Asylwerberin wolle durch ihre neuen Angaben ihr ursprüngliches Vorbringen nachträglich doch noch mit Asylrelevanz ausstatten. Mangels Glaubwürdigkeit des Berufungsvorbringens erübrigte sich sowohl, die von der Asylwerberin angeregte Einholung von Stellungnahmen zur Situation der Christen im Irak, von in der Berufung näher aufgelisteten Stellen als auch die Prüfung einer allfälligen Asylrelevanz dieses Vorbringens.

Hinsichtlich des auch von der belangten Behörde als glaubwürdig qualifizierten Vorbringens der Asylwerberin bei ihrer Einvernahme vor der Behörde erster Instanz schloss sich die belangte Behörde der rechtlichen Würdigung des Bundesasylamtes an und führte aus, die Beschwerdeführerin habe keine asylrelevante Verfolgungshandlung von staatlicher Seite darzulegen vermocht. So sei sie nach ihren eigenen Angaben nie von den Behörden ihres Heimatstaates persönlich bedroht worden. Die von ihr geltend gemachten bzw. befürchteten Übergriffe unbekannter Männer stünden mit keinem der genannten Konventionsgründe im Zusammenhang und sie habe auch nicht vorgebracht, dass ihr Heimatstaat nicht in der Lage bzw. gewillt (gewesen) sei, ihr davor Schutz zu gewähren. Eine subjektive Furcht vor Repressalien durch die genannten Personen vermöge jedoch keine Relevanz zu entfalten. Auch hinsichtlich der mangelnden Asylrelevanz der Asylantragstellung selbst pflichtete die belangte Behörde der Behörde erster Instanz bei und führte aus, dass nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes derartige Befürchtungen keinen Fluchtgrund im Sinne der Flüchtlingskonvention darstellten.

Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung habe gemäß Art. II Abs. 2 Z. 43a EGVG unterbleiben können.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften sowie inhaltliche Rechtswidrigkeit geltend gemacht wird.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte die Abweisung der Beschwerde als unbegründet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in dem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Dreiersenat erwogen:

Auf das Verfahren nach dem Asylgesetz 1997 findet das AVG Anwendung. Als besondere Bestimmung für das Verfahren vor den Unabhängigen Verwaltungssenaten sieht § 67d AVG grundsätzlich die Durchführung an der öffentlichen mündlichen Verhandlung vor, zu welche die Parteien und die anderen zu hörenden Personen zu laden sind. Nach dem Art. II Abs. 2 lit. d Z 43a EGVG ist auch auf das behördliche Verfahren des unabhängigen Bundesasylsenates das AVG anzuwenden, § 67d AVG jedoch mit der Maßgabe, dass eine mündliche Verhandlung unterbleiben kann, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Berufung geklärt erscheint. Dies ist dann der Fall, wenn er nach Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens und nach schlüssiger Beweiswürdigung der Behörde erster Instanz festgestellt wurde und in der Berufung kein dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens der Behörde erster Instanz entgegenstehender oder darüber hinausgehender Sachverhalt - erstmalig und mangels Bestehens eines Neuerungsverbotes zulässigerweise - neu und in konkreter Weise behauptet wird (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 11. November 1998, Zl. 98/01/0308).

Wird aber im Berufungsverfahren ein konkreter neuer Sachverhalt behauptet, so ist es dem unabhängigen Bundesasylsenat verwehrt, durch Würdigung der Berufungsangaben als unglaubwürdig den Sachverhalt ohne Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung und insbesondere ohne den Asylwerber selbst persönlich einzuvernehmen als geklärt anzusehen. Der Verwaltungsgerichtshof fügte hinzu, dies ergebe sich nicht zuletzt aus der Wichtigkeit des persönlichen Eindruckes für die Bewertung der Glaubwürdigkeit der Angaben des Asylwerbers (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 21. Jänner 1999, Zl. 98/20/0339, und vom 18. Februar 1999, Zl. 98/20/0423).

Die belangte Behörde hätte daher im vorliegenden Fall eine mündliche Verhandlung mit der Beschwerdeführerin durchführen müssen. Allerdings führt nicht jede Verletzung von Verfahrensvorschriften zur Aufhebung eines Bescheides, sondern nur dann, wenn die belangte Behörde bei deren Vermeidung zu einem anderen Bescheid hätte gelangen können. Ist dies nicht offensichtlich, so hat der Beschwerdeführer dies darzutun.

Im vorliegenden Fall ist allerdings nicht auszuschließen, dass die belangte Behörde bei Durchführung der mündlichen Verhandlung zur Überzeugung gelangt wäre, das in der Berufung erstattete neue Vorbringen der Beschwerdeführerin sei glaubwürdig und dieses ihrer rechtlichen Beurteilung zu Grunde gelegt hätte. Wäre der Vater der Beschwerdeführerin aber tatsächlich nicht nur wegen seiner Weigerung, Sesampaste kostenlos an "Männer vom Geheimdienst" zu überlassen, von diesen verhaftet, 15 Tage festgehalten, "schwerstens" gefoltert und schließlich erneut festgenommen worden, sondern hätte diese Vorgangsweise ihren Hintergrund in der Zugehörigkeit der Familie zur Religionsgemeinschaft der Christen, und würde - wie behauptet - diese Verfolgung staatlicherseits toleriert, sodass die Beschwerdeführerin auch keinen Schutz vor Verfolgung bei staatlichen Stellen finden könnte, so könnte die (auch) gegen die Beschwerdeführerin gerichtete Drohung, man werde im Falle der Nichtzahlung eines Geldbetrages (auch) sie festnehmen, misshandeln und umbringen, gegebenenfalls asylrelevante Furcht vor Verfolgung begründen.

Da somit nicht ausgeschlossen werden kann, dass die belangte Behörde bei Vermeidung des genannten Verfahrensfehlers zu einem anderen Bescheid gekommen wäre, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Neben dem pauschalierten Ersatz des Schriftsatzaufwandes kann ein Ersatz weiterer Kosten unter dem Titel von Umsatzsteuer nicht angesprochen werden.

Soweit Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zitiert wurden, die in der Amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse dieses Gerichtshofes nicht veröffentlicht sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen.

Wien, am 16. Dezember 1999

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1999:1998200373.X00

Im RIS seit

28.03.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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