Entscheidungsdatum
06.07.2018Norm
AsylG 2005 §5Spruch
W205 2136899-1/13E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Schnizer-Blaschka über die Beschwerde von Frau XXXX , geb. XXXX , StA. Somalia, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 21.09.2016, Zl. IFA 1111851500, V-Zahl: 160555533, zu Recht erkannt:
A)
Der Beschwerde wird gemäß § 21 Abs. 3 erster Satz BFA-VG stattgegeben, das Verfahren über den Antrag auf internationalen Schutz wird zugelassen und der bekämpfte Bescheid wird behoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Die Beschwerdeführerin ist Staatsangehörige von Somalia, gelangte - zunächst gemeinsam mit ihrem Ehegatten XXXX - illegal in das österreichische Bundesgebiet und stellte am 19.04.2016 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.
Zu ihrer Person liegt eine EURODAC-Treffermeldung für Italien nach illegaler Einreise vom 07.04.2016 vor.
Im Verlauf ihrer Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes vom 19.04.2016 brachte die Beschwerdeführerin - soweit entscheidungswesentlich - vor, sie sei mit ihrem Ehemann XXXX vom Jemen aus - wo sie mit ihrer Familie nach ihrer Flucht aus Somalia in einem Flüchtlingslager gelebt habe - über verschiedene Staaten letztlich von Ägypten nach Italien und weiter hierher geflüchtet, in Österreich oder einem anderen EU-Mitgliedstaat habe sie keine Familienangehörigen oder sonstigen Verwandten. Im Jemen würde ihre Familie - Eltern und Geschwister, u.a. ihre Schwester XXXX , ca.16 Jahre alt - leben. In Italien sei es wirtschaftlich schlecht und sie könne dort nicht arbeiten. Ihre Familie in Somalia würde Unterstützung benötigen, deshalb wolle sie in Österreich arbeiten.
Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: "BFA") richtete am 18.05.2016 ein auf Art. 13 Abs. 1 der Verordnung (EU) 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.06.2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (im Folgenden: "Dublin III-VO") gestütztes Aufnahmeersuchen an Italien, welches in der Folge unbeantwortet blieb.
Mit Schreiben vom 27.07.2016 wies das BFA die italienischen Behörden auf das Verstreichen der Antwortfrist und die sich daraus ergebende Verpflichtung zur Aufnahme der Antragstellerin gemäß Art. 22 Abs. 7 Dublin III-VO hin.
Am 23.08.2016 erstattete die Beschwerdeführerin eine polizeiliche Abgängigkeitsanzeige, der zufolge ihr Ehegatte XXXX Österreich verlassen und nach seinen Angaben nach Frankreich gereist sei. Er habe ihr telefonisch mitgeteilt, sich scheiden lassen zu wollen.
Am 29.08.2016 erfolgte die niederschriftliche Einvernahme der Beschwerdeführerin vor dem BFA im Beisein einer Rechtsberaterin nach durchgeführter Rechtsberatung. In dieser brachte die Beschwerdeführerin -soweit entscheidungswesentlich- vor, ihr Ehegatte sei seit 19.08.2016 verschollen, sie habe dies bei der Polizei gemeldet. Ihre Angaben bei der Erstbefragung seien richtig, doch sei sie dort hauptsächlich zu ihrer Reiseroute befragt worden. Zu diesem Zeitpunkt habe sie noch nicht gewusst, dass auch ihre minderjährige Schwester XXXX hier in Österreich sei. Diese lebe zurzeit in XXXX und sei seit ungefähr einem Jahr hier. Ihre Schwester sei ganz alleine gereist, die Beschwerdeführerin sei von ihr durch den Krieg getrennt worden. Ihre Schwester habe in der Zwischenzeit die "weiße Karte" bekommen. Über den Aufenthalt ihrer Schwester XXXX habe sie erst in Österreich über Facebook erfahren, davor hatte sie keinen Zugang zum Internet, weil sie durch den Krieg im Jemen von einem Ort zum nächsten habe flüchten müssen. Nach Italien wolle sie nicht zurück, sondern hier bei ihrer Schwester bleiben.
Dem Akt liegt ein Beschluss des Bezirksgerichts W. vom 23.09.2015 ein, dem zufolge der Kinder- und Jugendhilfeträger mit der Obsorge von XXXX , der Schwester der Beschwerdeführerin, geboren am XXXX , betraut wurde, da XXXX als unbegleiteter Flüchtling in Österreich eingereist sei und hier keine Angehörigen habe.
2. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz vom 19.04.2016 ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass Italien für die Prüfung des Antrages gemäß Art. 13 Abs. 1 Dublin III-VO zuständig sei (Spruchpunkt I.). Gleichzeitig wurde gegen die Beschwerdeführerin gemäß § 61 Abs. 1 FPG die Außerlandesbringung angeordnet und festgestellt, dass demzufolge eine Abschiebung nach Italien gemäß § 61 Abs. 2 FPG zulässig sei (Spruchpunkt II.).
Der Antrag auf internationalen Schutz sei zurückzuweisen, weil gemäß Art. 13 Abs. 1 Dublin III-VO Italien für die Prüfung des Antrages zuständig sei. Die Beschwerdeführerin habe kein im besonderen Maße substantiiertes, glaubhaftes Vorbringen betreffend das Vorliegen besonderer, bescheinigter außergewöhnlicher Umstände dargetan, die die Gefahr einer relevanten Verletzung von Art. 3 EMRK rechtfertigen würden. Die Regelvermutung des § 5 Abs. 3 AsylG treffe daher zu. Da sich auch kein Anlass zur Ausübung des Selbsteintrittsrechts ergeben habe, sei der Antrag zurückzuweisen gewesen.
Im Hinblick auf die mj. Schwester wird ausgeführt, die Beschwerdeführerin könnte sich auch vom Ausland aus um einen Aufenthaltstitel bemühen, es könne nicht erkannt werden, dass sie auf ein Zusammenleben mit ihrer Schwester angewiesen wäre. Diese lebe seit Juni 2015 in Österreich, der Kinder- und Jugendhilfeträger sei mit der Obsorge betraut, beide würden an einer getrennten Adresse wohnen. Das Familienleben könne sich auch derzeit nur auf Besuche beschränken. Nach Ausführungen zur Rechtsprechung in Bezug auf den Schutz nach Art. 8 EMRK bei familiären Beziehungen unter Erwachsenen ist begründend weiter ausgeführt, eine besondere Abhängigkeit der Beschwerdeführerin (Hilfsbedürftigkeit bzw. besondere Pflegebedürftigkeit) liege nicht vor. Die Distanz zwischen Österreich und Italien sei nicht derart groß, dass ein persönlicher Kontakt zwischen der Beschwerdeführerin und ihrer Schwester nicht aufrechterhalten werden könnte.
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die fristgerecht eingebrachte Beschwerde, in der - zusammengefasst - auf die sich verschlechternde Lage und das Vorliegen systemischer Mängel in Italien hingewiesen und ausgeführt wird, in Österreich befinde sich die minderjährige Schwester der Beschwerdeführerin, deren Asylverfahren zugelassen worden sei. Die Beschwerdeführerin habe bereits die Übertragung der Obsorge vom Jugendwohlfahrtsträger an die Beschwerdeführerin beantragt und habe faktisch schon die Rolle der Erziehungsberechtigten übernommen. Für das Verfahren der Beschwerdeführerin sei gemäß Art. 10 Dublin III-VO Österreich zuständig.
3. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 18.10.2016 wurde der Beschwerde gemäß § 17 BFA-VG die aufschiebende Wirkung zuerkannt.
4. Mit Beschluss des Bezirksgerichts W. vom 14.11.2016 wurde die Obsorge für die minderjährige XXXX dem Kinder- und Jugendhilfeträger entzogen und der Beschwerdeführerin übertragen. In der Begründung dieses Beschlusses ist ausgeführt, die minderjährige XXXX sei im Juni 2015 als unbegleiteter Flüchtling nach Österreich gekommen, die Minderjährige habe in Österreich zunächst weder über Eltern noch sonstige Angehörige verfügt, sodass die Obsorge zunächst dem Kinder- und Jugendhilfeträger übertragen worden sei. Mittlerweile sei jedoch auch die Beschwerdeführerin nach Österreich gelangt. Es entspreche dem Wunsch der beiden Schwestern, dass in Zukunft die Obsorge für die Minderjährige durch deren Schwester ausgeübt werde.
5. Eine Einsichtnahme in das Informationsverbundsystem zentrales Fremdenregister ergibt, dass XXXX als unbegleitete Minderjährige am 12.06.2015 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hatte und ihr Verfahren (BFA-Zl. 1073482702-150667695) am 08.01.2016 zugelassen wurde.
Mit Bescheid vom 25.05.2018 wurde der Antrag von XXXX hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.), ihr gemäß § 8 Abs. 1 AsylG der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihr gemäß § 8 Abs. 4 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 25.05.2019 erteilt (Spruchpunkt III.). Spruchpunkt I. wurde in Beschwerde gezogen, die Spruchpunkte II. und III. wurden rectskräftig.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Die Beschwerdeführerin, eine somalische Staatsangehörige, reiste zunächst in Begleitung ihres Ehegatten XXXX (der in der Zwischenzeit allein weitergereist ist) aus einem Drittstaat- Ägypten - kommend in Italien illegal in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten ein und wurde dort am 07.04.2016 erkennungsdienstlich behandelt. In der Folge reiste sie nach Österreich weiter und stellte am 19.04.2016 erstmals im Hoheitsbereich der Mitgliedstaaten den hier gegenständlichen Antrag auf Gewährung internationalen Schutzes.
Das BFA richtete am 18.05.2016 ein auf Art. 13 Abs. 1 Dublin III-VO gestütztes Aufnahmeersuchen an Italien, das unbeantwortet blieb.
Mit Schreiben vom 27.04.2016 wies das BFA die italienischen Behörden auf das Verstreichen der Antwortfrist und die sich daraus ergebende Verpflichtung zur Aufnahme des Antragstellers gemäß Art. 22 Abs. 7 Dublin III-VO hin.
Die Beschwerdeführerin hat eine im Bundesgebiet aufhältige minderjährige Schwester XXXX , mit der die Beschwerdeführerin im Herkunftsstaat und auf der Flucht im Flüchtlingslager im Jemen im gemeinsamen Haushalt gelebt hat und von ihr - fluchtbedingt - getrennt wurde. XXXX ist als unbegleitete Minderjährige schon vor der Beschwerdeführerin in den Hoheitsbereich der Mitgliedstaaten gelangt und hat am 12.06.2015 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt, dieses Verfahren wurde vom BFA am 08.01.2016 zugelassen.
Zunächst wurde die Obsorge für die unbegleitete mj. XXXX vom Bezirksgericht dem regional zuständigen Kinder- und Jugendhilfeträger übertragen, mit Beschluss des Bezirksgerichts vom 14.11.2016 wurde die Obsorge für die minderjährige XXXX - entsprechend dem ausdrücklichen Wunsch beider - der Beschwerdeführerin übertragen. Die Schwestern leben im gemeinsamen Haushalt und führen ein Familienleben.
Mit Bescheid vom 25.05.2018 wurde der Antrag der mj. XXXX hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.), ihr gemäß § 8 Abs. 1 AsylG der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihr gemäß § 8 Abs. 4 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 25.05.2019 erteilt (Spruchpunkt III.). Spruchpunkt I. wurde in Beschwerde gezogen.
2. Beweiswürdigung:
Die festgestellten Tatsachen hinsichtlich der illegalen Einreise ins Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten, des weiteren Reisewegs der Beschwerdeführerin und ihrer Asylantragstellung in Österreich ergeben sich aus ihren Angaben im Rahmen der Einvernahmen iZm der aufscheinenden EURODAC-Treffermeldung.
Die Feststellungen zu den dargestellten Konsultationen im Hinblick auf das Aufnahmeersuchen an Italien sowie der nicht erfolgten Beantwortung dieses Ersuchens, leiten sich aus den durchgeführten Konsultationsverfahren - der diesbezügliche Schriftverkehr liegt dem Verwaltungsakt ein - zwischen den betroffenen Dublin-Behörden ab.
Die Feststellungen zur Anwesenheit der mj. Schwester der Beschwerdeführerin in Österreich, zum bestehenden Familienleben im Herkunftsstaat bzw. der fluchtbedingten Trennung der Schwestern, zum Verfahrensgang ihres Verfahrens und zur Übertragung der Obsorge an die Beschwerdeführerin auf ausdrücklichen Wunsch der Betroffenen und dem nunmehr in Österreich geführten Familienleben, gehen aus dem Vorbringen der Beschwerdeführerin iZm der im Akt befindlichen eingesehenen Gerichtsbeschlüssen, der ZMR-Auskunft zu den Betroffenen hervor, der Verfahrensstand zum Verfahren von XXXX ist ebenfalls aktenkundig.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A) Stattgebung der Beschwerde:
1. Die maßgeblichen Bestimmungen des Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) idF BGBl. I Nr. 145/2017 lauten:
§ 5 (1) Ein nicht gemäß §§ 4 oder 4a erledigter Antrag auf internationalen Schutz ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin-Verordnung zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist. Mit der Zurückweisungsentscheidung ist auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Eine Zurückweisung des Antrages hat zu unterbleiben, wenn im Rahmen einer Prüfung des § 9 Abs. 2 BFA-VG festgestellt wird, dass eine mit der Zurückweisung verbundene Anordnung zur Außerlandesbringung zu einer Verletzung von Art. 8 EMRK führen würde.
(2) Gemäß Abs. 1 ist auch vorzugehen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin-Verordnung dafür zuständig ist zu prüfen, welcher Staat zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist.
(3) Sofern nicht besondere Gründe, die in der Person des Asylwerbers gelegen sind, glaubhaft gemacht werden oder beim Bundesamt oder beim Bundesverwaltungsgericht offenkundig sind, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung sprechen, ist davon auszugehen, dass der Asylwerber in einem Staat nach Abs. 1 Schutz vor Verfolgung findet.
§ 10 (1) Eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz ist mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn
1. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4 oder 4a zurückgewiesen wird,
2. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 5 zurückgewiesen wird,
3. ...
und in den Fällen der Z 1 und 3 bis 5 von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt wird.
§ 21 Abs. 3 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) idF BGBl. I Nr. 145/2017 lautet:
"Ist der Beschwerde gegen die Entscheidung des Bundesamtes im Zulassungsverfahren stattzugeben, ist das Verfahren zugelassen. Der Beschwerde gegen die Entscheidung im Zulassungsverfahren ist auch stattzugeben, wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint."
Die maßgeblichen Stimmungen der Dublin III-VO lauten auszugsweise:
"Artikel 2
Definitionen
Im Sinne dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck
(...)
g) ‚Familienangehörige' die folgenden Mitglieder der Familie des Antragstellers, die sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten aufhalten, sofern die Familie bereits im Herkunftsland bestanden hat:
-
der Ehegatte des Antragstellers oder sein nicht verheirateter Partner, der mit ihm eine dauerhafte Beziehung führt, soweit nach dem Recht oder nach den Gepflogenheiten des betreffenden Mitgliedstaats nicht verheiratete Paare ausländerrechtlich vergleichbar behandelt werden wie verheiratete Paare,
-
die minderjährigen Kinder des im ersten Gedankenstrich genannten Paares oder des Antragstellers, sofern diese nicht verheiratet sind, gleichgültig, ob es sich nach nationalem Recht um eheliche oder außerehelich geborene oder adoptierte Kinder handelt,
-
bei einem minderjährigen und unverheirateten Antragsteller, der Vater, die Mutter oder ein anderer Erwachsener, der entweder nach dem Recht oder nach den Gepflogenheiten des Mitgliedstaats, in dem der Erwachsene sich aufhält, für den Minderjährigen verantwortlich ist,
-
bei einem unverheirateten, minderjährigen Begünstigten internationalen Schutzes, der Vater, die Mutter oder ein anderer Erwachsener, der/die entweder nach dem Recht oder nach den Gepflogenheiten des Mitgliedstaats, in dem sich der Begünstigte aufhält, für ihn verantwortlich ist;
h) ‚Verwandter': der volljährige Onkel, die volljährige Tante oder ein Großelternteil des Antragstellers, der/die sich im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufhält, ungeachtet dessen, ob es sich gemäß dem nationalen Recht bei dem Antragsteller um ein ehelich oder außerehelich geborenes oder adoptiertes Kind handelt;
i) ‚Minderjähriger' einen Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen unter 18 Jahren;
j) ‚unbegleiteter Minderjähriger' einen Minderjährigen, der ohne Begleitung eines für ihn nach dem Recht oder nach den Gepflogenheiten des betreffenden Mitgliedstaats verantwortlichen Erwachsenen in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten einreist, solange er sich nicht tatsächlich in der Obhut eines solchen Erwachsenen befindet; dies schließt einen Minderjährigen ein, der nach Einreise in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats dort ohne Begleitung zurückgelassen wird;
(...)
(...)
KAPITEL III
KRITERIEN ZUR BESTIMMUNG DES ZUSTÄNDIGEN MITGLIEDSTAATS
Artikel 7
Rangfolge der Kriterien
(1) Die Kriterien zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats finden in der in diesem Kapitel genannten Rangfolge Anwendung.
(2) Bei der Bestimmung des nach den Kriterien dieses Kapitels zuständigen Mitgliedstaats wird von der Situation ausgegangen, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Antragsteller seinen Antrag auf internationalen Schutz zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt.
(3) Im Hinblick auf die Anwendung der in den Artikeln 8, 10 und 6 genannten Kriterien berücksichtigen die Mitgliedstaaten alle vorliegenden Indizien für den Aufenthalt von Familienangehörigen, Verwandten oder Personen jeder anderen verwandtschaftlichen Beziehung des Antragstellers im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats, sofern diese Indizien vorgelegt werden, bevor ein anderer Mitgliedstaat dem Gesuch um Aufnahme- oder Wiederaufnahme der betreffenden Person gemäß den Artikeln 22 und 25 stattgegeben hat, und sofern über frühere Anträge des Antragstellers auf internationalen Schutz noch keine Erstentscheidung in der Sache ergangen ist.
Artikel 8
Minderjährige
(1) Handelt es sich bei dem Antragsteller um einen unbegleiteten Minderjährigen, so ist der Mitgliedstaat zuständiger Mitgliedstaat, in dem sich ein Familienangehöriger oder eines der Geschwister des unbegleiteten Minderjährigen rechtmäßig aufhält, sofern es dem Wohl des Minderjährigen dient. Ist der Antragsteller ein verheirateter Minderjähriger, dessen Ehepartner sich nicht rechtmäßig im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten aufhält, so ist der Mitgliedstaat zuständiger Mitgliedstaat, in dem sich der Vater, die Mutter, oder ein anderer Erwachsener - der entweder nach dem Recht oder nach den Gepflogenheiten des Mitgliedstaats für den Minderjährigen zuständig ist - oder sich eines seiner Geschwister aufhält.
(2) Ist der Antragsteller ein unbegleiteter Minderjähriger, der einen Verwandten hat, der sich rechtmäßig in einem anderen Mitgliedstaat aufhält, und wurde anhand einer Einzelfallprüfung festgestellt, dass der Verwandte für den Antragsteller sorgen
kann, so führt dieser Mitgliedstaat den Minderjährigen und seine Verwandten zusammen und ist der zuständige Mitgliedstaat, sofern es dem Wohl des Minderjährigen dient.
(3) Halten sich Familienangehörige, Geschwister oder Verwandte im Sinne der Absätze 1 und 2 in mehr als einem Mitgliedstaat auf, wird der zuständige Mitgliedstaat danach bestimmt, was dem Wohl des unbegleiteten Minderjährigen dient.
(4) Bei Abwesenheit eines Familienangehörigen eines seiner Geschwisters oder eines Verwandten im Sinne der Absätze 1 und 2, ist der Mitgliedstaat zuständiger Mitgliedstaat, in dem der unbegleitete Minderjährige seinen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, sofern es dem Wohl des Minderjährigen dient.
(5) Der Kommission wird die Befugnis übertragen gemäß Artikel 45 in Bezug auf die Ermittlung von Familienangehörigen, Geschwistern oder Verwandten eines unbegleiteten Minderjährigen; die Kriterien für die Feststellung des Bestehens einer nachgewiesenen familiären Bindung; die Kriterien zur Beurteilung der Fähigkeit eines Verwandten, für den unbegleiteten Minderjährigen zu sorgen, einschließlich der Fälle, in denen sich die Familienangehörigen, Geschwister oder Verwandten des unbegleiteten Minderjährigen in mehr als einem Mitgliedstaat aufhalten, delegierte Rechtsakte zu erlassen. Bei der Ausübung ihrer Befugnis zum Erlass delegierter Rechtsakte geht die Kommission nicht über den in Artikel 6 Absatz 3 vorgesehenen Umfang des Wohls des Kindes hinaus.
(6) Die Kommission legt im Wege von Durchführungsrechtsakten einheitliche Bedingungen für Konsultationen und den Informationsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten fest. Diese Durchführungsrechtsakte werden gemäß dem in Artikel 44 Absatz 2 genannten Prüfverfahren erlassen.
Artikel 9
Familienangehörige, die Begünstigte internationalen Schutzes sind
Hat der Antragsteller einen Familienangehörigen - ungeachtet der Frage, ob die Familie bereits im Herkunftsland bestanden hat -, der in seiner Eigenschaft als Begünstigter internationalen Schutzes in einem Mitgliedstaat aufenthaltsberechtigt ist, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig, sofern die betreffenden Personen diesen Wunsch schriftlich kundtun.
Artikel 10
Familienangehörige, die internationalen Schutz beantragt haben
Hat ein Antragsteller in einem Mitgliedstaat einen Familienangehörigen, über dessen Antrag auf internationalen Schutz noch keine Erstentscheidung in der Sache ergangen ist, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig, sofern die betreffenden Personen diesen Wunsch schriftlich kundtun.
Artikel 11 Familienverfahren
Stellen mehrere Familienangehörige und/oder unverheiratete minderjährige Geschwister in demselben Mitgliedstaat gleichzeitig oder in so großer zeitlicher Nähe einen Antrag auf internationalen Schutz, dass die Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats gemeinsam durchgeführt werden können, und könnte die Anwendung der in dieser Verordnung genannten Kriterien ihre Trennung zur Folge haben, so gilt für die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats Folgendes:
a) zuständig für die Prüfung der Anträge auf internationalen Schutz sämtlicher Familienangehöriger und/oder unverheirateter minderjähriger Geschwister ist der Mitgliedstaat, der nach den Kriterien für die Aufnahme des größten Teils von ihnen zuständig ist;
b) andernfalls ist für die Prüfung der Mitgliedstaat zuständig, der nach den Kriterien für die Prüfung des von dem ältesten von ihnen gestellten Antrags zuständig ist.
(...)
Artikel 13
Einreise und/oder Aufenthalt
(1) Wird auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien gemäß den beiden in Artikel 22 Absatz 3 dieser Verordnung genannten Verzeichnissen, einschließlich der Daten nach der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 festgestellt, dass ein Antragsteller aus einem Drittstaat kommend die Land-, See- oder Luftgrenze eines Mitgliedstaats illegal überschritten hat, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig. Die Zuständigkeit endet zwölf Monate nach dem Tag des illegalen Grenzübertritts.
(2) Ist ein Mitgliedstaat nicht oder gemäß Absatz 1 dieses Artikels nicht länger zuständig und wird auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien gemäß den beiden in Artikel 22 Absatz 3 genannten Verzeichnissen festgestellt, dass der Antragsteller - der illegal in die Hoheitsgebiete der Mitgliedstaaten eingereist ist oder bei dem die Umstände der Einreise nicht festgestellt werden können - sich vor der Antragstellung während eines ununter-brochenen Zeitraums von mindestens fünf Monaten in einem Mitgliedstaat aufgehalten hat, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig.
Hat sich der Antragsteller für Zeiträume von mindestens fünf Monaten in verschiedenen Mitgliedstaaten aufgehalten, so ist der Mitgliedstaat, wo er sich zuletzt aufgehalten hat, für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig.
(...)
KAPITEL IV
ABHÄNGIGE PERSONEN UND ERMESSENSKLAUSELN
Artikel 16
Abhängige Personen
(1) Ist ein Antragsteller wegen Schwangerschaft, eines neugeborenen Kindes, schwerer Krankheit, ernsthafter Behinderung oder hohen Alters auf die Unterstützung seines Kindes, eines seiner Geschwister oder eines Elternteils, das/der sich rechtmäßig in einem Mitgliedstaat aufhält, angewiesen oder ist sein Kind, eines seiner Geschwister oder ein Elternteil, das/der sich rechtmäßig in einem Mitgliedstaat aufhält, auf die Unterstützung des Antragstellers angewiesen, so entscheiden die Mitgliedstaaten in der Regel, den Antragsteller und dieses Kind, dieses seiner Geschwister oder Elternteil nicht zu trennen bzw. sie zusammenzuführen, sofern die familiäre Bindung bereits im Herkunftsland bestanden hat, das Kind, eines seiner Geschwister oder der Elternteil in der Lage ist, die abhängige Person zu unterstützen und die betroffenen Personen ihren Wunsch schriftlich kundgetan haben.
(2) Hält sich das Kind, eines seiner Geschwister oder ein Elternteil im Sinne des Absatzes 1 rechtmäßig in einem anderen Mitgliedstaat als der Antragsteller auf, so ist der Mitgliedstaat, in dem sich das Kind, eines seiner Geschwister oder ein Elternteil rechtmäßig aufhält, zuständiger Mitgliedstaat, sofern der Gesundheitszustand des Antragstellers diesen nicht längerfristig daran hindert, in diesen Mitgliedstaat zu reisen. In diesem Fall, ist der Mitgliedstaat, in dem sich der Antragsteller aufhält, zuständiger Mitgliedstaat. Dieser Mitgliedstaat kann nicht zum Gegenstand der Verpflichtung gemacht werden, das Kind, eines seiner Geschwister oder ein Elternteil in sein Hoheitsgebiet zu verbringen.
(3) Der Kommission wird die Befugnis übertragen gemäß Artikel 45 in Bezug auf die Elemente, die zur Beurteilung des Abhängigkeitsverhältnisses zu berücksichtigen sind, in Bezug auf die Kriterien zur Feststellung des Bestehens einer nachgewiesenen familiären Bindung, in Bezug auf die Kriterien zur Beurteilung der Fähigkeit der betreffenden Person zur Sorge für die abhängige Person und in Bezug auf die Elemente, die zur Beurteilung einer längerfristigen Reiseunfähigkeit zu berücksichtigen sind, delegierte Rechtsakte zu erlassen.
(4) Die Kommission legt im Wege von Durchführungsrechtsakten einheitliche Bedingungen für Konsultationen und den Informationsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten fest. Diese Durchführungsrechtsakte werden nach dem in Artikel 44 Absatz 2 genannten Prüfverfahren erlassen.
Artikel 17
Ermessensklauseln
(1) Abweichend von Artikel 3 Absatz 1 kann jeder Mitgliedstaat beschließen, einen bei ihm von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen gestellten Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist.
Der Mitgliedstaat, der gemäß diesem Absatz beschließt, einen Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, wird dadurch zum zuständigen Mitgliedstaat und übernimmt die mit dieser Zuständigkeit einhergehenden Verpflichtungen. Er unterrichtet gegebenenfalls über das elektronische Kommunikationsnetz DubliNet, das gemäß Artikel 18 der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 eingerichtet worden ist, den zuvor zuständigen Mitgliedstaat, den Mitgliedstaat, der ein Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats durchführt, oder den Mitgliedstaat, an den ein Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuch gerichtet wurde.
Der Mitgliedstaat, der nach Maßgabe dieses Absatzes zuständig wird, teilt diese Tatsache unverzüglich über Eurodac nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 mit, indem er den Zeitpunkt über die erfolgte Entscheidung zur Prüfung des Antrags anfügt.
(...)"
2. Ausgehend vom festgestellten Sachverhalt, wonach die Beschwerdeführerin in dem nach Art. 7 Abs. 2 Dublin III-VO maßgeblichen Zeitpunkt ihrer ersten Antragstellung im Hoheitsbereich der Mitgliedstaaten, nämlich am 19.04.2016 in Österreich, eine Familienangehörige (Art. 2 lit. g 3. Teilstrich Dublin III-VO) hatte, über deren Antrag auf internationalen Schutz noch keine Erstentscheidung in der Sache ergangen ist, ist Österreich nach der Rangfolge der Kriterien der für die Verfahrensführung der Beschwerdeführerin zuständige Mitgliedstaat. Der Wunsch auf Zusammenführung der betreffenden Personen in Österreich wurde im Obsorgeverfahren vor dem Bezirksgericht und im Beschwerdeverfahren ausdrücklich kundgetan.
3. Für den Fall, dass diese Auffassung nicht geteilt werden sollte, etwa weil
-
der Beschwerdeführerin die Obsorge für ihre minderjährige Schwester erst nach dem nach Art. 7 Abs. 2 Dublin III-VO maßgeblichen Zeitpunkt, nämlich erst mit Beschluss des Bezirksgerichts vom 14.11.2016, übertragen wurde; oder
-
die -wie festgestellt - bloß fluchtbedingte Trennung der Schwestern so beurteilt werden sollte, dass die Familie als nicht bereits im Herkunftsstaat bestehend im Sinne des Art. 2 lit. g Dublin IIII- VO beurteilt werden sollte; oder
-
im Sinne des Art. 7 Abs. 3 Dublin III-VO die Indizien für den Aufenthalt der minderjährigen XXXX in Österreich erst nach der Zustimmung Italiens (bzw. dem Eintritt der Zustimmungsfiktion) aufgetreten sind, weil die Beschwerdeführerin die Anwesenheit ihrer Schwester erstmals erst in ihrer Einvernahme vom 29.08.2016 ins Treffen geführt hat; oder
-
die Zustimmung der betreffenden Personen im Rahmen des Obsorgeverfahrens vor dem Bezirksgericht im Zusammenhalt mit dem Vorbringen der Beschwerdeführerin im gegenständlichen Verfahren als nicht ausreichend im Sinne des letzten Halbsatzes des Art. 10 Dublin III-VO angesehen werden sollte; oder
-
deshalb, weil die minderjährige XXXX in der Zwischenzeit subsidiären Schutz zuerkannt bekommen hat und damit in der Zwischenzeit eine Erstentscheidung in der Sache ergangen ist (wogegen jedenfalls das Versteinerungsprinzip spräche);
oder aus anderen Gründen oder aufgrund des Zusammentreffens mehrerer dieser Gründe eine Zuständigkeit Österreichs nach Art. 10 Dublin III-VO verneint werden sollte, und - wie die belangte Behörde - aufgrund der illegalen Einreise der Beschwerdeführerin in Italien am 07.04.2016 von einer zunächst gegebenen Zuständigkeit Italiens nach Art. 13 Dublin III-VO ausgegangen werden sollte, so würde dies aus folgenden Gründen nichts am Ergebnis ändern, dass letztlich Österreich im gegenständlichen Fall für Aufnahme der Beschwerdeführerin zuständig ist:
In VwGH 15.12.2015, Zahl Ra 2015/18/0192 bis 0195, hat der Verwaltungsgerichtshof nämlich in einem Fall, in dem es um die Zuständigkeit Österreichs nach der Dublin-VO für die Familienmitglieder eines bereits zum inhaltlichen Verfahren zugelassenen Familienangehörigen ging, (wobei das BVwG fallbezogen die Aufhebung der verwaltungsbehördlichen Entscheidungen mit § 34 Abs. 4 AsylG 2005 begründet hatte), unter anderem folgendes ausgeführt:
"4.1. Gemäß Art. 3 Abs. 1 der Dublin III-Verordnung wird ein Antrag auf internationalen Schutz von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III (Art. 7 bis 15) der Dublin III-Verordnung bestimmt wird. Ungeachtet dessen sieht Art. 17 Abs. 1 Dublin III-Verordnung die Möglichkeit des Selbsteintritts eines Mitgliedstaates vor, auch wenn er nach den Kriterien der Dublin III-Verordnung nicht für die Prüfung zuständig ist.
Da Art. 17 Abs. 1 Dublin III-Verordnung keine inhaltlichen Vorgaben beinhaltet, liegt es primär an den innerstaatlichen Rechtsvorschriften und im Ermessen des einzelnen Mitgliedstaates, unter welchen Voraussetzungen ein solcher Selbsteintritt erfolgt (vgl. dazu auch Filzwieser/Sprung, Dublin III-Verordnung, Artikel 17 K2).
Auch der Europäische Gerichtshof hat in seiner Entscheidung vom 10. Dezember 2013, Rechtssache C-394/12, Abdullahi, festgehalten, dass Art. 3 Abs. 2 (sogenannte Souveränitätsklausel) und Art. 15 Abs. 1 (humanitäre Klausel) der Verordnung Nr. 343/2003 (diese entsprechen nunmehr Art. 17 Abs. 1 und Art. 17 Abs. 2 Unterabsatz 1 der Dublin III-Verordnung) "die Prärogativen der Mitgliedstaaten wahren" sollen, "das Recht auf Asylgewährung unabhängig von dem Mitgliedstaat auszuüben, der nach den in der Verordnung festgelegten Kriterien für die Prüfung eines Antrags zuständig ist. Da es sich dabei um fakultative Bestimmungen handelt, räumen sie den Mitgliedstaaten ein weites Ermessen ein" (vgl. Rn. 57, mwN).
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes macht die grundrechtskonforme Interpretation des AsylG 2005 eine Bedachtnahme auf die - in Österreich in Verfassungsrang stehenden - Bestimmungen der EMRK notwendig. Die Asylbehörden müssen daher bei Entscheidungen nach § 5 AsylG 2005 auch Art. 8 EMRK berücksichtigen und bei einer drohenden Verletzung dieser Vorschrift das Selbsteintrittsrecht nach der Dublin-Verordnung ausüben (vgl. etwa VwGH vom 18. November 2015, Ra 2014/18/0139; vom 17. November 2015, Ra 2015/01/0114, und vom 2. Dezember 2014, Ra 2014/18/0100, mwN).
4.2. Fallbezogen begründete das BVwG die Aufhebung der verwaltungsbehördlichen Entscheidungen mit § 34 Abs. 4 AsylG 2005.
Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits mehrfach - auch im Zusammenhang mit Dublin-Verfahren - ausgesprochen, dass die Bestimmung des § 34 Abs. 4 AsylG 2005, wonach alle Familienangehörigen entweder den gleichen Schutzumfang erhalten oder alle Anträge "als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen" sind, dahingehend zu verstehen ist, dass im Familienverfahren gegenüber allen Familienangehörigen dieselbe Art der Erledigung zu treffen ist. Ist daher der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuzuerkennen, so sind entweder alle Anträge zurückzuweisen oder alle Anträge abzuweisen (vgl. etwa VwGH vom 25. November 2009, 2007/01/1153, mwN).
Im Einklang mit dieser Rechtsprechung ging das BVwG zutreffend davon aus, dass die Zurückweisung der Anträge der mitbeteiligten Parteien
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aufgrund des bereits zugelassenen Verfahrens des Ehemanns der Erstmitbeteiligten und Vaters der zweit- bis viertmitbeteiligten Parteien - nicht mit § 34 Abs. 4 AsylG 2005 vereinbar war. Dies hat
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wenn die Zurückweisung der Anträge aller Familienangehörigen gemäß § 5 AsylG 2005, etwa infolge der Zuständigkeit Österreichs für die Prüfung des Antrages des Familienvaters, nicht mehr in Betracht kommt - im Hinblick auf die übrigen Familienmitglieder die Ausübung des Selbsteintrittsrechts gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin III-Verordnung zur Folge.
Entgegen dem Vorbringen der revisionswerbenden Behörde ist damit keine Beeinträchtigung der praktischen Wirksamkeit des Unionsrechts (effet utile) verbunden. Fälle, die Mitglieder einer Kernfamilie betreffen, sind nämlich in der Regel schon von Art. 10 und Art. 11 Dublin III-Verordnung erfasst. Lediglich in Ausnahmefällen wie den vorliegenden kommt daher die nationale Regelung des § 34 Abs. 4 AsylG 2005 zum Tragen.
Im Übrigen betont schon Erwägungsgrund 14 der Dublin III-Verordnung, dass die Achtung des Familienlebens eine vorrangige Erwägung der Mitgliedstaaten sein soll. Dementsprechend hält Erwägungsgrund 17 leg. cit. auch fest, dass die Mitgliedstaaten insbesondere aus humanitären Gründen oder in Härtefällen von den Zuständigkeitskriterien abweichen können sollen, um Familienangehörige zusammenzuführen und deren Anträge auf internationalen Schutz zu prüfen, auch wenn sie für eine solche Prüfung nach den in der Dublin III-Verordnung festgelegten verbindlichen Zuständigkeitskriterien nicht zuständig sind.
(...)."
Auch wenn der diesem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs zugrundeliegende Fall mit dem vorliegenden nicht gänzlich vergleichbar ist, zeigt er doch deutlich jene Kriterien auf, die für die Frage des Selbsteintrittes eines an sich nicht zuständigen Dublin-Staates iZm dem Gebot, dass Mitglieder der Familien nicht voneinander getrennt werden sollen, relevant sind.
Ergänzend ist auszuführen, dass gemäß dem 13. und 14. Erwägungsgrund in der Präambel der Dublin-VO sowohl das Wohl des Kindes als auch die Achtung des Familienlebens eine vorrangige Erwägung der Mitgliedstaaten darstellen, wenn sie die Dublin-VO anwenden, wobei gerade durch den Verweis auf die EMRK und die GRC der Fokus auf der rechtlichen Verbindlichkeit der Umsetzung des hier definierten Anspruchs in die Realität liegt (siehe Filzwieser/Sprung, Dublin III-Verordnung, 2014, 60 f).
Im Beschwerdefall kann kein Zweifel darüber bestehen, dass in Ansehung der Beschwerdeführerin und ihrer nach wie vor minderjährigen Schwester XXXX , die außer der Beschwerdeführerin keine Verwandten im Inland hat, für die die Beschwerdeführerin die alleinige Obsorge innehat und mit der die Beschwerdeführerin im gemeinsamen Haushalt lebt, ein schützenswertes Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK besteht, wobei bei dieser Konstellation im Rahmen einer Interessenabwägung den bestehenden öffentlichen Interessen - etwa an der Aufrechterhaltung eines geordneten Zuzugs Fremder - keinesfalls eine derart ausschlaggebende Bedeutung zukäme, die eine Trennung der Familie rechtfertigen würde.
Daher wäre auch für den Fall, dass - entgegen der hier vorrangig vertretenen Auffassung (s. oben Punkt II.3.2.) - Italien aufgrund der Zuständigkeitskriterien nach der Dublin III-VO für die Aufnahme der Beschwerdeführerin zuständig sein sollte, die Ausübung des Selbsteintrittsrechts durch Österreich vorzunehmen.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
4. Eine mündliche Verhandlung konnte gemäß § 21 Abs. 6a iVm Abs. 7 BFA-VG unterbleiben.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen. Nach Art. 133 Abs. 4 Satz 1 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des VwGH abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des VwGH nicht einheitlich beantwortet wurde.
Im vorliegenden Fall ist die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung abhängt.
Hinsichtlich der Einordnung des Sachverhaltes konnte sich das Bundesverwaltungsgericht insbesondere auf die Rechtsprechung der Höchstgerichte und des EGMR bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den rechtlichen Erwägungen wiedergegeben.
Schlagworte
Angehörigeneigenschaft, Familienleben, Obsorge, SelbsteintrittsrechtEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2018:W205.2136899.1.00Zuletzt aktualisiert am
07.09.2018