Entscheidungsdatum
27.07.2018Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W196 2135820-1/12E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Maga. Ursula SAHLING als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Somalia, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 06.09.2016, Zl. 1018316607 - 14618411, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 10.10.2017 zu Recht erkannt:
A)
I. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides wird gemäß § 3 Abs. 1 AsylG als unbegründet abgewiesen.
II. Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG wird XXXX der Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Somalia zuerkannt.
III. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG wird XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter für die Dauer von einem Jahr erteilt.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Somalia, stellte nach illegaler Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 16.05.2014 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.
Am Tag der Antragstellung wurde der Beschwerdeführer einer Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes unterzogen, wobei er zu seiner Person angab, er sei in Mogadischu (Somalia) geboren, gehöre der Volksgruppe der Sheikhal an und habe moslemischen Glauben. Er habe neun Jahre lang die Grundschule besucht. Bislang habe er keine Ehe geschlossen. Im Herkunftsland würden seine Mutter seine drei Brüder und seine Schwester leben.
Zu seinen Fluchtgründen befragt, schilderte der Beschwerdeführer, dass er Somalia bereits 2008 verlassen habe. Sein Vater sei getötet und seine Mutter misshandelt worden. Er selbst sei von einer militanten Gruppe bedroht und verfolgt worden. In Kenia könne er nicht mehr leben, weil ihm die Abschiebung nach Somalia drohen würde. Er habe Angst getötet zu werden.
Am 01.04.2015 wurde der Beschwerdeführer unter Beiziehung eines geeigneten Dolmetschers für die Sprache Somalisch vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einvernommen und gab dabei zunächst an, dass er bis zum Jahr 2008 mit seiner Mutter und seinen Geschwistern, seiner Schwester und seinen drei Brüdern, in Mogadischu, Bezirk Yaqshid gelebt habe. Im Juni 2008 sei der Beschwerdeführer nach Kenia ausgereist, wobei seine Familie zwei Monate später nachgekommen sei und hätten sie zusammen in einem Camp gelebt, wo seine Mutter und seine Geschwister nach wie vor aufhältig seien. Er habe gelegentlich Kontakt zu seiner Mutter, die krank sei und der es wirtschaftlich schlecht gehe. Seine Mutter sei mit einem Gewehrkolben geschlagen worden und leide sie an den Folgen der Misshandlung. Zudem wären sie enteignet worden. Sein Vater habe in einem Geschäft gearbeitet und sei sein Vater im Jahr 1997 im Zuge eines Raubes getötet worden. Der Beschwerdeführer gehöre dem Clan der Sheikhal und seine Mutter dem Clan der Abgal an. Sie wären vom Clan der Sheikhal und nicht vom Clan seiner Mutter unterstützt worden, was von 1997 bis 2008 gut funktioniert habe, wobei es nach dem Tod des Vaters schwerer gewesen sei. Des Weiteren brachte der Beschwerdeführer vor, dass Al-Shabaab ihn hätte rekrutieren wollen, wobei er sich geweigert habe beizutreten. Im Mai 2008 seien sie während sich der Beschwerdeführer in der Arbeit befunden habe zum Beschwerdeführer nach Hause gekommen und sei die Mutter des Beschwerdeführers gefragt worden, wo der Beschwerdeführer sei. Daraufhin seien sie an einem anderen Tag wiedergekommen, an dem der Beschwerdeführer zu Hause gewesen sei. Sie hätten ihm gesagt, dass sie ihn brauchen würden und wollten sie, dass er mitarbeite, wobei der Beschwerdeführer einen Betritt verweigert habe. Sie wären im Mai 2008 noch ein drittes Mal gekommen. Auch da hätten sie gesagt, dass er ein Mitglied ihrer Gruppe werden solle, sonst würden sie den Beschwerdeführer töten. Es wären jedes Mal drei mit einem Gewehr bewaffnete Männer mit verdeckten Gesichtern und in kurze Hose gekommen. Später habe ihm seine Mutter gesagt, dass er das Land verlassen solle, andernfalls würde er getötet. Nach seiner Ausreise hätten die Leute von Al-Shabaab die Mutter des Beschwerdeführers noch zweimal aufgesucht. Das erste Mal hätten sie nach dem Beschwerdeführer gefragt und das zweite Mal hätten sie die Mutter des Beschwerdeführers geschüttelt.
Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.). Unter Spruchpunkt II. dieses Bescheides wurde der Antrag des Beschwerdeführers hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Somalia gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen. Ferner wurde dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung nach Somalia gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt III.). Unter Spruchpunkt IV. wurde ausgesprochen, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt (Spruchpunkt IV.).
In seiner Begründung stellte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Wesentlichen fest, dass nicht festgestellt werden habe können, dass der Beschwerdeführer in Somalia der Gefahr einer individuellen, konkret gegen ihn gerichteten Verfolgung aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung ausgesetzt sei. Er habe keine asylrelevante Verfolgung glaubhaft machen können. Es könne nicht festgestellt werden, dass er bei einer Rückkehr nach Somalia zu befürchten habe, verfolgt zu werden. Es könne nicht festgestellt werden, dass er nicht in der Lage wären, sich eine Existenzgrundlage zu schaffen. Auch könne nicht festgestellten werden, dass der Beschwerdeführer nach seiner Rückkehr in Somalia infolge seines derzeitigen Gesundheitszustandes in einen unmittelbar lebensbedrohlichen Zustand geraten oder sich eine Erkrankung in einem lebensbedrohlichen Ausmaß verschlechtern würde. Es wären auch sonst keine Hinweise hervorgekommen, dass allenfalls andere körperliche oder psychische Erkrankungen seiner Rückkehr entgegenstehen würden. Beweiswürdigend führte das Bundesamt im Wesentlichen aus, dass der Beschwerdeführer seinen ursprünglichen Ausreisegrund aus Somalia - die angebliche Bedrohung durch die Al-Shabaab - sehr vage geschildert habe. Er habe lediglich oberflächlich Angaben getätigt, was vor dem Hintergrund, dass es sich dabei um die fluchtauslösenden Ereignisse handeln würde, nicht lebensnah erscheine. Glaubhaft erscheine, dass der Beschwerdeführer in der Hoffnung auf bessere Ausbildungs-und Lebensbedingungen - somit aus wirtschaftlichen Gründen - auch Kenia verlassen habe. Dieser Eindruck habe sich aufgrund der Angaben des Beschwerdeführers verstärkt, indem er angegeben habe, dass er seine Familie von hier aus unterstützen könne und auch mit dem Gedanken spielte seine Mutter wegen ihrer gesundheitlichen Probleme nach Österreich zu holen. Dieser Wunsch sei durchaus menschlich verständlich, jedoch könne daraus keine aktuell drohende individuelle Gefahr einer asylrechtlich relevanten Verfolgung geltend gemacht werden.
Mit Verfahrensanordnung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 07.09.2016 wurde dem Beschwerdeführer für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht amtswegig ein Rechtsberater zur Seite gestellt.
Mit Schreiben vom 23.09.2016 erhob der Beschwerdeführer im Wege seines bevollmächtigen Vertreters Beschwerde wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens.
Am 10.10.2017 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung unter Beiziehung eines geeigneten Dolmetschers für die Sprache Somalisch statt, an der der Beschwerdeführer sowie seine rechtsfreundliche Vertretung teilnahmen.
Der Befragung des Beschwerdeführers sind folgende Passagen zu entnehmen:
R: Erzählen Sie, wo sind Sie geboren, wer sind Ihre Eltern und über
Ihre Clanzugehörigkeit. BF: Geboren bin ich in Mogadischu am 01.10.1990. Gelebt habe ich in Mogadischu Bezirk Yaqshid Unter-Bezirk Tawfiq. Mein Vater ist 1997 gestorben. Er wurde getötet vom Stamm Milizen Habr Gedir. Mein Vater hat in einem Lebensmittel-Geschäft gearbeitet. Es waren Banditen, die das Geschäft ausrauben wollten. Mein Vater hat versucht das Geschäft zu verteidigen. Dann haben sie ihm in den Kopf geschossen. Sie haben das Geschäft ausgeraubt dann wurde uns die Leiche meines Vaters gebracht. Wir haben ihn beerdigt. Die Familie meines Vaters wurde von den Verwandten unterstütz. Sie haben Geld aufgetrieben und meiner Mutter gegeben für uns. Meine Mutter hat davon einen Esel gekauft. Sie hat damit Wasser in der Stadt verteilt und damit Geld verdient. Bis 2007 haben wir so gelebt.
R: Haben Sie Geschwister?
BF: Ich habe drei Brüder und eine Schwester.
R: Wie ist die Clanzugehörigkeit?
BF: Meine Mutter ist ein Abgaal. Mein Vater ist Sheikhal, Subclan Lobogi, Agane, Mohamed Agane. Ich habe die Schule besucht bis zur 9. Klasse aber nicht abgeschlossen. (= bis zur 8.). Nachdem meine Mutter sich nichts mehr leisten konnte, weil ihr Geschäft nicht mehr gut ging, weil sie in der Stadt Wasserleitungen verlegt haben. Dann habe ich den Schulbesuch abgebrochen und angefangen in einem Restaurant zu arbeiten. Damit konnte ich dann meine Familie unterstützen. Dann wurde uns der Esel weggenommen von den Habr Gedir. Dann hat man uns im Jahr 2007 unser eigenes Haus weggenommen. Ein Händler hat uns das Haus weggenommen. Er ist zu Milizen von Habr Gedir gegangen und hat ihnen Geld gegeben. Dann ist der Händler mit dem Bagger gekommen und hat meine Mutter und meine Geschwister aus dem Haus vertrieben und das Haus weggerissen (Es war eine Wellblechhütte). Sie haben meine Mutter verprügelt, so dass sie das Bewusstsein verloren hat. Ich war nicht zu Hause, weil ich Fußball spielen war. Als ich nach Hause zurückgekommen bin, habe ich meine Mutter am Boden liegen gesehen und das Haus zerstört. Ich war damals jung, ich habe geglaubt, dass meine Mutter gestorben ist. Sie war aber nur bewusstlos. Ich war schockiert, mir war schwindelig, ich bin auch auf den Boden gefallen. Die Nachbarn sind gekommen. Meine Mutter ist wieder aufgewacht. Nachdem sie uns rausgeschmissen haben, haben sie das Grundstück sofort mit neuem Wellblech eingegrenzt und versperrt. Wir sind dann in ein Miethaus gezogen. Nachdem wir einem nicht-mächtigen Stamm angehören, mussten wir aufgeben zu versuchen das Haus zurück zu bekommen. Die Miete konnten wir uns leisten. Al Shabaab sind zu meiner Mutter gekommen während ich arbeiten war und haben nach mir gefragt. Das war im Mai 2008. Meine Mutter hat gesagt, dass ich arbeiten bin. Sie sind noch einmal gekommen, da war ich zu Hause. Al Shabaab hat mir erklärt, dass sie gegen Ungläubige kämpfen und dass das unsere Feinde sind. Sie haben versucht mich zu überzeugen und zu manipulieren. Sie sagten, dass sie der richtige Weg sind. Sie sagten sie kämpfen gegen die AMISOM. Die hätten das Land erobert. Ich sagte, dass ich ein normaler Zivilist bin, ich arbeite, um meine Familie zu ernähren. Ich möchte kein Soldat von Al Shabaab werden. Sie kamen ein drittes Mal zu uns. Jedes Mal waren drei Männer da, sie waren vermummt, hatten kurze Hosen und Gewehre. Sie haben versucht mich zu terrorisieren. Sie haben mich mit dem Gewehrkolben geschlagen. Sie haben neben meinem Ohr geschossen, damit sie mir Angst einflössen. Dann sind sie wieder gegangen. Mir ist schwindelig geworden, ich habe das Bewusstsein verloren. Sie haben mir gesagt, dass sie wiederkommen werden und ich mich dann entscheiden muss. Entweder ich schließe mich ihnen an oder ich werde getötet. Meine Mutter hatte Ersparnisse zu Hause, sie hat mir ca 300 Dollar gegeben, mit denen ich Somalia verlassen konnte. Das Geld war eigentlich für eine Behandlung meiner Mutter gedacht, nachdem sie verprügelt worden ist. Mit einem Auto habe ich Mogadischu verlassen und bin nach Hagadheer gekommen, es gehört zu Kenia, das ist ein UNFlüchtlingslager. Dorthin bin ich gekommen, um mein Leben zu retten. Die Männer sind zu meiner Mutter gekommen und haben wieder nach mir gefragt. Meine Mutter sagte ihnen nicht, dass ich geflüchtet bin, damit sie mich nicht sofort verfolgen können, sondern sie sagte, dass ich bei der Arbeit bin. Sie sind wieder gegangen, weil sie dachten, dass ich bei der Arbeit bin. Dann sind sie wieder zu meiner Mutter gekommen und haben nach mir gefragt. Sie haben versucht herauszufinden, wo ich bin. Sie haben meine Mutter mit Gewehrkolben geschlagen. Meine Mutter hat das Bewusstsein verloren. Sie war auch krank, durch die Schläge hat sich ihr Zustand verschlechtert. Ich habe in Hagadheer gelebt. Zwei jüngere Geschwister waren zu Hause. Zwei andere waren draußen spielen. Meine Mutter konnte dort nicht weiterleben. Durch die Schläge ist sie schwer krank geworden und ist geflüchtet. Sie ist mit den Geschwistern nach Hagadheer gekommen. Die Nachbarn haben ihr geholfen und sie unterstützt mit Geld. In Hagadheer konnten wir nicht weiter leben, das war an der Grenze. Al Shabaab hat dort in der Nacht Leute entführt. Daher haben wir Angst gehabt. Wir haben dann Hagadheer verlassen und sind nach Kakuma gekommen, dort ist auch ein Flüchtlingslager in Kenia an der sudanesischen Grenze (BF zeigt die Dokumente von Seite 127, 129, 131 vor). Dort gab es Kriminalität, durch die Nomaden die Leute beraubt und getötet haben. Sie haben auch Frauen vergewaltigt. Dann bin ich nach Nairobi gegangen, um zu arbeiten, um meine Familie zu unterstützen. Der Zustand meiner Mutter hat sich verschlechtert. Ich hatte Schwierigkeiten mit der Polizei, weil ich keine Aufenthaltsgenehmigung hatte. Die Polizei sperren die Leute ein und lassen dich dann wieder frei gegen Geld. Ich musste alles was ich gespart hatte jedes Mal abgeben, damit ich wieder frei kommen konnte. Es ist schwer Papiere zu beschaffen, wenn man dort nicht geboren ist. Dann hat die kenianische Regierung beschlossen, Somalier nach Hause zu schicken, das war 2014. Meine Mutter hatte große Angst um mich, nachdem was uns alles in Somalia passiert ist. Dann hat sie mich weggeschickt. Auch die zwei anderen jüngeren Brüder hat sie weggeschickt. Sie waren in Libyen. Ob sie noch am Leben sind, weiß ich nicht. Ich bin über den Iran in die Türkei gekommen. Ich habe jemandem das Dokument mit einem Touristenvisum abgekauft. Andere Somalier haben das Fluchtgeld aufgetrieben, sie haben meiner Mutter geholfen. Seit einem Jahr habe ich von meiner Mutter nichts gehört.
R: Was glauben Sie würde Ihnen passieren, wenn Sie nach Mogadischu zurückkehren?
BF: Ich habe Angst vor Al Shabaab. Der Mann, der unser Haus weggenommen hat, würde mich töten, weil er glaubt, dass ich das Haus zurück haben möchte. Meine Familie ist nicht mehr dort, die mir helfen könnte. Deshalb kann ich nicht nach Somalia zurück.
BFV: Habe ich es richtig verstanden, dass die Enteignung des Hauses und die Wegnahme des Esels aufgrund Ihrer Zugehörigkeit zum Clans der Sheikhal passiert ist?
BF: Ja, das war so.
BFV: Sind die Sheikhal ein Minderheitenclan?
BF: Ja.
BFV: Hatten Sie sonst noch Probleme aufgrund der Zugehörigkeit zu diesem Clan?
BF: Es ist uns öfter passiert, dass man z.B. beim Wasser verteilen meine Mutter nicht bezahlt hat, weil wir nicht bewaffnet sind und uns nicht verteidigen können.
BFV: Zur UN-Flüchtlingskarte: Hätte es eine Möglichkeit gegeben, die Flüchtlingspapiere bei den Behörden in Kenia in ein "offizielles Aufenthaltsdokument" umwandeln zu können?
BF: Nein, das war nicht möglich, mit dem konnte man nur im Flüchtlingslager bleiben, sonst wird man eingesperrt.
Im Zuge der mündlichen Verhandlung legte der Beschwerdeführer folgende Unterlagen vor:
* Zwei Deutschkursbestätigung vom 23.12.2016 und vom 06.10.2017;
* Bestätigung der Stadtamtsdirektion Bruck an der Mur über die ehrenamtliche Tätigkeit vom28.04.2017;
* Empfehlungsschreiben der Stadtamtsdirektion Bruck an der Mur ohne Datumsangabe sowie
* Diverse Fotos
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Somalia, Zugehöriger zum Clan der Sheikhal und bekennt sich zum muslimischen Glauben. Der Beschwerdeführer ist ledig und kinderlos. Er stammt aus der somalischen Hauptstadt Mogadischu, Yaqshid, wo er geboren und aufgewachsen ist bis er im Jahr 2008 nach Kenia gereist ist, wo er bis vor seiner Ausreise im Jahr 2014 mit seinen Familienangehörigen - seiner Mutter und seinen Geschwistern, drei Brüder und eine Schwester - in einem Flüchtlingscamp gelebt hat. Zu seinen Angehörigen besteht kein Kontakt mehr. Der Beschwerdeführer reiste illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 16.05.2014 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.
Nicht als Sachverhalt zugrunde gelegt werden sämtliche Angaben des Beschwerdeführers zur behaupteten Bedrohungssituation in Bezug auf den Herkunftsstaat Somalia. Insbesondere wird nicht festgestellt, dass der Beschwerdeführer einer asylrelevanten Gefährdung, die von Seiten der Al-Shabaab ausgeht, ausgesetzt ist. Der Beschwerdeführer hat mit seinem Vorbringen keine Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention glaubhaft gemacht.
Nicht festgestellt wird, dass der Beschwerdeführer im Fall einer Rückkehr nach Somalia aus Gründen seiner Clanzugehörigkeit bzw. seiner Glaubensrichtung oder aus sonst in seiner Person gelegenen Gründen (etwa wegen der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Gesinnung) einer asylrelevanten Gefährdung ausgesetzt wäre. Auch eine drohende asylrelevante Verfolgung aus anderen Gründen ist nicht hervorgekommen und zwar weder aufgrund des Vorbringens des Beschwerdeführers noch aus amtswegiger Wahrnehmung.
Festgestellt wird, dass dem Beschwerdeführer aufgrund der prekären Lage in Somalia in Verbindung mit der allgemeinen problematischen Sicherheits- und Versorgungslage im gesamten Staatsgebiet, sowie aufgrund des Umstandes, dass der Beschwerdeführer in seinem Herkunftsstaat nicht mehr über familiäre bzw. soziale Kontakte verfügt, bei einer Rückkehr nach Somalia die Gefahr unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK droht bzw. ihn eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes treffen würde.
Der Beschwerdeführer ist strafrechtlich unbescholten, hat an mehreren Deutschkursen teilgenommen und verrichtete gemeinnützige Hilfstätigkeiten.
Zur verfahrensrelevanten Situation in Somalia:
Update zur Dürre-Situation:
Nachdem über zwei Jahre beide Regenzeiten (Deyr und Gu) ausgeblieben sind, hat sich in Somalia eine humanitäre Katastrophe entwickelt. Das System von Subsistenz-Landwirtschaften in den Flussgebieten von Shabelle und Juba ist teilweise zusammengebrochen; die Preise für Grundnahrungsmittel haben sich verdoppelt; und Millionen Stück Vieh sind verendet (ICG 9.5.2017). Die Behörden Somalilands sprechen von 80% Verlusten beim Viehbestand (BBC 11.5.2017; vgl. TG 24.5.2017), andere Schätzungen sprechen von 50%. Der Außenminister Somalilands gibt an: "Es gab hier schon immer Dürreperioden, aber nur alle zehn Jahre. Jetzt haben wir sie schon alle zwei Jahre. Und die Dürre in diesem Jahr ist die schlimmste Dürre, die wir in Ostafrika jemals hatten." (TG 24.5.2017)
In vielen Städten Süd-/Zentralsomalias sind Nahrungsmittel für IDPs und sehr arme Bevölkerungsteile kaum mehr leistbar (ICG 9.5.2017). Die Dürresituation hält vor allem im Südwesten Somalias weiter an, dort bleibt die Angst vor einer Hungersnot bestehen. In den nördlichen und zentralen Teilen des Landes hat der teils durchschnittliche, teils überdurchschnittliche Regen im Jahr 2017 zur verbesserten Weide- und Wasserlage beigetragen (UNFPA 14.6.2017)
Dafür ist eine massive Hilfsoperation angelaufen, an der zahlreiche ausländische und lokale NGOs beteiligt sind (ICG 9.5.2017). Dank der großzügigen Ressourcen, die von Gebern zur Verfügung gestellt worden sind, konnten nationale und internationale NGOs sowie UN-Agenturen ihre humanitäre Unterstützung in ganz Somalia massiv nach oben fahren. Dabei wird mit den Behörden zusammengearbeitet. In Mogadischu, Baidoa und Garoowe wurden Koordinierungszentren eingerichtet (UNSC 9.5.2017). Koordinierung und Management der Operationen sind angesichts der Fehler in der Vergangenheit (2011) stark verbessert worden (ICG 9.5.2017). Die internationale Unterstützung erfolgte relativ rasch, die Anstrengungen sind besser koordiniert. Auch auf nationaler Ebene wurde reagiert und geholfen. Die Regierung hat Anstrengungen unternommen, selbst Studenten wurden ermutigt, jeweils 10 USD zu spenden. Firmen und Wirtschaftstreibende haben signifikant zu den Hilfskampagnen beigetragen (ICG 9.5.2017).
Die Zahl der Menschen, die durch die Operationen zur Verbesserung des Zugangs zu Nahrungsmitteln erreicht werden, hat sich von 1,1 Millionen im Februar 2017 auf 1,7 Millionen erhöht. Alleine im März konnten 332.000 Kinder von Ernährungsleistungen profitieren. Darunter waren 69.000 schwer unterernährte Kinder unter 5 Jahren. Auch die Versorgung mit sicherem Trinkwasser wurde hochgefahren. Dabei wurden zwischen Jänner und März 2017 knapp 1.150.000 Menschen erreicht. Allein im Februar hat sich die Zahl der Erreichten verdoppelt (UNSC 9.5.2017).
Rund 50% der gewährleisteten Hilfe wurde in Geld geleistet. Damit werden Märkte stabilisiert, wurde das schnelle Hochfahren der Unterstützung gewährleistet, wurden Menschen auch in entlegenen Gebieten erreicht und wurde das Risiko der Plünderung von humanitären Hilfsgütern minimiert (UNSC 9.5.2017). Außerdem ist diese Form der Hilfeleistung billiger. Gelder werden über Mobilfunksysteme ausbezahlt (ICG 9.5.2017).
Trotz aller Bemühungen wurden die gesetzten Ziele aber nicht erreicht, die humanitäre Lage verschlechtert sich weiter. Das Risiko einer Hungersnot besteht weiterhin. 6,2 Millionen Menschen sind akut von Nahrungsmittelknappheit betroffen, 3 Millionen brauchen lebenserhaltende Unterstützung (UNSC 9.5.2017). Seit November 2016 verließen über 740.000 Menschen aufgrund der Dürre ihre Heimatgebiete, darunter 480.000 unter 18jährige (UNHCR 31.5.2017). Aus manchen Regionen wurden Hungertote gemeldet - etwa aus Bay (BBC 4.3.2017).
Einige Schwierigkeiten, die schon im Jahr 2011 vorherrschten, bestehen auch weiterhin. Unsicherheit und mangelnder Zugang zu Hilfsgütern sind problematisch (ICG 9.5.2017). Vor allem in Süd-/Zentralsomalia hindert die schlechte Sicherheitslage Menschen manchmal am Zugang zu humanitärer Hilfe (UNSC 9.5.2017). Dabei ist Süd-/Zentralsomalia wieder das Epizentrum der humanitären Krise. Diese wird dort durch lokale Clan-Konflikte und al Shabaab noch verschärft (ICG 9.5.2017).
Dahingegen waren zwar auch Teile ("pockets") von Somaliland und Puntland schwer von der Dürre betroffen. Dort ist die Situation aber bei weitem weniger schlecht als im Süden (ICG 9.5.2017).
Überhaupt variiert die Abdeckung mit internationaler humanitärer Unterstützung regional. Die meisten Gebiete in Somaliland und Puntland sind besser abgedeckt, die Möglichkeiten in Süd-/Zentralsomalia mehr eingeschränkt (ICG 9.5.2017).
Quellen:
* BBC (11.5.2017): How do you solve a problem like Somalia? http://www.bbc.com/news/world-africa-39855735, Zugriff 27.6.2017;
* BBC (4.3.2017): Somalia drought - More than 100 die from hunger in one region, http://www.bbc.com/news/world-africa-39166746, Zugriff 27.6.2017;
* ICG - International Crisis Group (): Instruments of Pain (III) - Conflict and Famine in Somalia, https://www.crisisgroup.org/africa/horn-africa/somalia/b125-instruments-pain-iii-conflict-and-famine-somalia, Zugriff 27.6.2017;
* The Guardian (24.5.2017): Somaliland's hunger crisis: 'The world doesn't respond until children are dying', https://www.theguardian.com/global-development/2017/may /24/somaliland-hunger-crisis-world-doesnt-respond-until-children-are-dying-foreign-minister-saad-ali-shire, Zugriff 27.6.2017;
* UNFPA - UN Population Fund (14.6.2017): UNFPA Situation Report 26th May to 16th June 2017,
http://somalia.unfpa.org/sites/default/files/pub-pdf/Somalia%20SitRep% 20%23011%2026th%20May%20-%2016th%20June%202017.pdf, Zugriff 27.6.2017;
* UNHCR (31.5.2017): PRMN Drought Displacements, http://reliefweb.int/sites /reliefweb.int/files/resources/57361.pdf, Zugriff 27.6.2017 und
* UNSC - UN Security Council (9.5.2017): Report of the Secretary-General on Somalia,
http://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/N1712363.pdf, Zugriff 27.6.2017
Farmaajo neuer Präsident:
Der frühere Regierungschef Mohamed Abdullahi Mohamed Farmaajo hat die Präsidentenwahl in Somalia gewonnen. Im zweiten Durchgang der Wahl am Mittwoch ließ der 54-jährige somalisch-amerikanische Doppelstaatsbürger Farmaajo den bisherigen Amtsinhaber Hassan Sheikh Mohamud hinter sich (NZZ 8.2.2017). Tausende Menschen feierten am Mittwochabend (8.2.2017) den Sieg von Farmaajo auf den Straßen von Mogadischu. Es gab Hupkonzerte, und Menschen umarmten Soldaten (FR 10.2.2017; vgl. VOA 9.2.2017). Auch in anderen somalischen Städten sowie in Kenia - in Garissa und Eastleigh - kam es zu spontanen Freudenfeiern, die als Ausdruck aufrichtiger Unterstützung für den neuen Präsidenten durch die Bevölkerung gewertet werden können (VOA 9.2.2017).
Die Wahl von Mohamed Farmaajo kam überraschend, galt doch der Amtsinhaber Hassan Sheikh Mohamud als Favorit (FR 10.2.2017). Letzterer hat jedenfalls seine Niederlage eingestanden (NZZ 8.2.2017; vgl. VOA 9.2.2017), und er forderte alle Somalis dazu auf, den neuen Präsidenten zu unterstützen. Farmaajo wurde unmittelbar angelobt (VOA 9.2.2017).
Die Durchführung einer allgemeinen und freien Wahl war in Somalia zwar nicht möglich gewesen; doch die Zahl von 14.024 Wahlmännern ist ein erheblicher Fortschritt gegenüber früheren Wahlen, als der Sieger unter gerade einmal 135 Clanchefs ausgekungelt wurde. Die Medien konnten hinsichtlich der Wahl relativ frei agieren und Korruption und Wahlverschiebung anprangern - ein gutes Zeichen (DW 10.2.2017).
2010/2011 war Farmaajo acht Monate lang Premierminister von Somalia gewesen. Damals hatte er sich einen Namen als Anti-Korruptionskämpfer erworben (FR 10.2.2017; vgl. VOA 9.2.2017). Seine Entlassung durch den damaligen Präsidenten Ahmed Sheikh Sharif führte zu heftigen Protesten der Bevölkerung (FR 10.2.2017).
Quellen:
* DW - Deutsche Welle (10.2.2017): Kommentar: Farmajo, der neue Präsident Somalias - Wie viele Löcher hat der Käse? http://www.dw.com/de/kommentar-farmajo-der-neue-pr%C3%A4sident-somalias-wie-viele-l%C3%B6cher-hat-der-k%C3%A4se/a-37496267, Zugriff 13.2.2017;
* FR - Frankfurter Rundschau (10.2.2017): Hoffnung für Somalia, http://www.fr-online.de/politik/wahl-hoffnung-fuer-somalia,1472596,35147632.html, Zugriff 13.2.2017;
* NZZ - Neue Zürcher Zeitung (8.2.2017): Präsidentenwahl zwischen Sandsäcken und Ruinen,
https://www.nzz.ch/international/nahost-und-afrika/mohamud-in-somalia-abgewaehlt-praesidentenwahl-zwischen-sandsaecken-und-ruinen-ld.144287, Zugriff 13.2.2017 und
* VOA - Voice of America (9.2.2017): Somalis Optimistic About New President,
http://www.voanews.com/a/hopes-high-somalia-s-new-president-will-improve-security/3716301.html, Zugriff 13.2.2017
Politische Lage:
Das Gebiet von Somalia ist de facto in drei unterschiedliche administrative Einheiten unterteilt: a) Somaliland, ein 1991 selbstausgerufener unabhängiger Staat, der von der internationalen Gemeinschaft nicht anerkannt wird; b) Puntland, ein 1998 selbstausgerufener autonomer Teilstaat Somalias; c) das Gebiet südlich von Puntland, das Süd-/Zentralsomalia genannt wird (EASO 8.2014). Im Hinblick auf fast alle asylrelevanten Tatsachen ist Somalia in diesen drei Teilen zu betrachten (AA 1.12.2015).
Im Jahr 1988 brach in Somalia ein Bürgerkrieg aus, der im Jahr 1991 im Sturz von Diktator Siyad Barre resultierte. Danach folgten Kämpfe zwischen unterschiedlichen Clans, Interventionen der UN sowie mehrere Friedenskonferenzen (EASO 8.2014). Seit Jahrzehnten gibt es keine allgemeinen Wahlen auf kommunaler, regionaler oder zentralstaatlicher Ebene. Politische Ämter wurden seit dem Sturz Siad Barres 1991 entweder erkämpft oder unter Ägide der internationalen Gemeinschaft, hilfsweise unter Einbeziehung nicht demokratisch legitimierter traditioneller Strukturen (v.a. Clan-Strukturen) vergeben (AA 1.12.2015). Somalia ist keine Wahldemokratie. Es gibt keine demokratischen Institutionen. Das Parlament wurde durch Clan-Repräsentanten ausgewählt, und zwar entlang der sogenannten 4.5-Formel. Diese gibt den vier Hauptclans jeweils gleich viele Sitze, und den kleineren Clans und Minderheiten insgesamt halb so viele Sitze, wie einem Hauptclan. Trotzdem wird die Förderung der Demokratie formell von allen politischen Akteuren - mit der Ausnahme von al Shabaab - akzeptiert. So ist das politische System Somalias weder demokratisch noch autoritär; alles dreht sich um die Repräsentation auf Basis der Clans (BS 2016).
Im August 2012 endete die Periode der Übergangsregierung (BS 2016). Das derzeitige Bundesparlament wurde konsensual unter Einbeziehung traditioneller Eliten bestimmt und hat dann den Präsidenten gewählt (AA 1.12.2015; vgl. USDOS 13.4.2016). Dies ist die erste Regierung Somalias seit 1991, der breite internationale Unterstützung zukommt (BS 2016). Somalia gilt laut dem UN-Repräsentanten nicht mehr als failed state, sondern als fragiles Land. Die Situation hat sich in den vergangenen drei Jahren stabilisiert (AP 23.12.2015; vgl. AA 1.12.2015).
Eigentlich waren für 2016 Wahlen vorgesehen. Der Präsident hat aber im Juni 2015 angekündigt, dass diese "one person, one vote"-Wahlen verschoben werden (USDOS 13.4.2016; vgl. UNSC 8.1.2016). Dagegen hat es im Parlament Proteste gegeben (AI 24.2.2016). Ein von der Regierung einberufenes National Consultative Forum soll über einen anderen Wahlprozess für das Jahr 2016 beraten. Gleichzeitig soll das Forum auf Vorbereitungen für allgemeine Wahlen im Jahr 2020 treffen (UNSC 8.1.2016).
Obwohl seit dem Ende der Übergangsperiode wiederholt der politische Wille zur umfassenden Reform des Staatswesens (Etablierung von Rechtsstaatlichkeit, Schutz von Menschenrechten, Demokratisierung, Föderalisierung) bekundet wird, ist die faktische Situation nach wie vor in all diesen Bereichen sehr mangelhaft (AA 1.12.2015). Die Erfolge der aktuellen Regierung bei Friedens- und Staatsbildung waren sehr bescheiden. Politische Grabenkämpfe zwischen dem Präsidenten und dem Premierminister haben zu mangelnder Kontinuität beim Regierungspersonal geführt (BS 2016). Zuletzt gab es im August 2015 eine Regierungskrise, als das Parlament ein Amtsenthebungsverfahren gegen Präsident Mohamud einleiten wollte (UNSC 11.9.2015; vgl. AI 24.2.2016). Dieses Begehren wurde später zurückgezogen (UNSC 8.1.2016).
Die anhaltenden politischen Grabenkämpfe und der Fokus auf die Föderalisierung haben die Regierung von Reformen im Justiz- und Sicherheitsbereich abgelenkt (HRW 27.1.2016). Das Clansystem hat wiederum die Einrichtung nachhaltiger Regierungs- und Verwaltungsstrukturen behindert (UNHRC 28.10.2015). Außerdem wird die Autorität der Zentralregierung vom nach Unabhängigkeit strebenden Somaliland im Nordwesten sowie von der die Regierung aktiv bekämpfenden, radikal-islamistischen al Shabaab-Miliz in Frage gestellt (AA 1.12.2015).
Es gab einen signifikanten Fortschritt bei der Einrichtung staatlicher Strukturen auf regionaler Ebene, und für alle Bezirke (außer Baardheere) gibt es vorläufige Verwaltungen (UNSC 8.1.2016). Gleichwohl gibt es aber keine flächendeckende effektive Staatsgewalt. Die vorhandenen staatlichen Strukturen sind fragil und schwach, wesentliche Staatsfunktionen können nicht ausgeübt werden (AA 1.12.2015). Die föderale Regierung hat es bislang kaum geschafft, sich außerhalb Mogadischus durchzusetzen (ÖB 10.2015). Die regionalen Verwaltungen kämpfen noch damit, ihre Autorität durchzusetzen. Sie stehen dabei einem Mangel an Geld, einem Mangel an Regierungsinfrastruktur und einem Mangel an Personal gegenüber. Außerdem fehlt es an Details zu den Strukturen der Bundesstaaten sowie an breiter Unterstützung beim Staatsbildungsprozess (UNSC 8.1.2016). Die internationalen Partner werden auch weiterhin signifikante Unterstützung gewähren müssen (UNSC 8.1.2016), wie etwa über laufende Projekte zur Kapazitätsbildung und zu Kernfunktionen der Regierung durch die Weltbank und UNDP (UNSC 11.9.2015).
[...]
Quellen:
* AA - Auswärtiges Amt (1.12.2015): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia;
* AI - Amnesty International (24.2.2016): Amnesty International Report 2015/16 - The State of the World's Human Rights - Somalia, http://www.ecoi.net/local _link/319738/445108_en.html, Zugriff 22.3.2016;
* AP - Associated Press (23.12.2015): Somalia no longer a failed state, just a fragile one, says UN. The Guardian, http://www.theguardian.com/world/2015/dec/23/somalia-no-longer-a-failed-state-just-a-fragile-one-says-un, Zugriff 20.4.2016;
* BS - Bertelsmann Stiftung (2016): BTI 2016 - Somalia Country Report,
https://www.bti-project.org/fileadmin/files/BTI/Downloads/Reports/2016/pdf/BTI _2016_Somalia.pdf, Zugriff 24.3.2016;
* EASO - European Asylum Support Office (8.2014): South and Central Somalia: Country Overview,
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* HRW - Human Rights Watch (27.1.2016): World Report 2016 - Somalia, http://www.ecoi.net/local_link/318350/443530_en.html, Zugriff 22.3.2016;
* ÖB - Österreichische Botschaft Nairobi (10.2015):
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* UNHRC - UN Human Rights Council (28.10.2015): Report of the independent expert on the situation of human rights in Somalia, Bahame Tom Nyanduga,
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* UNSC - UN Security Council (8.1.2016): Report of the Secretary-General on Somalia,
http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1453284910_n1600065.pdf, Zugriff 1.4.2016;
* UNSC - UN Security Council (11.9.2015): Report of the Secretary - General on Somalia,
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* USDOS - US Department of State (13.4.2016): Country Report on Human Rights Practices 2015 - Somalia, http://www.state.gov/j/drl/rls/hrrpt/humanrightsreport /index.htm?year=2015&dlid=252727, Zugriff 14.4.2016
Sicherheitslage in Süd- bzw. Zentralsomalia
Seit Beginn des Bürgerkrieges 1991 gab es in weiten Landesteilen kaum wirksamen Schutz gegen Übergriffe durch Clan- und andere Milizen sowie bewaffnete kriminelle Banden. In Süd-/Zentralsomalia herrscht weiterhin in vielen Gebieten Bürgerkrieg. Die somalischen Sicherheitskräfte kämpfen mit Unterstützung der Mission der Afrikanischen Union in Somalia (AMISOM) gegen die radikalislamistische Miliz al Shabaab. Die Gebiete sind teilweise unter der Kontrolle der Regierung, teilweise unter der Kontrolle der al Shabaab oder anderer Milizen (AA 1.12.2015; vgl. ÖB 10.2015) oder sind von AMISOM Offensiven betroffen (ÖB 10.2015). Al Shabaab führt weiterhin Angriffe auf Stellungen der AMISOM und der somalischen Armee sowie auf zivile Ziele durch (UNSC 8.1.2016). Zivilisten kommen im Kreuzfeuer, durch Sprengsätze oder Handgranaten ums Leben oder werden verwundet (AI 24.2.2016). Aus verschiedenen Garnisonsstädten heraus werden Vorstöße tief ins Gebiet der al Shabaab unternommen. Diese werden teilweise von Luftschlägen begleitet (BFA 10.2015). Al Shabaab betreibt auch asymmetrische Kriegsführung (EASO 2.2016; vgl. UNHRC 28.10.2015), gekennzeichnet durch Sprengstoffanschläge und komplexe Angriffe, von welchen Zivilisten überproportional betroffen sind. Daneben führt al Shabaab auch gezielte Attentate (UNHCR 28.10.2015; vgl. UKHO 15.3.2016) und sogenannte hit-and-run-Angriffe aus (DIS 9.2015).
Die Unsicherheit in den von der Regierung kontrollierten Gebieten, einschließlich Mogadischu, sowie politische Machtkämpfe behindern Fortschritte im Bereich der Justiz und die Reform des Sicherheitssektors (ÖB 10.2015). Politische Anstrengungen zur Etablierung von Bundesländern verstärkten die Clankämpfe in einigen Bereichen (ÖB 10.2015; vgl. BS 2016, USDOS 13.4.2016). Dabei kam es auch zu zahlreichen Todesopfern und Vertreibungen, z.B. zwischen Dir und Hawadle im Jänner 2015 (USDOS 13.4.2016).
Auch Regierungstruppen und Clanmilizen geraten regelmäßig aneinander. Dadurch werden viele Zivilisten schwerverletzt bzw. getötet und deren Eigentum wird zerstört. In solchen Fällen bleibt Zivilisten nichts andres übrig als die Flucht zu ergreifen, da weder Clan- noch staatlicher Schutz gegeben ist (ÖB 10.2015). Neben den Kampfhandlungen gegen al Shabaab gibt es aus dem ganzen Land auch Berichte über Inter- und Intra-Clankonflikte um Land und Wasserressourcen (EASO 2.2016).
AMISOM hat al Shabaab weitgehend zurückgedrängt (ÖB 10.2015). Bei gemeinsamen Offensiven mit der somalischen Armee wurde al Shabaab aus Städten in Hiiraan, Bay, Bakool, Gedo und Lower Shabelle vertrieben (AI 24.2.2016). Bei den beiden jüngeren Offensiven (Operation Indian Ocean, Operation Jubba Corridor) trafen AMISOM und Regierungskräfte aufgrund taktischer Rückzüge der al Shabaab nur auf wenig Widerstand. Eingenommen wurde die letzte Bastion der al Shabaab in der Region Gedo - Baardheere - und Diinsoor in der Region Bay. Der al Shabaab wurde zwar die Kontrolle über diese Städte entzogen, doch ist sie ansonsten nicht relevant geschwächt worden. Dahingegen kann AMISOM aufgrund einer Überdehnung der zur Verfügung stehenden Ressourcen nicht mehr in jeder Stadt und in jedem Dorf eine Präsenz aufrecht halten (EASO 2.2016). Auch die Haupttransportrouten werden von al Shabaab kontrolliert (HRW 27.1.2016).
In der Folge kam es zu schweren Angriffen der al Shabaab auf Janaale (am 1.9.2015) (UNSC 8.1.2016) und Leego (am 26.6.2015) mit insgesamt rund 100 Toten Soldaten der AMISOM und zahlreichen Vermissten (BFA 10.2015; vgl. UNSC 8.1.2016, EASO 2.2016). Als Reaktion auf diese Angriffe begann AMISOM mit einer Umgruppierung, wobei einige Städte und Ortschaften geräumt wurden, darunter Kurtunwarey, Ceel Saliini, Cambarey, Golweyne und Busley (Lower Shabelle); Buq-Aqabla und Xarar-Lugoole in Hiiraan; und Fidow an der Grenze zu Middle Shabelle. Al Shabaab hat all diese Orte unmittelbar besetzt (UNSC 8.1.2016). Auch Qoryooley und Wanla Weyne blieben über Tage ohne permanente Truppen der AMISOM (allerdings mit Besatzungen der somalischen Armee). Insgesamt ist einzelnen, exponierten und schwach besetzten Außenposten ein permanenter Status abzusprechen. Spätestens seit dem Angriff der al Shabaab auf den AMISOM-Stützpunkt in Leego werden einzelne Orte zugunsten einer Konzentration von Truppen in größeren Stützpunkten aufgegeben, teilweise wurde der Schutz an die - nur eingeschränkt widerstandsfähige - somalische Armee übertragen (BFA 10.2015).
Es ist nicht möglich, zu definieren, wie weit der Einfluss oder die Kontrolle von AMISOM und somalischer Armee von einer Stadt hinausreicht. Der Übergang zum Gebiet der al Shabaab ist fließend und unübersichtlich. Im Umfeld (Vororte, Randbezirke) der meisten Städte unter Kontrolle von AMISOM und Regierung in Süd-/Zentralsomalia verfügt al Shabaab über eine verdeckte Präsenz, in den meisten Städten selbst über Schläfer (DIS 9.2015). Manche Städte unter Kontrolle von AMISOM und Regierung können als Inseln auf dem Gebiet der al Shabaab umschrieben werden (BFA 10.2015; vgl. DIS 9.2015). Jedenfalls verfügt al Shabaab über ausreichend Kapazitäten, um in Städten unter Kontrolle von AMISOM und Regierung asymmetrische Kriegsführung (hit-and-run-Angriffe, Sprengstoffanschläge, gezielte Attentate) anzuwenden. Es gibt in allen Regionen in Süd-/Zentralsomalia Gebiete, wo al Shabaab Präsenz und Einfluss hat, und wo sie die lokale Bevölkerung zu Steuerzahlungen zwingt. Die Bastion der al Shabaab ist dabei die Region Middle Juba (DIS 9.2015).
Die Sicherheitslage in von der Regierung kontrollierten Städten bleibt also volatil (HRW 27.1.2016). Al Shabaab ist nach wie vor in der Lage, auch auf die am schwersten bewachten Teile von Mogadischu oder anderer Städte tödliche Angriffe zu führen (AI 24.2.2016). Bei aller Fragilität der Lage hat aber auch UNHCR festgestellt, dass es Zeichen zunehmender Stabilität gibt (UNHRC 28.10.2015). Seitens der Regierung, AMISOM und der internationalen Gemeinde gibt es Anstrengungen, die neu eroberten Bezirke zu stabilisieren. So wurden etwa nach Diinsoor unmittelbar Verwaltungsbeamte entsendet (UNSC 11.9.2015). Dass al Shabaab unter den gegenwärtigen Umständen Städte zurückerobert, in denen starke Garnisonen ("strongholds") der AMISOM stationiert sind, ist sehr unwahrscheinlich (EASO 2.2016; vgl. DIS 9.2015).
Quellen:
* AA - Auswärtiges Amt (1.12.2015): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia;
* AI - Amnesty International (24.2.2016): Amnesty International Report 2015/16 - The State of the World's Human Rights - Somalia, http://www.ecoi.net/local _link/319738/445108_en.html, Zugriff 22.3.2016;
* BFA - BFA Staatendokumentation (10.2015): Analyse zu Somalia:
Lagekarten zur Sicherheitslage, http://www.ecoi.net/file_upload/1729_1445329638_soma-analyse-lagekarten-2015-10-12-endversion.pdf, Zugriff 23.3.2016;
* BS - Bertelsmann Stiftung (2016): BTI 2016 - Somalia Country Report,
https://www.bti-project.org/fileadmin/files/BTI/Downloads/Reports/2016/pdf/BTI _2016_Somalia.pdf, Zugriff 24.3.2016;
* EASO - European Asylum Support Office (2.2016): Somalia Security Situation,
http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1457606427_easo-somalia-security-feb-2016.pdf, Zugriff 22.3.2016;
* HRW - Human Rights Watch (27.1.2016): World Report 2016 - Somalia, http://www.ecoi.net/local_link/318350/443530_en.html, Zugriff 22.3.2016;
* ÖB - Österreichische Botschaft Nairobi (10.2015):
Asylländerbericht Somalia,
http://www.ecoi.net/file_upload/1729_1445329855_soma-oeb-bericht-2015-10.pdf, Zugriff 25.2.2016;
* UNHRC - UN Human Rights Council (28.10.2015): Report of the independent expert on the situation of human rights in Somalia, Bahame Tom Nyanduga,
http://www.ecoi.net/file_upload/1930_1451399567_a-hrc-30-57-en.docx, Zugriff 23.3.2016;
* UNSC - UN Security Council (8.1.2016): Report of the Secretary-General on Somalia,
http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1453284910_n1600065.pdf, Zugriff 1.4.2016;
* UNSC - UN Security Council (11.9.2015): Report of the Secretary - General on Somalia,
http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1443010894_n1527126.pdf, Zugriff 23.3.2016 und
* USDOS - US Department of State (13.4.2016): Country Report on Human Rights Practices 2015 - Somalia, http://www.state.gov/j/drl/rls/hrrpt/humanrightsreport/ index.htm?year=2015&dlid=252727, Zugriff 14.4.2016
(Zwangs-)Rekrutierungen:
[...]
Hauptrekrutierungsbereich von al Shabaab ist Süd-/Zentralsomalia. Die Rekrutierung als solche wird von UNHCR nicht als Fluchtgrund gesehen. Somalische Flüchtlinge - v.a. jene, die das Land nach 2011 verlassen haben - seien nicht vor al Shabaab geflohen sondern vor der Hungersnot (ÖB 10.2015). Es ist zwar weniger wahrscheinlich, aber auch in Städten unter der Kontrolle der Regierung und von AMISOM wird durch al Shabaab rekrutiert (DIS 9.2015).
Die wichtigste Personengruppe für Rekrutierungen ist für al Shabaab jene der 12-16jährigen Buben. Als wichtige Werkzeuge bei der Rekrutierung gelten Propaganda; die Rekrutierung über Clanführer und Koranschulen; Gehirnwäsche und Indoktrinierung; wie Deserteure berichten, stehen letztere zwei Methoden im Vordergrund. Gleichzeitig wird manchmal Zwang angewendet, meist aber erfolgt die Rekrutierung durch Überzeugungsarbeit - und durch die Aussicht auf Sold. Denn al Shabaab ist für junge Männer attraktiv, die keine Bildung haben oder arbeitslos sind. Gleichzeitig ist es für Familien attraktiv, ein bis zwei Angehörige bei al Shabaab unterzubringen, um so Einkommen zu generieren (LI 10.9.2015) bzw. um die Familie abzusichern (DIS 9.2015). Am leichtesten kann al Shabaab folglich in IDP-Lagern rekrutieren (LI 10.9.2015). Al Shabaab rekrutiert normalerweise in Moscheen oder bei religiösen Veranstaltungen (EASO 2.2016; vgl. ÖB 10.2015).
[...]
Quellen:
* ÖB - Österreichische Botschaft Nairobi (10.2015):
Asylländerbericht Somalia,
http://www.ecoi.net/file_upload/1729_1445329855_soma-oeb-bericht-2015-10.pdf, Zugriff 25.2.2016;
* DIS - Danish Immigration Service (9.2015): Country of Origin Information for Use in the Asylum Determination Process; Report from the Danish Immigration Service's fact finding mission to Nairobi, Kenya and Mogadishu, Somalia; 2-12 May 2015, http://www.ecoi.net/file_upload/1788_1443181235_somalia-ffm-report-2015.pdf, Zugriff 4.4.2016;
* LI - Landinfo (10.9.2015): Somalia: Rekruttering til al-Shabaab, http://www.landinfo.no/asset/3221/1/3221_1.pdf, Zugriff 4.4.2016 und
* EASO - European Asylum Support Office (2.2016): Somalia Security Situation,
http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1457606427_easo-somalia-security-feb-2016.pdf, Zugriff 22.3.2016
Minderheiten und Clans:
Bevölkerungsstruktur und Clanschutz:
Mehr als 85% der Bevölkerung teilen eine ethnische Herkunft (USDOS 13.4.2016). Die somalische Bevölkerung ist aber nur auf den ersten Blick homogen (EASO 8.2014). In ganz Somalia gibt es eine Zersplitterung in zahlreiche Clans, Sub-Clans und Sub-Sub-Clans, deren Mitgliedschaft sich nach Verwandtschaftsbeziehungen bzw. nach traditionellem Zugehörigkeitsempfinden bestimmt (AA 1.12.2015; vgl. ÖB 10.2015). Tatsächlich bilden die Clans eine Art Sub-Ethnizität. Die Clans bilden auch die Grundlage der Identität eines Somali, jeder kennt normalerweise seine exakte Position im Clansystem. Dies gilt auch für die urbanisierte Bevölkerung. Wenn Somali ihre Herkunft beschreiben fangen sie meist bei sich selbst an und steigen dann die hierarchischen Ebenen des Systems bis zur Clanfamilie hinauf. Diese Aufzählung wird abtirsiimo oder abtirsiin genannt, und Kinder im Alter von acht oder neun Jahren können diese üblicherweise auswendig (EASO 8.2014). Dabei gelten als Haupt-Clanfamilien die traditionell nomadischen Darod, Dir, Hawiye und Isaaq sowie die sesshaften Digil und Mirifle/Rahanweyn. Diese Clanfamilien unterteilen sich weiter in die Ebenen der Clans, Sub(sub)clans, Lineages und die aus gesellschaftlicher Sicht bei den nomadischen Clans wichtigste Ebene der Mag/Diya (Blutgeld/Kompensation) zahlenden Gruppe, die für Vergehen Einzelner gegen das traditionelle Gesetz (xeer) Verantwortung übernimmt. Diese Gruppe sorgt aber traditionell auch für die Unterstützung von Angehörigen in schwierigen (finanziellen) Situationen. Nur in Mogadischu ist das System soweit erodiert, dass nicht mehr die mag/diya-Gruppe für Unterstützung sorgt, sondern lediglich die Kernfamilie (EASO 8.2014). Die Clans sind politische Akteure, die normalerweise über eigenes Territorium verfügen. Traditionelle Verträge (xeer) werden meist zwischen Mag/Diya zahlenden Gruppen abgeschlossen. Allerdings ist das Clansystem - wie erwähnt - keine exakte Wissenschaft, Koalitionen und Abgrenzungen - auch geographische - sind nur schwer zu erfassen oder gar nicht genau definiert (EASO 8.2014).
[...]
Daneben finden sich in Somalia einige ethnische Minderheiten und ständische Berufskasten, die insgesamt zwischen 15 und 30 Prozent der Bevölkerung stellen (EASO 8.2014). Minderheitengruppen sind u.a. die Bantu (größte Gruppe), Benadiri, Reer Xamar, Bravanese, Swahili, Tumal, Yibir, Yaxar, Madhiban, Hawrarsame, Muse Dheryo, Faqayaqub und Gabooye (USDOS 13.4.2016). Minderheitenclans oder Berufskasten können mit großen Clans in eine Abhängigkeitsbeziehung (shegaat) treten und werden danach - in externen Belangen - als Teil des großen Clans erachtet. Langfristige Allianzen zwischen kleineren und größeren Clans werden gemäß dem traditionellen Recht (xeer) geschlossen. Beide Konstruktionen beinhalten auch den Schutz des kleineren Partners durch den größeren (EASO 8.2014).
Die größte ethnische Minderheit stellen die Bantu (Jareer). Die Bantu leben traditionell als Bauern in und zwischen den fruchtbaren Flusstälern von Shabelle und Jubba. Gosha, Makane, Kabole, Shiidle, Reer Shabelle, Mushunguli und Gobaweyne sind Namen, die den unterschiedlichen Bantu-Gruppen zugeschrieben werden. Manche der Gosha wurden in den Clan der Digil/Mirifle assimiliert. Viele Bantu sprechen Somali (Maay-tiri), manche - etwa Gosha und Mushunguli - pflegen eigene Bantusprachen (EASO 8.2014). Der Begriff Benadiri umfasst mehrere miteinander nicht verwandte Minderheiten in Küstenstädten wie Merka, Baraawe und Mogadischu. Sie sind ethnisch gemischt und haben neben Somali auch Araber, Inder, Perser oder Portugiesen als Vorfahren. Die großen Untergruppen der Benadiri sind die Reer Xamar, Shangaani, Reer Merka und Barawani. Teile der Barawani erachten sich als Angehörige der Digil/Mirifle Tunni. Die Benadiri sprechen Somali und eigene somalische Dialekte; die Barawani einen Suaheli-Dialekt namens Chimini. Aufgrund ihres Status' als Händler waren die Benadiri vor 1991 privilegiert, danach waren sie schutzlos dem Bürgerkrieg ausgeliefert. Viele flohen nach Kenia (EASO 8.2014).
Die Ashraf und die Sheikhal werden als religiöse Clans bezeichnet. Die Ashraf beziehen ihren religiösen Status aus der von ihnen angegebenen Abstammung von der Tochter des Propheten; die Sheikhal aus einem vererbten religiösen Status (EASO 8.2014). Die Ashraf und die Sheikhal werden traditionell respektiert und von den Clans, bei welchen sie leben, geschützt. Die Sheikhal sind außerdem eng mit dem Clan der Hawiye/Hirab assoziiert und nehmen sogar einige Sitze der Hawiye im somalischen Parlament ein. Ein Teil der Ashraf lebt als Teil der Benadiri in den Küstenstädten, ein Teil als Clan der Digil/Mirifle in den Flusstälern von Bay und Bakool (EASO 8.2014).
Die Berufskasten unterscheiden sich kulturell und linguistisch nicht von den Hauptclan
s, werden aber aufgrund von z.B. Berufen, die als unislamisch bezeichnet werden, als unrein erachtet. Sie werden unter den Oberbegriffen Waable, Sab, Midgaan oder Madhibaan zusammengefasst. Sie bilden die niedrigste Ebene der somalischen Gesellschaft; ihr Anteil wird auf rund ein Prozent der Gesamtbevölkerung geschätzt. Die Berufskasten sind in unterschiedliche Gruppen mit unterschiedlichen Namen in ganz Somalia zu finden. Klassische Berufe sind: Friseur, Schmied, Metallverarbeitung, Gerber, Schuster, Töpfer und Tischler; außerdem betätigen sich die Waable in der Jägerei, Viehzucht und Landwirtschaft sowie als Beschneiderinnen und als Hebammen. Im Zuge der Urbanisierung nach dem Zweiten Weltkrieg konnten die Waable in den Städten auch neue Arbeitszweige für sich erschließen (EASO 8.2014; vgl. ÖIF 12.2010). Die wichtigsten Gruppen sind:
* Midgaan (Madhibaan, Gabooye; dieser Name wird tw. auch für alle Waable als Oberbegriff verwendet): Jäger, Gerber, Lederverarbeitung, Schuster und andere Berufe; Verbreitung: ganz Somalia (EASO 8.2014; vgl. ÖIF 12.2010)
* Tumaal: ursprünglich Schmiede, jetzt auch in anderen Berufen zu finden. Verbreitung: Nord- und Zentralsomalia sowie Städte im südlichen Somalia (EASO 8.2014; vgl. ÖIF 12.2010)
* Yibir: Ihnen werden jüdischer Hintergrund und magische Kräfte nachgesagt. Verbreitung: Nord- und Zentralsomalia sowie Städte im südlichen Somalia (EASO 8.2014; vgl. ÖIF 12.2010)
Kleinere Gruppen der Waable sind die Galgale, Gaheyle, Yahhar, Jaaji, Musa Dheryo, Guuleed Hadde, Hawr Warsame, Habar Yaqub, Madgal und Warabeeye. Auch die Boni und Eyle werden manchmal den Waable zugerechnet. Einige der Berufskasten haben ein ähnliches Clansystem wie die somalischen Hauptclans (EASO 8.2014).
Clanschutz bedeutet die Androhung von Gewalt im Falle einer Aggression gegen ein Mitglied durch einen Außenstehenden. Die Möglichkeit, diese Drohung aufrecht zu erhalten ist genauso essentiell wie die Möglichkeit, einem Racheakt durch gemeinschaftliche Zahlung von Kompensation (mag/diya) zu entgehen. Generell - aber nicht überall - funktioniert Clanschutz besser als der Schutz durch Staat oder Polizei. Dementsprechend wenden sich viele Menschen bei Gewaltverbrechen eher an den Clan als an die Polizei. Der Clanschutz kommt aber auf einer sehr niedrigen Ebene der Clan-Hierarchie zur Anwendung. Es reicht also z.B. in Mogadischu nicht, den Hawiye anzugehören, um Clanschutz zu erhalten. Die Zugehörigkeit zu einem dominanten Sub(sub)clan der Hawiye in Mogadischu ist relevanter (EASO 8.2014). Inwiefern Clanschutz heute noch funktioniert ist umstritten. Faktoren wie AMISOM, die Restauration staatlicher Sicherheitsbehörden oder al Shabaab haben den Schutz erodiert. Andererseits hat der Rückzug von al Shabaab sowie der Mangel an staatlicher Verwaltung in den ländlichen Gebieten den Clanschutz verstärkt. Das Ausmaß an Clanschutz variiert also regional und ist im Laufe der Zeit Änderungen unterworfen. In Somaliland und Puntland, wo relative Stabilität herrscht, ist der Clanschutz weniger relevant als in Süd-/Zentralsomalia. In Mogadischu hingegen sind Älteste zwar noch bei der Konfliktvermittlung involviert, jedoch gibt es kein Risiko mehr, aufgrund der Clanzugehörigkeit einer Verfolgung ausgesetzt zu sein. Nicht mehr die Clans, sondern AMISOM, Armee und Polizei sind für die Sicherheit verantwortlich. Allerdings muss berücksichtigt werden, dass Teile von Armee und Polizei nach wie vor großen Bezug zu ihren Herkunftsclans haben (EASO 8.2014).
Quellen:
* AA - Auswärtiges Amt (1.12.2015): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia;
* EASO - European Asylum Support Office (8.2014): South and Central Somalia: Country Overview,
http://www.ecoi.net/file_upload/90_1412334993_easo-2014-08-coi-report-somalia.pdf, Zugriff 14.4.2016;
* ÖIF - Österreichischer Integrationsfonds/BAA Staatendokumentation/Andreas Tiwald (12.2010): Die Parias Somalias:
Ständische Berufskasten als Basis sozialer Diskriminierung, http://www.integrationsfonds.at/fileadmin/content/AT/Downloads/Publikationen/n8_Laenderinfo_Somali