TE Bvwg Erkenntnis 2018/7/27 W191 2009583-2

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Veröffentlicht am 27.07.2018
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Entscheidungsdatum

27.07.2018

Norm

AsylG 2005 §55 Abs1
AsylG 2005 §58 Abs11 Z2
AsylG-DV 2005 §4 Abs1 Z2
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W191 2009583-2/10E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Rosenauer als Einzelrichter über die Beschwerde von Herrn XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Nepal, vertreten durch Rechtsanwalt Mag. Wolfgang Auner, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.08.2016, Zahl 491646609-140068158, zu Recht:

A)

Der Beschwerde wird gemäß § 58 Abs. 11 Z 2 Asylgesetz 2005 stattgegeben und der angefochtene Bescheid behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

1. Verfahrensgang und Sachverhalt: 1.1. Vorverfahren:

1.1.1. Der Beschwerdeführer (in der Folge BF), ein nepalesischer Staatsangehöriger, reiste am 16.06.2009 irregulär in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 17.06.2009 einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005 (in der Folge AsylG).

Das Bundesasylamt (in der Folge BAA) wies mit Bescheid vom 10.05.2010 den Antrag des BF auf internationalen Schutz ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihm den Status eines Asylberechtigten ebenso wie gemäß § 8 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG den Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Nepal nicht zu (Spruchpunkt II.) und wies ihn gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Nepal aus (Spruchpunkt III.). Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Beschluss des Asylgerichtshofs (in der Folge AsylGH) vom 14.07.2010, C9 413782-1/2010/5E, als verspätet zurückgewiesen.

Am 06.12.2010 brachte der BF beim BAA einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ein, der von diesem mit Bescheid vom 12.01.2011 zurückgewiesen wurde. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des AsylGH vom 17.03.2011, C9 413782-2/2011/4E, als unbegründet abgewiesen.

1.1.2. Mit Schreiben vom 01.12.2010, 30.03.2011, 16.05.2011, 19.06.2012, 07.11.2012, 15.03.2013 und 02.07.2013 ersuchte die Bundespolizeidirektion Wien, Fremdenpolizeiliches Büro, die zuständige nepalesische Botschaft in Berlin um Ausstellung eines Heimreisezertifikates für den BF.

1.1.3. Am 15.06.2012 stellte der BF einen neuerlichen Antrag auf internationalen Schutz, der mit Bescheid des BAA vom 17.10.2012 gemäß § 68 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen wurde. Der BF wurde gemäß § 10 Abs. 1 AsylG abermals aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen. Die dagegen eingebrachte Beschwerde vom 25.10.2012 wurde mit Erkenntnis des AsylGH vom 10.12.2012, C9 413782-3/2012/3E, abgewiesen.

1.1.4. Am 05.03.2014 stellte der BF einen Antrag auf Duldung gemäß § 46a Abs. 1a Fremdenpolizeigesetz 2005 (in der Folge FPG), der mit Bescheid vom 23.06.2014 vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge BFA) abgewiesen wurde. Die dagegen eingebrachte Beschwerde vom 09.07.2014 wurde vom Bundesverwaltungsgericht (in der Folge BVwG) mit Erkenntnis vom 07.04.2015, W160 2009583-1/2E, abgewiesen.

1.2. Gegenständliches Verfahren:

1.2.1. Am 14.04.2014 stellte der BF den verfahrensgegenständlichen Antrag gemäß § 55 AsylG auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK.

Als Beweismittel legte er seinem Antrag folgende Unterlagen in Kopie bei: Meldebestätigung, österreichischer Führerschein, E-Card, ÖSD Diplom Grundstufe Deutsch A2, Wohnungsuntermietvertrag befristet von 01.03.2012 bis 28.02.2015, Gewinn- und Verlustrechnung für den Zeitraum 01.01.2014 bis zum 30.09.2014, medizinische Befunde des AKH vom 27.04.2012, 08.06.2012, 02.07.2012 und vom 16.12.2013, Implantatnachweis über Knochenplatten und Schrauben vom 01.06.2011, Bestätigung über stationäre Aufnahme im Zeitraum 07.05.2012 bis 01.06.2012 im AKH vom 01.06.2012 und Kontoübersicht der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft (SVA) vom 31.12.2011, 31.12.2012, 31.12.2013 und 19.09.2014.

Am 24.07.2015 reichte der BF durch seinen Vertreter noch folgende weitere Unterlagen in Kopie nach: Geburtsurkunde, Teilversicherungsbestätigung der SVA vom 09.06.2015, Gewinn- und Verlustrechnungen für die Zeiträume 01.01.2014 bis 31.12.2014 und 01.01.2015 bis 30.04.2015 und Patientenbrief des AKH vom 02.07.2012.

1.2.2. Mit Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme vom 13.02.2016 informierte das BFA den BF, dass beabsichtigt sei, seinen Antrag zurückzuweisen und gegen ihn eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, da er die erforderlichen Dokumente, und zwar ein gültiges Reisedokument und eine beglaubigte Geburtsurkunde mit Übersetzung sowohl in Kopie als auch im Original, nicht vorgelegt habe. Es werde ihm eine Frist von 14 Tagen ab Erhalt des Schreibens zur Verbesserung dieses Mangels gewährt. Für den Fall, dass er diesen Mangel fristgerecht behebe, werde er aufgefordert, zwecks inhaltlicher Beurteilung seines Antrages weitere Unterlagen vorzulegen, u.a. aktuelle Befunde zu seiner behaupteten Krankheit und eine ausführliche schriftliche Antragsbegründung sowie die Beantwortung einiger Fragen zu seinem Privat- und Familienleben.

Mit schriftlicher Stellungnahme vom 29.07.2016 führte der BF aus, dass er seit dem Jahr 2009 durchgehend im österreichischen Bundesgebiet aufhältig sei und sich gut integriert habe. Er sei nach Abschluss des Asylverfahrens schwer erkrankt und ihm habe eine Zyste im Gehirn entfernt werden müssen, seitdem leide er an Epilepsie. Dennoch sei er bemüht und in der Lage, seinen Unterhalt selbst zu erwirtschaften; so verfüge er über einen Gewerbeschein und arbeite als Zeitungszusteller. Er habe eine ordnungsgemäße Unterkunft, zahle rechtzeitig und laufend seine Miete und begleiche alle Abgaben. Er spreche gut Deutsch, sei unbescholten und habe sich über die Jahre einen Freundeskreis aufgebaut. Im Hinblick auf seinen Reisepass werde darauf hingewiesen, dass er einen solchen noch nie besessen habe. Seine Vertretungsbehörde befinde sich nicht im Bundesgebiet und es sei aktenkundig, dass es auch der Behörde in mehr als zwei Jahren nicht gelungen sei, für ihn ein Ersatzreisedokument in Form eines Heimreisezertifikates zu erlangen. Er stelle daher einen Zusatzantrag gemäß § 4 Asylgesetz-Durchführungsverordnung (in der Folge AsylG-DV) zwecks Absehens von der Vorlage eines Reisepasses.

Mit der Stellungnahme legte der BF weitere Unterlagen in Kopie vor:

Wohnungsuntermietvertrag befristet von 01.02.2015 bis 31.08.2018, Kontoauszüge für den Zeitraum März bis Juni 2016, eine auf den 26.07.2016 datierte Unbedenklichkeitsbescheinigung der SVA, eine Zahlungsbestätigung der SVA für das Jahr 2016, einen Auszug aus dem Gewerberegister, eine Kopie seiner Geburtsurkunde, eine Bescheinigung des Finanzamtes vom 26.07.2016, wonach keine fälligen Abgabeforderungen vorliegen würden, und Zustellhonorare für die Monate April bis Juni 2016.

Am 05.08.2016 legte der BF die Farbkopie und das Original seiner nicht beglaubigten Geburtsurkunde vor.

1.2.3. Mit Bescheid vom 30.08.2016 wies das BFA den Antrag des BF auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen nach § 55 Abs. 1 AsylG gemäß § 58 Abs. 11 Z 2 AsylG als unzulässig zurück (Spruchpunkt I.) und wies seinen Zusatzantrag auf Heilung gemäß § 4 Abs. 1 AsylG-DV ab (Spruchpunkt II.). Gemäß § 10 Abs. 3 AsylG in Verbindung mit § 9 BFA-VG wurde gegen den BF gemäß § 52 Abs. 3 FPG eine Rückkehrentscheidung erlassen und nach § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Nepal zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.).

Begründend führte das BFA aus, dass bei einem Antrag auf Ausstellung eines Aufenthaltstitels sowohl eine beglaubigte Geburtsurkunde als auch ein gültiger Reisepass vorzulegen seien. Der BF sei nachweislich aufgefordert worden, am Verfahren und insbesondere bei der Klärung seiner Identität mitzuwirken, indem er die verlangten Dokumente und Urkunden vorlege. Dieser Aufforderung sei er nicht nachgekommen, er habe lediglich eine nicht beglaubigte Geburtsurkunde vorgelegt, die seiner "natürlichen Person" nicht zugeordnet werden könne. Es wäre ihm zumutbar gewesen, eigenständig mit seiner Vertretungsbehörde durch persönliche Vorsprache, auf elektronischem (z.B. via Internet) oder postalischem Wege Kontakt aufzunehmen und sich von seiner Familie in Nepal Dokumente oder Unterlagen (z.B. Auszug aus dem Familienbuch, Urkunden) auf postalischem Wege schicken lassen, um damit die Klärung seiner Identität und die Ausstellung eines Reisedokumentes zu erreichen. Dass seine Vertretungsbehörde dem BFA kein Ersatzreisedokument in Form eines Heimreisezertifikates ausgestellt habe, befreie den BF nicht automatisch von eigenständigem Bemühen um die Erlangung eines Reisedokumentes. Es könne daher nicht festgestellt werden, dass ihm die Beschaffung der erforderlichen Dokumente und Unterlagen nachweislich nicht möglich oder nicht zumutbar gewesen sei, sondern sei dies einzig und alleine an seinen fehlenden Bemühungen gelegen.

Dem BF drohe im Herkunftsstaat keine Verfolgung im Sinne des Art. 3 EMRK und die Behörde gehe davon aus, dass er dort im Falle einer Rückkehr keinen Gefahren ausgesetzt sei. Ferner würden in Nepal seine Ehefrau und seine beiden minderjährigen Kinder leben.

In Österreich hingegen sei der Großteil seines Aufenthaltes mit Ausnahme der Laufzeit seiner Asylverfahren rechtswidrig gewesen und er verfüge im Bundesgebiet weder über ein Familienleben noch über ein schützenswertes Privatleben. Ein Freundeskreis sei nur lapidar behauptet worden und bei seiner Beschäftigung handle es sich um eine unerlaubte Arbeitsaufnahme. Eine außergewöhnlich hohe Integration habe nicht festgestellt werden können, außerdem habe er es gerade einmal geschafft, ein ÖSD-Zertifikat auf Level A2 zu erlangen. Er habe durch seinen unrechtmäßigen Aufenthalt, die Weigerung auszureisen und seine unerlaubte Beschäftigungsausübung die österreichische Rechtslage missachtet und somit massiv die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet. Zusammengefasst habe die vorgenommene Interessensabwägung ein Überwiegen der Interessen der Republik Österreich auf Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit ergeben und erweise sich die Rückkehrentscheidung als verhältnismäßig im Sinne des Art. 8 Abs. 2

EMRK.

Im Falle der Abschiebung drohe ihm keine reale Gefahr einer Menschenrechtsverletzung im Sinne des § 50 Abs. 1 FPG. Die Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen ergebe sich aus § 55 FPG, da besondere Umstände, die der BF bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen habe, nicht gegeben seien.

1.2.4. Gegen diesen Bescheid erhob der BF mit Schreiben seines Vertreters vom 19.09.2016 fristgerecht Beschwerde an das BVwG. Begründend wurde ausgeführt, dass die belangte Behörde die dem Verfahren zugrunde gelegten Länderfeststellungen nicht an den BF übermittelt habe und daher das Parteiengehör verletzt habe. Die medizinische Versorgung in Nepal sei aktuell völlig unzureichend, sodass die Epilepsie des BF keinesfalls adäquat in Nepal behandelt werden könne. Zu seiner Identität habe der BF stets gleichbleibende Angaben gemacht und einen österreichischen Führerschein und eine Geburtsurkunde im Original vorgelegt. Die Ausstellung eines Reisepasses und die Beglaubigung einer Geburtsurkunde seien nur über persönliche Vorsprache des BF zu erwirken, zumal für den BF noch nie ein Reisepass ausgestellt worden sei. Eine Ausreise zur Vertretungsbehörde nach Deutschland sei dem BF nicht möglich und nicht zulässig. Der BF habe stets am Verfahren mitgewirkt, verfüge nach wie vor über einen Gewerbeschein, sei nachweislich selbsterhaltungsfähig, aus eigenen Beiträgen bei der SVA versichert und steuerlich erfasst. Ebenso verfüge der BF über gute Sprachkenntnisse, sodass die Behörde zusammengefasst eine mangelhafte Interessensabwägung vorgenommen habe.

Mit Beschwerdeergänzung seines Rechtsberaters vom 20.09.2016 erstattete der BF ein im Wesentlichen gleichlautendes Vorbringen wie in seiner zuvor eingebrachten Beschwerde.

1.2.4. Am 17.03.2017 übermittelte der BF einen mit 16.11.2016 datierten Arztbrief und einen MRT Herz-Befund vom 14.03.2017.

Am 19.05.2017 legte der BF einen Implantat-Ausweis vom 24.04.2017 und einen Transferierungsbericht extern vom 16.05.2017 vor.

Am 19.09.2017 legte der BF weitere medizinische Unterlagen vor, darunter einen Patientenbrief, wonach er wegen einer am 21.07.2017 durchgeführten Herzoperation von 14.07.2017 bis 15.09.2017 in stationärer Krankenhausbehandlung gewesen sei.

Mit Schreiben vom 17.10.2017 gab der nunmehrige Vertreter des BF seine Vollmacht bekannt, übermittelte weitere ärztliche Unterlagen und ersuchte um Abschluss seines Verfahrens.

Am 04.12.2017 ersuchte der BF um Anberaumung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung.

2. Rechtliche Beurteilung und Beweiswürdigung:

2.1. Anzuwendendes Recht:

Gegenständlich sind die Verfahrensbestimmungen des AVG, des BFA-VG und des VwGVG anzuwenden.

Gemäß § 6 Bundesverwaltungsgerichtsgesetz - BVwGG, BGBl. I Nr. 10/2013 in der geltenden Fassung entscheidet das BVwG durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013 in der geltenden Fassung geregelt (§ 1 leg. cit.). Gemäß § 58 Abs 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes - AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.

§ 28 Abs. 1 VwGVG lautet:

(1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

§ 28 Abs. 5 VwGVG lautet:

Hebt das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid auf, sind die Behörden verpflichtet, in der betreffenden Rechtssache mit den ihnen zu Gebote stehenden rechtlichen Mitteln unverzüglich den der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtes entsprechenden Rechtszustand herzustellen.

§ 1 BFA-Verfahrensgesetz - BFA-VG, BGBl. I Nr. 87/2012 in der geltenden Fassung bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem BFA, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem BVwG gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG 2005 und Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG bleiben unberührt.

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 des BFA-VG, BGBl. I Nr. 87/2012 in der geltenden Fassung, entscheidet über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des BFA das BVwG.

§ 16 Abs. 6 und § 18 Abs. 7 BFA-VG bestimmen für Beschwerdevorverfahren und Beschwerdeverfahren, dass §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anzuwenden sind.

2.2. Rechtlich folgt daraus:

2.2.1. Die gegenständliche Beschwerde wurde am 19.09.2016 beim BFA eingebracht und ist beim BVwG am 23.09.2016 eingegangen. Da in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, obliegt in der gegenständlichen Rechtssache die Entscheidung dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des BVwG zuständigen Einzelrichter.

Zu Spruchteil A):

2.2.2. Gegenstand des Verfahrens:

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs (in der Folge VwGH) darf ein Verwaltungsgericht auf Grund einer gegen eine Zurückweisung erhobenen Beschwerde nur über die Rechtmäßigkeit des Zurückweisungsbescheides, nicht hingegen über den Antrag selbst entscheiden (vgl. dazu etwa VwGH 12.10.2015, Ra 2015/22/0115, mit Verweis auf VwGH 29.04.2015, 2013/08/0136).

"Sache" im Sinne des § 28 Abs. 2 VwGVG und demnach Gegenstand des Beschwerdeverfahrens vor dem BVwG ist im vorliegenden Fall die Rechtmäßigkeit der Zurückweisung des Antrages auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK vom 14.10.2014 durch das BFA (vgl. VwGH 12.10.2015, Ra 2015/22/0115, mit Verweis auf VwGH 18.12.2014, Ra 2014/07/0002, 0003; VwGH 23.06.2015, Ra 2015/22/0040; VwGH 16.09.2015, Ra 2015/22/0082 bis 0084).

2.2.3. Rechtsgrundlagen betreffend den Gegenstand des Verfahrens:

Gemäß § 55 Abs. 1 AsylG ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung plus" zu erteilen, wenn dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist (Z 1) und der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017, erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. I Nr. 189/1955) erreicht wird. Liegt nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vor, ist gemäß § 55 Abs. 2 AsylG eine "Aufenthaltsberechtigung" zu erteilen.

Kommt der Drittstaatsangehörige seiner allgemeinen Mitwirkungspflicht im erforderlichen Ausmaß, insbesondere im Hinblick auf die Ermittlung und Überprüfung erkennungsdienstlicher Daten, nicht nach, ist gemäß § 58 Abs. 11 AsylG das Verfahren zur Ausfolgung des von Amts wegen zu erteilenden Aufenthaltstitels (Abs. 4) ohne weiteres einzustellen (Z 1) oder der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels zurückzuweisen (Z 2). Über diesen Umstand ist der Drittstaatsangehörige zu belehren.

Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG-DV sind folgende Urkunden und Nachweise - unbeschadet weiterer Urkunden und Nachweise nach Abs. 2 und 3 - im amtswegigen Verfahren zur Erteilung eines Aufenthaltstitels (§ 3) beizubringen oder dem Antrag auf Ausstellung eines Aufenthaltstitels (§ 3) anzuschließen:

1. gültiges Reisedokument (§ 2 Abs. 1 Z 2 und 3 NAG);

2. Geburtsurkunde oder ein dieser gleichzuhaltendes Dokument;

3. Lichtbild des Antragstellers gemäß § 5;

4. erforderlichenfalls Heiratsurkunde, Urkunde über die Ehescheidung, Partnerschaftsurkunde, Urkunde über die Auflösung der eingetragenen Partnerschaft, Urkunde über die Annahme an Kindesstatt, Nachweis oder Urkunde über das Verwandtschaftsverhältnis, Sterbeurkunde.

Nach § 4 Abs. 1 AsylG-DV kann die Behörde auf begründeten Antrag von Drittstaatsangehörigen die Heilung eines Mangels nach § 8 und § 58 Abs. 5, 6 und 12 AsylG zulassen:

1. im Fall eines unbegleiteten Minderjährigen zur Wahrung des Kindeswohls,

2. zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK oder

3. im Fall der Nichtvorlage erforderlicher Urkunden oder Nachweise, wenn deren Beschaffung für den Fremden nachweislich nicht möglich oder nicht zumutbar war.

2.2.4. Anwendung dieser Vorschriften auf den BF:

Im vorliegenden Fall hat das BFA den Antrag des BF vom 14.04.2014 auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 Abs. 1 AsylG gemäß § 58 Abs. 11 Z 2 AsylG als unzulässig zurückgewiesen und seinen Zusatzantrag auf Heilung gemäß § 4 Abs. 1 AsylG-DV abgewiesen. Dies wurde im Wesentlichen damit begründet, dass der BF trotz Aufforderung und Fristsetzung durch das BFA weder eine beglaubigte Geburtsurkunde noch einen gültigen Reisepass vorgelegt habe und daher seiner Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen sei. Dass ihm die Beschaffung der erforderlichen Dokumente und Unterlagen nachweislich nicht möglich oder nicht zumutbar gewesen sei, habe nicht festgestellt werden können, sondern sei dies einzig und alleine an seinen fehlenden Bemühungen gelegen.

Im Erkenntnis vom 30.06.2015, Ra 2015/21/0039, hat sich der VwGH unter Bedachtnahme auf die historische Entwicklung und unter Einbeziehung des Bedeutungsgehalts damit im Zusammenhang stehender Regelungen ausführlich mit der Auslegung des § 58 Abs. 11 AsylG auseinandergesetzt. Der VwGH ist dabei zum Ergebnis gekommen, dass es mit den vom Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) in das AsylG transferierten Regelungen für "Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen" insoweit der Sache nach lediglich zu einer Zusammenfassung der Abs. 4, 6 und 10 des § 19 NAG gekommen sei. Von Bedeutung sei allerdings, dass die unterbliebene Vorlage von Identitätsurkunden, wie etwa des Reisepasses, nunmehr einheitlich von § 58 Abs. 11 AsylG geregelt werde, sodass diesbezüglich im Antragsverfahren nicht auf § 13 Abs. 3 AVG zurückgegriffen werden müsse. Im Übrigen beziehe sich aber auch § 58 Abs. 11 AsylG (sonst nur) auf Mitwirkungsverpflichtungen im Zusammenhang mit erkennungsdienstlichen Daten und mit der Zustelladresse des Fremden, nicht aber auf solche, die mit der Erhebung von inhaltlichen Erteilungsvoraussetzungen im Zusammenhang stehen (vgl. VwGH 26.01.2017, Ra 2016/21/0168).

Zur Heilung nach § 4 Abs. 1 Z 2 AsylG-DV hat der VwGH bereits ausgesprochen, dass die Bedingung, wonach die Erteilung des Aufenthaltstitels zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinn des Art. 8 EMRK erforderlich sein muss, in jenen Konstellationen, in denen von Amts wegen ein Aufenthaltstitel nach § 55 AsylG zu erteilen ist, voraussetzungsgemäß erfüllt ist (vgl. VwGH 26.01.2017, Ra 2016/21/0168, mit Hinweis auf VwGH 15.09.2016, Ra 2016/21/0187). Auch im Fall eines Antrags auf Erteilung eines solchen Aufenthaltstitels gilt, dass die Voraussetzungen für die verfahrensrechtliche Heilung nach § 4 Abs. 1 Z 2 AsylG-DV die gleichen sind wie für die materielle Stattgabe des verfahrenseinleitenden Antrags. Die Prüfung, ob einem Heilungsantrag nach § 4 Abs. 1 Z 2 AsylG-DV stattzugeben ist, unterscheidet sich also inhaltlich nicht von der Beurteilung, ob der Titel nach § 55 AsylG zu erteilen ist. Daraus folgt auch, dass bei einem Antrag nach § 55 AsylG in Bezug auf die Heilung nach § 4 Abs. 1 AsylG-DV in erster Linie und vorrangig die Voraussetzungen der Z 2 der genannten Bestimmung zum Tragen kommen und dass es unzulässig ist, den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG trotz Vorliegens der hierfür erforderlichen Voraussetzungen wegen Nichtvorlage von Identitätsdokumenten zurückzuweisen (VwGH 26.01.2017, Ra 2016/21/0168 mit Hinweis auf VwGH 17.11.2016, Ra 2016/21/0314).

Im konkreten Fall hat der BF durch seinen Vertreter im Rahmen seiner Stellungnahme vom 29.07.2016 einen Antrag auf Heilung eines Mangels nach § 4 AsylG-DV gestellt. Selbst wenn sich seine Antragsbegründung primär auf § 4 Abs. 1 Z 3 AsylG-DV stützte, folgten Ausführungen zur erfolgten Integration und der sich daraus ergebenden Verpflichtung der Behörde, seinem Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels stattzugeben.

Im vorliegenden Fall war es daher - im Hinblick auf die oben wiedergegebene Rechtsprechung - selbst ohne explizite Bezugnahme auf die Z 2 im nur allgemein auf § 4 Abs. 1 AsylG-DV gestützten Heilungsantrag erforderlich zu prüfen, ob die Erteilung des beantragten Aufenthaltstitels zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinn des Art. 8 EMRK geboten war.

Das BFA hat zwar im Rahmen der Prüfung der Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung eine Interessensabwägung vorgenommen, dabei aber der langen Aufenthaltsdauer des BF, seinen Sprachkenntnissen und seiner beruflichen Integration nicht die angemessene Bedeutung zugesprochen:

So hält sich der BF seit nunmehr neun Jahren im Bundesgebiet auf, wobei sein Aufenthalt für die Dauer seines Asylverfahrens rechtmäßig war und ihm die lange Verfahrensdauer ab dem am 14.10.2014 gestellten Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nicht zurechenbar ist. Auch für das bis dato erfolglose Ersuchen um Ausstellung eines Heimreisezertifikates ist das Verhalten des BF im Hinblick auf die Untätigkeit der Behörde nicht kausal, zumal eine Reaktion der nepalesischen Botschaft auf die wiederholten Ansuchen bis zum heutigen Zeitpunkt nicht aktenkundig ist.

Der BF hat die in Österreich zugebrachte Zeit genützt, um sich in Österreich in sozialer, sprachlicher und beruflicher Hinsicht zu integrieren. So verfügt er über ein ÖSD-Zertifikat auf A2-Niveau, bezieht keine Leistungen aus der Grundversorgung und ist strafgerichtlich unbescholten. Der BF ist sozialversichert und erwirtschaftet seinen Lebensunterhalt durch seine Tätigkeit als Zeitungszusteller. Aus den vorgelegten Unterlagen ergibt sich weiters, dass er über eine ordnungsgemäße Unterkunft verfügt, die Miete laufend bezahlt und Abgaben und Steuern rechtzeitig begleicht. Diese Bemühungen des BF erscheinen insbesondere auch im Hinblick auf seine belegten und demnach ernsthaften gesundheitlichen Beeinträchtigungen beachtlich.

Auch wenn der BF noch familiäre Anknüpfungspunkte in der Heimat hat, gibt es keinen Hinweis darauf, dass seine Bindungen an den Herkunftsstaat nach seiner langen Abwesenheit intensiv wären; unzweifelhaft hat sich innerhalb der neunjährigen Aufenthaltsdauer des BF sein Lebensmittelpunkt nach Österreich verlagert.

Im Zusammenhalt mit der Aufenthaltsdauer und der privaten, wirtschaftlichen und sozialen Integration überwiegen bei einer abwägenden Gesamtbetrachtung die Interessen des BF an einem Verbleib im Bundesgebiet zur Aufrechterhaltung seines Privatlebens im Sinne des Art. 8 EMRK.

Aus diesen Gründen ist die Zurückweisung des Antrags unrechtmäßig erfolgt, weshalb der Bescheid ersatzlos zu beheben ist. Für das vom BFA in weiterer Folge fortzusetzende Verfahren ergibt sich, dass der verfahrensgegenständliche Antrag des BF wieder unerledigt ist und über diesen von der Behörde nach den dazu erforderlichen Ermittlungen unter Berücksichtigung allfälliger zwischenzeitlich eingetretener Sachverhaltsänderungen nun meritorisch abzusprechen ist.

2.2.5. Die Abhaltung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG in Verbindung mit § 24 VwGVG unterbleiben, da auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der angefochtene Bescheid zu beheben ist.

Zu Spruchteil B):

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des VwGH ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des VwGH (siehe oben Punkt 2.2.4.) auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Das BVwG konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des VwGH bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten des angefochtenen Bescheides wiedergegeben.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

Aufenthaltsdauer, Aufenthaltstitel, Aufenthaltstitel aus Gründen des
Art. 8 EMRK, Behebung der Entscheidung, ersatzlose Behebung,
Heilung, Interessenabwägung, Privatleben, Voraussetzungen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:W191.2009583.2.00

Zuletzt aktualisiert am

06.09.2018
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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