Entscheidungsdatum
30.07.2018Norm
B-VG Art.133 Abs4Spruch
I405 2140530-1/14E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Sirma KAYA als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, StA. Tunesien, vertreten durch Rechtsanwalt Mag. Hüseyin KILIC, Meinhardstraße 5/2, 6020 Innsbruck, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 25.10.2016, Zl. 14-1000415110/151008037, zu Recht erkannt:
A) Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid
zur Gänze behoben.
B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) stellte am 27.12.2013 einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels als "Familienangehöriger" gemäß § 47 NAG. Die Bezirkshauptmannschaft Innsbruck erteilte ihm diesen mit einer Gültigkeitsdauer bis 17.12.2014.
2. Am 17.12.2014 stellte der BF einen Verlängerungsantrag gemäß § 24 Abs. 1 NAG. Die Bezirkshauptmannschaft XXXX erteilte dem BF gemäß § 41a NAG einen Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot-Karte plus" mit Gültigkeit bis XXXX2015.
3. Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom XXXX wurde der BF wegen des Verbrechens der Verleumdung, des Verbrechens des schweren und gewerbsmäßigen Diebstahles, des Vergehens der Veruntreuung und des Vergehens der Datenfälschung nach § 297 Abs. 1 zweiter Fall StGB, §§ 127, 128 Abs. 1 Z 4, 130 erster Fall StGB, § 225a StGB sowie § 133 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von sieben Monaten sowie zu einer Geldstrafe verurteilt.
4. Die Ehefrau des BF reichte am XXXX die Scheidung beim Bezirksgericht XXXX ein.
5. Am 30.11.2015 stellte der BF einen Verlängerungsantrag gemäß § 24 Abs. 1 NAG.
6. Mit Schreiben des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) vom 07.01.2016 wurde dem BF mit einem "Parteiengehör" in Kenntnis gesetzt, dass beabsichtigt sei, gegen ihn eine Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot für das Bundesgebiet der Republik Österreich zu erlassen. Unter Setzung einer zweiwöchigen Frist zur Stellungnahme trug die belangte Behörde ihm überdies die Beantwortung einer Reihe von Fragen zu seiner persönlichen Situation auf und wies darauf hin, das Verfahren werde ohne nochmalige Anhörung aufgrund der Aktenlage fortgeführt, falls er die Möglichkeit zur Stellungnahme nicht wahrnehme.
7. Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft XXXX (nunmehr zuständig aufgrund des Hauptwohnsitzwechsels des BF) vom 12.01.2016 verfügt diese die Aussetzung des Verfahrens gemäß § 38 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz. Begründend wurde ausgeführt, dass die Grundlage für die Erteilung eines neuen Aufenthaltstitels für den BF sein rechtmäßiger Aufenthalt in Österreich sei. Dies werde durch das BFA geprüft. Abhängig von dieser Beurteilung werde durch die Bezirkshauptmannschaft Schwaz entschieden, auf welchen Aufenthaltstitel der BF Anspruch habe. Das gegenständliche Verfahren könne bis zum Abschluss des Verfahrens vor dem BFA nicht abgeschlossen werden, sohin werde die Aussetzung des Verfahrens zur Verlängerung eines Aufenthaltstitels verfügt.
8. In der Stellungnahme des rechtsfreundlichen Vertreters des BF vom 21.01.2016 verwies dieser auf die rechtskräftige Verurteilung des BF und führte aus, dass der BF vor dieser Verurteilung noch nie strafrechtlich in Erscheinung getreten sei und er sich seither Wohlverhalte. Der BF arbeite seit Jänner 2016 bei einer namentlich genannten Firma Vollzeit als Kraftfahrer und finanziere er sich dadurch seinen Lebensunterhalt. Der BF halte sich seit dem 16.12.2013 rechtmäßig im Bundesgebiet auf und wurde ein Verlängerungsantrag rechtzeitig gestellt. Zu seinen Familienverhältnissen sei auszuführen, dass der BF mit einer namentlich genannten österreichischen Staatsbürgerin verheiratet sei, jedoch derzeit ein Scheidungsverfahren vor dem Bezirksgericht
XXXX anhängig sei. Zu dem Scheidungsverfahren sei anzumerken, dass der BF keine Scheidungsgründe gesetzt habe bzw. allfällige Scheidungsgründe verziehen worden seien, weshalb der BF die Abweisung der von seiner Frau eingebrachten Scheidungsklage beantrage habe. Es stimme zwar, dass es am XXXX zu einem Streit zwischen dem BF und seiner Frau gekommen sei, welcher einen Polizeieinsatz zur Folge gehabt habe, doch habe sich der BF und seine Frau daraufhin wieder versöhnt. Der BF sei in Österreich voll sozial und kulturell integriert, habe viele Freunde und Bekannte und beherrsche die deutsche Sprache gut. Zu seinen Bindungen zu seinem Herkunftsstaat sei auszuführen, dass die Mutter des BF bereits verstorben sei und zu sonstigen Verwandten in Tunesien kaum Kontakt bestehe, da sich der BF schon geraume Zeit in Österreich aufhalte und sich die Bindungen zu seinen Verwandten aufgrund der Entfernung und der eingeschränkten Möglichkeit zur unmittelbaren, persönlichen Kontaktaufnahme sehr gelockert haben. Der BF habe schon aufgrund der Tatsache, dass er schon seit einiger Zeit in Österreich aufhältig sei, die weitaus größeren Bindungen zu Österreich als zu seinem Heimatstaat.
Der Stellungnahme beigelegt waren ein Lohnzettel einer namentlich genannten Firma, eine Bestätigung der BH XXXX vom 12.12.2015, ein Mietvertrag vom 30.12.2015 sowie eine Meldebestätigung.
9. Mit Stellungnahme vom 06.10.2016 teilte die rechtsfreundliche Vertretung des BF mit, dass die Ehe des BF mit Urteil des Bezirksgerichtes XXXX vom XXXX, rechtskräftig geschieden wurde. Weiters habe der BF seinen Arbeitgeber gewechselt und wurde ein Lohnzettel einer namentlich genannten Firma vorgelegt.
10. Mit Bescheid des BFA vom 25.10.2016, 14-100414110/151008037, erließ das BFA gemäß § 52 Abs. 4 FPG iVm § 9 BFA-VG gegen den BF eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt I.) und stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass seine Abschiebung nach Tunesien gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt II.). Letztlich wurde gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG vom BFA bestimmt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt III.) und wurde gegen ihn gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt IV.)
In den Feststellungen des Bescheides führte das BFA unter anderem aus, dass die Identität des BF feststehe. Er geschieden sei und keinerlei Sorge- bzw. Unterhaltspflichten in Österreich habe. Er stehe derzeit in einem aufrechten Beschäftigungsverhältnis, sei auch voll versichert und habe eine aufrechte Meldeadresse. Er sei rechtskräftig zu einer bedingten Freiheitsstrafe von sieben Monaten sowie zu einer Zahlung von 1.200 € verurteilt worden.
Er halte sich seit 16.12.2013 legal in Österreich auf und habe er zuletzt die Rot-Weiß-Rot-Karte plus besessen, welche mit XXXX2015 abgelaufen sei. Über den Antrag auf Verlängerung des Aufenthaltstitels sei noch nicht entschieden worden.
Zum Privat- und Familienleben stellte das BFA fest, dass der BF am XXXX2013 eine namentlich genannte österreichische Staatsangehörige in Tunesien geheiratete habe. Am XXXX sei es zwischen ihm und seiner damaligen Ehefrau zu einem handgreiflichen Streit gekommen, der einen Polizeieinsatz auslöste und in dessen Folge der BF der ehelichen Wohnung verwiesen worden sei. Die Ehe sei am XXXX geschieden worden. Weiters habe der BF keine Kinder, sei jedoch beruflich in Österreich integriert. In Österreich habe der BF keine Familie, jedoch Verwandte in Tunesien. Die Behauptung des BF, wonach er mittlerweile weitaus größere Bindungen zu Österreich als zu seinem Herkunftsstaat habe sei unglaubwürdig.
Zu den Gründen für die Erlassung des Einreiseverbotes stellte das BFA fest, dass der BF seit Mitte Oktober 2014 als Paketzulieferer für eine namentlich genannte Firma tätig gewesen sei, wobei er erst Mitte Dezember 2014 alleine Liefertouren gemacht habe. Am 23.12.2014 habe er die ersten von mehreren Straftaten verwirklicht, nämlich die Vergehen der Veruntreuung eines ihm anvertrauten Paketes sowie Datenfälschung. Zu diesem Zeitpunkt sei der BF rund ein Jahr rechtmäßig in Österreich aufhältig. Zwischen XXXX2015 und XXXX2015 habe er sich des schweren gewerbsmäßigen Diebstahles schuldig gemacht. Am XXXX2015 habe er sich des Verbrechens der Verleumdung schuldig gemacht. Dahingehend sei der BF aufgrund dieser Taten am XXXX vom Landesgericht XXXX rechtskräftig zu einer bedingten Haftstrafe von sieben Monaten sowie zu einer unbedingten Geldstrafe verurteilt worden.
Auf den Seiten 5 bis 16 traf die belangte Behörde Feststellungen zur Lage in Algerien und setzte sich dabei mit den folgenden Themen auseinander: Neuste Ereignisse, Politische Lage, Sicherheitslage, Rechtsschutz/Justizwesen, Sicherheitsbehörden, Folter und unmenschliche Behandlung, Korruption, NGOs, Ombudsmann, Wehrdienst, Allgemeine Menschenrechtslage, Meinungs- und Pressefreiheit, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit/Opposition, Haftbedingungen, Todesstrafe, Ethnische Minderheiten, Bewegungsfreiheit, Grundversorgung/Wirtschaft, Medizinische Versorgung, Behandlung nach Rückkehr.
In der Beweiswürdigung betreffend der Feststellungen zur Person des BF und dessen Aufenthalt in Österreich referierte das BFA, dass sich diese unstrittig aus der Aktenlage und dem Vorbringen des BF ergeben. Betreffend der Feststellungen zu seinem Privat- und Familienleben referierte die belangte Behörde, dass die Behauptung des BF - aufgrund seines langen Aufenthalt in Österreich größere Bindungen zu Österreich als zu seinem Heimatland zu haben - unglaubwürdig sei. Der Aufenthalt des BF in Österreich dauere nicht mal drei Jahre. Die soziale Integration werde insoweit nicht angezweifelt, als er einen ordentlichen Wohnsitz, ein festes Einkommen sowie ein aufrechtes Beschäftigungsverhältnis habe. Darüber hinaus habe der BF aber nichts vorgebracht, was für eine besonders intensive Bindung zu Österreich in dieser relativ kurzen Zeit sprechen würde. Der BF sei 25 Jahre alt gewesen als er seine österreichische Ehefrau geheiratet habe und er von Tunesien nach Österreich gezogen sei. Die in Tunesien lebende Mutter des BF sei im ersten Jahr seines Umzuges verstorben. Es sei lebensfremd anzunehmen, dass alle freundschaftlichen, familiären und sonstigen Bindungen, welche der BF in seiner Kindheit und Jugend aufgebaut habe, in so kurzer Zeit so stark zurückgehen. Auch die Kontaktaufnahme sei in der heutigen Zeit via elektronischen Medien und Mobiltelefonen nicht sehr schwierig, sohin gehe die belangte Behörde davon aus, dass es sich um eine Schutzbehandlung des BF gehandelt habe.
In den rechtlichen Erwägungen zu Spruchpunkt I. des Bescheides führte das BFA aus, dass im Falle des BF von einer schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit auszugehen sei. Der BF sei bereits ein Jahr nach einem rechtmäßigen Aufenthalt in Österreich straffällig geworden. Dem Wohlverhalten des BF seit seiner Verurteilung stehe die wiederholte Straffälligkeit gegenüber. Der BF habe trotz einer finanziell relativ gesicherten Lage seine Anstellung als Paketdienstzusteller ausgenutzt um sich widerrechtlich zu bereichern und habe versucht Taten durch weiterer Straftaten zu vertuschen. Besonders schwere werte die belangte Behörde, dass der BF noch während der Hauptverhandlung vor dem Landesgericht ein weiteres Strafdelikt, nämlich eine Verleumdung, begangen habe und sohin auch keine Reue gezeigt habe. Im Vergleich dazu reiche die relativ kurze Zeit des Wohlverhaltens nicht aus, um von einem grundsätzlichen Gesinnungswandel sprechen zu können.
Die Rückkehrentscheidung wurde von einer zu Lasten des BF ausgehenden Interessensabwägung nach Art. 8 Abs. 2 EMRK getragen und die Abschiebung als zulässig erachtet (Spruchpunkt II.) Zu Spruchpunkt III. erwog die belangte Behörde, dass die Frist für die freiwillige Ausreise vierzehn Tagen ab Rechtskraft des Bescheides festzulegen gewesen sei, zumal besondere Umstände zur Regelung der persönlichen Verhältnisse des BF nicht feststellbar und sohin nicht zu berücksichtigen gewesen seien. Im Spruchpunkt IV. stützte die belangte Behörde das Einreiseverbot auf die rechtskräftige Verurteilung des BF.
11. Der Bescheid des BFA wurde dem BF, samt den Verfahrensanordnungen vom 25.10.2016 wonach dem BF eine Rechtsberaterin amtswegig zur Seite gestellt und ihm die verpflichtende Teilnahme an einem Rückehrberatungsgespräch aufgetragen wurde, zugestellt.
12. Mit dem am 16.11.2016 beim BFA eingebrachten Schriftsatz erhob die bevollmächtigte Vertretung des BF fristgerecht Beschwerde und machte darin die Rechtswidrigkeit infolge von Verletzung von Verfahrensvorschriften sowie die inhaltliche Rechtswidrigkeit geltend.
Begründend wurde betreffend der fehlerhaften Ermessensübung zu Spruchpunkt I. und IV. ausgeführt, dass der Begriff des Privatlebens iSd Art 8 EMRK weit zu verstehen und das persönliche und berufliche Umfeld eines Menschen umfasst sei, in dem er mit anderen interagiert. Nach ständiger Rechtsprechung des EGMR sei die Gesamtheit der sozialen Beziehungen zwischen einem ansässigen Migranten und der Gemeinschaft, in der er lebt, integraler Bestandteil des Begriffs des Privatlebens (vgl. EGMR 23.06.2008, 1638/03 und EGMR 13.10.2011, 41548/08 u.a.). Dazu würden jedenfalls auch berufliche und geschäftliche Beziehungen zählen. Für die Annahme eines in den Schutzbereich von Art 8 EMRK fallenden Privatlebens sei zudem keine konkrete Mindestaufenthaltsdauer erforderlich. Aus der beruflichen Laufbahn des BF während seines rechtmäßigen Aufenthaltes in Österreich lasse sich eine doch sehr ausgeprägte soziale Integration des BF in Österreich ableiten und ergebe sich daraus auch, dass die sozialen Beziehungen zwischen dem BF als Migrant und der Gemeinschaft, in welcher er lebe mehr als nur intakt seien. Dem Element der Schutzwürdigkeit des Privatlebens hätte daher durch die belangte Behörde mehr Gewicht beigemessen werden müssen und wäre die belangte Behörde bei der fehlerfreien Ausübung ihres Ermessens unweigerlich zu dem Ergebnis gelangt, dass aufgrund der sehr ausgeprägten Schutzwürdigkeit des Privatlebens des BF die privaten Interessen des BF sehr stark ausgeprägt seien und demgegenüber hätten die öffentlichen Interessen an der Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot zurückzutreten gehabt. Zu Spruchpunkt III. wurde ausgeführt, dass im konkreten Fall besondere Umstände in der Person des BF vorliegen würden, die eine Verlängerung der Ausreisefrist jedenfalls rechtfertigen. Konkret sei es dem BF als Arbeitnehmer und Mieter, binnen der von der belangten Behörde festgesetzten Frist für die freiwillige Ausreise im Ausmaß von 14 Tagen, nicht möglich seine zweiseitigen Rechtsverhältnisse (Arbeitsvertrag und Mietvertrag) entsprechend fristgerecht aufzulösen und hätte die belangte Behörde daher eine längere Frist zur Ausreise (orientiert an den ordentlichen Kündigungsfristen für ein Mietverhältnis) festsetzen müssen. Betreffend der unrichtigen rechtlichen Beurteilung zu Spruchpunkt I. wurde ausgeführt, dass Aufgrund der Konkretisierung der öffentlich Interessen in § 11 Abs 4 NAG hätte die belangte Behörde bereits bei der Beurteilung der Ruckkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 4 FPG beurteilen müssen, welches öffentliche Interesse durch den BF berührt werde. Entgegen der ständigen Rechtsprechung des VwGH habe sich die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid diesbezüglich damit begnügt auf die Straffälligkeit des BF zu verweisen. Nach ständiger Rechtsprechung des VwGH sei die bloße Auflistung entsprechender Verurteilungen nicht ausreichend, die Widerstreitung öffentlicher Interessen zu beurteilen. Fernerhin hätte die belangte Behörde bei richtiger rechtlicher Beurteilung feststellen müssen, dass eine Abschiebung des BF unzulässig sei und darüber hinaus die Abschiebung des BF verboten sei.
Letztlich wurden folgende Anträge gestellt:
"das Bundesverwaltungsgericht möge, 1.) der Beschwerde gegen den Bescheid der belangten Behörde vom 25.10.2016 zu Zahl:
14-1000415110/151008037 Folge gegeben, den angefochtenen Bescheid ersatzlos aufheben und das Verwaltungsverfahren einstellen; in eventu 2.) der Beschwerde gegen den Bescheid der belangten Behörde vom 25.10.2016 zu Zahl: 14-1000415110/151008037 Folge gegeben, den angefochtenen Bescheid aufheben, eine mündliche Verhandlung anberaumen, sämtliche Beweise aufnehmen, in der Sache selbst entscheiden und sodann das Verwaltungsverfahren einstellen; in eventu 3.) der Beschwerde gegen den Bescheid der belangten Behörde vom 25.10.2016 zu Zahl: 14-1000415110/151008037 dergestalt Folge gegeben, dass die Frist zur freiwillige Ausreise entsprechend verlängert wird."
13. Mit Schreiben vom 21.11.2016 gab die belangte Behörde zur am 16.11.2016 eingebrachten Beschwerde eine Stellungnahme ab. Zur Würdigung des Privatlebens wurde ausgeführt, dass bei der Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung der Gesetze und dem Interesse des BF an der Entfaltung seines Privatlebens vor allem zum Tragen gekommen sei, dass die Straftaten unter Ausnutzung seiner beruflichen Steilung begangen worden seien. Es könne nicht von einer, aus der beruflichen Laufbahn des BF abzuleitenden sehr ausgeprägten sozialen Integration gesprochen werden die mehr als intakt sei.
Die Bindung zum Heimatstaat bestehe nicht nur zu einem einzelnen Familienmitglied, sondern setze sich aus einer Vielzahl von Faktoren zusammen. Ausschlaggebend sei letztlich, ob sich der BF nach einer langen Abwesenheit aus seiner Heimat dort noch zu Recht finden würde und wieder Fuß fassen könnte. Nach einer nur dreijährigen Abwesenheit kann nicht ernstlich angenommen werden, dass der BF keine Bindung mehr zu Tunesien habe.
Zur freiwilligen Frist wurde ausgeführt, dass der BF eine Frist bekannt zu geben und Beweise zu erbringen gehabt hätte, die eine längere Ausreisefrist rechtfertigen würden. Der BF habe in seiner Stellungnahme nichts dergleichen vorgebracht.
Zur Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit wurde ausgeführt, dass sehr eingehend erörtert wurde, warum das persönliche Verhalten des BF eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung darstelle. Es sei mitnichten eine Auflistung der Straftaten erfolgt, sondern eine genaue Beurteilung des Einzelfalls.
Im Vergleich zu anderen Maghreb-Staaten sei Tunesien vergleichsweise sicher und demokratisch. Allein eine erhöhte Gefahr von terroristischen Anschlägen sowie lange, intrasparente Untersuchungen von Menschenrechtsverletzungen können noch nicht als Abschiebungsverbot nach §50 Abs.1 FPG gewertet werden. Dahingehend werde beantragt, den Bescheid der Behörde vom 25.10.2016, Zahl: 14- 1000415110/151008037 zu bestätigen und die Beschwerde abzuweisen.
14. Die gegenständliche Beschwerde und die Bezug habenden Verwaltungsakten wurden vom BFA vorgelegt und sind am 22.11.2016 beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt.
15. Das Bundesverwaltungsgericht übermittelte dem BF sowie dem BFA mit Schriftsatz vom 30.01.2018 im Rahmen des Parteiengehörs umfassende Länderfeststellungen zur Situation in Tunesien sowie Fragestellungen zur persönlichen Situation des BF und forderte unter einem die genannten Parteien auf, binnen zwei Wochen hierzu Stellungnahme abzugeben.
16. Mit Stellungname vom 19.03.2018 legte der rechtsfreundliche Vertreter des BF unter anderem zahlreiche Dokumente vor.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Feststellungen zur Person des BF:
Der BF ist Staatsangehöriger Tunesiens. Der BF führt die im Spruch angegebene Identität (Name und Geburtsdatum). Die Identität des BF steht fest.
Der BF hält sich seit 16.12.2013 durchgehend im Bundesgebiet auf.
Der Beschwerdeführer ehelichte am XXXX eine österreichische Staatsangehörige. Die Ehe wurde mit Urteil des Bezirksgerichtes XXXX vom XXXX rechtskräftig geschieden.
Der BF stellte am XXXX2013 einen Antrag auf Erteilung einen Aufenthaltstitel als "Familienangehöriger" gemäß § 47 NAG. Die Bezirkshauptmannschaft XXXX erteilte ihm diesen mit einer Gültigkeitsdauer bis 17.12.2014.
Am XXXX2014 stellte der BF einen Verlängerungsantrag gemäß § 24 Abs. 1 NAG. Die Bezirkshauptmannschaft Innsbruck erteilte dem BF gemäß § 41a NAG einen Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot-Karte plus" mit Gültigkeit bis XXXX2015.
Am XXXX2015 stellte der BF einen Verlängerungsantrag gemäß § 24 Abs. 1 NAG. Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft XXXX vom 12.01.2016 verfügt diese die Aussetzung des Verfahrens gemäß § 38 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz.
Der BF lebt seit dem 12.02.2018 mit seiner Lebensgefährtin, welche eine österreichische Staatsangehörige ist, in einem gemeinsamen Haushalt.
Der BF nahm vom 17.03.2014 bis zum 10.04.2014, vom 28.04.2014 bis zum 16.05.2014 und vom 08.09.2014 bis zum 29.09.2014 an Deutschkursen auf A1-A2 Kursen teilgenommen.
Familienangehörige des BF leben in Tunesien.
In Österreich war der BF von 30.07.2014 bis 30.07.2014 als Arbeiter bei einem Wachdienst tätig. In weiterer Folge war er vom 23.10.2014 bis 21.01.2015, vom 12.03.2015 bis 22.07.2015, vom 03.08.2015 bis 28.08.2015 und vom 01.09.2015 bis zum 18.12.2015, sowie vom 14.01.2016 bis zum 30.06.2016 und vom 01.07.2017 bis zum 31.12.2016, sowie vom 02.01.2017 bis zum 28.04.2017 und vom 03.05.2017 bis zum 02.12.2017 als Arbeiter in diversen Firmen tätig. Seit 12.02.2018 ist der BF bei einer namentlichen genannten Firma als Fahrer eines Kraftfahrzeuges tätig. Sein monatliches Bruttogehalt beträgt 1.662.63 €.
Der BF ist selbsterhaltungsfähig und ist sozialversichert.
Er wurde bereits rechtskräftig verurteilt und zwar:
Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom XXXX wurde der BF wegen des Verbrechens der Verleumdung, des Verbrechens des schweren und gewerbsmäßigen Diebstahles, des Vergehens der Veruntreuung und des Vergehens der Datenfälschung nach § 297 Abs. 1 zweiter Fall StGB, §§ 127, 128 Abs. 1 Z 4, 130 erster Fall StGB, § 225a StGB sowie § 133 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von sieben Monaten verurteilt. Die 3-jährige Probezeit ist mittlerweile abgelaufen, der unbedingte Teil der Geldstrafe wurde mit 20.03.2017 vollzogen und die bedingte Freiheitstrafe wurde mit 22.06.2018 endgültig nachgesehen.
2. Beweiswürdigung:
2.1. Zum Verfahrensgang:
Der oben angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA und des vorliegenden Gerichtsaktes des BVwG.
2.2. Zur Person des BF und zum Vorbringen des BF:
Die Feststellungen hinsichtlich der Staatsangehörigkeit, der Identität des Beschwerdeführers, des Familienstandes des BF sowie hinsichtlich seines Aufenthaltes im österreichischen Bundesgebiet und zu seinen familiären und privaten Verhältnissen in Tunesien und in Österreich ergeben sich aus dem Akteninhalt und den vorgelegten Dokumenten.
Dass dem Beschwerdeführer bis XXXX2015 der Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot-Karte-plus" zukamen und er am XXXX2015 einen Antrag auf Verlängerung seines Aufenthaltstitels stellte, welcher noch nicht genehmigt wurde, ist dem vorliegenden Auszug aus dem Informationssystem Zentrales Fremdenregister zu entnehmen.
Die Zeiten der Berufstätigkeit gehen aus Sozialversicherungsdatenauszug hervor. Dass der BF derzeit bei einer namentlich genannten Firma einer Beschäftigung nachgeht, und sozialversichert ist ergibt sich aus dem Sozialversicherungsdatenauszug und durch die Vorlage des Dienstvertrages.
Dass der BF mit seiner Lebensgefährtin in einem gemeinsamen Haushalt lebt, ergibt sich aufgrund der Stellungnahme des BF vom 19.03.2018 und durch Einsichtnahme in das zentrale Melderegister.
Die Feststellungen zu der strafrechtlichen Verurteilung entsprechen dem Amtswissen des Bundesverwaltungsgerichtes (Einsicht in das Strafregister der Republik Österreich).
3. Rechtliche Beurteilung:
3.1. Zuständigkeit:
Gemäß § 9 Abs. 2 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, und § 7 Abs. 1 Z 1 des BFA-Verfahrensgesetzes (BFAVG), BGBl. I Nr. 87/2012 idgF, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des BFA.
Da sich die gegenständliche - zulässige und rechtzeitige - Beschwerde gegen einen Bescheid des BFA richtet, ist das Bundesverwaltungsgericht für die Entscheidung zuständig.
Gemäß § 6 des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVwGG), BGBl. I Nr. 10/2013, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Da in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, obliegt in der gegenständlichen Rechtssache die Entscheidung dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuständigen Einzelrichter.
Zu Spruchpunkt A)
3.2. Zur Stattgabe der Beschwerde:
3.2.1. Gemäß § 24 Abs. 1 zweiter Satz NAG ist der Antragsteller, unbeschadet der Bestimmungen nach dem FPG, nach Stellung eines Verlängerungsantrages bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Antrag weiterhin rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig.
Gemäß § 25 Abs. 1 NAG hat die Behörde wenn in einem Verfahren zur Verlängerung des Aufenthaltstitels Erteilungsvoraussetzungen gemäß § 11 Abs. 1 und 2 NAG fehlen, - gegebenenfalls nach Einholung einer Stellungnahme des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl - den Antragsteller davon in Kenntnis zu setzen und ihm mitzuteilen, dass eine Aufenthaltsbeendigung gemäß §§ 52 ff. FPG beabsichtigt ist und ihm darzulegen, warum dies unter Bedachtnahme auf den Schutz seines Privat- oder Familienlebens (§ 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012) zulässig scheint.
Gemäß § 25 Abs. 2 NAG ist das Verfahren über den Verlängerungsantrag auf Erteilung des Aufenthaltstitels formlos einzustellen, wenn eine Aufenthaltsbeendigung in Rechtskraft erwächst. Das Verfahren ist im Fall der Aufhebung einer Aufenthaltsbeendigung auf Antrag des Fremden fortzusetzen, wenn nicht neuerlich eine aufenthaltsbeendende Maßnahme gesetzt wird. Ist eine Aufenthaltsbeendigung unzulässig, hat die Behörde einen Aufenthaltstitel mit dem gleichen Zweckumfang zu erteilen
Der BF verfügte bis XXXX2015 über den Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot-Karte-plus" und hält sich aufgrund des am XXXX2015 gestellten Antrages auf Verlängerung seines Aufenthaltstitels gegenwärtig rechtmäßig § 24 Abs. 1 zweiter Satz NAG weiterhin im Bundesgebiet auf. Das Verlängerungsverfahren wurde gemäß § 25 Abs. 2 NAG unterbrochen, weil ein Aufenthaltsbeendigungsverfahren gemäß § 52 FPG eingeleitet wurde.
Gemäß § 52 Abs. 4 Z 4 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) hat das Bundesamt mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, zu erlassen, wenn der Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels ein Versagungsgrund (§ 11 Abs. 1 und 2 NAG) entgegensteht.
Gemäß § 11 Abs. 2 Z 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) dürfen Aufenthaltstitel einem Fremden nur erteilt werden, wenn der Aufenthalt des Fremden nicht öffentlichen Interessen widerstreitet.
Gemäß § 11 Abs. 4 Z 1 NAG widerstreitet der Aufenthalt eines Fremden dem öffentlichen Interesse (Abs. 2 Z 1), wenn sein Aufenthalt die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden würde.
Gemäß § 11 Abs. 3 NAG kann ein Aufenthaltstitel trotz Vorliegens eines Erteilungshindernisses gemäß Abs. 2 Z 1 bis 7 sowie trotz Ermangelung einer Voraussetzung gemäß Abs. 2 Z 1 bis 6 erteilt werden, wenn dies zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Europäische Menschenrechtskonvention - EMRK), BGBl. Nr. 210/1958, geboten ist. Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:
1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen rechtswidrig war;
2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens;
3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens;
4. der Grad der Integration;
5. die Bindungen zum Heimatstaat des Drittstaatsangehörigen;
6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit;
7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts;
8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Drittstaatsangehörigen in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren;
9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.
Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung gemäß § 9 Abs. 1 BFA-VG zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.
Gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG sind bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK insbesondere zu berücksichtigen:
die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war
das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,
die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,
der Grad der Integration,
die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,
die strafgerichtliche Unbescholtenheit,
Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,
die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,
die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.
Gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG ist über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl I Nr 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.
Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.
Art. 8 Abs. 2 EMRK erfordert eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffes; letztere verlangt eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter und öffentlichen Interessen. In diesem Sinne wird eine Ausweisung nicht erlassen werden dürfen, wenn ihre Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie schwerer wögen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung. Bei dieser Abwägung sind insbesondere die Dauer des Aufenthaltes, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens und dessen Intensität, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, den Grad der Integration des Fremden, der sich in intensiven Bindungen zu Verwandten und Freunden, der Selbsterhaltungsfähigkeit, der Schulausbildung, der Berufsausbildung, der Teilnahme am sozialen Leben, der Beschäftigung und ähnlichen Umständen manifestiert, die Bindungen zum Heimatstaat, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, aber auch Verstöße gegen das Einwanderungsrecht und Erfordernisse der öffentlichen Ordnung maßgeblich. Auch die Frage, ob das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, ist bei der Abwägung in Betracht zu ziehen (Vgl. VfGH vom 29.09.2007, B 1150/07-9).
Der Verfassungsgerichtshof geht in seiner Rechtsprechung davon aus, dass bereits die Ausweisung (nunmehr Rückkehrentscheidung), nicht erst deren Vollzug einen Eingriff in das durch Art. 8 Abs. 1 EMRK gewährleistete Recht auf Privat- und Familienleben darstellt (vgl. die bei Feßl/Holzschuster, Asylgesetz 2005, Seite 344 zitierte Judikatur des VfGH).
Entsprechend der Rechtsprechung des EGMR als auch jener des Verfassungsgerichtshofes muss der Eingriff hinsichtlich des verfolgten legitimen Zieles verhältnismäßig sein.
Die Verhältnismäßigkeit einer Ausweisung ist dann gegeben, wenn der Konventionsstaat bei seiner aufenthaltsbeendenden Maßnahme einen gerechten Ausgleich zwischen dem Interesse des Fremden auf Fortsetzung seines Privat- und Familienlebens einerseits und dem staatlichen Interesse auf Verteidigung der öffentlichen Ordnung andererseits, also dem Interesse des Einzelnen und jenem der Gemeinschaft als Ganzes gefunden hat. Dabei variiert der Ermessensspielraum des Staates je nach den Umständen des Einzelfalles und muss in einer nachvollziehbaren Verhältnismäßigkeitsprüfung in Form einer Interessenabwägung erfolgen.
Nach ständiger Rechtsprechung der Gerichtshöfe öffentlichen Rechts kommt dem öffentlichen Interesse aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung iSd Art 8 Abs 2 EMRK ein hoher Stellenwert zu.
Unter dem "Privatleben" sind nach der Rechtsprechung des EGMR persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (vgl. Sisojeva ua gg Lettland, EuGRZ 2006, 554). In diesem Zusammenhang komme dem Grad der sozialen Integration des Betroffenen eine wichtige Bedeutung zu.
Es ist daher vom Bundesverwaltungsgericht eine Interessenabwägung nach § 9 Abs. 2 BFA-VG, § 11 Abs. 3 NAG und Artikel 8 Abs. 2 EMRK vorzunehmen.
3.2.2. Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich:
Der BF hielt sich auf Basis des ihm erteilten Aufenthaltstitels ab Dezember 2013 rechtmäßig im Bundesgebiet auf. Da er rechtzeitig einen Verlängerungsantrag stellte, blieb sein Aufenthalt gemäß § 24 Abs. 1 dritter Satz NAG nach Ablauf der Gültigkeitsdauer dieses Aufenthaltstitels am 18.12.2015 weiter rechtmäßig.
Die belangte Behörde hat sohin aufgrund des gegebenen Sachverhaltes ihr Entscheidung im Grunde zu Recht auf § 52 Abs. 4 Z 4 gestützt.
Die belangte Behörde stütze ihre Rückkehrentscheidung auf den Umstand, dass gemäß § 11 Abs. 2 NAG der Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels ein Versagungsgrund entgegensteht. Fernerhin wurde ausgeführt, dass der Aufenthalt des BF gemäß § 11 Abs. 2 NAG den öffentlichen Interessen widerstreite und begründete sie dies mit der Strafffälligkeit des BF und der Erlassung eines Einreiseverbotes gemäß § 53 Abs. 3 FPG.
Bei der Stellung der für jedes Einreiseverbot zu treffenden Gefährlichkeitsprognose - gleiches gilt auch für ein Aufenthaltsverbot oder Rückkehrverbot - ist das Gesamt(fehl)verhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die in § 53 Abs. 2 FrPolG 2005 idF FrÄG 2011 umschriebene Annahme gerechtfertigt ist. Bei dieser Beurteilung kommt es demnach nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf das diesen zugrunde liegende Fehlverhalten, die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild an. (vgl. VwGH 19.2.2013, 2012/18/0230)
Solche Gesichtspunkte, wie sie in einem Verfahren betreffend Rückkehrentscheidung und Einreiseverbot zu prüfen sind, insbesondere die Intensität der privaten und familiären Bindungen in Österreich, können nicht auf die bloße Beurteilung von Rechtsfragen reduziert werden (vgl. VwGH 7.11.2012, 2012/18/0057)
Zudem gilt es festzuhalten, dass die fremdenpolizeilichen Beurteilungen eigenständig und unabhängig von den die des Strafgerichts für die Strafbemessung, die bedingte Strafnachsicht und den Aufschub des Strafvollzugs betreffenden Erwägungen zu treffen sind (vgl. Erkenntnis des VwGH v. 6.Juli 2010, Zl. 2010/22/0096) und es bei der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes/Einreiseverbotes in keiner Weise um eine Beurteilung der Schuld des Fremden an seinen Straftaten und auch nicht um eine Bestrafung geht. (vgl. Erkenntnis des VwGH vom 8. Juli 2004, 2001/21/0119).
Bei der Entscheidung über die Länge des Einreiseverbotes ist die Dauer der vom Fremden ausgehenden Gefährdung zu prognostizieren; außerdem ist auf seine privaten und familiären Interessen Bedacht zu nehmen. (VwGH 20.12.2016, Ra 2016/21/0109).
Wie sich aus § 53 FPG ergibt, ist bei der Verhängung eines Einreiseverbots das bisherige Verhalten des Drittstaatsangehörigen in die Betrachtung miteinzubeziehen. Dabei gilt es zu prüfen, inwieweit dieses die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft.
Als bestimmte Tatsache, die bei der Bemessung der Dauer des Einreiseverbotes neben den anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen relevant ist, hat unter anderem nach § 53 Abs. 3 Z 1 FPG zu gelten, wenn der Drittstaatsangehörige von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mindestens drei Monaten, zu einer bedingt oder teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten oder mindestens einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhenden Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist.
Der BF wurde mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom XXXX wegen des Verbrechens der Verleumdung, des Verbrechens des schweren und gewerbsmäßigen Diebstahles, des Vergehens der Veruntreuung und des Vergehens der Datenfälschung nach § 297 Abs. 1 zweiter Fall StGB, §§ 127, 128 Abs. 1 Z 4, 130 erster Fall StGB, § 225a StGB sowie § 133 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von sieben Monaten verurteilt.
Selbst unter Berücksichtigung der einschlägigen Delinquenz des BF hat sich der BF in strafrechtlicher Hinsicht seit seiner letzten Straftat wohl verhalten und eine positive Entwicklung erkennen lassen:
Sohin war der BF vom 23.10.2014 bis 21.01.2015, vom 12.03.2015 bis 22.07.2015, vom 03.08.2015 bis 28.08.2015 und vom 01.09.2015 bis zum 18.12.2015, sowie vom 14.01.2016 bis zum 30.06.2016 und vom 01.07.2017 bis zum 31.12.2016, sowie vom 02.01.2017 bis zum 28.04.2017 und vom 03.05.2017 bis zum 02.12.2017 als Arbeiter in diversen Firmen tätig. Seit 12.02.2018 ist der BF bei einer namentlichen genannten Firma als Fahrer eines Kraftfahrzeuges tätig. Sein monatliches Bruttogehalt beträgt 1.662.63 €. Der BF ist sohin selbsterhaltungsfähig, sozialversichert und im heimischen Arbeitsmarkt integriert.
Der bisherige Aufenthalt des BF war stets rechtmäßig; er besuchte Deutschkurse und lebt in einer Lebensgemeinschaft mit einer österreichischen Staatsangehörigen. Der BF verhielt sich seit seiner strafgerichtlichen Verurteilung mittlerweile seit über drei Jahren wohl. Die 3-jährige Probezeit ist mittlerweile abgelaufen, der unbedingte Teil der Geldstrafe wurde mit XXXX2017 vollzogen und die bedingte Freiheitstrafe wurde mit XXXX2018 endgültig nachgesehen.
Bei einer Gesamtbetrachtung aller aufgezeigten Umstände und des sich daraus ergebenden Persönlichkeitsbildes, ist unter Beachtung der positiven Entwicklung des BF, der lang zurückliegenden letzten Straffälligkeit, der zuletzt begangenen Straftat, der Strafart und -höhe, dem Umstand, dass die Geldstrafe vollzogen und die bedingte Freiheitsstrafe endgültig nachgesehen wurde, ist nach Abwägung der bezughabenden Gefährlichkeitsprognose mit den gemäß Art 8 EMRK relevanten Anknüpfungspunkten des BF im Bundesgebiet und der durch die Verhängung eines Einreiseverbotes ergebenden zusätzlichen Beeinträchtigung dieser, zum Schluss zu kommen, dass sich eine Einreisverbot gegenständlich konkret als unverhältnismäßig erweisen würde. Folglich widerstreitet der Aufenthalt des BF nicht das öffentliche Interesse im Sinne des § 11 Abs. 2 Z1 NAG.
Unter Zugrundelegung des festgestellten Sachverhaltes ist im Ergebnis daher festzustellen, dass der Erteilung eines weiteren Versagungsgrundes gemäß § 11 Abs. 2 Z1 NAG entgegensteht und somit der Rückkehrentscheidungstatbestand iSd. § 52 Abs. 4 Z 4 FPG nicht erfüllt ist.
Demzufolge, unter Berücksichtigung, dass ein Ausspruch über die Zulässigkeit der Abschiebung iSd. § 52 Abs. 9 FPG, die Festlegung einer Frist zur freiwilligen Ausreise iSd. § 55 FPG und die Erlassung eines Einreiseverbotes iSd § 53 Abs. 3 FPG nur in Verbindung mit einer Rückkehrentscheidung zu erlassen sind, und diese nach Wegfall einer solchen keinen Bestand haben können, war der Beschwerde spruchgemäß stattzugeben und der angefochtene Bescheid zur Gänze zu beheben.
3.3. Zum Entfall der mündlichen Verhandlung:
Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. Die Verhandlung kann nach Abs. 2 entfallen, wenn der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist (Z 1) oder die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist (Z 2). Da der Bescheid aufzuheben war, konnte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG unterbleiben
Zu Spruchpunkt B)
3.4. Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.
Die oben in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des VwGH ist zu früheren Rechtslagen ergangen, sie ist jedoch nach Ansicht des erkennenden Gerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.
Schlagworte
Behebung der Entscheidung, bestehendes Familienleben, EinreiseverbotEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2018:I405.2140530.1.00Zuletzt aktualisiert am
06.09.2018