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E000 EU- Recht allgemein;Norm
32008L0115 Rückführungs-RL Art11 Abs2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Robl, die Hofrätin Mag.a Merl und den Hofrat Dr. Schwarz als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Strasser, in der Revisionssache des I H A in A, vertreten durch die Dr. Gebhard Heinzle und Mag. Astrid Nagel, Rechtsanwälte in 6900 Bregenz, Gerberstraße 4, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Vorarlberg vom 13. Dezember 2017, LVwG- 458-6/2017-R4, betreffend Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt-EU" (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Dornbirn), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der 1958 geborene Revisionswerber ist staatenlos und hält sich seit seiner Geburt durchgehend in Österreich auf; ihm wurde im Jahr 1973 ein unbefristeter Sichtvermerk ausgestellt. Nachdem er 1979 wegen Totschlag zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten und 1986 wegen Mord zu einer Freiheitsstrafe von 20 Jahren verurteilt worden war, wurde gegen ihn 1987 ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen. Der Revisionswerber wurde 2004 aus der Haft entlassen; ihm wurde wiederholt eine Karte für Geduldete, zuletzt mit Gültigkeit bis 23. Jänner 2018, ausgestellt.
2 Am 15. Februar 2016 stellte der Revisionswerber einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Daueraufenthalt-EU".
3 Dem am 8. Juni 2016 gestellten Antrag auf Aufhebung des Aufenthaltsverbotes gab das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit Bescheid vom 29. März 2017 gemäß § 69 Abs. 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) statt.
4 Mit Bescheid vom 28. Juli 2017 wies die Bezirkshauptmannschaft Dornbirn (Behörde) den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Daueraufenthalt-EU" ab.
5 Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Landesverwaltungsgericht Vorarlberg (LVwG) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und erklärte eine ordentliche Revision für unzulässig.
Begründend führte es im Wesentlichen aus, gemäß § 31 Abs. 1a Z 3 FPG sei ein Aufenthalt, der sich nur auf eine Duldung gemäß § 46a FPG gründe, nicht rechtmäßig, weshalb dieser Aufenthalt nicht als rechtmäßige Niederlassung gemäß § 2 Abs. 2 NAG angesehen werden könne. Der Revisionswerber erfülle daher die in § 45 Abs. 1 NAG normierte Voraussetzung einer fünfjährigen Niederlassung nicht. Mit der Aufhebung des Aufenthaltsverbotes gemäß § 69 Abs. 2 FPG sei auch nicht der im Jahr 1973 erteilte unbefristete Sichtvermerk wieder aufgelebt, weil die Wortfolge "im Rechtsweg" in § 10 Abs. 1 NAG nicht die Fälle einer Aufhebung gemäß § 69 Abs. 2 FPG umfasse, sondern nur die Aufhebung der aufenthaltsbeendenden Maßnahmen durch ein Erkenntnis des Verfassungs- oder Verwaltungsgerichtshofes. Auch enthalte die Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (Rückführungs-RL) keine Bestimmungen über das Wiederaufleben eines Aufenthaltstitels bei nachträglicher Behebung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme.
6 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
7 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
8 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
9 In der Zulässigkeitsbegründung bringt der Revisionswerber vor, es sei von grundsätzlicher Bedeutung, ob ein Aufenthalt als Geduldeter als Niederlassung im Sinn des § 45 NAG gelte und ob eine Aufhebung des Aufenthaltsverbotes gemäß § 69 Abs. 2 FPG als Behebung im Rechtsweg im Sinn des § 10 Abs. 1 NAG anzusehen sei, die zum Wiederaufleben des ursprünglichen Aufenthaltstitels führe.
10 Für die Erteilung des vom Revisionswerber beantragten Aufenthaltstitels "Daueraufenthalt-EU" ist gemäß § 45 NAG ua. eine in den letzten fünf Jahren ununterbrochene (rechtmäßige (vgl. § 31 Abs. 1 Z 2 FPG)) Niederlassung erforderlich. Geduldete (§ 46a FPG) halten sich gemäß § 31 Abs. 1a Z 3 FPG nicht rechtmäßig im Bundesgebiet auf. Nach dem klaren Wortlaut des NAG iVm dem FPG (vgl. zum Nichtvorliegen einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung bei eindeutiger Rechtslage etwa VwGH 1.8.2017, Ra 2015/06/0087, mwN) erfüllt der Revisionswerber somit nicht die für den beantragten Aufenthaltstitel erforderliche Voraussetzung der Niederlassung.
11 Entgegen der Auffassung des Revisionswerbers lebte der ihm vor Erlassung des Aufenthaltsverbotes erteilte Sichtvermerk im vorliegenden Fall auch nicht wieder auf. Gemäß § 10 Abs. 1 NAG leben infolge einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme ungültig gewordene Aufenthaltstitel und Dokumentationen des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechtes nur dann wieder auf, wenn die aufenthaltsbeendende Maßnahme innerhalb ihrer ursprünglichen Geltungsdauer "im Rechtsweg" nachträglich behoben wird. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt ein Wiederaufleben nicht für Fälle einer Aufhebung gemäß § 69 FPG in Frage, sondern nur im Fall der Aufhebung der aufenthaltsbeendenden Maßnahme durch ein Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes oder des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 30.9.2014, Ro 2014/22/0035, sowie die Materialien zu § 10 NAG, RV 952 BlgNR
22. GP, 120). Die in der Zulässigkeitsbegründung aufgeworfene Frage ist somit bereits durch die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 10 NAG geklärt. Da das gegen den Revisionswerber verhängte Aufenthaltsverbot unstrittig gemäß § 69 Abs. 2 FPG aufgehoben wurde, tritt die Rechtsfolge des § 10 Abs. 1 NAG nicht ein.
12 Die Revision bringt weiter vor, es fehle Rechtsprechung zur Frage, ob die wegen nicht fristgerechter Umsetzung unmittelbar geltende Rückführungs-RL dazu führe, dass sämtliche Wirkungen des Aufenthaltsverbotes (auch über die Höchstdauer von fünf Jahren hinaus) seit 25. Dezember 2010 nicht mehr aufrecht seien und zu einem Wiederaufleben des ursprünglich erteilten unbefristeten Sichtvermerkes führe. Weiter regt der Revisionswerber an, zu diesen Fragen ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH zu stellen.
13 Dem Revisionswerber ist insofern zuzustimmen, als die Rückführungs-RL in Österreich nicht rechtzeitig umgesetzt wurde (Ende der Umsetzungsfrist war der 24. Dezember 2010) und somit ab 25. Dezember 2010 unmittelbare Geltung erlangte; die Umsetzung erfolgte innerstaatlich erst mit dem Fremdenrechtsänderungsgesetz 2011, das am 1. Juli 2011 in Kraft trat. Es trifft auch zu, dass die Rückführungs-RL ab 25. Dezember 2010 auf Aufenthaltsverbote, die davor verhängt wurden, anzuwenden ist (vgl. EuGH 19.9.2013, Filev und Osmani, C-297/12, Rn. 39 bis 41). Die Revision übersieht jedoch, dass gemäß Art. 11 Abs. 2 zweiter Satz Rückführungs-RL ein fünf Jahre überschreitendes Einreiseverbot verhängt werden kann, wenn der Drittstaatsangehörige eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung, die öffentliche Sicherheit oder die nationale Sicherheit darstellt. Da der Revisionswerber zweimal wegen schwerer Verbrechen zu mehrjährigen Freiheitsstrafen verurteilt wurde, ist es auch nach der Rückführungs-RL zulässig, ein fünf Jahre überschreitendes Aufenthaltsverbot zu verhängen. Eine zulässige maximale Höchstdauer eines Aufenthaltsverbotes bzw. Einreiseverbotes ist der Richtlinie nicht zu entnehmen. Die Rückführungs-RL enthält auch keine Bestimmungen über das Wiederaufleben eines ursprünglich erteilten Aufenthaltstitels im Fall einer nachträglichen Behebung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme. Somit lässt sich aus der unmittelbaren Geltung der Rückführungs-RL - entgegen der Annahme des Revisionswerbers - weder ein automatisches Erlöschen des Aufenthaltsverbotes noch ein Wiederaufleben des ursprünglich erteilten Aufenthaltstitels ableiten. Schon deshalb zeigt der Revisionswerber mit seinem diesbezüglichen Vorbringen keine Rechtsfrage auf, der grundsätzliche Bedeutung zukommt (vgl. VwGH 27.3.2018, Ra 2017/06/0232).
14 Ausgehend davon sieht sich der Verwaltungsgerichtshof auch nicht zu dem vom Revisionswerber angeregten Vorabentscheidungsersuchen an den Europäischen Gerichtshof veranlasst.
15 Abschließend ist noch darauf hinzuweisen, dass der Umstand, die zu lösenden Fragen könnten in einer Vielzahl von Fällen auftreten, nicht ihre Erheblichkeit iSd Art. 133 Abs. 4 B-VG bewirkt (vgl. VwGH 26.3.2014, Ro 2014/03/0024).
16 Da somit keine Rechtsfrage aufgeworfen wird, der im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme, war die Revision zurückzuweisen.
17 Von der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 1 VwGG Abstand genommen werden.
Wien, am 9. August 2018
Gerichtsentscheidung
EuGH 62012CJ0297 Filev und Osmani VORABSchlagworte
Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Bindung an den Wortlaut des Gesetzes VwRallg3/2/1Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2Gemeinschaftsrecht Richtlinie unmittelbare Anwendung EURallg4/1European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018220045.L00Im RIS seit
06.09.2018Zuletzt aktualisiert am
24.09.2018