TE Vwgh Erkenntnis 1999/12/16 99/20/0484

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Veröffentlicht am 16.12.1999
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1997 §7;
FlKonv Art1 AbschnC Z5;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Puck und die Hofräte Dr. Baur, Dr. Nowakowski, Dr. Hinterwirth und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hohenecker, über die Beschwerde des AO in Graz, geboren am 1. März 1968, vertreten durch Mag. Dr. Hella Ranner, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Herrengasse 19/II, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 22. Juni 1999, Zl. 200.496/0-V/13/98, betreffend Asylgewährung (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund (Bundeskanzleramt) Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Nigeria, reiste am 16. September 1996 in das Bundesgebiet ein und beantragte am 17. September 1996 Asyl.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 14. Februar 1997, mit dem der Asylantrag abgewiesen worden war, ab.

In der Begründung dieser Entscheidung führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer habe im erstinstanzlichen Verfahren im Wesentlichen releviert, in Nigeria Mitglied der SDP (Social Democratic Party) und in dieser Organisation für Öffentlichkeitsarbeit zuständig gewesen zu sein. Der Beschwerdeführer habe angegeben, wegen seiner politischen Tätigkeit sei er von den staatlichen Behörden verfolgt und inhaftiert worden. Im Einzelnen sei dieses Vorbringen schon im erstinstanzlichen Bescheid richtig und vollständig wiedergegeben worden, weshalb dieser Teil des erstinstanzlichen Bescheides zum Inhalt der Entscheidung der belangten Behörde erhoben werde.

Im Berufungsverfahren seien dem Beschwerdeführer nähere beschriebene Veränderungen der politischen Lage in Nigeria seit dem Tod des Militärmachthabers General Sani Abacha im Juni 1998 zur Kenntnis gebracht worden, wozu der Beschwerdeführer mit Schreiben vom 12. April 1999 Stellung genommen habe. In der Berufungsverhandlung am 22. Juni 1999 habe der Beschwerdeführer seinen Antrag aufrechterhalten, auf sein bisheriges Vorbringen verwiesen und nochmals zur Veränderung der politischen Lage in Nigeria Stellung genommen.

Die belangte Behörde erkläre die Ausführungen über die dem Beschwerdeführer vorgehaltene politische Entwicklung in Nigeria "zum Sachverhaltsbestandteil" und stelle weiters fest, dass der Beschwerdeführer Staatsangehöriger von Nigeria und "in seinem Heimatland wegen seiner politischen Gesinnung zum vormaligen Zeitpunkt seitens der Heimatbehörden verfolgt" worden sei.

In rechtlicher Hinsicht beurteilte die belangte Behörde den Sachverhalt im Wesentlichen dahingehend, die Gründe, die den Beschwerdeführer zum vormaligen Verlassen seines Heimatlandes bewogen hätten, lägen auf Grund der grundlegenden politischen Veränderungen in Nigeria nicht (mehr) vor und der Beschwerdeführer befinde sich nicht auf Grund wohlbegründeter Furcht vor asylrechtlich relevanter Verfolgung außerhalb seines Heimatstaates. Die Äußerungen des Beschwerdeführers zur Änderung der Lage in Nigeria stellten - wenn auch teilweise durch Medienberichte dokumentiert - bloße Vermutungen dar. Der Beschwerdeführer habe nicht darzulegen vermocht, mit welcher konkreten Gefährdung er im Falle einer Rückkehr (gemeint: unter den nunmehr herrschenden Verhältnissen) zu rechnen habe, oder "auch nur eine gewisse Gefährdung seiner Person auf Grund seiner vormaligen Exponiertheit plausibel ins Treffen zu führen" vermocht.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Akten durch die belangte Behörde erwogen hat:

Gemäß § 7 Asylgesetz 1997, BGBl. I Nr. 76, in der Fassung BGBl. I Nr. 4/1999, (im Folgenden: AsylG) hat die Behörde Asylwerbern auf Antrag mit Bescheid Asyl zu gewähren, wenn glaubhaft ist, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung (Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) droht und keiner der im Art. 1 Abschnitt C oder F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.

Nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974, (im Folgenden: FlKonv) ist Flüchtling, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

Gemäß Art. 1 Abschnitt C Z 5 FlKonv wird dieses Abkommen auf eine Person, die unter die Bestimmungen des Abschnittes A fällt, nicht mehr angewendet, wenn die Umstände, auf Grund deren sie als Flüchtling anerkannt worden ist, nicht mehr bestehen und sie es daher nicht weiterhin ablehnen kann, sich unter den Schutz ihres Heimatlandes zu stellen.

Ob der zuletzt wiedergegebene Endigungsgrund im Sinne des in § 7 AsylG enthaltenen Verweises auf Art. 1 Abschnitt C FlKonv eingetreten ist, was die belangte Behörde im vorliegenden Fall der Sache nach angenommen hat, hängt nicht unwesentlich von der Art der im Heimatland drohenden und allenfalls auch schon erlittenen Verfolgung ab, auf die sich die Flüchtlingseigenschaft gründete. Die belangte Behörde hat hierüber festgestellt, der Beschwerdeführer sei "wegen seiner politischen Gesinnung zum vormaligen Zeitpunkt seitens der Heimatbehörden verfolgt" worden. Diese sehr allgemein gehaltene Formulierung ist nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes dahingehend zu verstehen, dass die belangte Behörde den Angaben des Beschwerdeführers zu diesem Thema - anders als die Behörde erster Instanz - Glauben schenkte und die getroffene Feststellung auf das Vorbringen des Beschwerdeführers verweisen soll.

Dessen Inhalt lässt sich - auf Grund der nach Einleitung des Vorverfahrens vorgelegten Verwaltungsakten - dahingehend zusammenfassen, dass der Beschwerdeführer seit 1993 Mitglied der SDP gewesen sei und seine Öffentlichkeitsarbeit darin bestanden habe, "im Freien" Personen anzusprechen und ihnen nahe zu legen, dass sie für die Demokratie eintreten und bei den Wahlen nicht die Kandidaten der Regierung wählen sollten. Am 3. Jänner 1995 seien erstmals Angehörige des Staatssicherheitsdienstes zum Beschwerdeführer gekommen, die ihn zu einer Vernehmung darüber, warum er das Land destabilisieren wolle, mitgenommen und nach einer ergebnislos verlaufenen Hausdurchsuchung und nochmaligen Befragung wieder freigelassen hätten. Am 2. Februar 1995 sei der Beschwerdeführer neuerlich festgenommen und bis zum 7. März 1995 inhaftiert worden, weil er die Massen angesprochen habe, um die Regierung zu stürzen. Bei seiner Entlassung habe er unterschreiben müssen, dass er dies nicht mehr tun werde. Am 4. Juni 1996 habe der Beschwerdeführer eine Ansprache gehalten, deren Inhalt in der Aufforderung bestanden habe, die von der Regierung aufgestellten Kandidaten nicht zu wählen. Daraufhin sei er am 6. Juni (nach den Ausführungen in der Berufungsverhandlung: am 7. Juli) 1996 neuerlich verhaftet und in ein Gefängnis gebracht worden, aus dem er am 27. (nach den Ausführungen in der Berufungsverhandlung: am 28.) August 1996 dadurch freigekommen sei, dass drei namentlich genannte Politiker der "Gegenpartei der Regierung" einen Wächter dazu veranlasst hätten, ihn durch einen Nebenausgang entkommen zu lassen. Während dieser Haft sei der Beschwerdeführer einige Male von Wächtern getreten worden. Von den dadurch - in Verbindung damit, dass er (als Folge der Tritte) über den Boden gerollt sei - erlittenen Verletzungen habe er insgesamt sieben Narben an den Füßen davongetragen. In der Berufungsverhandlung fügte der Beschwerdeführer hinzu, er sei kein "Vollmitglied" der Partei gewesen und nur für die Verwirklichung der egoistischen Ziele anderer benutzt worden. Andererseits gab er an, er sei "Geschäftsstellenvorsitzender Presiding Officer" und bei Wahlgängen dazu eingesetzt gewesen, zu überprüfen, dass es keine Manipulationen gebe.

In den Feststellungen der belangten Behörde über die geänderten politischen Verhältnisse in Nigeria wird auf die SDP und das Schicksal ehemaliger, unter dem Regime des im Juni 1998 verstorbenen Militärmachthabers verfolgter Aktivisten dieser Partei nicht besonders Bezug genommen. Es werden Feststellungen über eine fortschreitende Demokratisierung des Landes, über verschiedene Wahlgänge, über die Haftentlassung der im Zusammenhang mit dem vermeintlichen Putsch verurteilten Personen bzw. sämtlicher politischer Gefangener sowie darüber getroffen, dass eine Verfolgung durch staatliche Autoritäten (u.a.) wegen politischer Zugehörigkeit unter den derzeitigen Verhältnissen so gut wie ausgeschlossen werden könne. Die Veränderungen hätten ein hohes Maß an Stabilität erreicht und im Hinblick auf die Einhaltung der Menschenrechte zu einem solchen Maß an Rechtsstaatlichkeit geführt, dass der Beschwerdeführer keine asylrelevante Verfolgung (mehr) zu befürchten habe.

In der Beschwerde wird dem - wie schon in der schriftlichen Stellungnahme im Berufungsverfahren und in der mündlichen Berufungsverhandlung - vor allem mit Zweifeln an der Nachhaltigkeit des Wechsels "von einer Diktatur zu einer Demokratie" begegnet. Es wird kritisiert, dass die belangte Behörde nicht festgestellt habe, ob die vorgesehene Übergabe der Macht an die zivilen Behörden am 29. Mai 1999 tatsächlich vollzogen worden sei, auf einen Bericht vom 21. September 1999 verwiesen, wonach nigerianische Soldaten "dutzende Leute in den letzten zwei Wochen exekutiert" hätten, und geltend gemacht, im Nigerdelta sei es Anfang des Jahres zu einem weiteren Massaker an jugendlichen Protestanten gekommen. Dies kräftige und bestärke die Befürchtungen des Beschwerdeführers, dass es sich wie in vergleichbaren Fällen in der Vergangenheit nur um scheindemokratische Veränderungen handle, die nicht lange angedauert und zu keiner Verbesserung der Situation von Oppositionskräften geführt hätten. Dass "gerade der Beschwerdeführer als anerkanntes und wesentliches Mitglied einer Oppositionspartei einer Verfolgung ausgesetzt" sei, liege auf der Hand, sei logisch nachvollziehbar und werde auch von der belangten Behörde nicht in Abrede gestellt.

Gerade in dem zuletzt angesprochenen Punkt reichen die Reaktionen des Beschwerdeführers auf den Vorhalt geänderter Verhältnisse im Verwaltungsverfahren und das nunmehrige Beschwerdevorbringen aber nicht aus, um die Beschwerde zum Erfolg zu führen. Der Beschwerdeführer hat in der Berufungsverhandlung u. a. angegeben, er sei nicht "Vollmitglied" der SDP gewesen und habe sich nur für die Verwirklichung der egoistischen Ziele anderer "benutzen" lassen, und er hat als Grund für seine letzte - unter den Gesichtspunkten asylrechtlich relevanter Intensität der Verfolgung und zeitlicher Nähe zur Ausreise aus dem Heimatstaat ausschlaggebende - Inhaftierung angegeben, er habe in einer Ansprache dazu aufgefordert, "die aufgestellten Kandidaten der Regierung nicht zu wählen". Dass der in Nigeria eingetretene Machtwechsel nicht ausreichen würde, um die Gefahr einer neuerlichen Verfolgung aus diesem Grund im Falle einer nunmehrigen Rückkehr des Beschwerdeführers in sein Heimatland auszuschließen, lässt sich mit allgemeiner Skepsis gegenüber der Nachhaltigkeit demokratischer Entwicklungen im Heimatland des Beschwerdeführers ebenso wenig begründen wie mit dem Hinweis auf gewaltsame Auseinandersetzungen und Menschenrechtsverstöße, die - abgesehen davon, dass sie sich zum Teil erst nach der Erlassung des angefochtenen Bescheides ereignet haben sollen - ihre Ursache in politischen Konflikten haben, zu denen die frühere Tätigkeit des Beschwerdeführers für die SDP in keinem nachvollziehbar dargelegten Zusammenhang steht.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 16. Dezember 1999

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1999:1999200484.X00

Im RIS seit

28.03.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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