TE Bvwg Erkenntnis 2018/6/27 G311 2198717-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 27.06.2018
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Entscheidungsdatum

27.06.2018

Norm

B-VG Art.133 Abs4
FPG §67 Abs1

Spruch

G311 2198717-1/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Eva WENDLER als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX, geboren am

XXXX,

Staatsangehörigkeit: Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.05.2018, Zahl XXXX, zu Recht:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid aufgehoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 16.05.2018 wurde über den Beschwerdeführer gemäß § 67 Abs. 1 iVm Abs. 2 FPG ein auf die Dauer von 2 Jahren befristetes Aufenthaltsverbot verhängt (Spruchpunkt I.). Gemäß § 70 Abs. 3 FPG wurde dem Beschwerdeführer ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat nicht erteilt (Spruchpunkt II) und einer Beschwerde gegen das Aufenthaltsverbot wird gemäß § 18 Abs. 3 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt. Begründend wurde ausgeführt, dass sich der Beschwerdeführer seit dem Jahr 2003 in Österreich aufhalte, wo er einen Teil seiner Schulbildung sowie seine Berufsausbildung zum Einzelhandelskaufmann absolviert habe und in der Folge auch Erwerbstätigkeiten nachgegangen sei. Der Beschwerdeführer verfüge daher über einen über 15-jährigen rechtmäßigen Aufenthalt in Österreich als Unionsbürger. Er sei jedoch bereits zweimal strafgerichtlich verurteilt worden. Mit Urteil vom Landesgericht für Strafsachen XXXX vom XXXX2015 (rechtskräftig am XXXX2016) sei der Beschwerdeführer wegen Suchtmitteldelikten zu einer Freiheitsstrafe von 24 Monaten, davon 16 Monate bedingt auf eine Probezeit von drei Jahren nachgesehen, verurteilt worden. Der Vollzug des unbedingten Teils des Freiheitsstrafe habe überwiegend im elektronisch überwachten Hausarrest stattgefunden. Weiters sei der Beschwerdeführer ebenfalls vom Landesgericht für Strafsachen XXXX mit Urteil vom XXXX2017 (rechtskräftig am XXXX2018) erneut wegen Suchtmitteldelikten zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt worden. Diese Freiheitsstrafe verbüße der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung in der Justizanstalt XXXX. Durch das strafbare Verhalten sei die Annahme gerechtfertigt, dass der weitere Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet eine nachhaltige und maßgebliche, schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstelle. Deswegen sei dem Beschwerdeführer auch kein Durchsetzungsaufschub zu gewähren, zumal er in Österreich über keine berücksichtigungswürdigen familiären, privaten oder wirtschaftlichen Anknüpfungspunkte verfüge. Somit sei der Beschwerde auch die aufschiebende Wirkung gemäß § 18 Abs. 3 BFA-VG abzuerkennen gewesen.

Dagegen erhob der Beschwerdeführer mit Schriftsatz seiner bevollmächtigten Rechtsvertretung vom 15.06.2018, beim Bundesamt am selben Tag einlangend, fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde. Darin wurde beantragt, das Bundesverwaltungsgericht möge den bekämpften Bescheid wegen Rechtswidrigkeit gänzlich beheben, in eventu die Dauer des Aufenthaltsverbots verkürzen, in eventu den Bescheid beheben und zur Verfahrensergänzung an die Behörde erster Instanz zurückverweisen, jedenfalls eine mündliche Verhandlung durchführen sowie der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuerkennen, in eventu die ordentliche Revision zulassen. Begründend wurde vorweg angeführt, dass der angefochtene Bescheid an Feststellungsmängeln infolge eines nicht ordnungsgemäß durchgeführten Ermittlungsverfahrens seitens der belangten Behörde leide. Der Beschwerdeführer verfüge nach seinem bisher 15-jährigen rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet sehr wohl über maßgebliche private und familiäre Bindungen. Aufgrund eigener gesundheitlicher Probleme sei es dem Beschwerdeführer bisher verwehrt geblieben, ständig am Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Er kümmere sich um seine in Österreich lebende Mutter und lebe in einer Lebensgemeinschaft. Der Lebensmittelpunkt des Beschwerdeführers befinde sich in Österreich. Das Bundesamt habe das Aufenthaltsverbot lediglich auf die erfolgten strafgerichtlichen Verurteilungen gestützt, aber keine Interessensabwägung und Gefährdungsprognose vorgenommen. Darüber seien vom Bundesamt - entgegen der dazu ergangenen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH) - weder die Nichtgewährung des Durchsetzungsaufschubes noch die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung entsprechend begründet worden.

Die gegenständliche Beschwerde und die Bezug habenden Verwaltungsakten wurden dem Bundesverwaltungsgericht vom Bundesamt vorgelegt und langten am 20.06.2018 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen (Sachverhalt):

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger der Bundesrepublik Deutschland.

Aus dem Auszug aus dem Zentralen Melderegister vom 20.06.2018 geht hervor, dass der Beschwerdeführer seit 05.09.2003 fast durchgehend mit einem Hauptwohnsitz im Bundesgebiet gemeldet ist. Lediglich im Zeitraum von 04.09.2008 bis 23.02.2009 weißt der Beschwerdeführer keine Meldung eines Wohnsitzes im Bundesgebiet auf. In diesem Zeitraum absolvierte er in Deutschland ein Praktikum bei seinem Vater. Ferner weißt der Beschwerdeführer Meldungen von Nebenwohnsitzen in den Zeiträumen 19.10.2016 bis 30.06.2017 (Justizanstalt XXXX) sowie seit 14.12.2017 bis laufend (Justizanstalt XXXX) auf.

Der Beschwerdeführer hat im Bundesgebiet einen Teil seiner Schulbildung sowie die Lehre zum Einzelhandelskaufmann abgeschlossen. Die Lehrabschlussprüfung absolvierte der Beschwerdeführer am 12.02.2009. Zwischen 27.10.2004 und 12.02.2012 bezog der Beschwerdeführer Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung (Arbeitslosengeld, Notstandshilfe, Überbrückungshilfe) und der Krankenversicherung. Zwischen 13.02.2012 bis 11.11.2013 bezog der Beschwerdeführer Mindestsicherung und war er von 09.01.2012 bis 31.03.2014 selbstständig erwerbstätig. Er war weiters in den Zeiträumen 20.10.2015 bis 31.12.2015, 05.03.2016 bis 08.03.2016, 23.03.2016 bis 29.03.2016, 28.04.2016 bis 05.05.2016 sowie von 06.06.2016 bis 20.03.2017 und zuletzt von 04.04.2017 bis 05.04.2017 als Arbeiter oder Angestellter vollversicherungspflichtig erwerbstätig. Im Zeitraum 16.03.2015 bis 23.03.2015 übte der Beschwerdeführer eine geringfügige Beschäftigung aus.

Der Beschwerdeführer hält sich zum Entscheidungszeitpunkt unstrittig seit über 14 Jahren im Bundesgebiet auf.

Der Beschwerdeführer lebte immer wieder mit seiner in Österreich lebenden Mutter im gemeinsamen Haushalt. Dies zuletzt seit 12.11.2013 wieder, allerdings unterbrochen durch die Zeiten der Inhaftierung des Beschwerdeführers. Der Beschwerdeführer führt weiters eine Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet.

Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen XXXX, Zahl XXXX, vom XXXX2015, rechtskräftig am XXXX2016, erging über den Beschwerdeführer (P.T.S.) folgender Schuldspruch:

"P.T.S. ist schuldig, er hat in H. zumindest von Oktober 2010 bis XXXX Oktober 2014

A. vorschriftswidrig Suchtgift

1. in einer das 25fache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge erzeugt, indem er in seiner Wohnung in einer Indoorplantage zahlreiche Cannabispflanzen bis zur Erntereifen aufzog und daraus zumindest 10.000 Gramm Cannabiskraut (Reinheitsgehalt von zumindest 9,96 % Delta-9-THC, gesamt somit zumindest 996 Gramm Delta-9-THC in Reinsubstanz) gewann, wobei sein Vorsatz auf eine Tatbildverwirklichung in Teilmengen gerichtet war und auch die kontinuierliche Tatbegehung über einen längeren Deliktszeitraum und den daran geknüpften Additionseffekt sowie die Überschreitung des 25fachen der Grenzmenge umfasste;

2. in einer das 15fache der Grenzmenge (§ 38b SMG) übersteigenden Menge anderen überlassen, indem er von dem zu Punkt 1. Angeführten Suchtgift 5.000 Gramm Cannabiskraut (498 Gramm Delta-9-THC in Reinsubstanz) an die abgesondert Verfolgten [...] sowie weitere namentlich nicht bekannte Personen gewinnbringend veräußerte, wobei sein Vorsatz auf eine Tatbildverwirklichung in Teilmengen gerichtet war und auch die kontinuierliche Tatbegehung über einen längeren Deliktszeitraum und den daran geknüpften Additionseffekt sowie die Überschreitung des 15fachen der Grenzmenge umfasste;

3. in einer die Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge mit dem Vorsatz besessen, dass es in Verkehr gesetzt werde, indem er am XXXXOktober 2014 248,20 Gramm Cannabiskraut (24,72 Gramm Delta-9-THC in Reinsubstanz) in seinen Wohnräumlichkeiten zum Zweck des späteren Weiterverkaufs lagerte;

B. Cannabispflanzen zum Zweck der Suchtgiftgewinnung angebaut, indem er am XXXX Oktober 2014 vor seinem Haus zwei Cannabispflanzen mit einer Wuchshöhe von 130 bis 140 cm kultivierte.

P.T.S. hat hiedurch zu A.1. das Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 erster Fall, Abs 4 Z 3 SMG, zu A.2. das Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 3 SMG, zu A.3. das Vergehen der Vorbereitung von Suchtgifthandel nach § 28 Abs 1 erster Satz SMG und zu B. mehrfache Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 2 dritter Fall SMG begangen und wird hiefür unter Bedachtnahme auf § 28 StGB nach § 28a Abs 4 SMG zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 24 (vierundzwanzig) Monaten, von der gemäß § 43a Abs 3 StGB ein Strafteil von 16 (sechzehn) Monaten unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wird, sodass der unbedingte Strafteil 8 (acht) Monate beträgt, sowie weiters gemäß § 389 Abs. 1 StPO zum Ersatz der Kosten des Strafverfahrens verurteilt.

Gemäß § 34 SMG wird das sichergestellt Suchtgift eingezogen.

Gemäß § 26 StGB werden die sichergestellten Suchtgiftutensilien eingezogen.

Gemäß § 20a Abs 3 StGB wird von einem Verfall hinsichtlich des durch den Suchtgifthandel erwirtschafteten Erlös abgesehen.

[...]"

In den Entscheidungsgründen führte das Landesgericht für Strafsachen hinsichtlich der Strafbemessung aus, dass die strafnormierende Bestimmung des § 28a Abs.4 SMG einen Strafrahmen von einem bis zu fünfzehn Jahren Freiheitsstrafe vorsehe. Als mildernd seien der bisherige ordentliche Lebenswandel des Beschwerdeführers (des Angeklagten) sowie die wesentlich zur Wahrheitsfindung beitragende geständige Beschuldigtenverantwortung, die Sicherstellung des Suchtgiftes und der Suchtgiftutensilien, als erschwerend hingegen das Zusammentreffen mehrfacher Verbrechen mit mehrfachen Vergehen, die Deliktsfortsetzung über einen mehrjährigen Deliktszeitraum, das professionelle Tatvorgehen sowie die gewerbsmäßige Täterabsicht zu berücksichtigen gewesen. Aus spezialpräventiven Gründen sei der teilweise Vollzug der Freiheitsstrafe erforderlich.

Die gegen dieses Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz XXXX2015 vom Beschwerdeführer erhobene Berufung wurde mit Urteil des Oberlandesgerichtes zur Zahl XXXXvom XXXX2016 abgewiesen.

Am XXXX2017 wurde der Beschwerdeführer unter Anordnung der Bewährungshilfe aus der Freiheitsstrafe bedingt auf eine Probezeit von drei Jahren entlassen.

Mit Beschluss des Landesgerichtes für Strafsachen XXXX vom XXXX2017, Zahl XXXX, wurde über den Beschwerdeführer wegen des Verdachtes des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs. 1 zweiter Fall SMG die Untersuchungshaft aus den Haftgründen der Verdunkelungs- und Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs. 1 und 2 Z 2 und Z 3 lit b StPO verhängt.

Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen XXXX, Zahl XXXX, vom XXXX2017, wurde der Beschwerdeführer von der wider ihn mittels Strafantrages erhobenen Anklage gemäß § 259 Z 3 ZPO freigesprochen. Mit Urteil des Oberlandesgerichtes XXXX vom XXXX2018, Zahl XXXX, wurde der dagegen erhobenen Berufung der Staatsanwaltschaft XXXX wegen Nichtigkeit und wegen des Ausspruches über die Schuld dahingehend Folge gegeben, dass das Ersturteil im Umfang des Freispruches zu 1. Aufgehoben wurde und das Oberlandesgericht in der Sache selbst entschied. Über den Beschwerdeführer (P.S.) erging sodann folgender Schuldspruch:

"Der Angeklagte P.S. ist schuldig, er hat zu einem nicht genau bekannten Zeitpunkt vor dem XXXX Oktober 2016 in N. oder an einem anderen Ort in Österreich eine unbekannte Person bestimmt, vorschriftswidrig Suchtgift in einer die große Menge des § 28b SMG übersteigenden Menge, nämlich ca. 900 Gramm Amphetamin mit einem Reinheitsgehalt von zumindest 10 % sowie 3 Gramm Kokain und 5 Gramm MDMA von Deutschland nach Österreich einzuführen, indem er das Suchtgift bestellt, wobei es beim Versuch der Einfuhr blieb, weil die das Suchtgift enthaltenden Postsendungen in F./Deutschland sichergestellt wurden.

Er hat hiedurch das Verbrechen der versuchten Bestimmung zum Suchtgifthandel nach §§ 12 zweiter Fall, 14 StGB, 28a Abs 1 zweiter und dritter Fall SMG begangen und wird hiefür nach § 28a Abs 1 SMG zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt.

Gemäß § 38 Abs 1 StGB wird die Vorhaft von XXXX März 2017, XXXX Uhr, bis XXXX Juni 2017, XXXXUhr, und von XXXX Dezember 2017, XXXX Uhr, bis XXXX März 2018. XXXX Uhr, auf die verhängte Strafe angerechnet.

Gemäß §§ 389 Abs 1, 390a Abs 1 StPO fallen dem Angeklagten die Kosten des gesamten Verfahrens zur Last.

II. den

BESCHLUSS

gefasst:

Die bedingte Entlassung des Angeklagten wird abgelehnt."

In den Entscheidungsgründen führte das Oberlandesgericht bezogen auf die Strafbemessung aus, dass bei einem Strafrahmen nach § 28a Abs. 1 SMG von bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe auszugehen sei. Als mildernd seien die Sicherstellung des Suchtgiftes und der Umstand, dass die Tat im Versuchsstadium geblieben war, als erschwerend hingegen die einschlägige Vorstrafe und die Tatbegehung während offener Probezeit und unmittelbar nach Beginn des Vollzuges des am XXXX04.2015 festgesetzten unbedingten Strafteils zu berücksichtigen gewesen.

Mit Beschluss des Landesgerichtes für Strafsachen XXXX vom XXXX2018, Zahl XXXX, wurde die mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen XXXX vom XXXX2015 verhängte Bewährungshilfe aufgehoben.

Aufgrund der zitierten Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen XXXX sowie des Oberlandesgerichtes XXXX wird festgestellt, dass der Beschwerdeführer die im genannten Urteil festgestellten strafbaren Handlungen begangen und je das umschriebene Verhalten gesetzt hat.

Zum Entscheidungszeitpunkt befindet sich der Beschwerdeführer noch in Strafhaft.

2. Beweiswürdigung:

Zum Verfahrensgang:

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakten des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl sowie des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.

Zur Person und zum Vorbringen der beschwerdeführenden Partei:

Soweit in der gegenständlichen Rechtssache Feststellungen zur Identität und zur Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers getroffen wurden, beruhen diese auf den im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen, denen in der gegenständlichen Beschwerde nicht entgegengetreten wurde.

Die genannten strafgerichtlichen Urteile sind aktenkundig und werden der gegenständlichen Entscheidung im Rahmen der freien Beweiswürdigung zugrunde gelegt.

Das Bundesverwaltungsgericht nahm Einsicht in das Fremdenregister, das Strafregister, das Zentrale Melderegister und die Sozialversicherungsdaten des Beschwerdeführers.

Der Umstand, dass sich der Beschwerdeführer seit 2003 überwiegend durchgehend und rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, geht darüber hinaus aus den Feststellungen des Bundesamtes im angefochtenen Bescheid hervor und wurde auch vom Beschwerdeführer zu keiner Zeit bestritten. Es war daher - in Zusammenschau mit den Melde- und Sozialversicherungsdaten - festzustellen, dass sich der Beschwerdeführer bereits über vierzehn Jahre im Bundesgebiet aufhält.

Die übrigen Feststellungen zur persönlichen Situation des Beschwerdeführers beruhen auf den Feststellungen des Bundesamtes im angefochtenen Bescheid, den eigenen Angaben des Beschwerdeführers in der Beschwerde, den von ihm vorgelegten Unterlagen, wie etwa das Lehrabschlusszeugnis und seinen Lebenslauf, und den entsprechenden Ausführungen in den aktenkundigen Strafurteilen, welche der gegenständlichen Entscheidung im Rahmen der freien Beweiswürdigung zugrunde gelegt wird. Der Beschwerdeführer hat darüber hinaus im gegenständlichen Verfahren zu keiner Zeit diesbezüglich andere Angaben gemacht oder das Vorliegen seiner Verurteilungen bestritten.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A):

§ 53a Abs. 1 und Abs. 2 NAG lauten:

"(1) EWR-Bürger, denen das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht zukommt (§§ 51 und 52), erwerben unabhängig vom weiteren Vorliegen der Voraussetzungen gemäß §§ 51 oder 52 nach fünf Jahren rechtmäßigem und ununterbrochenem Aufenthalt im Bundesgebiet das Recht auf Daueraufenthalt. Ihnen ist auf Antrag nach Überprüfung der Aufenthaltsdauer unverzüglich eine Bescheinigung ihres Daueraufenthaltes auszustellen.

(2) Die Kontinuität des Aufenthalts im Bundesgebiet wird nicht unterbrochen von

1. Abwesenheiten von bis zu insgesamt sechs Monaten im Jahr;

2. Abwesenheiten zur Erfüllung militärischer Pflichten oder

3. durch eine einmalige Abwesenheit von höchstens zwölf aufeinander folgenden Monaten aus wichtigen Gründen wie Schwangerschaft und Entbindung, schwerer Krankheit, eines Studiums, einer Berufsausbildung oder einer beruflichen Entsendung."

§ 66 Abs. 1 FPG lautet:

"(1) EWR-Bürger, Schweizer Bürger und begünstigte Drittstaatsangehörige können ausgewiesen werden, wenn ihnen aus den Gründen des § 55 Abs. 3 NAG das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht nicht oder nicht mehr zukommt, es sei denn, sie sind zur Arbeitssuche eingereist und können nachweisen, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden; oder sie bereits das Daueraufenthaltsrecht (§§ 53a, 54a NAG) erworben haben; im letzteren Fall ist eine Ausweisung nur zulässig, wenn ihr Aufenthalt eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt."

§ 67 Abs. 1 FPG in der Fassung des Fremdenrechts-Änderungsgesetzes 2017 (FrÄG 2017), BGBl. I Nr. 145/2017 lautet:

"§ 67. (1) Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige ist zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, das Aufenthaltsverbot wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist."

Art. 28 Abs. 2 und 3 R L2004/38/EG (Unionsbürgerrichtlinie) lauten:

"[...]

(2) Der Aufnahmemitgliedstaat darf gegen Unionsbürger oder ihre Familienangehörigen, ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit, die das Recht auf Daueraufenthalt in seinem Hoheitsgebiet genießen, eine Ausweisung nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit verfügen.

(3) Gegen Unionsbürger darf eine Ausweisung nicht verfügt werden, es sei denn, die Entscheidung beruht auf zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit, die von den Mitgliedstaaten festgelegt wurden, wenn sie

a) ihren Aufenthalt in den letzten zehn Jahren im Aufnahmemitgliedstaat

gehabt haben oder

b) minderjährig sind, es sei denn, die Ausweisung ist zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.

[...]"

Der die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegenüber EWR-Bürger regelnde § 86 Abs. 1 FPG idF BGBl. I Nr. 100/2005, der von 01.01.2006 bis 31.12.2009 in Geltung war, sah zwei unterschiedliche Gefährdungsmaßstäbe - als Bezugspunkt für die für jedes Aufenthaltsverbot Voraussetzung bildende Gefahrenprognose - vor. Einerseits (nach dem ersten und zweiten Satz) die Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, wobei eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche, ein Grundinteresse der Gesellschaft berührende Gefahr auf Grund eines persönlichen Verhaltens des betreffenden Fremden vorliegen musste, und andererseits (nach dem fünften Satz) - wenn der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes seinen Hauptwohnsitz ununterbrochen seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatte - darüber hinausgehend eine nachhaltige und maßgebliche Gefährdung der öffentlichen Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet.

Der nunmehr in Geltung befindliche § 67 Abs. 1 FPG fünfter Satz kommt schon dann zur Anwendung, wenn der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige einen zehnjährigen Aufenthalt im Bundesgebiet hat. Die in § 86 Abs. 1 fünfter Satz FPG noch enthaltene Wendung "vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes" findet sich in der nunmehrigen Bestimmung des § 67 Abs. 1 FPG nicht mehr, sodass eine solche Einschränkung seither nicht (mehr) Platz zu greifen hat (vgl VwGH 24.03.2015, Ro 2014/21/0079 mwN).

§ 67 Abs. 1 FrPolG 2005 idF FrÄG 2011 enthält somit zwei Stufen für die Gefährdungsprognose, nämlich einerseits (nach dem ersten und zweiten Satz) die Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, wobei eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche, ein Grundinteresse der Gesellschaft berührende Gefahr auf Grund eines persönlichen Verhaltens vorliegen muss, und andererseits (nach dem fünften Satz) die nachhaltige und maßgebliche Gefährdung der öffentlichen Sicherheit der Republik Österreich im Fall von EWR-Bürgern, Schweizer Bürgern und begünstigten Drittstaatsangehörigen mit mindestens zehnjährigem Aufenthalt im Bundesgebiet bzw. im Fall von Minderjährigen (VwGH 13.12.2012, 2012/21/0181; 15.09.2016, Ra 2016/21/0262).

Mit § 67 Abs. 1 fünfter Satz FPG hat der Gesetzgeber die europarechtlichen Vorgaben des Art. 28 Abs. 3 der Freizügigkeitsrichtlinie umgesetzt, wonach gegen solcherart aufenthaltsverfestigte Unionsbürger schon "zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit" vorliegen müssen, um aufenthaltsbeendende Maßnahmen setzen zu können.

Die belangte Behörde hat im angefochtenen Bescheid die Feststellung getroffen, dass der Beschwerdeführer seit 05.09.2003 mit seinem Hauptwohnsitz ohne wesentliche Unterbrechungen gemeldet ist. Die Feststellungen der belangten Behörde decken sich mit den Meldedaten im Zentralen Melderegister des Beschwerdeführers und wurden von diesem auch nicht bestritten. Der zwischenzeitliche Aufenthalt des Beschwerdeführers in Deutschland betrug unter sechs Monate und wurde auch von der belangten Behörde nicht als aufenthaltsunterbrechend angesehen.

Demnach hält sich der Beschwerdeführer wie festgestellt im Entscheidungszeitpunkt mehr als vierzehn Jahre im Bundesgebiet auf.

Wegen des bereits mehr als zehnjährigen Aufenthalts des Beschwerdeführers im Bundesgebiet ist somit gegenständlich die Erlassung des Aufenthaltsverbots nach den Kriterien des § 67 Abs. 1 fünfter Satz FPG zu überprüfen. Voraussetzung für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes ist demnach ein persönliches Verhalten des Beschwerdeführers, aufgrund dessen davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde.

Mit der Frage, was unter dem Begriff "zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit" im Sinne des Art. 28 Abs. 3 der Freizügigkeitsrichtlinie zu verstehen ist, hat sich der EuGH in seinem Urteil in der Rechtssache Tsakouridis, Zahl: C-145/09, ausführlich auseinandergesetzt. Der griechischen Staatsangehörigen war wegen bandenmäßigen Handels mit Betäubungsmitteln in acht Fällen zu einer Haftstrafe von 6 Jahren und sechs Monaten gerichtlich verurteilt und vom Regierungspräsidium Stuttgart mit einem Aufenthaltsverbot belegt worden. Im Instanzenzug wurde dieser Fall vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt, wobei eine der an den EuGH gerichteten Fragen die Auslegung des Begriffs "zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit" in Art. 28 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38 (Freizügigkeitsrichtlinie) betraf.

Der EuGH äußerte sich dazu in den RZ 40ff des Urteils vom 23.11.2010 wie folgt:

"[...]

40 Aus dem Wortlaut und der Systematik von Art. 28 der Richtlinie 2004/38, die in den Randnrn. 24 bis 28 des vorliegenden Urteils dargelegt worden sind, geht hervor, dass der Unionsgesetzgeber, indem er jede Ausweisungsmaßnahme in den in Art. 28 Abs. 3 dieser Richtlinie genannten Fällen vom Vorliegen "zwingender Gründe" der öffentlichen Sicherheit abhängig gemacht hat, einem Begriff, der erheblich enger ist als der der "schwerwiegenden Gründe" im Sinne von Abs. 2 dieses Artikels, die auf diesen Abs. 3 gestützten Maßnahmen ganz offensichtlich entsprechend der Ankündigung im 24. Erwägungsgrund der Richtlinie auf "außergewöhnliche Umstände" begrenzen wollte.

41 Der Ausdruck "zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit" setzt nämlich nicht nur das Vorliegen einer Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit voraus, sondern darüber hinaus, dass die Beeinträchtigung einen besonders hohen Schweregrad aufweist, der im Gebrauch des Ausdrucks "zwingende Gründe" zum Ausdruck kommt.

42 Auch der Begriff "öffentliche Sicherheit" in Art. 28 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38 ist in diesem Kontext auszulegen.

43 Hinsichtlich der öffentlichen Sicherheit hat der Gerichtshof entschieden, dass sie sowohl die innere als auch die äußere Sicherheit eines Mitgliedstaats umfasst (vgl. u. a. Urteile vom 26. Oktober 1999, Sirdar, C 273/97, Slg. 1999, I 7403, Randnr. 17, vom 11. Januar 2000, Kreil, C 285/98, Slg. 2000, I 69, Randnr. 17, vom 13. Juli 2000, Albore, C 423/98, Slg. 2000, I 5965, Randnr. 18, und vom 11. März 2003, Dory, C 186/01, Slg. 2003, I 2479, Randnr. 32).

44 Der Gerichtshof hat ferner entschieden, dass die Beeinträchtigung des Funktionierens der Einrichtungen des Staates und seiner wichtigen öffentlichen Dienste sowie das Überleben der Bevölkerung ebenso wie die Gefahr einer erheblichen Störung der auswärtigen Beziehungen oder des friedlichen Zusammenlebens der Völker oder eine Beeinträchtigung der militärischen Interessen die öffentliche Sicherheit berühren können (vgl. u. a. Urteile vom 10. Juli 1984, Campus Oil u. a., 72/83, Slg. 1984, 2727, Randnrn. 34 und 35, vom 17. Oktober 1995, Werner, C 70/94, Slg. 1995, I 3189, Randnr. 27, Albore, Randnr. 22, und vom 25. Oktober 2001, Kommission/Griechenland, C 398/98, Slg. 2001, I 7915, Randnr. 29).

45 Daraus folgt jedoch nicht, dass Ziele wie die Bekämpfung der mit bandenmäßigem Handel mit Betäubungsmitteln verbundenen Kriminalität zwingend von diesem Begriff ausgenommen wären.

[...]

49 Demzufolge muss eine Ausweisungsmaßnahme auf eine individuelle Prüfung des Einzelfalls gestützt werden (vgl. u. a. Urteil Metock u. a., Randnr. 74) und kann nur dann mit zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit im Sinne von Art. 28 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38 gerechtfertigt werden, wenn eine solche Maßnahme angesichts der außergewöhnlichen Schwere der Bedrohung für den Schutz der Interessen, die mit ihr gewahrt werden sollen, erforderlich ist, vorausgesetzt, dass dieses Ziel unter Berücksichtigung der Aufenthaltsdauer im Aufnahmemitgliedstaat des Unionsbürgers und insbesondere der schweren negativen Folgen, die eine solche Maßnahme für Unionsbürger haben kann, die vollständig in den Aufnahmemitgliedstaat integriert sind, nicht durch weniger strikte Maßnahmen erreicht werden kann.

50 Bei der Anwendung der Richtlinie 2004/38 ist insbesondere der außergewöhnliche Charakter der Bedrohung der öffentlichen Sicherheit aufgrund des persönlichen Verhaltens der betroffenen Person, die gegebenenfalls zu der Zeit zu beurteilen ist, zu der die Ausweisungsverfügung ergeht (vgl. u. a. Urteil vom 29. April 2004, Orfanopoulos und Oliveri, C 482/01 und C 493/01, Slg. 2004, I 5257, Randnrn. 77 bis 79), und zwar nach Maßgabe der verwirkten und verhängten Strafen, des Grades der Beteiligung an der kriminellen Aktivität, des Umfangs des Schadens und gegebenenfalls der Rückfallneigung (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteil vom 27. Oktober 1977, Bouchereau, 30/77, Slg. 1977, 1999, Randnr. 29), gegen die Gefahr abzuwägen, die Resozialisierung des Unionsbürgers in dem Staat, in den er vollständig integriert ist - die, wie der Generalanwalt in Nr. 95 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, nicht nur im Interesse dieses Staates, sondern auch im Interesse der Europäischen Union insgesamt liegt -, zu gefährden.

51 Die verhängte Strafe ist als ein Umstand dieser Gesamtheit von Faktoren zu berücksichtigen. Eine Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren kann nicht zu einer Ausweisungsverfügung führen, wie es in der nationalen Regelung vorgesehen ist, ohne dass die in der vorstehenden Randnummer des vorliegenden Urteils beschriebenen Umstände berücksichtigt werden, was vom nationalen Gericht zu prüfen ist.

52 Im Rahmen der entsprechenden Beurteilung ist den Grundrechten Rechnung zu tragen, deren Beachtung der Gerichtshof sichert, da Gründe des Allgemeininteresses zur Rechtfertigung einer innerstaatlichen Maßnahme, die geeignet ist, die Ausübung der Freizügigkeit zu behindern, nur dann herangezogen werden können, wenn die fragliche Maßnahme diesen Rechten Rechnung trägt (vgl. u. a. Urteil Orfanopoulos und Oliveri, Randnrn. 97 bis 99), insbesondere dem in Art. 7 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und Art. 8 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten niedergelegten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens (vgl. u. a. Urteil vom 5. Oktober 2010, McB., C 400/10 PPU, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 53, sowie Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte [Große Kammer] vom 23. Juni 2008, Maslov/Österreich, Recueil des arrêts et décisions 2008, Nrn. 61 ff.).

53 Um zu beurteilen, ob der in Aussicht genommene Eingriff im Verhältnis zu dem verfolgten legitimen Zweck steht, hier dem Schutz der öffentlichen Sicherheit, sind insbesondere die Art und die Schwere der begangenen Zuwiderhandlung, die Dauer des Aufenthalts des Betroffenen im Aufnahmemitgliedstaat, die seit der Begehung der Zuwiderhandlung vergangene Zeit und das Verhalten des Betroffenen in dieser Zeit sowie die Intensität der sozialen, kulturellen und familiären Bindungen zum Aufnahmemitgliedstaat zu berücksichtigen. Im Fall eines Unionsbürgers, der die meiste oder die gesamte Zeit seiner Kindheit und Jugend rechtmäßig im Aufnahmemitgliedstaat verbracht hat, müssten sehr stichhaltige Gründe vorgebracht werden, um die Ausweisungsmaßnahme zu rechtfertigen (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteil Maslov/Österreich, Nrn. 71 bis 75).

54 Jedenfalls fällt, da der Gerichtshof entschieden hat, dass ein Mitgliedstaat zum Schutz der öffentlichen Ordnung die Verwendung von Betäubungsmitteln als eine Gefahr für die Gesellschaft ansehen kann, die besondere Maßnahmen gegen Ausländer rechtfertigt, die gegen Vorschriften über Betäubungsmittel verstoßen (vgl. Urteile vom 19. Januar 1999, Calfa, C 348/96, Slg. 1999, I 11, Randnr. 22, sowie Orfanopoulos und Oliveri, Randnr. 67), der bandenmäßige Handel mit Betäubungsmitteln erst recht unter den Begriff der "öffentlichen Ordnung" im Sinne von Art. 28 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38.

55 Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, unter Berücksichtigung aller genannten Umstände zu prüfen, ob das Verhalten von Herrn Tsakouridis unter den Ausdruck "schwerwiegende Gründe der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit" im Sinne von Art. 28 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 oder den Ausdruck "zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit" im Sinne von Art. 28 Abs. 3 dieser Richtlinie fällt und ob mit der in Aussicht genommenen Abschiebung die genannten Voraussetzungen beachtet werden.

56 Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 28 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38 für den Fall, dass das vorlegende Gericht zu dem Schluss kommt, dass dem betreffenden Unionsbürger der mit dieser Vorschrift gewährte Schutz zusteht, dahin gehend auszulegen ist, dass die Bekämpfung der mit dem bandenmäßigen Handel mit Betäubungsmitteln verbundenen Kriminalität unter den Ausdruck "zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit" fallen kann, mit denen eine Ausweisungsmaßnahme in Bezug auf einen Unionsbürger, der seinen Aufenthalt in den letzten zehn Jahren im Aufnahmemitgliedstaat gehabt hat, gerechtfertigt werden kann. Für den Fall, dass das vorlegende Gericht zu dem Schluss kommt, dass dem betreffenden Unionsbürger der mit Art. 28 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 gewährte Schutz zusteht, ist diese Vorschrift dahin gehend auszulegen, dass die Bekämpfung der mit dem bandenmäßigen Handel mit Betäubungsmitteln verbundenen Kriminalität unter den Ausdruck "schwerwiegende Gründe der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit" fällt."

Diesen Darlegungen ist zu entnehmen, dass die Frage, ob "zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit" vorliegen jeweils in Einzelfall nach den vorliegenden Gegebenheiten zu beurteilen ist.

In Hinblick auf die Erwägungen zu Rz 53 ist im vorliegenden Fall festzuhalten, dass die Art und die Schwere der begangenen strafbaren Handlungen zeigen, dass dem Beschwerdeführer jedenfalls zu den Tatzeitpunkten eine Verbundenheit mit rechtlich geschützten Werten fehlte. Dabei fällt insbesondere der lange Tatzeitraum, die gewerbsmäßige Begehung sowie die Überschreitung Grenzmenge an Suchtgift, dabei einmal um das Fünfundzwanzigfache (hinsichtlich des vom Beschwerdeführer angebauten Cannabis), ins Gewicht. Dem gegenüber steht, dass der Beschwerdeführer sich den überwiegenden Teil seines Aufenthalts wohlverhalten hat, er hinsichtlich seiner ersten strafgerichtlichen Verurteilung wesentlich zur Wahrheitsfindung beigetragen und sich geständig verantwortet hat, die Sicherstellung des sich bei ihm befindlichen Suchtgiftes sowie der Suchtgiftutensilien ermöglicht hat, es hinsichtlich der zweiten Verurteilung - welche erst nach Freispruch in erster Instanz und Rechtsmittelerhebung durch die Staatsanwaltschaft erfolgte - beim Versuch einer Bestimmungstäterschaft geblieben ist und der Beschwerdeführer nicht im Rahmen eines bandenmäßigen Suchtgifthandels oder im Rahmen einer kriminellen Vereinigung delinquierte.

Davon abgesehen ist der Beschwerdeführer in Österreich gut integriert. Auch wenn er nicht durchgehend einer Beschäftigung nachging, was offenbar seiner eingeschränkten Gesundheit geschuldet sein dürfte, so hat der Beschwerdeführer zumindest die Lehre zum Einzelhandelskaufmann abgeschlossen und konnte insbesondere zuletzt im Zeitraum 2014 bis 2017 durchaus Beschäftigungen oder eine selbstständige Erwerbstätigkeit vorweisen. Er lebt - außer in den Zeiten der Verbüßung seiner Haftstrafen - bereits seit 2013 wieder mit seiner Mutter im gemeinsamen Haushalt, die auch auf die Hilfe des Beschwerdeführers angewiesen ist. Der Beschwerdeführer führt weiters eine Lebensgemeinschaft mit einer österreichischen Staatsangehörigen.

Nach den Ausführungen in Rz 50 ist der außergewöhnliche Charakter der Bedrohung der öffentlichen Sicherheit aufgrund des persönlichen Verhaltens der betroffenen Person, die gegebenenfalls zu der Zeit zu beurteilen ist, zu der die Ausweisungsverfügung ergeht. Schwer wiegt im gegenständlichen Fall insbesondere der Anbau von einer erheblichen Menge Cannabis mit der Absicht des gewerbsmäßigen Verkaufs über einen langen Tatzeitraum sowie die Begehung eines neuerlichen Deliktes während offener Probezeit.

Die erste verhängte Freiheitsstrafe von 24 Monaten wurde für einen Teil von 16 Monaten bedingt nachgesehen. Der unbedingte Teil der Freiheitsstrafe betrug daher acht Monate. Die zweite Freiheitsstrafe betrug neun Monate. Diese verbüßt der Beschwerdeführer gerade. Auch unter Berücksichtigung beider Freiheitsstrafen bleiben diese erheblich hinter der im Fall Tsakouridis verhängten Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten zurück. Zur Rückfallsneigung ist auszuführen, dass der Beschwerdeführer zwar innerhalb kurzer Zeit zweimal strafgerichtlich und einschlägig verurteilt wurde, der zweiten Verurteilung jedoch ein Tatzeitraum unmittelbar nach Beginn des Vollzuges des am XXXX04.2015 festgesetzten unbedingten Strafteils der ersten strafgerichtlichen Verurteilung, somit quasi vor oder unmittelbar nach Beginn des Verspürens des Haftübels im Rahmen der ersten Verurteilung zugrunde liegt. Es ist davon auszugehen, dass das sich zuletzt vor den gegenständlichen strafgerichtlichen Verurteilungen stabilisierende berufliche sowie auch das bestehende private und familiäre Umfeld des Beschwerdeführers dessen Reintegration erleichtert. Trotz des schwerwiegenden Fehlverhaltens des Beschwerdeführers und der mehrmaligen Tatbegehung kann daher nach Auffassung des erkennenden Gerichtes im gegenständlichen Fall im Entscheidungszeitpunkt insgesamt nicht von "zwingenden Gründe der öffentlichen Sicherheit" im Sinne des Art 28 Abs. 3 der RL 2004/38 und somit auch nicht von einer nachhaltigen und maßgeblichen Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder der Sicherheit der Republik Österreich gemäß § 67 Abs. 1 fünfter Satz FPG gesprochen werden.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Der Beschwerdeführer wird abschließend eindringlichst darauf hingewiesen, dass bei einem neuerlichen Fehlverhalten - insbesondere im Sinne einer strafgerichtlichen Verurteilung - jederzeit und auch bei Vorliegen eines aufrechten Familienlebens und der allfälligen Sorgepflicht für minderjährige Kinder oder Verwandte wieder die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes in Betracht zu ziehen ist.

Zu Spruchteil B): Unzulässigkeit der Revision:

Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen, umfangreichen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch ist diese Rechtsprechung als uneinheitlich zu bewerten. Vielmehr hat sich das Bundesverwaltungsgericht bei der Erstellung der Gefährdungsprognose an der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes und des Europäischen Gerichtshofes orientiert und diese - soweit erforderlich - auch in der Entscheidungsbegründung zitiert. Sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der gegenständlich zu lösenden Rechtsfragen liegen nicht vor.

Schlagworte

Aufenthaltsverbot aufgehoben, Behebung der Entscheidung, EuGH,
Gefährdungsprognose, internationale Judikatur, mangelnder
Anknüpfungspunkt, strafrechtliche Verurteilung, Suchtmitteldelikt,
Zukunftsprognose

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:G311.2198717.1.00

Zuletzt aktualisiert am

05.09.2018
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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