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34/01 MonopoleNorm
B-VG Art83 Abs2Leitsatz
Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch eine - in der Zeit zwischen Kundmachung des Beschlusses auf Feststellung eines Massenverfahrens und Kundmachung des die Rechtsanschauung des VfGH enthaltenden Rechtssatzes getroffene - Entscheidung des Verwaltungsgerichtes wegen Verstoßes gegen die Sperrwirkung des BeschlussesSpruch
I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter gemäß Art83 Abs2 B-VG verletzt worden.
Das Erkenntnis wird aufgehoben.
II. Der Bund (Bundesminister für Finanzen) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt und Beschwerdevorbringen
1. Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft St. Johann im Pongau vom 28. April 2016 wurde dem Beschwerdeführer zur Last gelegt, am 17. November 2015 als Inhaber eines näher bezeichneten Lokals gegen die Mitwirkungspflicht nach §50 Abs4 GSpG verstoßen und damit eine Verwaltungsübertretung nach §52 Abs1 Z5 GSpG begangen zu haben. Gemäß dem Einleitungssatz des §52 Abs1 GSpG verhängte die Bezirkshauptmannschaft St. Johann im Pongau über den Beschwerdeführer eine Geldstrafe in Höhe von € 2.500,–. Mit dem angefochtenen – am 19. September 2016 zugestellten – Erkenntnis bestätigte das Landesverwaltungsgericht Salzburg dieses Straferkenntnis und präzisierte die angewendete Strafbestimmung mit "§52 Abs1 Einleitungssatz, zweiter Strafrahmen, GSpG".
2. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in welcher der Beschwerdeführer unter anderem die Unionsrechtswidrigkeit des österreichischen Glücksspielmonopols und einen Verstoß des Landesverwaltungsgerichtes Salzburg gegen §86a VfGG durch die Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses rügt.
3. Das Landesverwaltungsgericht Salzburg und die Bezirkshauptmannschaft St. Johann im Pongau legten die Gerichts- bzw. Verwaltungsakten vor.
II. Rechtslage
§86a Verfassungsgerichtshofgesetz 1953 ("VfGG"), BGBl 85/1953, idF BGBl I 33/2013, lautet:
"§86a. (1) Ist beim Verfassungsgerichtshof eine erhebliche Anzahl von Verfahren über Beschwerden anhängig, in denen gleichartige Rechtsfragen zu lösen sind, oder besteht Grund zur Annahme, dass eine erhebliche Anzahl solcher Beschwerden eingebracht werden wird, so kann der Verfassungsgerichtshof dies mit Beschluss aussprechen. Ein solcher Beschluss hat zu enthalten:
1. die in diesen Verfahren anzuwendenden Rechtsvorschriften;
2. die auf Grund dieser Rechtsvorschriften zu lösenden Rechtsfragen;
3. die Angabe, welche der Beschwerden der Verfassungsgerichtshof behandeln wird.
(2) Beschlüsse gemäß Abs1 verpflichten, soweit es sich bei den darin genannten Rechtsvorschriften zumindest auch um Gesetze, politische, gesetzändernde oder gesetzesergänzende Staatsverträge oder Staatsverträge, durch die die vertraglichen Grundlagen der Europäischen Union geändert werden, handelt, den Bundeskanzler oder den zuständigen Landeshauptmann, ansonsten die zuständige oberste Behörde des Bundes oder des Landes zu ihrer unverzüglichen Kundmachung.
(3) Mit Ablauf des Tages der Kundmachung des Beschlusses gemäß Abs1 treten folgende Wirkungen ein:
1. in Rechtssachen, in denen ein Verwaltungsgericht die im Beschluss genannten Rechtsvorschriften anzuwenden und eine darin genannte Rechtsfrage zu beurteilen hat:
a) Es dürfen nur solche Handlungen vorgenommen oder Anordnungen und Entscheidungen getroffen werden, die durch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes nicht beeinflusst werden können oder die die Frage nicht abschließend regeln und keinen Aufschub gestatten.
b) Die Beschwerdefrist beginnt nicht zu laufen; eine laufende Beschwerdefrist wird unterbrochen.
2. in allen beim Verfassungsgerichtshof anhängigen Verfahren gemäß Abs1, die im Beschluss gemäß Abs1 nicht genannt sind:
Es dürfen nur solche Handlungen vorgenommen oder Anordnungen und Entscheidungen getroffen werden, die durch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes nicht beeinflusst werden können oder die die Frage nicht abschließend regeln und keinen Aufschub gestatten.
(4) In seinem Erkenntnis fasst der Verfassungsgerichtshof seine Rechtsanschauung in einem oder mehreren Rechtssätzen zusammen, die nach Maßgabe des Abs2 unverzüglich kundzumachen sind. Mit Ablauf des Tages der Kundmachung beginnt eine unterbrochene Beschwerdefrist neu zu laufen und enden die sonstigen Wirkungen des Abs3."
III. Erwägungen
Das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird durch die Entscheidung eines Verwaltungsgerichtes verletzt, wenn das Verwaltungsgericht eine ihm gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch nimmt (zB VfSlg 15.372/1998, 15.738/2000, 16.066/2001, 16.298/2001 und 16.717/2002) oder wenn es in gesetzwidriger Weise seine Zuständigkeit ablehnt, etwa indem es zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert (zB VfSlg 15.482/1999, 15.858/2000, 16.079/2001 und 16.737/2002).
Ein solcher Fehler ist dem Landesverwaltungsgericht Salzburg unterlaufen:
1. Der Verfassungsgerichtshof hat mit Beschluss vom 2. Juli 2016, E945/2016 ua. ausgesprochen, dass bei ihm eine erhebliche Anzahl von Verfahren über Beschwerden im Sinne des §86a Abs1 VfGG anhängig ist, in denen gleichartige Rechtsfragen zu lösen sind. Konkret hatte der Verfassungsgerichtshof dabei zu prüfen, ob die Rechtsgrundlagen i) für die Bestrafung wegen Übertretung der Verwaltungsstraftatbestände gemäß §52 Glücksspielgesetz, BGBl 620/1989, idF BGBl I 105/2014, ii) für die Beschlagnahme von Glücksspielautomaten, von sonstigen Eingriffsgegenständen oder von technischen Hilfsmitteln gemäß §53 Glücksspielgesetz, BGBl 620/1989, idF BGBl I 111/2010, und iii) für die Einziehung von Gegenständen, mit denen gegen eine oder mehrere Bestimmungen des §52 Abs1 Glücksspielgesetz verstoßen wird, gemäß §54 Glücksspielgesetz, BGBl 620/1989, idF BGBl I 70/2013, (offenkundig) gegen Unionsrecht (insbesondere Art56-62 AEUV) verstoßen und die vor dem Verfassungsgerichtshof in Beschwerde gezogenen Entscheidungen der Verwaltungsgerichte wegen der daraus folgenden Unanwendbarkeit ohne gesetzliche Grundlage ergangen sind oder ob gegen die Rechtsgrundlagen für die genannten Bestrafungen und Anordnungen verfassungsrechtliche Bedenken bestehen und ob es allenfalls nach Aufhebung der zugrunde liegenden Rechtsvorschriften letztlich zur Aufhebung der vor dem Verfassungsgerichtshof in Beschwerde gezogenen Entscheidungen der Verwaltungsgerichte kommt. Zur Beantwortung dieser Rechtsfragen hatte der Verfassungsgerichtshof §52 Glücksspielgesetz, BGBl 620/1989, idF BGBl I 105/2014, §53 Glücksspielgesetz, BGBl 620/1989, idF BGBl I 111/2010, und §54 Glücksspielgesetz, BGBl 620/1989, idF BGBl I 70/2013, anzuwenden.
Begründend führte der Verfassungsgerichtshof in dem angeführten Beschluss vom 2. Juli 2016 aus, dass bei ihm im Zeitraum vom 18. Mai bis 30. Juni 2016 bereits über 100 Beschwerden zu den genannten Rechtsfragen anhängig gemacht worden seien, welche im Wesentlichen die im Beschluss des Obersten Gerichtshofes vom 30. März 2016, 4 Ob 31/16m ua., dargelegten Bedenken, die den Obersten Gerichtshof zur Stellung des beim Verfassungsgerichtshof am 12. April 2016 eingelangten und zu G103-104/2016 protokollierten Antrages gemäß Art140 Abs1 Z1 lita B-VG veranlassten, übernehmen. Darüber hinaus sei zu erwarten, dass eine erhebliche Anzahl weiterer solcher Beschwerden in nächster Zeit beim Verfassungsgerichtshof anhängig gemacht werde.
2. Die im Beschluss vom 2. Juli 2016 genannten Rechtsfragen wurden vom Verfassungsgerichtshof in den zu E945/2016, E947/2016 und E1054/2016 protokollierten Beschwerdeverfahren im Rahmen des – die zugrunde liegenden Beschwerden abweisenden – Erkenntnisses vom 15. Oktober 2016, E945/2016 ua. mit folgendem Rechtssatz beantwortet:
"Die Rechtsgrundlagen i) für die Bestrafung wegen Übertretung der Verwaltungsstraftatbestände gemäß §52 Glücksspielgesetz, BGBl Nr 620/1989, idF BGBl I Nr 105/2014, ii) für die Beschlagnahme von Glücksspielautomaten, von sonstigen Eingriffsgegenständen oder von technischen Hilfsmitteln gemäß §53 Glücksspielgesetz, BGBl Nr 620/1989, idF BGBl I Nr 111/2010, und iii) für die Einziehung von Gegenständen, mit denen gegen eine oder mehrere Bestimmungen des §52 Abs1 Glücksspielgesetz verstoßen wird, gemäß §54 Glücksspielgesetz, BGBl Nr 620/1989, idF BGBl I Nr 70/2013, verstoßen nicht gegen Unionsrecht (insbesondere Art56 bis 62 AEUV). Aus diesem Grund kann von vornherein keine Verletzung des Rechts auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz gemäß Art7 Abs1 B-VG und Art2 StGG wegen Inländerdiskriminierung vorliegen."
3. Der vom Verfassungsgerichtshof am 2. Juli 2016 in den zu den Zahlen E945/2016, E947/2016 und E1054/2016 protokollierten Verfahren gefasste Beschluss gemäß §86a Abs1 VfGG wurde vom Bundeskanzler am 12. Juli 2016 (BGBl I 57/2016), der – die Rechtsanschauung des Verfassungsgerichtshofes enthaltende – Rechtssatz am 3. November 2016 (BGBl I 91/2016) kundgemacht.
4. Gemäß §86a Abs3 VfGG tritt mit Ablauf des Tages der Kundmachung eines Beschlusses nach §86a Abs1 VfGG unter anderem folgende Wirkung ein: In Rechtssachen, in denen ein Verwaltungsgericht die im Beschluss des Verfassungsgerichtshofes nach §86a Abs1 VfGG genannten Rechtsvorschriften anzuwenden und eine darin genannte Rechtsfrage zu beurteilen hat, darf das Verwaltungsgericht nur noch solche Handlungen vornehmen oder Anordnungen und Entscheidungen treffen, die durch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes nicht beeinflusst werden können oder die die Frage nicht abschließend regeln und keinen Aufschub gestatten. Diese Wirkung besteht gemäß §86a Abs4 VfGG bis zum Ablauf des Tages, an dem die in Rechtssatzform ergehende Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes über die gleichartigen Rechtsfragen kundgemacht wurde.
Wie sich bereits aus dem Wortlaut des §86a Abs3 Z1 lita VfGG ergibt, ist für die Beurteilung, ob ein Verstoß gegen die Sperrwirkung des §86a VfGG vorliegt, jener Zeitpunkt maßgebend, in dem die Handlung, Anordnung oder Entscheidung "vorgenommen" bzw. "getroffen" wurde. Dieser Zeitpunkt ergibt sich in der Regel aus dem Datum der Entscheidung. Hingegen kommt es nicht auf die – mit Zustellung an eine der Parteien bewirkte – Erlassung der Entscheidung an, würde die gegenteilige Ansicht doch §86a Abs3 Z1 litb erster Satz VfGG, wonach die Beschwerdefrist nicht zu laufen beginnt, den Anwendungsbereich nehmen.
5. Das Landesverwaltungsgericht Salzburg traf das angefochtene Erkenntnis vom 15. September 2016 in der Zeit zwischen Kundmachung des Beschlusses gemäß §86a Abs1 VfGG und Kundmachung des die Rechtsanschauung des Verfassungsgerichtshofes enthaltenden Rechtssatzes. Gleichsam hatte das Landesverwaltungsgericht Salzburg bei seiner Entscheidung §52 GSpG idF BGBl I 105/2014, somit eine jener Rechtsvorschriften anzuwenden, die im oben genannten Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 2. Juli 2016 nach §86a VfGG in den zu den Zahlen E945/2016, E947/2016 und E1054/2016 protokollierten Verfahren genannt sind, und damit eine in diesem Beschluss nach §86a VfGG genannte Rechtsfrage zu beurteilen.
Gemäß §86a Abs3 Z1 lita VfGG sind nur solche Handlungen, Anordnungen oder Entscheidungen zulässig, die durch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes über die gleichartigen Rechtsfragen nicht beeinflusst werden können bzw. die die Frage nicht abschließend regeln und keinen Aufschub gestatten. Eine die Sache des Verfahrens erledigende Entscheidung, wie sie das Landesverwaltungsgericht Salzburg im vorliegenden Fall getroffen hat, kann keinesfalls als derartige Handlung, Anordnung oder Entscheidung angesehen werden.
6. Klarstellend hält der Verfassungsgerichtshof fest, dass die Kundmachung eines Rechtssatzes iSd §86a Abs4 VfGG keine über die Aufhebung der Sperrwirkungen des §86a Abs3 VfGG hinausgehenden Rechtswirkungen hat. Insofern unterscheiden sich diese von den im Kompetenzfeststellungsverfahren gemäß Art138 Abs2 B-VG erzeugten Rechtssätzen.
IV. Ergebnis
1. Der Beschwerdeführer ist somit durch die angefochtene Entscheidung in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter gemäß Art83 Abs2 B-VG verletzt worden.
Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– sowie der Ersatz der Eingabengebühr in Höhe von € 240,– enthalten.
Schlagworte
Glücksspiel, Glücksspielmonopol, VfGH / Massenverfahren, VfGH / Sachentscheidung WirkungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2017:E3126.2016Zuletzt aktualisiert am
05.09.2018