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25/01 StrafprozessNorm
B-VG Art7 Abs1 / GesetzLeitsatz
Abweisung von Parteianträgen auf Aufhebung der Regelungen über den pauschalierten, vom Bund zu leistenden Beitrag zu den Kosten der Verteidigung bzw die allgemeine Kostentragungspflicht für Vertreter im Strafverfahren; Kostenersatz bei Freispruch oder Einstellung des Verfahrens verfassungsrechtlich nicht geboten; keine unsachliche Festlegung der Kostenbeiträge; kein allgemeiner Anspruch eines Angeklagten auf Kostenersatz nach der EMRKRechtssatz
Zulässigkeit der Parteianträge auf Aufhebung des §393a Abs1 und §393 Abs1 StPO; Zurückweisung der Anträge hins §393 Abs4 StPO mangels Präjudizialität.
Das jeweilige Erstgericht hat seine Entscheidung auf §393a Abs1 StPO (Kostenersatzregelung), implizit auch auf §393 Abs1 leg cit (allgemeine Kostentragungsregel), nicht aber auf §393 Abs4 StPO gestützt. Während die beiden erstgenannten Bestimmungen sohin als präjudiziell anzusehen sind, fehlt es bezüglich der zuletzt genannten Vorschrift an diesem Erfordernis. §393 Abs4 betrifft den Ersatz der Verteidigungs- und Vertretungskosten in - in den Anlassverfahren nicht in Betracht kommenden - Fällen, in denen jemand anderer als der Bund zur Tragung der Prozesskosten verpflichtet wird und über deren Höhe ein Verfahren nach §395 StPO abzuführen ist. Kein untrennbarer Zusammenhang zu §393a Abs1 oder §393 Abs1 StPO.
Keine (bzw nicht korrekte) Nennung der Fassung der angefochtenen Gesetzesstellen. Für den VfGH besteht jedoch aus dem Blickwinkel der Ausgangsverfahren kein Zweifel, dass die Antragsteller §393 Abs1 StPO idF BGBl 631/1975 und §393a Abs1 StPO idF BGBl I 71/2014 anfechten.
Anträge nicht zu eng gefasst.
§393 Abs1a StPO regelt die - in keinem der Anlassverfahren in Frage kommende - Beteiligung eines Angeklagten an den Kosten des ihm beigegebenen Verfahrenshelfers im Fall eines Schuldspruchs. Zwar ist der Bundesregierung zuzustimmen, dass der letzte Satz dieser Bestimmung durch Verweisung auf §393a Abs1 leg cit die Modalitäten für den "Selbstbehalt" normiert, jedoch begründet eine solche Gesetzestechnik und der Umstand, dass diese Verweisung im Falle der Aufhebung des §393a Abs1 StPO ins Leere ginge, für sich allein keinen untrennbaren Zusammenhang der verweisenden Normen mit den verwiesenen angefochtenen Bestimmungen.
Die von den Antragstellern erhobenen Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit des §393a Abs1 und §393 Abs1 StPO treffen nicht zu.
Kein Verstoß gegen den Gleichheitssatz.
Der VfGH kann nicht finden, dass der Gesetzgeber den ihm von Verfassungs wegen eingeräumten rechtspolitischen Gestaltungsspielraum überschritten hat, wenn er dem Angeklagten bei Freispruch oder Einstellung des Strafverfahrens gemäß §393 Abs1 StPO keinen Anspruch auf Ersatz der aufgelaufenen Vertretungskosten einräumt.
Das (offiziose) strafgerichtliche Verfahren dient dem öffentlichen Interesse an der Aufklärung von (Kriminal-)Straftaten, der Verfolgung verdächtiger Personen und der Bestrafung rechtskräftig Verurteilter, also der Durchsetzung des staatlichen Strafanspruches.
Aus dem Umstand, dass Staatsanwalt und Angeklagter Prozessparteien des Hauptverfahrens sind, kann nicht abgeleitet werden, dass die Grundsätze des Kostenersatzes im (strittigen) Zivilverfahren, wonach grundsätzlich die unterlegene Partei der obsiegenden Partei deren Kosten zu ersetzen hat, auf das Strafverfahren übertragbar sind. Bei Zivil- und Strafverfahren handelt es sich um unterschiedliche, von vornherein nicht vergleichbare Systeme.
Im Übrigen steht dem Angeklagten, sofern die Staatsanwaltschaft unter Verletzung der einschlägigen Bestimmungen der StPO Anklage erhebt, ein Amtshaftungsanspruch nach Art23 B-VG zu.
Unter Zugrundelegung der Auffassung, dass die allgemeine Kostentragungsregel des §393 Abs1 StPO für Verteidiger und Vertreter nicht dem Gleichheitssatz widerspricht, ist die in §393a Abs1 StPO vorgesehene betragsmäßige Beschränkung des - verfassungsrechtlich nicht gebotenen - Kostenersatzes bei Freispruch oder Einstellung des Strafverfahrens nach Durchführung einer Hauptverhandlung (nur) dahin zu prüfen, ob diese Beschränkung in sich unsachlich ist. Eine derartige Unsachlichkeit ist für den VfGH gleichfalls nicht zu erkennen: Die in §393a Abs1 StPO normierte Staffelung der Maximalbeträge erfolgt nach der (an der jeweiligen Deliktskategorie orientierten) Gerichtszuständigkeit bzw nach der Art des Strafverfahrens und damit auf Basis sachlicher Kriterien. Das Anknüpfen an die im Regelfall von der Höhe der Strafdrohung abhängige Gerichtszuständigkeit (als in sich geschlossenes System) bildet jedenfalls eine sachliche Grundlage für die Festlegung der jeweiligen Höchstbeträge. Dass sich der Gesetzgeber bei Festlegung der Kostenbeiträge auch an anderen Parametern hätte orientieren können, macht die gewählte Regelung nicht gleichheitswidrig.
Auch die sonstigen Kriterien für den Zuspruch eines Kostenersatzes bei Freispruch oder Beendigung des Strafverfahrens durch Außerverfolgungssetzung sind in §393a Abs1 StPO nicht in einer dem Sachlichkeitsgebot widersprechenden Weise normiert.
Die Situation von Beschuldigten (Angeklagten), die im Sinne von §61 Abs2 StPO wirtschaftlich bedürftig sind, ist mit jener von Beschuldigten (Angeklagten), die diese Voraussetzung nicht erfüllen, nicht vergleichbar. Das Kriterium der wirtschaftlichen Bedürftigkeit iSd §61 Abs2 StPO rechtfertigt die unterschiedliche Regelung in Bezug auf den Ersatz von Verteidigerkosten.
Soweit die Antragsteller meinen, dass §393a iVm §393 Abs1 StPO ein "verfassungswidriges Sonderopfer" bewirke, übersehen sie, dass hier weder allgemeine Vorteile für eine Personengruppe vorgesehen noch innerhalb dieser Personengruppe eine oder mehrere Personen besonders belastet werden.
Unbedenklichkeit der Regelung auch im Hinblick auf das Recht auf Unversehrtheit des Eigentums (Art5 StGG und Art1 1. ZPEMRK) angesichts der Ausführungen zum Gleichheitssatz.
Kein Verstoß gegen Art6 EMRK.
Aus Art6 Abs3 litc EMRK ergibt sich kein allgemeiner Anspruch eines Angeklagten auf Ersatz der aufgewendeten Verteidigungskosten im Falle eines Freispruchs oder einer Einstellung des Verfahrens. Art6 Abs3 litc EMRK räumt Beschuldigten ausschließlich das Recht auf Verfahrenshilfe für den Fall ein, dass die finanziellen Mittel zur Bezahlung eines Verteidigers fehlen und der Rechtsbeistand im Interesse der Rechtspflege erforderlich ist.
Ein allgemeiner Anspruch auf Kostenersatz bei einem Freispruch oder einer Einstellung des Strafverfahrens kann auch nicht aus Art6 Abs2 EMRK abgeleitet werden (vgl zB EGMR 01.04.2004, Appl 69169/01, Fall Reinmüller).
Keine Verletzung des Rechtsstaatsprinzips.
Entscheidungstexte
Schlagworte
Strafprozessrecht, Verteidigung, Kostentragung, Verfahrenshilfe, Rechtsstaatsprinzip, VfGH / Parteiantrag, VfGH / Präjudizialität, VfGH / PrüfungsumfangEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2017:G405.2016Zuletzt aktualisiert am
05.09.2018