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25/01 StrafprozessNorm
B-VG Art7 Abs1 / GesetzLeitsatz
Keine Verfassungswidrigkeit einer strafprozessrechtlichen Regelung betreffend die Überprüfung der Beweiswürdigung im schöffengerichtlichen Verfahren; kein Verstoß des die volle Tatsachenkognition des Obersten Gerichtshofes beschränkenden Nichtigkeitsgrundes gegen die Rechte auf Zugang zu Gericht sowie auf ein faires Verfahren, auf Unschuldsvermutung, auf ein Rechtsmittel in Strafsachen und auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz bzw gegen das Rechtsstaatsprinzip; Strafbarkeit des Sich-Verschaffens von pornographischen Darstellungen einer minderjährigen Person nicht gleichheitswidrigRechtssatz
Abweisung des - zulässigen - Parteiantrags auf Aufhebung der Wortfolge "aus den Akten erhebliche" in §281 Abs1 Z5a StPO sowie des §207a Abs3 StGB.
Der Antragsteller erblickt die Verfassungswidrigkeit der Wortfolge in §281 Abs1 Z5a StPO darin, dass ihm eine volle Überprüfung der Beweiswürdigung verwehrt sei. Durch die Aufhebung der angefochtenen Wortfolge in §281 Abs1 Z5a StPO würde dieses Ziel (anders als bei Aufhebung der gesamten Z5a des §281 Abs1 StPO) erreicht.
Unter "Rechtssache" iSd Art140 Abs1 Z1 litd B-VG ist nicht nur der Gegenstand der Entscheidung des Gerichts erster Instanz zu verstehen, sondern die Rechtssache, die Gegenstand des Rechtsstreits im Instanzenzug der ordentlichen Gerichtsbarkeit ist (vgl E v 02.07.2016, G95/2016). Daraus folgt, dass §281 Abs1 Z5a StPO im vorliegenden Fall einen zulässigen Anfechtungsgegenstand nach Art140 Abs1 Z1 litd B-VG bildet.
Die angefochtene Wortfolge in §281 Abs1 Z5a StPO verstößt nicht gegen die verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Zugang zu Gericht sowie auf ein faires Verfahren gemäß Art6 Abs1 EMRK, auf Unschuldsvermutung gemäß Art6 Abs2 EMRK, auf ein Rechtsmittel in Strafsachen gemäß Art2 7. ZPEMRK, auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz gemäß Art2 StGG und Art7 Abs1 B-VG bzw gegen das Rechtsstaatsprinzip iSv Art18 B-VG.
Gemäß §280 StPO können gegen Urteile der Landesgerichte als Schöffengerichte nur die Rechtsmittel der Nichtigkeitsbeschwerde und der Berufung erhoben werden. Die Relevierung der Schuldfrage kommt hiebei nur im Rahmen der Nichtigkeitsbeschwerde in Betracht, weil §283 Abs1 StPO die Berufungsgründe gegen ein schöffengerichtliches Urteil ausdrücklich auf den Ausspruch über die Strafe und die privatrechtlichen Ansprüche einschränkt und §295 Abs1 StPO die Kognitionsbefugnis des Oberlandesgerichtes bei seiner Berufungsentscheidung dahingehend festlegt, dass dieses an den erstgerichtlichen Ausspruch über die Schuld und das anzuwendende Strafgesetz gebunden ist. Im Rahmen der Nichtigkeitsbeschwerde kann die Schuldfrage aber nur eingeschränkt gerügt werden, zumal §281 StPO das zulässige Vorbringen auf taxativ genannte Nichtigkeitsgründe beschränkt. Im gegebenen Zusammenhang sind insbesondere Z5 und Z5a des §281 Abs1 StPO relevant.
Die genannten Rechtsmittelvorschriften sind im Zusammenhang mit §258 Abs2 StPO zu sehen, der den Grundsatz der freien Beweiswürdigung festlegt. Demnach hat das Gericht die Beweismittel sowohl einzeln als auch in ihrem inneren Zusammenhang sorgfältig und gewissenhaft im Hinblick auf ihre Glaubwürdigkeit und Beweiskraft zu prüfen. Darauf aufbauend hat die Beantwortung der Frage, ob eine Tatsache als erwiesen anzunehmen ist, nicht nach gesetzlichen Beweisregeln zu erfolgen, sondern nur nach der freien, aus der gewissenhaften Prüfung aller für und wider vorgebrachten Beweismittel gewonnenen Überzeugung des Gerichtes. Im Falle eines Schuldspruches muss im Urteil gemäß §270 Abs2 Z4 und Z5 StPO neben dem Ausspruch über die Schuld "in gedrängter Darstellung, aber mit voller Bestimmtheit angegeben sein, welche Tatsachen und aus welchen Gründen das Schöffengericht sie als erwiesen oder als nicht erwiesen angenommen hat.
Der Nichtigkeitsgrund gem §281 Abs1 Z5a StPO begegnet selbst in der restriktiven Interpretation des Obersten Gerichtshofes (dahingehend, dass nur besonders qualifizierte Fehler bei der Beweiswürdigung von ihm aufgegriffen werden können) keinen Bedenken im Hinblick auf Art6 Abs1 EMRK und Art2 7. ZPEMRK.
Art6 Abs1 EMRK und Art2 7. ZPEMRK gebieten es nicht, mehrere Instanzen einzurichten. Erweitert ein Staat sein Rechtsschutzsystem über diese Vorgaben hinaus, ist er nicht gehindert, die übergeordneten Instanzen auf eine reine Rechtskontrolle zu beschränken. Dies ergibt sich bereits daraus, dass selbst Art2 7. ZPEMRK, dem zufolge in Strafsachen jedenfalls eine zweite Instanz geschaffen werden muss, einen Spielraum dahingehend belässt, die Kognition der Rechtsmittelinstanz auf Rechtsfragen zu beschränken. Es wäre nicht einsichtig, warum nach Art6 Abs1 EMRK, dessen Vorgaben bereits durch eine Instanz entsprochen wird, eine zwingende volle Tatsachenkognition des Rechtsmittelgerichtes vorausgesetzt sein sollte, würde dies doch den von Art2 7. ZPEMRK belassenen Spielraum des Gesetzgebers konterkarieren. Im Übrigen ist für den VfGH nicht erkennbar, dass die Garantien des Art6 Abs1 EMRK in jenem (begrenzten) Rahmen, in dem der Oberste Gerichtshof zur Überprüfung von Tatsachen berufen ist, nicht gewahrt wären.
Das in Art6 Abs2 EMRK verankerte rechtsstaatliche Gebot der Unschuldsvermutung schützt von Strafverfolgung betroffene Personen vor Vorverurteilung bzw der Zuweisung der Schuld, solange diese nicht gerichtlich festgestellt wurde. Dieses Recht ist dann verletzt, wenn die Beweislast auf Grund der anzuwendenden Rechtsvorschriften oder tatsächlich vom Ankläger auf den Beschuldigten übertragen wird.
Aus dem kann allerdings nicht gefolgert werden, dass Art6 Abs2 EMRK der im Rahmen des Art6 Abs1 EMRK bestehenden Möglichkeit, die Kognitionsbefugnis der Rechtsmittelinstanz zu beschränken, entgegenstünde. Dies insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass die Unschuldsvermutung des Art6 Abs2 EMRK (auch) einen Aspekt des Rechts auf ein faires Verfahren gemäß Art6 EMRK darstellt.
Durch die Unterscheidung zwischen der Überprüfbarkeit von Entscheidungen eines Richtersenats gegenüber einzelrichterlichen Entscheidungen hat der Gesetzgeber entgegen dem Antragsvorbringen keine unsachliche Regelung getroffen, sondern vielmehr in zulässiger Weise den Unterschieden im Tatsächlichen Rechnung getragen. Nach Auffassung des VfGH kann dem Gesetzgeber nicht entgegengetreten werden, wenn er kollegialgerichtlichen Urteilen eine höhere Richtigkeitsgewähr zumisst als den Urteilen eines Einzelrichters. Es steht dem Gesetzgeber im Rahmen seines rechtspolitischen Gestaltungsspielraumes grundsätzlich frei, sich in unterschiedlichen Verfahrensbereichen für eigenständige Ordnungssysteme zu entscheiden, die deren jeweiligen Erfordernissen und Besonderheiten Rechnung tragen, sofern die betreffenden Verfahrensgesetze in sich gleichheitskonform gestaltet sind.
Kein Verstoß des §207a Abs3 StGB gegen das Gleichheitsrecht.
Wie die Materialien zu §207a Abs3 StGB, der den Besitz und das Sich-Verschaffen von pornographischen Darstellungen einer minderjährigen Person unter Strafe stellt, ausführen, kann keinesfalls davon ausgegangen werden, dass dieser Tatbestand eine von Willensmomenten losgelöste Strafbarkeit statuiere.
Für die Abgrenzung der Tathandlungen des "Sich-Verschaffens" und des "Besitzes" iSd §207a Abs3 StGB ist ausschließlich die Frage relevant, ob der Täter durch oder ohne eigenes Zutun Gewahrsame am Tatobjekt erlangt hat. Da auch für den Tatbestand, dass sich eine Person kinderpornographische Darstellungen iSd §207a Abs3 StGB "verschafft", zumindest bedingter Vorsatz iSd §5 Abs1 StGB erforderlich ist, treffen die Bedenken des Antragstellers nicht zu.
Entscheidungstexte
Schlagworte
Strafrecht, Strafprozessrecht, Rechtsmittel, Beweiswürdigung, fair trial, Unschuldsvermutung, Rechtsstaatsprinzip, Determinierungsgebot, Rechtsschutz, VfGH / Parteiantrag, VfGH / Präjudizialität, VfGH / PrüfungsumfangEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2017:G249.2016Zuletzt aktualisiert am
05.09.2018