RS Vfgh 2017/3/14 E3282/2016

JUSLINE Rechtssatz

Veröffentlicht am 14.03.2017
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Index

34/01 Monopole

Norm

EU-Grundrechte-Charta Art7, Art8, Art15, Art16, Art17
GlücksspielG §50 ff, §52
VwGVG §18, §27, §38
VStG §25 Abs1
EMRK Art6 Abs1 / Verfahrensgarantien
EMRK Art6 Abs1 / Strafrecht
EMRK 7. ZP Art2
AEUV Art56 ff, Art267 Abs3

Leitsatz

Abweisung der Beschwerde gegen die Verhängung einer Verwaltungsstrafe wegen Verstoßes gegen glücksspielrechtliche Bestimmungen; keine Unionsrechtswidrigkeit bzw Inländerdiskriminierung; keine Verletzung der Unparteilichkeit der Verwaltungsgerichte durch den in Verwaltungsstrafsachen maßgeblichen Grundsatz der amtswegigen Verfolgung von Verwaltungsübertretungen

Rechtssatz

Das Landesverwaltungsgericht Salzburg hat sich in seinem Erkenntnis vom 09.11.2016 entsprechend der Rechtsprechung des VwGH und des VfGH eingehend mit der Frage auseinandergesetzt, ob die im Beschwerdefall maßgeblichen Bestimmungen des GlücksspielG - GSpG und deren tatsächliche Handhabung gegen Unionsrecht (insb Art56 ff AEUV) verstoßen.

Der VfGH sieht keinen Anlass, von seinen Ausführungen im E v 15.10.2016, E945/2016 ua, abzugehen, wonach die einschlägigen Bestimmungen des GSpG nicht unionsrechtswidrig sind und damit von vornherein keine Inländerdiskriminierung vorliegen kann.

Soweit der Beschwerdeführer bzgl der Berufsfreiheit gem Art15 GRC, der unternehmerischen Freiheit gem Art16 GRC und des Eigentumsrechts gem Art17 GRC die Unionsrechtswidrigkeit der das Glücksspielmonopol absichernden behördlichen Eingriffsbefugnisse der §§50 ff GSpG insbesondere im Zusammenhang mit der Kohärenz der gesetzlichen Bestimmungen vorbringt, vermag er - unabhängig von der Frage, ob die GRC im vorliegenden Fall überhaupt anwendbar ist - keine Bedenken vorzubringen, die nicht bereits Inhalt der im E v 15.10.2016, E945/2016 ua, erfolgten Prüfung waren.

Ungeachtet der Frage, ob ein Eingriff in die Rechte auf Achtung des Privat- und Familienlebens gem Art7 GRC sowie auf Schutz personenbezogener Daten gem Art8 GRC vorliegt, gehen die Bedenken im Hinblick auf das Fehlen vorangehender richterlicher Ermächtigungen im Zusammenhang mit den Eingriffsbefugnissen schon deswegen ins Leere, weil in vergleichbaren Konstellationen "das Bestehen einer nachträglichen gerichtlichen Kontrolle vom EGMR als geeignet angesehen [wird], das Fehlen einer vorherigen richterlichen Ermächtigung zu kompensieren" (vgl EuGH 18.06.2015, Rs C-583/13 P, Deutsche Bahn ua, mwN). Diese Voraussetzung ist durch die umfassende Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte iSd Art130 B-VG erfüllt.

Keine Verletzung des Art6 EMRK. Kein Verstoß gegen Art2 7. ZPEMRK erkennbar.

Vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte kann der VfGH nicht finden, dass das im österreichischen Verwaltungsstrafverfahren für die Verwaltungsstrafbehörde wie für das Verwaltungsgericht geltende Amtswegigkeitsprinzip - selbst bei Abwesenheit der Verwaltungsstrafbehörde in der Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht - gegen Art6 EMRK verstößt (vgl EGMR 04.07.2002, Fall Weh und Weh gegen Österreich, Appl 38544/97; in Bezug auf die Unabhängigen Verwaltungssenate).

Die Wertung des EGMR in diesem Fall ist umso mehr auf die aktuelle österreichische Rechtslage übertragbar, als einerseits die genannten, das Verwaltungsstrafverfahren prägenden Aspekte im Zuge der Verwaltungsgerichtsnovelle 2012 unverändert geblieben sind und andererseits das österreichische Verwaltungsstrafrecht nunmehr vollen gerichtlichen Rechtsschutz durch die mit umfassender Zuständigkeit ausgestatteten Verwaltungsgerichte vorsieht

Das in §25 Abs1 VStG normierte Prinzip der amtswegigen Verfolgung von Verwaltungsübertretungen findet im Wege des Verweises des §38 VwGVG auch im Verfahren vor den Verwaltungsgerichten Anwendung. Im Verwaltungsstrafverfahren, in dem das Verwaltungsgericht stets zur Entscheidung in der Sache verpflichtet ist, kommt dem Verwaltungsgericht in jedem Fall die Befugnis bzw Verpflichtung zur Ermittlung des Sachverhaltes zu. Dabei hat das Verwaltungsgericht entsprechend dem in §25 Abs2 VStG normierten Grundsatz der Erforschung der materiellen Wahrheit den wahren Sachverhalt durch Aufnahme der nötigen Beweise zu erforschen und dabei den Beschuldigten sowohl entlastende als auch belastende Umstände zu berücksichtigen.

Der Gegenstand des Beschwerdeverfahrens und somit auch der Prüfungsumfang (vgl §27 VwGVG) im Verfahren vor den Verwaltungsgerichten ist durch das Straferkenntnis der Verwaltungsbehörde begrenzt, womit es den Verwaltungsgerichten verwehrt ist, über den Gegenstand des Straferkenntnisses hinauszugehen.

Im Unterschied zum Fall Karelin gegen Russland (EGMR 20.09.2016, Appl 926/08) sieht §18 VwGVG zudem vor, dass die belangte Behörde Partei des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht ist, die der beschuldigten Partei in einem kontradiktorischen Verfahren vor dem Verwaltungsgericht gegenübersteht und der unabhängig von ihrer Anwesenheit in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht dementsprechende Parteienrechte (zB Revision zu erheben) zukommen. Am kontradiktorischen Charakter des Verfahrens ändert auch die allfällige Abwesenheit einer Partei oder sämtlicher Parteien nichts, zumal dem erkennenden Verwaltungsgericht sowohl die Position der belangten Behörde in Form des - die Funktion der Anklageschrift repräsentierenden - (erstinstanzlichen) Straferkenntnisses als auch jene der beschuldigten Partei in Gestalt der Beschwerde oder Beschwerdebeantwortung im Fall einer Amtsbeschwerde vorliegen.

Der in Verwaltungsstrafsachen, wie den hier in Rede stehenden, gemäß §38 VwGVG iVm §25 Abs1 VStG maßgebliche Grundsatz der amtswegigen Verfolgung von Verwaltungsübertretungen verletzt daher nicht die durch Art6 EMRK garantierte Unparteilichkeit der Verwaltungsgerichte.

Das Landesverwaltungsgericht Salzburg hat auch im Beschwerdefall keine Verfahrensschritte der Anklagebehörde gesetzt, welche Zweifel an seiner Unparteilichkeit aufkommen ließen.

Eine Verletzung des Art6 EMRK wegen eines Verstoßes gegen die Vorlagepflicht scheidet angesichts des Umstandes, dass die Revision an den VwGH auf Grund der Höhe der verhängten Geldstrafe von € 2.500,- gesetzlich nicht ausgeschlossen und das Landesverwaltungsgericht daher nicht letztinstanzliches Gericht iSd Art267 Abs3 AEUV ist, von vornherein aus.

Sofern der Beschwerdeführer die Pflicht der Verwaltungsgerichte, im Rahmen des im Verwaltungsstrafverfahren vor den Verwaltungsgerichten gemäß §38 VwGVG iVm §25 VStG anwendbaren Amtswegigkeitsprinzips und des Grundsatzes der Erforschung der materiellen Wahrheit Feststellungen zur Anwendbarkeit von Unionsrecht zu treffen, einer inquisitiven und belastenden Beweisaufnahme gleichsetzt und daraus eine Verletzung des Art6 EMRK auf Grund der Unparteilichkeit des Gerichtes ableitet, verkennt der Beschwerdeführer, dass diese (auf Grund der Vorgaben des Unionsrechts verpflichtende) Auseinandersetzung nicht der Ermittlung einer allenfalls begangenen Verwaltungsübertretung bzw der Klärung der damit zusammenhängenden Schuldfrage, sondern der im Rahmen der unionsrechtlichen Kohärenzprüfung notwendigen Tatsachenermittlung zur Beantwortung der Rechtsfrage, ob österreichisches Recht auf Grund einer allfälligen Unionsrechtswidrigkeit unanwendbar zu bleiben hat, dient.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Glücksspiel, Glücksspielmonopol, Verwaltungsstrafrecht, Amtswegigkeitsprinzip, EU-Recht, Vorabentscheidung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2017:E3282.2016

Zuletzt aktualisiert am

05.09.2018
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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