TE Vwgh Beschluss 2018/8/9 Ra 2018/22/0160

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Veröffentlicht am 09.08.2018
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Index

E1P;
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
19/05 Menschenrechte;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

12010P/TXT Grundrechte Charta Art47 Abs2;
12010P/TXT Grundrechte Charta Art47;
12010P/TXT Grundrechte Charta Art51 Abs1;
B-VG Art133 Abs4;
MRK Art6 Abs1;
MRK Art6;
VwGG §34 Abs1;
VwGVG 2014 §24 Abs4;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Robl, die Hofrätin Mag.a Merl und den Hofrat Dr. Schwarz als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Strasser, in der Revisionssache des C B in W, vertreten durch Mag.a Irene Oberschlick, Rechtsanwältin in 1030 Wien, Weyrgasse 8/6, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 2. Jänner 2018, VGW-151/018/15539/2017-1, betreffend Aufenthaltstitel (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landeshauptmann von Wien), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

2 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

3 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

4 Mit Bescheid vom 28. September 2017 nahm der Landeshauptmann von Wien (Behörde) mehrere abgeschlossene Verfahren betreffend Erteilung bzw. Verlängerung eines Aufenthaltstitels "Familienangehöriger" gemäß § 47 Abs. 2 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) sowie Erteilung bzw. Verlängerung eines Aufenthaltstitels "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" an den Revisionswerber, einen türkischen Staatsangehörigen, gemäß § 69 Abs. 1 Z 1 iVm § 69 Abs. 3 AVG von Amts wegen wieder auf und wies die Anträge wegen des Vorliegens einer Aufenthaltsehe ab.

5 Das Verwaltungsgericht Wien (VwG) wies die vom Revisionswerber dagegen erhobene Beschwerde - ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung - ab und erklärte eine ordentliche Revision für nicht zulässig. In der Begründung stützte sich das VwG - wie bereits die Behörde - erkennbar auf den Abschlussbericht der Landespolizeidirektion Wien vom 5. Dezember 2016. Demnach sei der Revisionswerber unter anderem von Hausbewohnern im Haus seiner mittlerweile geschiedenen Frau S. E. nicht erkannt worden; S. E. habe vielmehr mit einem anderen Mann zusammengelebt. Darüber hinaus sei die Aussage von S. E. in mehrfacher Hinsicht nicht glaubwürdig.

6 In der Zulässigkeitsbegründung rügt die Revision zunächst das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung. Eine solche sei vom anwaltlich nicht vertretenen Revisionswerber in der Beschwerde zwar nicht beantragt worden, eine Verpflichtung zur Durchführung einer mündlichen Verhandlung ergebe sich jedoch aus Art. 47 der Grundrechte-Charta (GRC).

7 Dazu ist zunächst auszuführen, dass der Verfassungsgerichtshof die Behandlung einer an ihn gerichteten Beschwerde mit Beschluss vom 14. März 2018, E 543/2018, ablehnte, weil die gerügte Rechtsverletzung nur die Folge einer - allenfalls grob - unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes wäre; der Anspruch einer Partei auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung sei kein absoluter; eine solche könne nach der Rechtsprechung des EuGH und des Verfassungsgerichtshofes unterbleiben, wenn die Tatfrage unumstritten und nur eine Rechtsfrage zu entscheiden sei oder wenn die Sache keine besondere Komplexität aufweise; ungeachtet dessen, ob das angefochtene Erkenntnis des VwG in Durchführung von Unionsrecht ergangen und Art. 47 GRC überhaupt anwendbar sei, sei es angesichts der vom VwG zu beurteilenden Sach- und Rechtsfragen vertretbar, wenn es im Einklang mit der Rechtsprechung des EuGH und des Verfassungsgerichtshofes von der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung abgesehen habe.

8 Dem Revisionswerber ist zuzustimmen, dass das Unterbleiben eines Verhandlungsantrages seitens einer nicht rechtskundig vertretenen Partei nicht als Verzicht auf die Durchführung einer Verhandlung gewertet werden darf. Auch ohne die Annahme eines solchen Verzichts und selbst dann, wenn eine Verhandlung ausdrücklich beantragt wurde, kann das VwG gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG von einer Verhandlung absehen. Andererseits hat das VwG nach der zu § 24 VwGVG ergangenen hg. Rechtsprechung (vgl. etwa VwGH 14.12.2017, Ra 2015/07/0168, mit Hinweis auf die zu Art. 6 EMRK und Art. 47 GRC ergangene Judikatur) auch ohne Antrag von Amts wegen eine mündliche Verhandlung durchzuführen, wenn es dies für erforderlich hält, wobei die Durchführung einer mündlichen Verhandlung ohne Parteienantrag nicht im Belieben, sondern im pflichtgemäßen Ermessen des VwG steht. Dies ist nach der hg. Rechtsprechung etwa dann anzunehmen, wenn die Beweiswürdigung der Verwaltungsbehörde beim VwG substantiiert bekämpft oder ein konkretes sachverhaltsbezogenes Vorbringen erstattet wird. Das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung in Fällen, in denen der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint, steht im Einklang mit Art. 47 Abs. 2 GRC, wenn zuvor ein Verwaltungsverfahren stattfand, in dessen Rahmen Parteiengehör gewährt wurde (vgl. dazu auch VwGH 28.5.2014, Ra 2014/20/0017, mit Hinweis auf VfGH 14.3.2012, U 466/11 ua.)

9 Fallbezogen wurde dem Revisionswerber vor Erlassen des Bescheides vom 28. September 2017 mit Schriftsatz vom 7. August 2017 Gelegenheit gegeben, zu den Inhalten des Abschlussberichtes der Landespolizeidirektion Wien vom 5. Dezember 2016 innerhalb von zwei Wochen Stellung zu nehmen, was dieser jedoch unterließ. In der Beschwerde brachte der Revisionswerber lediglich vor, "dass die Behauptungen nicht richtig sind. Es hat sich bei meiner gescheiterten Ehe mit meiner Ex-Ehegattin, S(...) E(...), nicht um eine Aufenthaltsehe gehandelt. Es war eine auf gegenseitiger Liebe und Respekt basierende Ehe. In Anbetracht dieses Sachverhaltes ersuche ich Sie, meiner Beschwerde stattzugeben ...". Der Revisionswerber wandte sich somit weder während des behördlichen Verfahrens gegen die Ermittlungsergebnisse, noch bekämpfte er diese in der Beschwerde substantiiert und erstattete auch kein konkretes sachverhaltsbezogenes Vorbringen; die Feststellungen der Behörde wurden somit zu keinem Zeitpunkt des Verfahrens begründet in Frage gestellt (vgl. auch dazu VwGH 28.5.2014, Ra 2014/20/0017, Pkt. 5.11. mit Hinweis auf zahlreiche Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofes). Das VwG legte seiner Entscheidung auch keine ergänzenden Ermittlungsergebnisse zugrunde.

Angesichts dessen steht das Unterlassen einer Verhandlung durch das VwG im Einklang mit der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs zur Verhandlungspflicht (vgl. in dem Sinn etwa VwGH 21.12.2016, Ro 2015/04/0019). Der Revisionswerber legt auch nicht näher dar, dass bzw. inwiefern das VwG den durch § 24 Abs. 4 VwGVG eingeräumten Ermessensspielraum überschritten habe.

10 Soweit sich der Revisionswerber gegen die Beweiswürdigung des VwG wendet, weil es die Aussage von S. E. in mehrfacher Hinsicht als nicht glaubwürdig beurteilte, ist ihm entgegenzuhalten, dass eine solche einzelfallbezogene Beurteilung grundsätzlich nicht revisibel ist. Entgegen den Ausführungen in der Zulässigkeitsbegründung, wonach "die Einvernahme des RW sowie des von ihm namhaft gemachten Zeugen unerlässlich gewesen" wäre, ist aus den Verfahrensakten nicht ersichtlich, dass während des Verfahrens vor der Behörde oder dem VwG beantragt worden wäre, die Tochter der S. E. oder einen nach wie vor nicht genannten Zeugen zu vernehmen. Angesichts des zu keinem Zeitpunkt des Verfahrens substantiiert bestrittenen Sachverhalts ist dem VwG diesbezüglich kein Verfahrensfehler vorzuwerfen. Im Übrigen wurde die Relevanz eines allfälligen Verfahrensfehlers auch nicht dargetan.

11 In der Revision wird somit keine Rechtsfrage aufgeworfen, der im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme; sie war daher zurückzuweisen.

12 Damit erübrigte sich eine Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes über den Antrag, der außerordentlichen Revision die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

Wien, am 9. August 2018

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018220160.L00

Im RIS seit

05.09.2018

Zuletzt aktualisiert am

24.09.2018
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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