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40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AsylG 1997 §32 Abs2;Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden): 99/20/0251Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Puck und die Hofräte Dr. Baur, Dr. Nowakowski, Dr. Hinterwirth und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hohenecker, 1. über den Antrag des Bundesministers für Inneres auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung der zur hg. Zl. 98/20/0313 protokollierten Beschwerde gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 7. April 1998, Zl. 202.467/0-I/03/98 und 2. über die zur hg. Zl. 98/20/0313 protokollierte Beschwerde des Bundesministers für Inneres gegen diesen Bescheid (mitbeteiligte Partei: AI, geboren am 6. April 1972, zuletzt in 4030 Linz), betreffend Asylgewährung,
Spruch
I. den Beschluss gefasst:
Gemäß § 46 VwGG wird dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand stattgegeben.
II. zu Recht erkannt:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
Der Mitbeteiligte, ein Staatsangehöriger von Pakistan, reiste am 30. Jänner 1998 unter Umgehung der Grenzkontrolle in das Bundesgebiet ein und beantragte am selben Tag die Gewährung von Asyl.
Das Bundesasylamt wies diesen Antrag mit Bescheid vom 23. März 1998 gemäß § 6 Z 2 Asylgesetz 1997 (AsylG) als offensichtlich unbegründet ab. Zugleich erklärte es die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Mitbeteiligten nach Pakistan gemäß § 8 AsylG als zulässig.
Die Behörde erster Instanz begründete die Abweisung des Asylantrages im Wesentlichen damit, dass der Asylwerber, der nach seinen Angaben der sunnitischen Glaubensgemeinschaft in seinem Heimatland angehöre, wegen tätlicher Auseinandersetzungen zwischen Sunniten und Schiiten in seinem Dorf, von denen auch er betroffen gewesen sei, geflüchtet zu sein behauptet habe. Die Polizei habe sich (lediglich) deshalb geweigert, die Anzeige des Mitbeteiligten entgegenzunehmen, weil er aus diesen (in der unterschiedlichen religiösen Zugehörigkeit begründeten) Streitigkeiten keine sichtbaren Verletzungen davongetragen hätte. Die Übergriffe der Angehörigen der schiitischen Religionsgemeinschaft gegen den Asylwerber könnten daher nicht seine Flüchtlingseigenschaft begründen. Eine asylrelevante Verfolgung müsse von staatlichen Stellen ausgehen bzw. liege eine solche dann vor, wenn der betreffende Staat nicht in der Lage oder nicht gewillt sei, die von anderen Stellen ausgehenden Verfolgungen hintanzuhalten. Dass die staatlichen Behörden des Heimatlandes des Asylwerbers nicht in der Lage oder nicht gewillt gewesen wären, ihm Schutz vor Verfolgung zu gewähren, ergebe sich aus seinem Vorbringen nicht. In diesem Zusammenhang sei auf die Ergebnisse der Beweiswürdigung hinzuweisen, welche das fehlende Interesse des Mitbeteiligten an der Erlangung staatlichen Schutzes ("Sie erstatteten keine Anzeige bei der Polizei") evident machten. Dieser Umstand finde seine Bestätigung darin, dass der Mitbeteiligte am 15. Jänner 1998 von der Behörde in Islamabad einen Reisepass ausgestellt erhalten habe. Die von ihm angegebenen Misshandlungen erreichten im Übrigen nicht ein Ausmaß, dass von einer asylrelevanten Beeinträchtigung gesprochen werden könnte. Der Mitbeteiligte habe nach Einreise in das Bundesgebiet versucht, unter Umgehung der Grenzkontrolle nach Deutschland zu gelangen. Schließlich habe er einen illegalen Grenzübertritt nach Italien unternommen. Ihm fehle somit das Interesse an einer allfälligen Asylgewährung in Österreich.
Den Ausspruch nach § 8 AsylG begründete das Bundesasylamt nach Darstellung der Rechtslage damit, dass der Mitbeteiligte in Pakistan außerhalb seines Dorfes, wo sich die Auseinandersetzungen zwischen ihm und Angehörigen der schiitischen Glaubensgemeinschaft ereignet hätten, eine Zuflucht finden könne, zumal in Pakistan ca. 90 % der Gesamtbevölkerung der sunnitischen Glaubensgemeinschaft angehörten.
Gegen diesen Bescheid erhob der Mitbeteiligte eine umfangreiche Berufung, in der er zum einen die Beweiswürdigung der Behörde erster Instanz sowie deren Rechtsausführungen bekämpfte, zum anderen auch Neuerungen vorbrachte.
Mit dem nunmehr durch den Bundesminister für Inneres bekämpften Bescheid der belangten Behörde vom 7. April 1998 wurde der Berufung des Mitbeteiligten gegen den Bescheid des Bundesasylamtes gemäß § 32 Abs. 2 AsylG "stattgegeben, der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Durchführung des Verfahrens und Erlassung eines Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen."
Nach Wiedergabe des Verfahrensganges, insbesondere des Inhaltes des Bescheides des Bundesasylamtes sowie der dagegen erhobenen Berufung des Beschwerdeführers, und der Darlegung der Rechtslage führte die belangte Behörde aus, gemäß § 32 Abs. 2 AsylG sei der Berufung u.a. stattzugeben, wenn die Feststellung der Behörde, der Antrag sei offensichtlich unbegründet, nicht zutreffe. Gemäß der Rechtsprechung des unabhängigen Bundesasylsenates zu § 32 i. V.m. § 4 AsylG sei die Berufungsbehörde "offenkundig der sonst gegebenen Verpflichtung enthoben, einen von der Behörde erster Instanz mangelhaft oder gar nicht erhobenen Sachverhalt selbst zu ermitteln". Dies gelte sowohl für den Fall, dass sich die Feststellungen des angefochtenen Bescheides auf ein mangelhaftes Verfahren stützten, als auch für den Fall, dass die getroffenen Feststellungen den Spruch des angefochtenen Bescheides nicht zu tragen vermögen. Dem unabhängigen Bundesasylsenat komme im abgekürzten Berufungsverfahren "keine über die Ermittlungen des Bundesasylamtes hinausgehende Ermittlungspflicht" in der Sache, sondern lediglich im Hinblick auf "Sachverhaltsmängel" zu. Der unabhängige Bundesasylsenat sei auch nicht zur Nachholung des vom Bundesasylamt rechtswidrig unterlassenen Parteiengehörs verpflichtet. Diese vor dem Hintergrund des § 4 AsylG ausgeführten Erwägungen würden sinngemäß für das Berufungsverfahren im Fall des § 6 AsylG gelten. Der Gesetzgeber gehe angesichts der im § 32 Abs. 3 AsylG normierten Entscheidungsfrist "von vier Tagen" erkennbar davon aus, dass die Ermittlung des maßgeblichen Sachverhalts der erstinstanzlichen Behörde obliege. Dem unabhängigen Bundesasylsenat komme im Wesentlichen lediglich die Aufgabe der Kontrolle der erstinstanzlichen Entscheidung zu.
In weiterer Folge setzte sich die belangte Behörde noch mit der erstinstanzlichen Bescheidbegründung auseinander, welche mit wesentlichen Mängeln behaftet sei.
Ausgehend von der Rechtsauffassung, sie selbst habe überhaupt kein Ermittlungsverfahren in der Sache zu führen, kam die belangte Behörde zu dem Ergebnis, die Behörde erster Instanz sei zur Abweisung des Asylantrages gemäß § 6 AsylG nicht berechtigt (gewesen), weil (mangels ausreichender Ermittlungen) dieser Antrag nicht eindeutig jeder Grundlage entbehre.
Damit erübrige sich eine Auseinandersetzung mit der Feststellung gemäß § 8 AsylG im Bescheid des Bundesasylamtes.
In der gegen diesen Bescheid gerichteten Beschwerde beantragt der beschwerdeführende Bundesminister dessen Aufhebung als rechtswidrig, weil gemäß § 32 Abs. 2 AsylG einer Berufung in einem Verfahren gemäß § 6 leg. cit. (nur) dann stattzugeben sei, wenn die Feststellung der Behörde, der Antrag sei offensichtlich unbegründet, nicht zutreffe. Die belangte Behörde hätte somit allenfalls den maßgeblichen Sachverhalt selbst aufzuklären und in ihrem Bescheid jedenfalls festzustellen gehabt, ob der Asylantrag nun offensichtlich unbegründet sei oder nicht. Im Hinblick auf die ausdrücklich deponierte Rechtsauffassung der belangten Behörde, dass sie keinerlei Pflicht zur Sachverhaltsfeststellung treffe, sei anzunehmen, dass die belangte Behörde zum Ausdruck habe bringen wollen, dass "nicht mit hinreichender Sicherheit feststehe", ob nun der Asylantrag offensichtlich unbegründet sei oder nicht. Es werde in diesem Zusammenhang auf den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes "vom 10. Juni 1998, Zl. 98/20/0175, hingewiesen".
Die belangte Behörde beantragte zugleich mit der Vorlage der Verwaltungsakten, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.
Mit einem am 14. Mai 1999 überreichten, zur hg. Zl. 99/20/0251 protokollierten Schriftsatz beantragte der beschwerdeführende Bundesminister schließlich die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung seiner Beschwerde.
Der Mitbeteiligte äußerte sich im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
I. Zum Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand:
Der Bundesminister für Inneres bringt vor, ihm sei am 29. April 1999 der zur hg. Zl. 98/20/0283 ergangene Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 25. März 1999 zugestellt worden, nach dessen Begründung die Frist für die Erhebung einer Amtsbeschwerde gemäß § 38 Abs. 5 AsylG in den Fällen der Eintragung des anzufechtenden Bescheides in das "Asylwerberinformationssystem" bereits mit dieser Eintragung beginne. Hievon sei der Antragsteller bisher nicht ausgegangen, weshalb er die zur hg. Zl. 98/20/0313 protokollierte Beschwerde gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 7. April 1998, über die der Verwaltungsgerichtshof bisher nicht entschieden habe, erst am 23. Juli 1998 eingebracht habe. Der angefochtene Bescheid sei ihm vom Bundesasylamt erst am 25. Juni 1998 mit einem Bericht vorgelegt, allerdings von diesem schon kurze Zeit nach Zustellung an das Bundesasylamt am 7. April 1998 in das "Asylwerberinformationssystem" eingetragen worden.
Dem auf diese Begründung gestützten Wiedereinsetzungsantrag war aus den im hg. Beschluss vom 17. Juni 1999, Zl. 99/20/0253, dargestellten Gründen gemäß § 46 Abs. 1 VwGG stattzugeben. Gemäß § 43 Abs. 2 und 9 VwGG wird auf den genannten Beschluss verwiesen.
II. Zur Beschwerde gegen den Bescheid der belangten Behörde:
Im vorliegenden Fall hat die belangte Behörde zwar den in § 32 Abs. 2 zweiter Satz AsylG vorgesehenen Zurückverweisungsspruch gefasst, in ihrer Bescheidbegründung - insbesondere unter Verweis auf die Judikatur des unabhängigen Bundesasylsenates zu § 4 AsylG - aber zum Ausdruck gebracht, dass die Frage, ob der Antrag des Mitbeteiligten gemäß § 6 AsylG offensichtlich unbegründet sei, damit nicht entschieden, sondern vom Bundesasylamt im fortgesetzten Verfahren zu entscheiden sein solle. Demnach bezieht sich der Auftrag zur "neuerlichen Durchführung des Verfahrens und Erlassung eines Bescheides" im Spruch des angefochtenen Bescheides vorrangig auf die weitere Klärung der Voraussetzungen für eine (neuerliche) Entscheidung nach § 6 AsylG (vgl. dazu Rohrböck, Das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl, 486; dort wird der hier angefochtene Bescheid als Beispiel für jene Bescheide zitiert, mit denen die (später vom Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 23. Juli 1998, Zl. 98/20/0175, abgelehnte) Auffassung des unabhängigen Bundesasylsenates betreffend die Befugnis zur Kassation gemäß § 32 Abs. 2 AsylG i.V.m. § 4 AsylG als auf Entscheidungen nach § 6 AsylG anwendbar erklärt worden sei). Insoweit kann daher auf das soeben erwähnte Erkenntnis vom 23. Juli 1998 gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen werden, wonach die belangte Behörde zu einer kassatorischen Entscheidung der vorliegenden Art nicht berechtigt war.
Der hier angefochtene Bescheid war somit wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Wien, am 16. Dezember 1999
Schlagworte
Inhalt der Berufungsentscheidung KassationEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1999:1998200313.X00Im RIS seit
03.04.2001