Entscheidungsdatum
19.07.2018Norm
AVG §68 Abs1Spruch
I404 2125835-2/3E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin MMag. Alexandra JUNKER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, StA. NIGERIA, vertreten durch: Migrantinnenverein St. Marx RA Dr. Lennart Binder LL.M. gegen den Bescheid des BFA, Erstaufnahmestelle Ost (EASt-Ost) vom 11.06.2018, Zl. 1080345610-171181285, zu Recht erkannt:
A)
Der Beschwerde wird gemäß § 21 Abs. 3 zweiter Satz BFA-VG stattgegeben und der angefochtene Bescheid behoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Die Beschwerdeführerin, eine nigerianische Staatsbürgerin, stellte am 29.07.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Bei der am folgenden Tag stattfindenden Befragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes erklärte sie, dass ihre Eltern verstorben seien und in Nigeria noch ihre 3 Brüder leben würden. Sie habe ihr Land verlassen, weil sie lesbisch sei und Angst um ihr Leben haben würde.
Die Beschwerdeführerin wurde in weiterer Folge vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Niederösterreich (im Folgenden: belangte Behörde), am 15.03.2016 niederschriftlich einvernommen. Sie gab an, dass als sie 16 Jahre alt gewesen sei, ihr Vater ihre Mutter getötet und sich im Anschluss daran selbst umgebracht habe. Sie habe in Benin City gelebt, in Bezug auf ihre Brüder wisse sie nicht, wo sich diese befinden würden. Seit dem Tod ihrer Eltern habe sie auch keinen Kontakt mehr zu Familienmitgliedern. Ihre Freundin trage den Namen Juliette, den Nachnamen kenne sie nicht. Sie kenne Juliette, seit sie 17 oder 18 Jahre alt gewesen sei. Sie habe etwa 10 Jahre in Lagos gelebt. Die Nachbarschaft habe gewusst, dass Juliette und sie ein Paar gewesen seien.
2. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 19.04.2016 wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz vom 29.07.2015 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I). Der Antrag wurde auch gemäß § 8 Abs. 1 AsylG hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Nigeria abgewiesen (Spruchpunkt II). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde der Beschwerdeführerin gemäß §§ 57 und 55 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG in Verbindung mit § 9 BFA-Verfahrensgesetz wurde gegen die Beschwerdeführerin gemäß § 52 Abs. 2 Z. 2 Fremdenpolizeigesetz (FPG) eine Rückkehrentscheidung erlassen. Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Nigeria zulässig sei (Spruchpunkt III). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde unter Spruchpunkt IV mit 2 Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin wurde von der belangten Behörde im gesamten Umfang als nicht glaubhaft befunden.
3. Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht Beschwerde an das BVwG erhoben.
4. Mit Erkenntnis vom 02.03.2017 zu I403 2125835-1/12E wurde die Beschwerde als unbegründet abgewiesen. Das BVwG stellte fest, dass entgegen dem Fluchtvorbringen der Beschwerdeführerin nicht festgestellt werden könne, dass die Beschwerdeführerin mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit im Falle einer Rückkehr nach Nigeria wegen ihrer sexuellen Orientierung verfolgt werden würde. In der Beweiswürdigung wird festgehalten, dass die Beschwerdeführerin nicht in der Lage gewesen sei, ihre Beziehung zu einer Frau in Nigeria glaubhaft zu schildern bzw. die fluchtauslösenden Ereignisse konsistent wiederzugeben.
5. Am 17.10.2017 stellte die Beschwerdeführerin einen neuerlichen Antrag auf internationalen Schutz. Begründend führte Sie aus, dass sie mit einem reichen Mann in Nigeria verheiratet gewesen sei. Dieser sei verstorben, jetzt wolle sie dessen Familie töten, weil diese der Meinung sei, sie habe ihren Mann getötet.
6. Mit dem hier bekämpften Bescheid vom 11.06.2018 wies die belangte Behörde den Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten sowie hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf ihren Herkunftsstaat Nigeria gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurück (Spruchpunkte I. und II.). Zugleich erteilte sie der Beschwerdeführerin keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG (Spruchpunkt III.), erließ gegen sie eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 (Spruchpunkt IV.) und stellte fest, dass ihre Abschiebung nach Nigeria gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1a FPG wurde zudem ausgesprochen, dass eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht besteht (Spruchpunkt VI.).
7. Gegen diesen Bescheid hat die Beschwerdeführerin durch ihre rechtfreundliche Vertretung zulässig und rechtzeitig Beschwerde erhoben und unter anderem vorgebracht, dass die Beschwerdeführerin insbesondere aufgrund ihrer sexuellen Orientierung in eine vulnerable Situation gerate und ihr Verfolgung drohe, wie auch aus den Länderfeststellung hervorgehe. Eine Abschiebung der Beschwerdeführerin nach Nigeria würde eine Verletzung von Art 2, 3 und auch 8 EMRK darstellen.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Die Beschwerdeführerin, eine nigerianische Staatsbürgerin, stellte am 29.07.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz, den sie damit begründete, lesbisch zu sein und Angst um ihr Leben zu haben. Die belangte Behörde wies diesen Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz vom 29.07.2015 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG abgewiesen und gemäß § 8 Abs. 1 AsylG hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Nigeria abgewiesen (Spruchpunkt II). Begründend wurde ausgeführt, dass die Beschwerdeführerin diesen Fluchtgrund nicht glaubhaft gemacht hat. Dagegen erhob die Beschwerdeführer Beschwerde an das BVwG.
Im Rahmen des Beschwerdeverfahrens fand am 22.02.2017 eine mündliche Verhandlung statt. Die Beschwerdeführerin wiederholte im Wesentlichen ihr Vorbringen und gab an, derzeit eine Beziehung mit einer Frau mit dem Namen "Debora" zu haben, welche Österreicherin ist und in Wien lebt. Sie wurde von der erkennenden Richterin aufgefordert, binnen einer Woche eine ladungsfähige Adresse ihrer Freundin vorzulegen. Mit Eingabe vom 27.02.2017 wurde erklärt, dass sich die Freundin der Beschwerdeführerin nicht bereit erklärt habe, ihre Daten bekanntzugeben.
In der Folge wurde die Beschwerde mit Erkenntnis des BVwG vom 02.03.2017 zu I403 2125835-1/12E als unbegründet abgewiesen.
1.2. Am 17.10.2017 stellte die Beschwerdeführerin einen neuerlichen Antrag auf internationalen Schutz.
Im Rahmen der Einvernahme der Beschwerdeführerin am 24.11.2017 gab die Beschwerdeführerin an, dass ihre alten Fluchtgründe (dass sie lesbisch ist und lesbische Frauen in Nigeria getötet werden würden) noch aufrecht sind und sie darüberhinaus beschuldigt wird, ihren Mann getötet zu haben. Sie gab auf Nachfrage weiter zu Protokoll, dass sie in Österreich mit ihrer Lebensgefährtin "XXXX", einer Frau aus Nigeria, seit 2 Jahren in einem gemeinsamen Haushalt lebt.
Eine nähere Nachfrage zu dieser Beziehung der Beschwerdeführerin und den Daten der Lebensgefährtin wurden nicht getätigt.
1.3. In der hier bekämpften Entscheidung stellte die belangte Behörde fest, dass das erste Asylverfahren am 07.03.2017 rechtskräftig in II. Instanz abgeschlossen worden ist und in diesem Verfahren alle bis zu dieser Entscheidung des Asylverfahrens entstandenen Sachverhalte berücksichtigt wurden. Weiters stellte sie fest, dass die Beschwerdeführerin eine Lebensgemeinschaft mit XXXX führt. Zur Situation im Herkunftsland wird unter anderem Folgendes festgehalten:
"Homosexuelle Handlungen jeglicher Art sind - unabhängig vom Geschlecht der betroffenen Personen - sowohl nach säkularem Recht als auch nach Scharia-Recht (Körperstrafen bis hin zum Tod durch Steinigung in besonderen Fällen) strafbar. Homosexuelle versuchen auf Grund der gesetzlichen Bestimmungen und weitverbreiteter Vorbehalte in der Bevölkerung, ihre sexuelle Orientierung zu verbergen (AA 21.11.2016). Obwohl alle nigerianischen Bürger mit der Schwierigkeit konfrontiert sind, dass Förderung und Schutz ihrer Rechte gewährleistet werden sowie der Zugang zu grundlegenden Sozialdienstleistungen, haben Mitglieder der homosexuellen Gemeinschaft mit weiteren Herausforderungen zu kämpfen (TIERS 1.2017). Dabei treten Erpressung und Gewalt schon beim Verdacht auf, homosexuell zu sein (MSMA 17.11.2015; vgl. LLM 16.11.2015). Die meisten Menschenrechtsverletzungen gegen Homosexuelle gehen von nicht-staatlichen Akteuren aus (LLM 16.11.2015; vgl. MSMK 19.11.2015). Die Verfügbarkeit von staatlichem Schutz ist in Frage zu stellen, manchmal interveniert die Polizei gar nicht oder verhaftet das Opfer (MSMA 17.11.2015; vgl. DS3 18.11.2015; DS1 20.11.2015). TIERS berichtet, dass die Opfer Menschenrechtsverletzungen nicht bei der Polizei melden aus Angst vor Repressalien, Mangel an Vertrauen in die Strafverfolgungsbehörden, und weil die Polizei häufig selbst die Täter bei Menschenrechtsverletzungen gegen Homosexuelle sind (TIERS 1.2017).
In Nigeria ist nach der Unterzeichnung durch den Präsidenten am 7.1.2014 bundesweit der über mehrere Jahre diskutierte "Same Sex Marriage Prohibition Act" (SSMPA) in Kraft getreten (HRW 29.1.2015; vgl. CNN 16.1.2014; TT 14.1.2014). Seither ist das Eingehen homosexueller Verbindungen oder das Mitwirken daran mit bis zu 14 Jahren Haft unter Strafe gestellt. Die Organisation oder Unterstützung von Homosexuellen-Clubs, Vereinigungen oder Kundgebungen sowie öffentliches zur Schau stellen gleichgeschlechtlicher Liebesbeziehungen werden mit bis zu zehn Jahren Haft bedroht (AA 5.7.2017 vgl. HRW 20.10.2016). Laut Telegraph seien schon "Gruppen" von zwei Homosexuellen verboten (TT 14.1.2014). Human Rights Watch erklärt, dass jegliches öffentliches homosexuelles Verhalten zwischen Paaren kriminalisiert worden sei ("who directly or indirectly make public show of same-sex amorous relationship"). Auch Personen, die Zeugen, Unterstützter oder Beihelfer einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft oder Ehe sind, können mit bis zu zehn Jahren Haft bestraft werden (HRW 15.1.2014; vgl. HRW 20.10.2016). Die Rechtsänderung hat aber bisher nicht zu einer spürbar verschärften Strafverfolgung geführt: Bisher ist es nach Kenntnis der deutschen Botschaft noch nicht zu Anklagen bzw. Verurteilungen nach dem neuen Gesetz gekommen (AA 21.11.2016). Auch Human Rights Watch hat keine Beweise dafür gefunden, dass Personen im Rahmen des SSMPA strafrechtlich verfolgt oder verurteilt wurden (HRW 20.10.2016). Laut einem Bericht von Human Rights Watch hat das Gesetz zu einer weiteren Stigmatisierung von Lesben und Schwulen in Nigeria geführt. Diese werden oftmals von der Polizei schikaniert und misshandelt und von der Bevölkerung gemobbt und per Selbstjustiz verfolgt (GIZ 7.2017b).
Im April 2017 hat die nigerianische Polizei erklärt, dass sie in der im Norden des Landes gelegenen Stadt Zaria 53 junge Männer verhaftet hat, weil sie an einer homosexuellen Hochzeit teilgenommen hatten. Die Festgenommenen wurden laut Polizei einem Richter vorgeführt (NBC 20.4.2017). Die Männer werden wegen Verschwörung, illegaler Versammlung und Zugehörigkeit einer illegalen Gesellschaft angeklagt. Diese Straftaten verstoßen gegen den Criminal Procedure Code (PT 7.6.2017). Alle hatten sich nicht schuldig bekannt und konnten bei Zahlung einer Kaution wieder freigelassen werden (NBC 20.4.2017). Am 29.7.2017 wurden über 40 Personen festgenommen, da sie verdächtigt wurden bei einer privaten Feier in einem Hotel in Lagos homosexuelle Handlungen durchgeführt zu haben. Der erste Gerichtstermin war noch ausstehend (Reuters 31.7.2017).
Die vom Home Office zitierte Homosexuellen-NGO Erasing 76 Crimes schätzt, dass sich im August 2014 23 Personen aufgrund von Homosexualität in Haft befanden. 15 weitere würden auf freiem Fuß auf ihren Prozess warten. Die NGO gibt auch an, dass es unmöglich sei, eine vollständige Liste von Personen zu erstellen, die sich aufgrund von Verstößen gegen Anti-Homosexuellen-Gesetzen in Nigeria in Haft befinden würden. Nigerianische Medien berichten oft nur von Verhaftungen, manchmal auch von der Eröffnung von Prozessen, nie aber von Urteilen bezüglich LGBT-Personen. Die gleiche NGO schätzt im Oktober 2014, dass seit der Einführung des Same Sex Marriage (Prohibition) Act in ca. vier Bundesstaaten ca. 38 Personen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung verhaftet worden sind. Alleine im Bundesstaat Bauchi seien es zwölf (UKHO 3.2015). Das Gesetz ist vor allem unter dem Gesichtspunkt zu verstehen, dass man dem wachsenden Druck aus dem westlichen Ausland für die Gleichberechtigung Homosexueller die Stirn bieten möchte, da in Nigeria noch nie zwei Männer oder zwei Frauen versucht haben zu heiraten. Im Rahmen der Verabschiedung des Gesetzes und der negativen internationalen Reaktion kam es zu vermehrten Vorfällen von Verhaftungen und physischer Gewalt gegen vermeintlich Homosexuelle. Eine generelle "staatliche Verfolgung" ist allerdings derzeit nicht gegeben. Gesellschaftliche Diskriminierung bei offenem zur Schau stellen der sexuellen Orientierung ist vorhanden (ÖBA 9.2016)."
In der Beweiswürdigung wird angeführt, dass die vorgebrachten Gründe, warum es der Beschwerdeführerin nun nicht mehr möglich wäre, in ihr Herkunftsland zurückzukehren, nicht geeignet sind, eine neue, inhaltliche Entscheidung der Behörde zu bewirken und darin kein neuer, entscheidungsrelevanter asyl- bzw. refoulementrelevanter Sachverhalt festgestellt werden kann. Hinsichtlich des Privat- und Familienlebens wird ausgeführt, dass mangels gegenteiliger Anhaltspunkte und angesichts des Umstandes, dass die Beschwerdeführerin zu Ihrem Privat- und Familienleben plausible Angaben getätigt hat, die belangte Behörde von deren Richtigkeit ausgeht.
Rechtlich führte die Behörde bezüglich der Zurückweisung des Antrages auf Internationalen Schutz aus, dass die von der Beschwerdeführerin vorgebrachten Gründe für die neuerliche Antragstellung bereits zum Zeitpunkt der Rechtskraft des Erstverfahrens bestanden haben und sich seither kein entscheidungsrelevant geänderter Sachverhalt im Sinne der vorstehenden Ausführungen zu § 68 AVG ergeben hat. Hinsichtlich der Rückkehrentscheidung führt die belangte Behörde aus, dass die Beschwerdeführerin eine Freundin in Österreich hat, jedoch keine gesundheitliche oder wirtschaftliche Abhängigkeit besteht, weshalb kein ungerechtfertigter Eingriff ins Familienleben im Sinne von
Artikel 8 EMRK vorliegt.
Im gesamten Bescheid findet sich keine Auseinandersetzung mit der Frage, ob einer Frau mit homosexueller Orientierung bei einer Rückkehr nach Nigeria eine Gefahr nach Art. 2 oder 3 der EMRK drohen würde.
2. Beweiswürdigung
Diese Feststellungen wurden dem vorgelegten Verwaltungsakt der belangten Behörde entnommen und sind soweit unstrittig.
3. Rechtliche Beurteilung:
3.1. Zu Spruchpunkt A) Aufhebung des bekämpften Bescheides:
3.1.1. § 21 -BFA-VG lautet auszugsweise wie folgt:
Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht
§ 21. (1) Zu Verhandlungen vor dem Bundesverwaltungsgericht ist das Bundesamt zu laden; diesem kommt das Recht zu, Anträge und Fragen zu stellen.
(2) Das Bundesverwaltungsgericht erkennt über Beschwerden gegen Entscheidungen, mit denen ein Antrag im Zulassungsverfahren zurückgewiesen wurde, binnen acht Wochen, soweit der Beschwerde die aufschiebende Wirkung nicht zuerkannt wurde.
...
(3) Ist der Beschwerde gegen die Entscheidung des Bundesamtes im Zulassungsverfahren stattzugeben, ist das Verfahren zugelassen. Der Beschwerde gegen die Entscheidung im Zulassungsverfahren ist auch stattzugeben, wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint.
...
3.1.2. Nach § 21 Abs. 3 BFA-VG 2014 ist der Beschwerde gegen eine Entscheidung im Zulassungsverfahren - wozu auch die vorliegende Zurückweisung eines Antrags auf internationalen Schutz nach § 68 AVG gehört - vom Bundesverwaltungsgericht stattzugeben, wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint (vgl. VwGH vom 13.11.2014, Ra 2014/18/0025.
Es handelt sich dabei um eine von § 28 Abs. 3 erster und zweiter Satz VwGVG 2014 abweichende Regelung, die auf die Besonderheiten des asylrechtlichen Zulassungsverfahrens Bedacht nimmt, indem die Möglichkeit, aber auch die Verpflichtung zur Fällung einer zurückverweisenden Entscheidung im Fall einer Beschwerde gegen einen im asylrechtlichen Zulassungsverfahren erlassenen Bescheid allein an die in § 21 Abs. 3 zweiter Satz BFA-VG 2014 genannten Voraussetzungen geknüpft ist (vgl. VwGH vom 30.05.2017, Ra 2017/19/0017).
Ausgehend davon hat das Bundesverwaltungsgericht im vorliegenden Fall zu beurteilen, ob der ihm vorliegende Sachverhalt so mangelhaft war, dass ohne Durchführung einer Verhandlung die "Sache" des Beschwerdeverfahrens nicht abschließend erledigt werden konnte.
Diese Voraussetzungen liegen aufgrund folgender Überlegungen vor:
3.1.3. Mit der bekämpften Entscheidung hat die belangte Behörde den Antrag der Beschwerdeführerin gemäß § 68 AVG hinsichtlich des Status der Asylberechtigten und der subsidiäre Schutzberechtigten zurückgewiesen. Gleichzeitig hat sie jedoch ausdrücklich festgestellt, dass die Beschwerdeführerin in einer Lebensgemeinschaft mit einer Frau lebt und mit dieser ein Familienleben in Österreich führt. Die belangte Behörde geht daher nunmehr davon aus, dass die Beschwerdeführerin homosexuell ist.
Diese Feststellung basiert allein aufgrund der Angabe der Beschwerdeführerin vor der belangten Behörde am 24.11.2017 und wurde ohne nähere Prüfung dem Sachverhalt zugrunde gelegt. Weder wurden nähere Information zu der Lebensgefährtin eingeholt noch deren Einvernahme veranlasst.
Aus dem Akteninhalt geht hervor, dass die Beschwerdeführerin in dieser Einvernahme vor der belangten Behörde am 24.11.2017 angab, mit einer XXXX aus Nigeria in einer Beziehung zu sein und seit 2 Jahren mit ihr in einem gemeinsamen Haushalt zu leben. Vor dem Bundesverwaltungsgericht hat die Beschwerdeführer hingegen am 22.02.2017 angegeben, mit einer "Debora", einer österreichischen Staatsbürgerin, die in Wien aufhältig sei, eine Beziehung zu führen.
Von einem geklärten Sachverhalt in Bezug auf die Frage des Vorliegens einer Lebensgemeinschaft mit einer Frau und der damit zusammenhängenden Beurteilung der sexuellen Orientierung der Beschwerdeführerin ist daher aufgrund der Aktenlage keinesfalls auszugehen. Vielmehr müsste dies vom BVwG im Rahmen einer mündlichen Verhandlung erst ermittelt werden und wäre daher die Einvernahme der Beschwerdeführerin und nach Einholung weiterer Daten zur Lebensgefährtin (eine XXXX wurde im Zentralen Melderegister nicht gefunden) deren Einvernahme erforderlich.
3.1.4. Die belangte Behörde hat sich in der Folge auch trotz dieser Feststellung in keiner Weise mit der konkreten Situation der Beschwerdeführerin als Frau mit homosexueller Orientierung bei einer Rückkehr nach Nigeria auseinandergesetzt.
Hinsichtlich eines Folgeantrages in einem Asylverfahren nach dem Asylgesetz 2005 ist die Behörde jedoch verpflichtet, Sachverhaltsänderungen nicht nur in Bezug auf die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten, sondern auch in Bezug auf die Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten einer Prüfung zu unterziehen (vgl. VfSlg. 19.466/2011 mwN).
In seinem Erkenntnis vom 16.09.2013 zu U 1268/2013-14 hat der Verfassungsgerichtshof zusammengefasst festgehalten, dass der Asylgerichtshof auf Grund des ausdrücklichen Eingeständnisses des Beschwerdeführers, dass ihm seine Homosexualität schon lange vor seiner Antragstellung bekannt gewesen sei - denkmöglich davon ausgeht, dass es sich beim Fluchtvorbringen zur Homosexualität um kein neues, nach Abschluss des ersten Asylverfahrens entstandenes Vorbringen handle; jedoch lege er seiner Entscheidung offenkundig implizit zugrunde, dass der Beschwerdeführer homosexuell ist. Aus den angeführten Länderberichten ergebe sich, dass homosexuelle Handlungen jeglicher Art in Nigeria mit Freiheitsstrafen nach säkularem Recht (bis zu 14 Jahren) sowie mit Körperstrafen nach Scharia-Recht (bis hin zum Tod durch Steinigung) bedroht sind. Vor dem Hintergrund dieser Länderfeststellungen und erstatteten Vorbringen, dass es für den Beschwerdeführer "in Nigeria gefährlich wäre, als Schwuler zu leben", wäre nach Ansicht des VfGH eine Überprüfung, ob dem Beschwerdeführer in seiner konkreten Situation im Falle einer Rückführung in den Herkunftsstaat eine Gefährdung gemäß Art. 3 EMRK droht, jedenfalls geboten gewesen.
3.1.6. Für das vorliegende Verfahren ergibt sich daher, dass die belangte Behörde - ausgehend von ihren eigenen Feststellungen, wonach die Beschwerdeführerin in einer Lebensgemeinschaft mit einer Frau lebt und daher homosexuell ist - den Antrag auf Asyl und subsidiären Schutz nicht ohne weitere Prüfung zurückweisen und feststellen dürfen, dass eine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Nigeria zulässig ist und keine Verletzung der Art. 2 und 3 EMRK droht.
3.1.7. Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass die belangte Behörde den Sachverhalt in Bezug auf die Feststellung, dass die Beschwerdeführerin in einer Lebensgemeinschaft mit einer Frau lebt, so mangelhaft ermittelt hat, dass die Durchführung einer mündlichen Verhandlung notwendig gewesen wäre. Kommt die belangte Behörde nach Durchführung der Ermittlungen wiederum zu dem Ergebnis, dass die Beschwerdeführerin homosexuell ist, müsste sie dies bei der Prüfung, ob der Beschwerdeführerin im Falle einer Rückführung in den Herkunftsstaat eine Gefährdung gemäß Art. 3 EMRK droht, berücksichtigen.
Der Beschwerde war daher stattzugeben und der angefochtene erstinstanzliche Bescheid zu beheben, wodurch das Asylverfahren zugelassen ist. Diese Zulassung steht allerdings gemäß § 28 Abs. 1 letzter Satz AsylG 2005 einer späteren zurückweisenden Entscheidung nicht entgegen (vgl. erneut VwGH vom 13.11.2014, Ra 2014/18/0025).
3.2. Zu Spruchpunkt B) Zur Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
Behebung der Entscheidung, Ermittlungspflicht, geänderteEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2018:I404.2125835.2.00Zuletzt aktualisiert am
04.09.2018