Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AAV §1 Z9;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Riedinger und Dr. Beck als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Breunlich, über die Beschwerde der Bundesministerin für Arbeit, Gesundheit und Soziales gegen den Bescheid des unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich vom 6. Februar 1997, Zl. VwSen-280281/9/Kon/Km, betreffend Übertretung arbeitnehmerschutzrechtlicher Vorschriften (mitbeteiligte Partei:
KT in T, vertreten durch Dr. Norbert Nagele, Dr. Klaus Haslinger, Dr. Christoph Szep, Mag. Thomas Kurz und Mag. Wilhelm Bergthaler, Rechtsanwälte in Linz, Landstraße 12), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Urfahr-Umgebung (kurz: BH) vom 24. Juli 1996 wurde der Mitbeteiligte des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens für schuldig befunden, er habe es als handelsrechtlicher Geschäftsführer der K.-Gesellschaft m. b.H. mit Sitz an einem näher genannten Ort in Oberösterreich und somit als das zur Vertretung nach außen berufene Organ und sohin als strafrechtlich Verantwortlicher im Sinne des § 9 Abs. 1 VStG dieser Gesellschaft m.b.H., die wiederum persönlich haftende Gesellschafterin der K.-Gesellschaft m.b.H. & Co.KG. sei, zu verantworten, dass am 6. Juli 1994 im "oben angeführten Betrieb" der Kettenantrieb des Einzuges am Krempel 2 "weder verkleidet, verdeckt noch umwehrt war." Dies stelle eine Übertretung nach der Allgemeinen Arbeitnehmerschutzverordnung (AAV) dar, wonach gemäß § 33 Abs. 1 leg. cit. Ketten- und Zahnräder entweder verkleidet, verdeckt oder umwehrt sein müssen, sodass ein Berühren der Gefahrenstelle jederzeit möglich gewesen sei. Dies stelle eine Übertretung nach der Allgemeinen Arbeitnehmerschutzverordnung (AAV) dar, wonach gemäß § 33 Abs. 1 leg. cit. Ketten- und Zahnräder entweder verkleidet, verdeckt oder umwehrt sein müssen, sodass ein Erreichen, Berühren oder Annähern an die Gefahrenstelle nicht möglich sei.
Der Mitbeteiligte habe dadurch eine Verwaltungsübertretung nach § 31 Abs. 2 lit. p in Verbindung mit § 24 Abs. 1 des Arbeitnehmerschutzgesetzes 1972, BGBl. Nr. 234/1972 in der Fassung der Novelle BGBl. Nr. 650/1989, in Verbindung mit § 33 Abs. 1 Allgemeine Arbeitnehmerschutzverordnung (AAV), BGBl. Nr. 218/1983 in der Fassung der Novelle BGBl. Nr. 220/1993, begangen, weshalb über ihn eine Geldstrafe in Höhe von S 15.000.-- (Ersatzfreiheitsstrafe: 100 Stunden) verhängt wurde.
Gegen diesen Bescheid erhob der Mitbeteiligte Berufung.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 6. Februar 1997 gab die belangte Behörde der Berufung Folge, hob das Straferkenntnis vom 24. Juli 1996 auf und stellte das Verwaltungsstrafverfahren gegen den Mitbeteiligten gemäß § 45 Abs. 1 Z. 1 erster Fall VStG ein. In der Begründung führte die belangte Behörde u.a. aus, dass ungeachtet der Ausführungen des Mitbeteiligten in der Stellungnahme vom 15. Dezember 1995 der gesamte von ihm eingewandte Sachverhalt unter die Bestimmung des mit "Erprobung" überschriebenen" § 31 Abs. 1 AAV zu subsumieren sei. Es sei nämlich nahe liegend, dass einer Reparatur am Kettenantrieb ein Probelauf ohne angebrachte Verkleidung vorangehe wie auch folge. Die Bestimmung des § 31 Abs. 1 AAV stelle zu jener des § 33 Abs. 1 leg. cit., deren Verletzung vorgeworfen worden sei, einen Ausnahmetatbestand dar.
Um dem Gebot der ausreichenden Tatumschreibung im Sinne des § 44a Z. 1 VStG zu entsprechen, hätte die Strafbehörde erster Instanz das "Nichtvorliegen" dieses behaupteten Ausnahmetatbestandes in den ihrem Schuldspruch zugrundeliegenden Tatvorwurf aufzunehmen gehabt, was sie aber unterlassen habe.
Der Tatvorwurf sei weiters auch deshalb nicht ausreichend umschrieben, weil daraus nicht hervorgehe, ob der in Rede stehende Krempel 2 sich zum Zeitpunkt der Kontrolle durch das Arbeitsinspektorat im ordentlichen Betrieb oder in einem für den ordentlichen Betrieb bereiten Zustand befunden habe oder nicht. Auch aus der Anzeige des Arbeitsinspektorates sei diesbezüglich nichts zu entnehmen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf § 13 Arbeitsinspektionsgesetz 1993 gestützte Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof. Dieser hat erwogen:
Gemäß § 1 Z. 9 AAV sind "Betriebseinrichtungen, sonstige mechanische Einrichtungen und Betriebsmittel" im Sinne dieser Verordnung Einrichtungen, Geräte und sonstige materielle Mittel, die bei der Arbeit verwendet werden, mit Ausnahme der in Z. 13 angeführten Arbeitsstoffe.
§ 31 AAV samt Überschrift lautet:
"Erprobung
§ 31. (1) Müssen Betriebseinrichtungen, sonstige mechanische Einrichtungen und Betriebsmittel probeweise in Betrieb genommen werden, ohne dass die für den Normalbetrieb geltenden Vorschriften angewendet werden können, müssen besondere Schutzmaßnahmen gegen Gefahren, mit denen zu rechnen ist, getroffen sein; die Einhaltung dieser Schutzmaßnahmen ist sicherzustellen und zu überwachen. Eine Erprobung ist insbesondere dann erforderlich, wenn durch sie die sicherheitstechnisch einwandfreie Beschaffenheit von Einrichtungen und Mitteln festgestellt werden kann oder wenn ein neuentwickeltes technisches Erzeugnis erprobt werden muss.
(2) Die mit Erprobungen Beschäftigten müssen fachkundig, auf die bei der Arbeit möglichen Gefahren aufmerksam gemacht und mit den erforderlichen Schutzmaßnahmen vertraut sein. Über das Verhalten beim Auftreten von Unregelmäßigkeiten oder Störungen während der Erprobung müssen genaue Anweisungen erteilt sein.
(3) Mit der Erprobung darf erst begonnen werden, wenn die erforderlichen Sicherheits-, Warn- und Messeinrichtungen betriebsbereit und funktionsfähig sind.
(4) Vor und während der Erprobung müssen Gefahrenbereiche gekennzeichnet und erforderlichenfalls abgesperrt sein. Im Gefahrenbereich dürfen sich nur die für die Durchführung der Erprobung unbedingt erforderlichen Personen aufhalten. Wenn mit außergewöhnlichen Gefahren zu rechnen ist, müssen besondere Fluchtwege vorhanden und als solche gekennzeichnet sein.
(5) Falls es der Umfang der Erprobung sowie die mögliche Gefährdung der Beschäftigten erfordert, ist für die Planung, Durchführung und Überwachung der Erprobung und der Schutzmaßnahmen eine verantwortliche fachkundige Aufsichtsperson zu bestellen. Vor Beginn der Erprobung ist ein Arbeitsprogramm schriftlich festzulegen; über den Ablauf der Erprobung sind schriftliche Aufzeichnungen zu führen."
§ 33 AAV hat die Überschrift: "Schutzmaßnahmen an Gefahrenstellen durch Kraftübertragungseinrichtungen".
§ 33 Abs. 1, 2, und 9 AAV lauten:
"(1) Wellen, Kupplungen, Riemen- und Seilscheiben, Ketten-, Zahn-, Speichen-, Schnecken- und Schwungräder, Friktionsscheiben oder andere Kraftübertragungseinrichtungen müssen verkleidet oder verdeckt sein. Sofern das Verkleiden oder Verdecken von Kraftübertragungseinrichtungen im Hinblick auf ihre Größe nur schwer durchführbar ist, können solche Einrichtungen auch durch Umwehren gesichert sein. Zahn- und Kettenräder müssen auch außerhalb der im § 32 Abs. 2, 5 und 6 angeführten Sicherheitsabstände zumindest an den Eingriffstellen verdeckt oder verkleidet sein. Verkleidungen von Gelenkwellen dürfen sich nicht mitdrehen.
(2) Kraftübertragungseinrichtungen, wie Riemen-, Seil-, Ketten- oder Stahlbandtriebe oder deren Auflaufstellen, müssen verkleidet oder verdeckt sein; Abs. 1 zweiter Satz ist anzuwenden. Bei Flachriemen bis 25 mm Breite, Rundriemen bis 10 mm Durchmesser sowie bei einfachen, nicht gekreuzten, glatten Keilriemen mit einem Querschnitt bis 100 mm2 genügt, soweit es sich nicht um Riementriebe in Kopfhöhe handelt, eine Sicherung der Riemenauflaufstelle. Riemenverbindungen müssen möglichst glatt und fest sein, nach Möglichkeit sind endlose Riemen zu verwenden.
(3) ...
(4) ...
(5) ...
(6) ...
(7) ...
(8) ...
(9) Betriebseinrichtungen, sonstige mechanische Einrichtungen und Betriebsmittel müssen mit Schutzvorrichtungen auch dann ausgestattet sein, wenn sie für längere Zeit außer Betrieb gesetzt werden, es sei denn, dass die Einrichtungen und Mittel nicht in Betrieb genommen werden können, wie durch Entfernen des Antiebsmotors."
Die beschwerdeführende Partei wendet ein, dass zwischen Spruch und Begründung des angefochtenen Bescheides ein Widerspruch bestehe. Laut Bescheidspruch sei die Einstellung des Strafverfahrens gemäß § 45 Abs. 1 Z. 1 erster Fall VStG verfügt worden, also aus dem Grund, dass die dem Beschuldigten zur Last gelegte Tat nicht erwiesen werden habe können. Die Bescheidbegründung ziele hingegen darauf ab, dass der Tatvorwurf im Straferkenntnis erster Instanz nicht ausreichend konkretisiert sei, was - sofern ein solcher Fehler tatsächlich vorliegen sollte - von der Behörde zweiter Instanz hätte richtig gestellt werden können bzw. müssen. Ein zu wenig konkreter Tatvorwurf könnte allenfalls - sofern auch bereits die Verfolgungshandlung unzureichend konkretisiert erscheine - zum Einstellungsgrund der Verfolgungsverjährung führen.
Nach § 45 Abs. 1 Z. 1 erster Fall VStG hat die Behörde von der Einleitung oder Fortführung eines Strafverfahrens abzusehen und die Einstellung zu verfügen, wenn die dem Beschuldigten zur Last gelegte Tat nicht erwiesen werden kann. Das bedeutet, dass eine Einstellung des Verfahrens nach dieser Bestimmung dann in Frage kommt, wenn die Beweise für einen Schuldspruch nicht ausreichen (vgl. Ringhofer, Die österreichischen Verwaltungsverfahrensgesetze, Band II, S. 401, FN 5). Der Begründung des angefochtenen Bescheides kann nicht entnommen werden, dass sich die belangte Behörde etwa auf nicht ausreichende Beweise für einen Schuldspruch in Bezug auf die dem Mitbeteiligten angelastete Tat stützt. Es fehlt im angefochtenen Bescheid an jeglichem Anhaltspunkt für eine allfällige Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens nach der von der belangten Behörde herangezogenen Bestimmung. Mit einer "unzureichenden" Konkretisierung der Tat im Sinne des § 44a Z. 1 VStG kann dies - entgegen der Ansicht der belangten Behörde in der Gegenschrift - nicht begründet werden. Schon aus diesem Grund liegt daher eine inhaltliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides vor.
Soweit sich die belangte Behörde - wenn auch erst in der Gegenschrift - auf das allfällige Vorliegen einer Ausnahme nach § 33 Abs. 9 AAV beruft, ist darauf hinzuweisen, dass der Mitbeteiligte selbst im Zuge des Verwaltungsstrafverfahrens ausführte, die Maschine sei wegen "Reparaturarbeiten nicht in Betrieb" gewesen (siehe etwa die Stellungnahme vom 23. März 1995), woraus jedoch nicht eine gänzliche Unmöglichkeit einer Inbetriebnahme der Maschine (vgl. § 33 Abs. 9 letzter Satz AAV) abzuleiten ist.
Für die Annahme eines von der belangten Behörde erwähnten Probelaufes (vgl. § 31 AAV) - als in den Spruch des Straferkenntnisses aufzunehmende Ausnahmeregelung - bestand sachverhaltsmäßig gleichfalls kein Anhaltspunkt. Ein Probelauf wurde vom Arbeitsinspektor - wie aus dessen Stellungnahmen zu ersehen ist - nicht wahrgenommen und auch nicht zum Inhalt seiner Anzeige gemacht. Insbesondere führte der Arbeitsinspektor in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 24. Oktober 1995 u.a. aus, dass die nach § 31 AAV für einen Probebetrieb erforderlichen Schutzmaßnahmen "ebenfalls nicht vorhanden" gewesen seien. Ferner wurde ein Probebetrieb vom Mitbeteiligten für den Tattag entschieden in Abrede gestellt und ein "reparaturbedingter Stillstand der Maschine" behauptet (siehe dessen Stellungnahme vom 15. Dezember 1995 sowie die gegen das Straferkenntnis erhobene Berufung). Die schlichte Erwähnung eines möglichen Probebetriebs durch einen Zeugen im zeitlichen Nahebereich der Kontrolle durch den Arbeitsinspektor, war jedoch bezogen auf den Tatzeitpunkt nicht ausreichend, um davon auszugehen.
Selbst wenn eine Maschine wegen einer notwendigen Reparatur vorübergehend nicht genutzt wird, verliert die Maschine - entgegen der insbesondere von der belangten Behörde erst in der Gegenschrift vertretenen Meinung - nicht aufgrund der allgemeinen Formulierung in § 1 Z. 9 AAV "die bei der Arbeit verwendet werden" die Eigenschaft einer Betriebseinrichtung bzw. eines Betriebsmittels. Es trifft auch nicht zu, dass die diesbezügliche Eigenschaft wesentliches Sachverhaltselement einer Übertretung nach § 33 Abs. 1 oder 2 AAV ist. Ebenso wenig ist aus § 33 Abs. 9 AAV ableitbar, dass entsprechende Schutzvorrichtungen nur dann erforderlich seien, wenn die auch für längere Zeit außer Betrieb gesetzten Betriebseinrichtungen etc. "zumindest umgehend in Betrieb genommen werden könnten". Vielmehr greift diese Ausnahme - wie aus dem im letzten Satz dieser Bestimmung enthaltenen Beispiel zu ersehen ist - nur dann, wenn es geradezu ausgeschlossen ist, dass diese Einrichtungen und Mittel "in Betrieb genommen werden können". Ein schlichter reparaturbedingter Stillstand ist jedenfalls nicht geeignet, unter diese Ausnahme subsumiert zu werden.
Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Wien, am 17. Dezember 1999
Schlagworte
"Die als erwiesen angenommene Tat" Begriff Mängel im Spruch Fehlen von wesentlichen TatbestandsmerkmalenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1999:1997020120.X00Im RIS seit
21.02.2002