TE Bvwg Erkenntnis 2018/8/7 W237 2168799-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 07.08.2018
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Entscheidungsdatum

07.08.2018

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W237 2168799-1/4E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Martin WERNER über die Beschwerde des XXXX, geb. XXXX(alias: XXXX), StA. Eritrea, gegen Spruchpunkt I. des Bescheids des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 28.07.2017, Zl. 1086924000-151328392, zu Recht:

A)

Der Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 33/2013 idF BGBl. I Nr. 24/2017, stattgegeben und dem Beschwerdeführer gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I 145/2017 (im Folgenden: AsylG 2005), der Status eines Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass dem Beschwerdeführer damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer stellte nach illegaler Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 12.09.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Dabei gab er an, den o.a. Namen zu führen und eritreischer Staatsangehöriger zu sein.

2. Am selben Tag fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung des Beschwerdeführers statt, bei der er angab, in XXXX, Eritrea, geboren worden zu sein. Er habe dort die Grundschule von 1995 bis 2004 besucht. Im Jahr 2011 sei er in XXXX inhaftiert worden, von dort sei er schließlich in den Sudan geflüchtet. Da er Angst gehabt habe, vom eritreischen Geheimdienst im Sudan gefasst zu werden, sei er schließlich nach Libyen und anschließend nach Europa gereist. In Österreich lebten ein Cousin und ein Onkel, in der Schweiz wohnten zwei Tanten. Seine Eltern hätten einen Supermarkt geführt, der vom nähergenannten Landeshauptmann von XXXX zugesperrt worden sei. Seine Eltern hätten sich das nicht gefallen lassen und diesen geklagt. Eines nachts sei die Polizei gekommen und habe die Eltern des Beschwerdeführers inhaftiert, damit die Klage nicht weitergeführt werden könne. Seine Großeltern hätten den Beschwerdeführer daher gebeten, das Vieh zu verkaufen, weil seine Geschwister noch zu klein dafür gewesen seien. Der Beschwerdeführer sei zu diesem Zeitpunkt gerade beim Militär gewesen und habe wegen dieser Angelegenheit um Urlaub gebeten, der ihm allerdings verwehrt worden sei. Er sei jedoch einfach weggegangen, am Heimweg allerdings aufgegriffen und inhaftiert worden. Im Gefängnis sei er über ein Jahr lang in einem Keller unter schlechten Bedingungen gefangen gewesen. Im Jahr 2011 sei ihm die Flucht aus dem Gefängnis gelungen. Der Beschwerdeführer befürchte, bei einer Rückkehr nach Eritrea neuerlich inhaftiert zu werden, weil er vom Militär geflohen sei.

3. In weiterer Folge wurde der Beschwerdeführer am 12.01.2017 vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Beisein eines Dolmetschers für Tigrinya niederschriftlich einvernommen. Dabei gab er im Wesentlichen an, von März 2006 bis 2011 beim Militär gewesen zu sein; es habe eine Razzia gegeben und der Beschwerdeführer sei mitgeschleppt worden. In einem Trainingscamp habe er die Grundausbildung gemacht, er sei dann normaler Soldat und sein namentlich genannter Vorgesetzter sei für ca. 7000 Soldaten zuständig gewesen.

Im Jahr 2011 habe sein Vater Probleme mit einem Mann namens "XXXX" bekommen, der eine Art Landeshauptmann der Region gewesen sei. Aus Rache habe dieser Mann den Supermarkt seines Vaters schließen lassen, woraufhin sein Vater ihn angezeigt habe. Nur wegen der Anzeige sei sein Vater inhaftiert worden, kurze Zeit später habe man auch die Mutter des Beschwerdeführers verhaftet. Anfang Jänner 2011 sei er von seinen Großeltern angerufen worden, diese hätten ihm von den Vorfällen erzählt. Der Beschwerdeführer habe daraufhin erfolglos beim Militär um Urlaub angesucht, um seine Geschwister zu unterstützen. Er sei deshalb unerlaubterweise vom Militär weggegangen, auf dem Heimweg sei er erwischt und wegen Desertion festgenommen worden. Anschließend habe man ihn von Jänner 2011 bis 25.11.2011 in der Nähe der Ortschaft XXXX inhaftiert. Die Flucht aus dem Gefängnis sei ihm gelungen, weil ein Verwandter von ihm als Wache gearbeitet habe. Der Beschwerdeführer habe sich eines Tages, als er mit mehreren Inhaftierten auf ein Feld zwecks Verrichtung der Notdurft gegangen sei, in einem kleinen Busch versteckt und sei nicht zurück zu den anderen Gefangenen gegangen. Er habe daraufhin Warnschüsse gehört. Gegen Mitternacht sei er schließlich zu Fuß in Richtung Sudan gegangen und anschließend ungefähr 20 bis 25 Tage unterwegs gewesen. Untertags habe er geschlafen und in der Nacht sei er gegangen, weil er Angst gehabt habe, erwischt zu werden. Deserteure würden in Eritrea hart bestraft und teilweise auch umgebracht werden.

Seine sechs Geschwister und seine Eltern, die im Jahr 2012 freigelassen worden seien, würden weiterhin in XXXX leben; er habe telefonischen Kontakt zu ihnen.

3. Dem Beschwerdeführer wurden mit Schreiben vom 13.06.2017 aktuelle Länderinformationen zur Lage in Eritrea zugesandt und ihm die Möglichkeit zur Stellungnahme eingeräumt.

In seiner Stellungnahme vom 23.06.2017 führte der Beschwerdeführer hierzu an, dass sich die dargestellte Situation in Bezug auf die politische Lage und die Themen Sicherheit, Menschenrechte und Korruption grundsätzlich auch mit seinen Erfahrungen decke. Er weise darauf hin, dass eine Rückkehr nach Eritrea angesichts seiner persönlichen Situation eine große Gefahr für sein Leben darstellte.

4. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies mit Bescheid vom 28.07.2017 den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 24/2016, ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihm gemäß § 8 Abs. 1 leg.cit. den Status des subsidiär Schutzberechtigten mit Hinweis auf die allgemeine Sicherheitslage in Eritrea zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihm gemäß § 8 Abs. 4 leg.cit. eine bis zum 27.07.2018 befristete Aufenthaltsberechtigung (Spruchpunkt III.).

4.1. Die Abweisung des Antrags auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten begründete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Wesentlichen damit, dass der Beschwerdeführer zwar glaubhaft über seine Zeit beim Militärdienst berichtet habe, ihm jedoch bezüglich der Anhaltedauer und der angeblichen Flucht aus dem Gefängnis in Eritrea nicht geglaubt werden könne. Eine persönliche Bedrohung oder Verfolgung von staatlicher Seite sei nicht gegeben.

Es könne jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass dem Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Eritrea Gefahren drohten, die ihrem Wesen nach die Erteilung des subsidiären Schutzstatus rechtfertigen würden. Die Behörde komme zu dem Schluss, dass dem Beschwerdeführer aufgrund der derzeit vorherrschenden Praxis hinsichtlich Rückkehrer nach Eritrea der Status des subsidiär Schutzberechtigten zu erteilen sei, weil nicht ausgeschlossen werden könne, der Beschwerdeführer würde als Rückkehrer willkürlich einer menschenrechtswidrigen Behandlung ausgesetzt werden und/oder strafweise wieder zum National-/Militärdienst eingezogen werden. Es würden zwar keine Gründe vorliegen, die annehmen lassen könnten, dass es zu gezielten, individualisierten Verfolgungshandlungen gegen den Beschwerdeführer kommen könnte. Die Verfolgungshandlungen, die derzeit von staatlichen eritreischen Organen begangen würden, seien willkürlich, rechtswidrig und könnten massiv ausfallen. Bei der derzeitigen allgemeinen Lage in Eritrea könne daher nicht ausgeschlossen werden, dass der Beschwerdeführer als "Rückkehrer" Verfolgungshandlungen unterworfen werde, die sich unter die in Art. 3 EMRK genannte Sachverhalte subsumieren lasse.

4.2. Mit Verfahrensanordnung gemäß § 63 Abs. 2 AVG vom 31.07.2017 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG der Verein Menschenrechte Österreich als Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht zur Seite gestellt.

5. Der Beschwerdeführer erhob gegen Spruchpunkt I. des Bescheids mittels Telefax Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts sowie Rechtswidrigkeit infolge der Verletzung von Verfahrensvorschriften. Darin wurde im Wesentlichen das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers wiederholt und vorgebracht, dass der Beschwerdeführer durch sein Verhalten als Deserteur eingestuft werde, wodurch ihm politische Gesinnung unterstellt werde und ihn in Eritrea eine Haftstrafe erwarte. Es könne zudem auch eine Verfolgung wegen seiner Nationalität angenommen werden, weil sich die Verpflichtung zur Ableistung seines Präsenzdienstes aus seiner Staatsbürgerschaft ergebe. Der Vater des Beschwerdeführers habe eine Identitätskarte des Beschwerdeführers gefunden und diese nach Österreich geschickt, wo sie im März 2017 angekommen sei. Das Geburtsjahr des Beschwerdeführers sei fälschlicherweise mit XXXX protokolliert worden, tatsächlich sei es aber das Jahr XXXX. Aufgrund der instabilen Sicherheitslage im Heimatland des Beschwerdeführers wegen der bewaffneten Zusammenstöße an der Grenze zu Äthiopien erscheine es nachvollziehbar, dass der Militärdienst des Beschwerdeführers nicht befristet gewesen sei. Aus den Länderfeststellungen gehe hervor, dass der Militärdienst nach wie vor auf unbestimmte Zeit verlängert werden könne.

Wehrdienstpflichtige hätten keinen Einfluss auf ihre Einteilung und keine Möglichkeit, den Dienst zu verlassen. Im Durchschnitt sei von einem Nationaldienst in der Dauer von 5 bis 10 Jahren auszugehen, was sich mit den Angaben des Beschwerdeführers, seinen Dienst seit 2006 verrichtet zu haben, decke. Die Flucht des Beschwerdeführers scheine nicht lebensfremd. Die Behörde hätte zu dem Schluss kommen müssen, dass dem Beschwerdeführer der Status des Asylberechtigten zu erteilen sei. In einer Beilage übermittelte der Beschwerdeführer eine Übersicht über Angehörige der Eritrea's Regional Civil Servants, ein von einer Vertrauensperson des Beschwerdeführers verfasstes Schriftstück sowie die Kopie seines Identitätsdokuments.

In einem weiteren Schreiben brachte der Beschwerdeführer vor, dass der von der belangten Behörde zu seiner Einvernahme herangezogene Dolmetscher vermutlich nicht aus Eritrea stamme und er Zweifel habe, dass bei der Einvernahme alles richtig übersetzt worden sei. Hätte er von Anfang gewusst, dass der Dolmetscher vermutlich aus Äthiopien stamme, hätte er ihn abgelehnt, weil es politisch Misstrauen und sprachliche Missverständnisse gebe. Der Beschwerdeführer gehöre der Volksgruppe der Tirginya an, Tigray liege in Äthiopien. Er sei Eritreer vom Bilen Stamm und Bilen sei seine Muttersprache. Er wolle daher die Widersprüche widerlegen: Sein Vater sei erfolgreicher Geschäftsmann gewesen und habe einen Supermarkt besessen. Der Administrator von XXXX, ein Mann namens XXXX, habe den Supermarkt eines Tages grundlos geschlossen, weshalb sein Vater ihn angezeigt habe. Sein Vater sei daraufhin inhaftiert worden, davon habe die Familie allerdings erst später erfahren. Auch seine Mutter sei inhaftiert worden. Aus diesem Grund habe der Beschwerdeführer sich dazu entschlossen, das Militär zu verlassen, weil seine kleinen Geschwister nun ohne Eltern gewesen wären. Dadurch sei er ebenfalls ins Gefängnis gekommen, konkret in das Gefängnis Hashferay in der Nähe von XXXX. Dass in diesem Gefängnis brutale Umstände herrschten, ergebe sich aus einem näher zitierten Buch. Zu seiner Flucht wolle er anführen, dass die einzige Möglichkeit darin bestanden habe, während der Verrichtung seiner Notdurft zu fliehen und sein Leben aufs Spiel zu setzen. Für Außenstehende könne diese Flucht lebensfremd wirken, weil man die Umstände im Gefängnis nicht kenne und sie sich nicht vorstellen könne. Als er schließlich auf der Flucht gewesen sei, habe er sich untertags bei Bauern versteckt, die ihn versorgt hätten. Das Untergrundgefängnis ohne Tageslicht, unmenschliche Behandlung sowie Folter und Erniedrigung hätten den Beschwerdeführer gezwungen, sein Land zu verlassen. Er sei zwar nie politisch tätig gewesen, habe jedoch unter einer Staatsregierung als Soldat gearbeitet. Bereits geringe Vergehen gegen die militärische Disziplin könnten zu drakonischen Strafen bis hin zu Schlägen und Folter führen. Folglich zitierte der Beschwerdeführer einen Artikel, aus dem hervorgeht, dass XXXX Spione finanziert habe, die im Sudan gewesen wären. Der Staat habe seine Familie und ihn vor willkürlicher Unterdrückung, Verfolgung und Folter nicht geschützt. Sein Onkel und sein Cousin würden ebenfalls in Österreich leben.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage des Antrags auf internationalen Schutz vom 12.09.2015, der Einvernahmen des Beschwerdeführers durch die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes und des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl, der Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 28.07.2017, der im Verfahren vorgelegten Schriftsätze sowie der Einsichtnahme in den bezughabenden Verwaltungsakt, das Zentrale Melderegister, das Fremden- und Grundversorgungs-Informationssystem werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist eritreischer Staatsangehöriger; er wurde in der Ortschaft XXXX geboren, wo er gemeinsam bei seinen Eltern und Geschwistern aufwuchs und die Grundschule besuchte. Er ist Angehöriger des Stammes Bilem und christlichen Glaubens.

Die Eltern des Beschwerdeführers waren als Landwirte tätig und besaßen einen Bauernhof mit Vieh, in dem der Beschwerdeführer bis zu seiner Einberufung in den Nationaldienst im März 2006 mithalf. Dort diente er anschließend bis Anfang 2011 als Soldat. Im Jahr 2011 reiste der Beschwerdeführer illegal aus Eritrea aus und gelangte nach längeren Aufenthalten im Sudan und in Libyen schlepperunterstützt nach Italien, von wo er nach Österreich reiste und am 12.09.2015 um Gewährung internationalen Schutzes ansuchte.

Im Falle seiner Rückkehr wäre der Beschwerdeführer zumindest aufgrund seiner vormaligen illegalen Ausreise davon bedroht, unter inhumanen Bedingungen inhaftiert und potentiell gefoltert zu werden.

1.2. Zur maßgeblichen Situation in Eritrea:

Politische Lage

Eritrea ist nach dem Südsudan das zweitjüngste und eines der ärmsten Länder Afrikas. Das Land löste sich nach einem Referendum von Äthiopien und wurde 1993 ein eigener Staat (AA 21.11.2016).

Eritrea ist ein in sechs Provinzen aufgeteilter Zentralstaat. Die Verfassung von 1997 ist nie in Kraft getreten (AA 10.2016a). Alle wesentlichen Entscheidungen werden vom Präsidenten getroffen. Es gibt keine Gewaltenteilung (AA 10.2016a). Das Übergangsparlament besteht aus 150 Abgeordneten, von denen 75 dem Zentralrat der Staatspartei PFDJ (People's Front for Democracy and Justice) angehören. Weitere 60 Abgeordnete sind ausgewählte Vertreter der Provinzen und 15 Sitze entfallen auf die Vertreter der Auslandseritreer. Das Parlament trat zuletzt 2001 zusammen, nur auf Anforderung des Präsidenten. Es ist damit faktisch inaktiv (AA 10.2016a).

Seit der Unabhängigkeit sind weder Präsidentschafts- noch Parlamentswahlen durchgeführt worden. De facto handelt es sich in Eritrea um eine Einparteiendiktatur. Die Regierungspartei PFDJ ging 1994 aus der Befreiungsbewegung "Eritrean People's Liberation Front" (EPLF) hervor. Sie stellt den Staats- und Regierungschef Isaias Afewerki sowie die gesamte weitere politische Führung des Landes. Andere politische Parteien sind verboten (AA 21.11.2016; vgl. USDOS 13.4.2016).

Die innenpolitische, wirtschaftliche und soziale Lage in Eritrea wird seit Jahren in erster Linie durch den ungelösten Grenzkonflikt mit Äthiopien bestimmt. Folgen sind unter anderem die weitgehende Militarisierung der Gesellschaft und ein Zurückdrängen der Privatwirtschaft durch staatlich gelenkte Wirtschaftsunternehmen (AA 10.2016a; vgl. AA 21.11.2016). Seit dem Grenzkrieg mit Äthiopien (Mai 1998 bis Juni 2000) ist der demokratische Prozess in Eritrea zum Stillstand gekommen. Präsident Isaias Afewerki regiert das Land unter Hinweis auf den ungelösten Grenzkonflikt ohne demokratische Kontrolle, gestützt auf die Sicherheitsbehörden und den Apparat der einzigen zugelassenen Partei PFDJ. Das Friedensabkommen von Algier vom 12.12.2000 beendete zwar den Krieg zwischen Eritrea und Äthiopien, die Spannungen zwischen den beiden Nachbarländern bestehen allerdings unvermindert fort (AA 21.11.2016). Für seine repressiven innenpolitischen Maßnahmen greift Präsident Isaias auf eine "weder Krieg noch Frieden" Politik zurück (HRW 12.1.2017).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (10.2016a): Eritrea, Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Eritrea/Innenpolitik_node.html, Zugriff 27.1.2017

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AA - Auswärtiges Amt (21.11.2016): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Eritrea

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HRW - Human Rights Watch (12.1.2017): World Report 2017 - Eritrea, http://www.ecoi.net/local_link/334689/476442_de.html, Zugriff 1.2.2017

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USDOS - US Department of State (13.4.2016): Country Report on Human Rights Practices 2015 - Eritrea,

http://www.ecoi.net/local_link/322451/461928_de.html, Zugriff 30.1.2017

Sicherheitslage

Das deutsche Auswärtige Amt warnt eigene Bürger vor Reisen in die Grenzgebiete zu Äthiopien und Dschibuti (AA 31.1.2017). Die Beziehungen zu Äthiopien bleiben trotz des Friedensabkommens vom 12.12.2000 weiter angespannt (EDA 6.2.2017; vgl. AA 21.11.2016) und haben seit 2012 mehrfach zu bewaffneten Zusammenstößen an der gemeinsamen Grenze geführt (AA 21.11.2016). Am 12. Juni 2016 kam es in der eritreisch-äthiopischen Grenzregion zu schweren Kämpfen (DS 8.6.2016; vgl. BAMF 13.6.2016). Es ist nicht klar warum die Kämpfe ausgebrochen sind, jedoch befinden sich die Länder in einem "weder Krieg noch Frieden" Zustand. Im Zuge der Feierlichkeiten zur 25jährigen Unabhängigkeit beschuldigte der eritreische Präsident Isaias Afwerki Äthiopien, der Souveränität Eritreas feindlich gegenüber zu stehen. Der äthiopische Premierminister, Hailemariam Desalegn, hatte angekündigt, dass Äthiopien bereit sei, mit militärischen Maßnahmen auf eritreische Provokationen zu reagieren (BBC 13.6.2016).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (31.1.2017): Eritrea, Reise- und Sicherheitshinweise (Teilreisewarnung), http://www.auswaertiges-amt.de/sid_747C556AEA6A72286098D233576D91C2/DE/Laenderinformationen/00-SiHi/Nodes/EritreaSicherheit_node.html, Zugriff 31.1.2017

-

BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (13.6.2016):

Briefing Notes,

http://www.ecoi.net/file_upload/4765_1465826992_1-deutschland-bundesamt-fuer-migration-und-fluechtlinge-briefing-notes-13-06-2016-deutsch.pdf, Zugriff 2.1.2017

-

BBC News (13.6.2016): Ethiopia and Eritrea blame each other for border clash,

http://www.bbc.com/news/world-africa-36515503, Zugriff 2.1.2017

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DS - der Standard (8.6.2016): UN-Bericht dokumentiert Kriegsverbrechen in Eritrea,

http://derstandard.at/2000038459447/UNO-Bericht-dokumentiert-schreckliche-Verbrechen-in-Eritrea, Zugriff 15.7.2016

-

EDA - Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (27.1.2017): Reisehinweise Eritrea, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-und-reisehinweise/eritrea/reisehinweise-fuereritrea.html, Zugriff 6.2.2017

Rechtsschutz/Justizwesen

Es gibt keine Gewaltenteilung. Die Justiz ist als Teil des Justizministeriums von diesem abhängig, es gibt Sondergerichte (AA 10.2016a). Die Reform der Justiz geht schleppend voran. Die EU unterstützt die Professionalisierung von "community courts". Die Justiz ist zwar formal unabhängig, tatsächlich aber vor Einmischungen durch die Exekutive nicht geschützt. Neben der ordentlichen Gerichtsbarkeit existieren Militär- und Sondergerichte, die jedes Verfahren an sich ziehen können und vor denen keine Rechtsanwälte zugelassen sind und auch für die Ahndung von Korruptionsfällen und von Kapitaldelikten zuständig sind. Eine Berufung gegen deren Urteile ist nicht möglich. In Verfahren vor diesen Gerichten gibt es keine öffentliche Verhandlung, keinen anwaltlichen Beistand und keine Möglichkeit, Rechtsmittel einzulegen (AA 21.11.2016).

Anfang 2015 wurde ein neues Strafgesetzbuch und eine neue Zivil- und Strafprozessordnung vorgelegt, die die alten noch geltenden äthiopischen Gesetzbücher ablösten. Es gibt keine Beschränkung des Strafmaßes, obwohl die Todesstrafe tatsächlich nicht ausgesprochen oder zumindest nicht vollstreckt zu werden scheint. Eine Strafverfolgung aus politischen Gründen ist nicht auszuschließen. Verhaftungen ohne Haftbefehl und ohne Angabe von Gründen sind üblich. Umgekehrt werden Häftlinge auch ohne Angabe von Gründen freigelassen (AA 21.11.2016). Rechtsstaatlichkeit und Justiz bleiben schwach und sind somit anfällig dafür, durch informelle und außergerichtliche Formen von Justiz umgangen zu werden (FCO 21.4.2016).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (10.2016a): Eritrea, Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Eritrea/Innenpolitik_node.html, Zugriff 27.1.2017

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AA - Auswärtiges Amt (21.11.2016): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Eritrea

-

FCO - UK Foreign and Commonwealth Office (21.4.2016): Human Rights and Democracy Report 2015 - Chapter IV: Human Rights Priority Countries - Eritrea,

http://www.ecoi.net/local_link/322986/462477_de.html, Zugriff 6.2.2017

Sicherheitsbehörden

Die Polizei ist für die Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit verantwortlich und die Armee für die äußere Sicherheit. Doch die Regierung setzt manchmal die Streitkräfte, die Reserve, demobilisierte Soldaten oder Miliz dazu ein, um innere und äußere Sicherheitsanforderungen zu erfüllen. Agenten des Nationalen Sicherheitsbüros, das dem Präsidentenbüro unterstellt ist, sind für die Verhaftung von Personen verantwortlich, die verdächtigt werden, die nationale Sicherheit zu gefährden. Die Streitkräfte haben die Befugnis, Zivilisten anzuhalten und zu verhaften. Generell spielt die Polizei in Fällen der nationalen Sicherheit keine Rolle. Dabei ist bei Sicherheitskräften Straflosigkeit die Norm. Es gibt keine bekannten internen oder externen Mechanismen, um Vergehen von Sicherheitskräften zu untersuchen (USDOS 13.4.2016).

Militär, Polizei und Sicherheitsdienste üben eine fast vollständige Kontrolle über das politische und gesellschaftliche Leben aus. Sie verfügen über weitreichende Vollmachten, die nicht immer eine gesetzliche Grundlage haben (AA 21.11.2016).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (21.11.2016): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Eritrea

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USDOS - US Department of State (13.4.2016): Country Report on Human Rights Practices 2015 - Eritrea,

http://www.ecoi.net/local_link/322451/461928_de.html, Zugriff 27.1.2017

Folter und unmenschliche Behandlung

Das geltende Strafgesetzbuch verbietet Folter (AA 21.11.2016; vgl. USDOS 13.4.2016). Trotzdem wird Folter gegenüber Gefangenen, insbesondere während der Befragung, angewandt. Auch sollen Deserteure, Wehrdienstflüchtige und Wehrdienstverweigerer verschiedener religiöser Gruppen, insbesondere Anhänger der Zeugen Jehovas, physisch und psychisch misshandelt werden. Es sind keine Fälle bekannt, in denen die Anwendung von Folter zu Sanktionen geführt hätte (AA 21.11.2016; vgl. USDOS 13.4.2016). Gefangene, darunter auch Minderjährige, werden unter schlechten Bedingungen in unterirdischen Zellen oder in Schiffscontainern eingesperrt. Sie erhalten weder ausreichend Nahrung noch sauberes Trinkwasser. Schlafgelegenheiten und der Zugang zu sanitären Einrichtungen und Tageslicht sind unzureichend. In einigen Fällen kamen diese Haftbedingungen Folter gleich (AI 24.2.2016).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (21.11.2016): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Eritrea

-

AI - Amnesty International (24.2.2016): Amnesty International Report 2015/16 - The State of the World's Human Rights - Eritrea, http://www.ecoi.net/local_link/319675/458842_de.html, Zugriff 27.1.2017

-

USDOS - US Department of State (13.4.2016): Country Report on Human Rights Practices 2015 - Eritrea,

http://www.ecoi.net/local_link/322451/461928_de.html, Zugriff 27.1.2017

Korruption

Auf dem Korruptionswahrnehmungsindex von Transparency International nimmt Eritrea 2016 den 164. von 176 Plätzen ein (TI 2016). Das Gesetz sieht Strafen für Korruption von Beamten vor, aber die Regierung setzt das Gesetz nicht effektiv um, und korrupte Praktiken bleiben häufig ungestraft, auch wenn die Regierung Berichten zufolge einige Staatsbedienstete wegen Korruption entlassen hat (USDOS 13.4.2016). Ein Spezialgericht wurde 1996 als vorläufige Maßnahme vom Büro des Präsidenten mithilfe von Geheimdienst, Armee und Polizei geführt, um Korruption zu bekämpfen. Dennoch ist diese in allen Bereichen zu finden (EASO 11.6.2015).

Korruption gibt es auch im Bereich von Justiz und Polizei. Um deren Dienste in Anspruch zu nehmen, werden manchmal Schmiergelder gezahlt. Die Polizei setzt auch für Freunde und Familie gelegentlich ihren Einfluss bei Entlassung aus dem Gefängnis ein. Die Polizei fordert angeblich Schmiergelder, damit Gefangene freikommen (USDOS 13.4.2016). Aufgrund von mangelnden Kapazitäten und Korruption in der eritreischen Armee ist es in den letzten Jahren deutlich einfacher geworden, die Grenze illegal zu überqueren (EASO 11.6.2015).

Obwohl sie in Eritrea weniger allgegenwärtig als in anderen Ländern der Region ist, gibt es Anzeichen dafür, dass die Korruption auf dem Vormarsch ist - vor allem in den Bereichen Schmuggel und Migration (USDOS 5.7.2016).

Quellen:

-

EASO - European Asylum Support Office (11.6.2015): Eritrea Länderfokus,

http://www.ecoi.net/file_upload/90_1440743642_2015-06-11-easo-eritrea-de.pdf, Zugriff 30.1.2017

-

TI - Transparency International (2016): Corruption Perceptions Index,

http://www.transparency.org/news/feature/corruption_perceptions_index_2016, Zugriff 30.1.2017

-

USDOS - US Department of State (13.4.2016): Country Report on Human Rights Practices 2015 - Eritrea,

http://www.ecoi.net/local_link/322451/461928_de.html, Zugriff 30.1.2017

-

USDOS - US Department of State (5.7.2016): Investment Climate Statements for 2016 - Eritrea,

http://www.ecoi.net/local_link/332411/473836_de.html, Zugriff 30.1.2017

NGOs und Menschenrechtsaktivisten

Die Regierung hat eine feindliche Einstellung gegenüber der Zivilgesellschaft, NGOs dürfen nur bei humanitären Hilfsmaßnahmen tätig werden (FH 27.1.2016). Den wenigen Organisationen der Zivilgesellschaft fehlt es an Kapazitäten (USDOS 13.4.2016). Infolge der Repressionspolitik der eritreischen Regierung gibt es keine nationalen Menschenrechtsorganisationen (AA 21.11.2016). Diese sind in Eritrea nicht zulässig (HRW 12.1.2017). Ausländische NGOs sind einer rigiden Gesetzgebung unterworfen, tätig sind Finnish Church Aid (FCA), Norwegian Refugee Council (NRC), die irische NGO Vita und einige deutsche medizinische Hilfsorganisationen. Sie achten aber auf ein gutes Verhältnis zur Regierung und bewahren ein niedriges Erscheinungsbild (AA 21.11.2016). Andere internationale Hilfsorganisationen, wie z.B. UNDP, FAO, IKRK, UNICEF und UNHCR, sind in Eritrea im Rahmen der engen, von der Regierung gesetzten Grenzen aktiv (Repatriierung bzw. Betreuung von Flüchtlingen, humanitäre Hilfsprogramme) (AA 21.11.2016).

Die eritreische Regierung kontrolliert Operationen der Vereinten Nationen und verhindert, dass Mitarbeiter die Hauptstadt Asmara verlassen (FH 27.1.2016).

Die Behörden erlauben dem IKRK (Internationalen Komitee vom Roten Kreuz) nicht Gefängnisse oder Haftanstalten zu besuchen. Das IKRK berichtet, dass die Behörden im Jahr 2014 einige Einschränkungen aufgehoben haben, auch im Zusammenhang mit Reisebewegungen (USDOS 13.4.2016).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (21.11.2016): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Eritrea

-

FH - Freedom House (27.1.2016): Freedom in the World 2016 - Eritrea, http://www.ecoi.net/local_link/327688/468342_de.html, Zugriff 27.1.2017

-

HRW - Human Rights Watch (12.1.2017): World Report 2017 - Eritrea, http://www.ecoi.net/local_link/334689/476442_de.html, Zugriff 27.1.2017

-

USDOS - US Department of State (13.4.2016): Country Report on Human Rights Practices 2015 - Eritrea,

http://www.ecoi.net/local_link/322451/461928_de.html, Zugriff 27.1.2017

Wehrdienst und Rekrutierungen

Der obligatorische Nationaldienst ("national service") dauert für Männer und Frauen offiziell 18 Monate (AA 21.11.2016; vgl. USDOS 13.4.2016, HRW 12.1.2017), kann aber nach wie vor auf unbestimmte Zeit verlängert werden und kommt der Zwangsarbeit gleich. Die Militärdienstleistenden erhalten nur eine geringe Besoldung, mit der sie die Grundbedürfnisse ihrer Familien nicht decken können (AI 24.2.2016; vgl. LI 20.5.2016, EASO 11.6.2015). Im Frühjahr 2016 wurde angekündigt, dass die Gehälter im nationalen Nationaldienst erhöht werden (LI 20.5.2016). Die Dienstverpflichtung kann oftmals über mehrere Jahre andauern (AA 21.11.2016; vgl. LI 20.5.2016) - in einigen Fällen bis zu 20 Jahre lang (AI 24.2.2016).

Aufgrund des Ausnahmezustands werden die Dienstverpflichteten nach der militärischen Grundausbildung z.B. beim Straßen- und Dammbau, in der Landwirtschaft, aber auch in allen Bereichen der staatlichen Verwaltung und Wirtschaft eingesetzt. Für Frauen dauert die Dienstpflicht bis zum 27. und für Männer bis zum 50. Lebensjahr (nach anderen Angaben für Frauen bis zum 47. und für Männer bis zum 57. Lebensjahr). Frauen werden in der Regel bei Heirat oder Schwangerschaft aus dem Nationaldienst entlassen (AA 21.11.2016; vgl. LI 24.5.2016). Entgegen der 2014 und 2015 gemachten Ankündigungen haben die eritreischen Behörden den Nationaldienst bisher nicht auf die gesetzlich vorgesehenen 18 Monate beschränkt. Der Dienst ist weiterhin zeitlich unbefristet und dauert meist mehrere Jahre. Die Behörden teilen die Rekruten entweder in eine Armeeeinheit oder in einen zivilen Job ein. Sie haben weder Einfluss auf ihre Einteilung noch eine Möglichkeit, diesen Dienst zu verlassen. Dennoch scheinen sich im Nationaldienst Veränderungen anzubahnen. Dazu gehört die vorgesehene und offenbar teilweise umgesetzte bessere Entlöhnung. Außerdem deutet vieles darauf hin, dass in den letzten Jahren vermehrt Rekruten in den zivilen Teil des Nationaldiensts eingeteilt wurden anstelle des militärischen Teils. Obwohl es in den letzten Jahren keine größeren Demobilisierungen gegeben hat, gab es in den letzten Jahren offenbar vermehrt Entlassungen aus dem zivilen Nationaldienst. Dennoch gehen die Schätzungen nach wie vor von durchschnittlich fünf bis zehn Jahren Dienst aus. Frauen haben bessere Möglichkeiten, aufgrund von Heirat, Schwangerschaft oder Mutterschaft vom Nationaldienst ganz freigestellt oder nach wenigen Jahren entlassen zu werden. Ihre durchschnittliche Dienstzeit ist deshalb deutlich geringer als bei Männern (SEM 10.8.2016).

Im März 2012 wurde die "People¿s Army" eingeführt, welche als erweiterte Nationalgarde zu verstehen ist (LI 20.5.2016; vgl. UKHO 10.2016) und parallel zur Armee existiert (EASO 11.6.2015). Auslöser dafür waren Vorstöße der äthiopischen Armee auf eritreisches Territorium. Dazu müssen Eritreer zwischen 18 und ca. 70 Jahren, die derzeit nicht im Nationaldienst aktiv sind, eine Waffenausbildung absolvieren und von der Regierung zur Verfügung gestellte Waffen und Uniformen in Empfang nehmen (EASO 11.6.2015). Seit Mai 2012 wurde der Großteil der erwachsenen Bevölkerung mit Sturmgewehren Ak-47 bewaffnet (AA 21.11.2016). Ältere Frauen und Männer werden auch weiterhin zu dieser sogenannten "Volksarmee" eingezogen. Dort sind Aufgaben unter Androhung von Strafen zu verrichten (AI 24.2.2016). Bisher fanden die Rekrutierungen für die Volksarmee vor allem in Asmara und Keren statt (EASO 11.6.2015). Personen, welche dem Aufgebot zur Volksarmee keine Folge leisten, droht der Entzug von Lebensmittelcoupons und Identitätsdokumenten sowie Haftstrafen. Ende 2014 und Anfangs 2015 haben dennoch zahlreiche Personen das Aufgebot zur Volksarmee ignoriert. Berichten zufolge gab es mittlerweile auch Razzien und Verhaftungen gegen solche Dienstverweigerer (EASO 11.6.2015).

Jugendliche, die versuchen, dem Wehrdienst zu entgehen, werden verhaftet. Bei (illegalen) Ausreiseversuchen aufgegriffene Minderjährige werden verhaftet, meist aber nach Hause geschickt. Volljährige und damit Wehr- und Nationaldienstpflichtige kommen in Haft, die auf Antrag häufig in offenem Vollzug abgeleistet werden kann. Sofern die Eltern der Jugendlichen oder andere Personen bei der Entziehung vom Wehrdienst behilflich waren, droht auch ihnen Strafverfolgung (AA 21.11.2016). Insgesamt scheinen die eritreischen Behörden und Sicherheitskräfte aber nicht mehr die Kapazitäten zu haben, alle Dienstverweigerer systematisch zuhause aufzusuchen, um sie zu verhaften oder zu rekrutieren. Dennoch kommt dies in Einzelfällen immer noch vor, insbesondere bei Personen, die ein Aufgebot in den militärischen Teil des Nationaldiensts erhalten haben. Üblicherweise gehen die eritreischen Sicherheitskräfte allerdings mit Razzien (Giffas) gegen Dienstverweigerer und Deserteure vor. Dabei umstellen sie einen Stadtteil oder ein Dorf und kontrollieren alle Anwesenden. Wer nicht nachweisen kann, dass er entweder dem Nationaldienst angehört oder seine Dienstpflicht erledigt hat, wird festgehalten. Anschließend werden die Betroffenen meist für einige Monate ohne Verfahren oder Anklage inhaftiert und danach in die militärische Ausbildung überführt (SEM 10.8.2016).

Es gibt Berichte über sexuelle Nötigung und Gewalt bis hin zu Vergewaltigung gegenüber weiblichen Rekruten (AA 21.11.2016; vgl. UKHO 10.2016, USDOS 13.4.2016). Eine Weigerung führte in manchen Fällen zu Internierung, Misshandlung und Folter, z.B. Nahrungsentzug oder dem Aussetzen extremer Hitze. Eine Schwangerschaft während des Militärdienstes, auch wenn sie das Resultat einer Vergewaltigung oder sexueller Übergriffe durch Vorgesetzte ist, führt zum Ausschluss aus dem Militär (AA 21.11.2016).

Ebenso kommt es vor, dass Wehrpflichtige nach Ableistung des 18-monatigen Wehrdienstes nicht nur aus dem Militär, sondern auch aus dem "national service" entlassen werden. Als Grund nennt die Regierung gute schulische Leistungen. Abiturienten mit guten Noten soll so der rasche Zugang zu weiterführenden Bildungseinrichtungen ("Colleges") ermöglicht werden (AA 21.11.2016; vgl. LI 20.5.2016). Die Colleges stehen unter gemeinsamer akademischer und militärischer Führung. Absolventen der Colleges werden nach dem Abschluss dem zivilen Nationaldienst zugeteilt, häufig zuerst nach Sawa als Lehrer im zwölften Schuljahr. Andere werden Dorfschulen zugeteilt. Studienabbrecher werden in den Militärdienst eingezogen (EASO 11.6.2015).

Keine Schule in Eritrea, mit Ausnahme des Militärcamps "Sawa", bietet die 12. Schulstufe an (LI 20.5.2016). Seit Sommer 2003 müssen alle Schüler das 12. Schuljahr in einem zentralen Ausbildungslager in Sawa in der Nähe der Grenze zum Sudan ableisten (AA 21.11.2016; vgl. LI 20.5.2016, USDOS 13.4.2016), wo sie auch eine dreimonatige paramilitärische Ausbildung erhalten. Nur in Sawa können sie ihr "Highschool" Abschlusszeugnis erhalten. Die Besten werden danach zum Studium an einem der 19 Colleges zugelassen, die nach der Schließung der Universität Asmara im Sommer 2006 über das Land verstreut eingerichtet wurden. Die Übrigen werden für eine Berufsschulausbildung oder für den Militärdienst herangezogen (AA 21.11.2016; vgl. LI 20.5.2016). Es findet jährlich eine Rekrutierungsrunde - jeweils Ende Juli oder Anfang August - statt. Pro Rekrutierungsrunde werden zwischen 10.000 bis 25.000 Schüler für das 12. Schuljahr aufgeboten (EASO 11.6.2015).

Ein Recht zur Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen und einen Ersatzdienst gibt es nicht; Wehrdienstverweigerung wird mit Umerziehungslageraufenthalten oder mit Gefängnis bestraft. Dies betrifft insbesondere die Zeugen Jehovas. Die Anzahl der Wehrdienstverweigerer und der Fahnenflüchtigen ist steigend. Dem versucht das Regime durch häufige Razzien in den Nachtclubs von Asmara, Keren, Dekemhare und Massawa entgegen zu wirken (AA 21.11.2016). Dennoch ist es möglich, aus gesundheitlichen Gründen vom Wehrdienst befreit zu werden. Laut Gesetz, § 15 des "National Service" heißt es, dass körperlich Behinderte, Blinde und Personen mit schweren psychischen Erkrankungen vom nationalen Dienst befreit werden können. Ärzte führen medizinische Untersuchungen durch, um die Fähigkeit zu beurteilen, aber die Militärbehörden entscheiden endgültig über eine Befreiung (LI 20.5.2016). Alle diese Freistellungen (außer für ehemalige Kämpfer) gelten nur temporär und können jederzeit aufgehoben werden (EASO 11.6.2015).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (21.11.2016): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Eritrea

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AI - Amnesty International (24.2.2016): Amnesty International Report 2015/16 - The State of the World's Human Rights - Eritrea, http://www.ecoi.net/local_link/319675/458842_de.html, Zugriff 27.1.2017

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EASO - European Asylum Support Office (11.6.2015): Eritrea Länderfokus,

http://www.ecoi.net/file_upload/90_1440743642_2015-06-11-easo-eritrea-de.pdf, Zugriff 30.1.2017

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HRW - Human Rights Watch (12.1.2017): World Report 2017 - Eritrea,

http://www.ecoi.net/local_link/334689/476442_de.html, Zugriff 30.1.2017

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LI - Landinfo (20.5.2016): Report National Service,

http://www.landinfo.no/asset/3382/1/3382_1.pdf, Zugriff 30.1.2017

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SEM - Staatssekretariat für Migration (10.8.2016): Focus Eritrea - Update Nationaldienst und illegale Ausreise,

https://www.sem.admin.ch/content/dam/data/sem/internationales/herkunftslaender/afrika/eri/ERI-ber-easo-update-nationaldienst-d.pdf, Zugriff 31.1.2017

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UKHO - UK Home Office (10.2016): Country Policy and Information Note - Eritrea: National service and illegal exit, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1478091746_cpin-eritrea-ns-and-illegal-exit-october-2016.pdf, Zugriff 30.1.2017

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USDOS - US Department of State (13.4.2016): Country Report on Human Rights Practices 2015 - Eritrea,

http://www.ecoi.net/local_link/322451/461928_de.html, Zugriff 27.1.2017

Allgemeine Menschenrechtslage

Die Menschenrechtslage bleibt in Eritrea weiterhin beunruhigend (FCO 21.7.2016). Die Ausübung von Grundrechten, wie z.B. Rede- und Meinungsfreiheit, Versammlungs- und Religionsfreiheit, ist nicht oder nur extrem eingeschränkt möglich (AA 10.2016a). In der am 23.5.1997 von der Nationalversammlung angenommenen Verfassung, die bis heute nicht in Kraft getreten ist, sind in den Artikeln 14 bis 24 die Grundrechte niedergelegt. Sie werden von staatlichen Organen nicht respektiert. Nach nicht nachprüfbaren, aber glaubhaft erscheinenden Angaben von Menschenrechtsorganisationen und dem US-Außenministerium setzen die Sicherheitskräfte mit Zustimmung der Regierung exzessive Gewalt ein, die oftmals auch zum Tode führt. Dies betrifft häufig Wehrdienstflüchtlinge sowie Personen, die aus religiösen und politischen Gründen inhaftiert werden (AA 21.11.2016).

Eritrea unternahm einige Schritte um die Zusammenarbeit mit der internationalen

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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