TE Vwgh Erkenntnis 1999/12/17 97/02/0119

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Veröffentlicht am 17.12.1999
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
60/02 Arbeitnehmerschutz;

Norm

AAV §33 Abs6;
VStG §31 Abs2;
VStG §32 Abs2;
VStG §44a Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Riedinger und Dr. Beck als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Breunlich, über die Beschwerde der Bundesministerin für Arbeit, Gesundheit und Soziales gegen den Bescheid des unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich vom 28. Jänner 1997, Zl. VwSen-280280/8/Kon/Fb, betreffend Übertretung arbeitnehmerschutzrechtlicher Vorschriften (mitbeteiligte Partei:

KT in T, vertreten durch Dr. Norbert Nagele, Dr. Klaus Haslinger, Dr. Christoph Szep, Mag. Thomas Kurz und Mag. Wilhelm Bergthaler, Rechtsanwälte in Linz, Landstraße 12), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Urfahr-Umgebung (kurz: BH) vom 26. Juli 1996 wurde der Mitbeteiligte des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens für schuldig befunden, er habe es als handelsrechtlicher Geschäftsführer der K.-Gesellschaft m. b.H. mit Sitz an einem näher genannten Ort in Oberösterreich und somit als das zur Vertretung nach außen berufene Organ und sohin als strafrechtlich Verantwortlicher im Sinne des § 9 Abs. 1 VStG dieser Gesellschaft m.b.H., die wiederum persönlich haftende Gesellschafterin der K.-Gesellschaft m.b.H. & Co.KG. sei, zu verantworten, dass am 6. Juli 1994 im "oben angeführten Betrieb" sämtliche Verkleidungen der Kraftübertragungseinrichtungen an den Krempeln 1 - 3 so ausgeführt gewesen seien, dass diese Schutzhauben nur zur Maschine gestellt worden und mittels einer Kette mit der Maschine verschraubt gewesen seien. "Not-Aus-Schalter" seien mit diesen Verkleidungen nicht verbunden gewesen.

Dies stelle eine Übertretung nach der Allgemeinen Arbeitnehmerschutzverordnung (AAV) dar, wonach derartige Verkleidungen - aufgrund der Tatsache, dass diese mindestens zweimal täglich zu Reinigungszwecken abgenommen werden müssten - gemäß § 33 Abs. 6 leg. cit. so zu gestalten seien, dass sie sich nur öffnen ließen, wenn die Betriebseinrichtung ausgeschaltet sei bzw. ein Ingangsetzen nur möglich sei, wenn die Verkleidung sich in Schutzstellung befinde.

Der Mitbeteiligte habe dadurch eine Verwaltungsübertretung nach § 31 Abs. 2 lit. p in Verbindung mit § 24 Abs. 1 des Arbeitnehmerschutzgesetzes 1972, BGBl. Nr. 234/1972 in der Fassung der Novelle BGBl. Nr. 650/1989, in Verbindung mit § 33 Abs. 6 Allgemeine Arbeitnehmerschutzverordnung (AAV), BGBl. Nr. 218/1983 in der Fassung der Novelle BGBl. Nr. 220/1993, begangen, weshalb über ihn eine Geldstrafe (Ersatzfreiheitsstrafe) verhängt wurde.

Gegen diesen Bescheid erhob der Mitbeteiligte Berufung.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 28. Jänner 1997 gab die belangte Behörde der Berufung Folge, hob das Straferkenntnis vom 26. Juli 1996 auf und stellte das Verwaltungsstrafverfahren gegen den Mitbeteiligten gemäß § 45 Abs. 1 Z. 3 VStG ein. In der Begründung führte die belangte Behörde unter Bezugnahme auf die hg. Rechtsprechung aus, dass die Aufnahme einer Ausnahmeregelung in die Tatumschreibung dann geboten sei, wenn sich ein Beschuldigter durch ein entsprechend konkretes Sachverhaltsvorbringen mit der für ihn geltenden Ausnahmeregelung verantwortet habe oder dies nach der Aktenlage offenkundig sei. Ein solche Ausnahmeregelung, nämlich jene, die sich aus § 33 Abs. 6 vorletzter (richtig: letzter) Satz AAV im Verhältnis zu den sonstigen Bestimmungen dieser Gesetzesstelle ergebe, habe der Mitbeteiligte aber gegen den zunächst als vollständig zu wertenden Tatvorwurf laut Aufforderung zur Rechtfertigung vorgebracht.

Dieser Einwand sei mit dem Vorbringen, dass an den laufenden Maschinen spezifische Einstellarbeiten vorgenommen werden müssten, ausreichend konkretisiert und werde, was seine Glaubwürdigkeit betreffe, auch durch die zeugenschaftliche Aussage seines Arbeitnehmers J. D. vom 18. August 1995 erhärtet. Die Strafbehörde erster Instanz hätte die Möglichkeit gehabt, in einer ergänzenden Verfolgungshandlung das "Nichtvorliegen" dieser Ausnahmeregelung dem Mitbeteiligten innerhalb der Verfolgungsverjährungsfrist vorzuhalten. Da die Strafbehörde erster Instanz dies der Aktenlage nach aber unterlassen habe, ermangle es dem Tatvorwurf im Schuldspruch an einer ausreichenden Tatumschreibung dahingehend, als eben das "Nichtvorliegen" der erwähnten Ausnahmebestimmung darin nicht aufscheine.

Eine Sanierung des Spruches in Bezug auf die Tatumschreibung sei der belangten Behörde als Berufungsinstanz nicht mehr möglich, weil zum Zeitpunkt der Erlassung des Straferkenntnisses im Hinblick auf den Tatzeitpunkt die sechsmonatige Verfolgungsverjährungsfrist schon lange abgelaufen gewesen sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf § 13 Arbeitsinspektionsgesetz 1993 gestützte Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof. Dieser hat erwogen:

§ 33 AAV hat die Überschrift: "Schutzmaßnahmen an Gefahrenstellen durch Kraftübertragungseinrichtungen".

§ 33 Abs. 6 AAV lautet:

"(6) Verkleidungen und Verdeckungen nach den Abs. 1 und 2, die zur Durchführung von bestimmten Arbeiten, wie Nachstell-, Reinigungs- oder Instandhaltungsarbeiten, häufig geöffnet werden müssen, müssen beweglich ausgeführt sein. Solche Verkleidungen und Verdeckungen dürfen sich nur öffnen lassen, wenn die Betriebseinrichtungen, sonstigen mechanischen Einrichtungen und Betriebsmittel ausgeschaltet sind. Ein Ingangsetzen der Einrichtungen und Mittel darf nur möglich sein, wenn die beweglichen Verkleidungen und Verdeckungen geschlossen sind. Verriegelungen für solche Verkleidungen und Verdeckungen müssen so gestaltet und angeordnet sein, dass sie nicht leicht unwirksam gemacht werden können. Betriebseinrichtungen, sonstige mechanische Einrichtungen und Betriebsmittel dürfen mit Einrichtungen ausgestattet sein, mit denen bewegliche Verkleidungen und Verdeckungen entriegelt werden können, wenn dies zur Durchführung von bestimmten Arbeiten während des Betriebes unbedingt erforderlich ist; diese Einrichtungen müssen gegen unbefugtes Betätigen gesichert sein."

Die beschwerdeführende Bundesministerin wendet u.a. ein, der letzte Satz des § 33 Abs. 6 AAV nehme darauf Bedacht, dass es bestimmte Arbeiten gebe, die nur bei geöffneter Schutzverkleidung an der laufenden Maschine durchgeführt werden könnten und sollten und bei denen es notwendig und gewollt sei, dass die "NOT-AUS-Vorrichtung" ausnahmsweise nicht wirksam werde. Für diesen Fall werde - unbeschadet der voranstehenden Anforderungen - erlaubt, dass die Maschine zusätzlich mit (gegen unbefugtes Betätigen gesicherten) Einrichtungen ausgestattet sei, mit denen die Verkleidungen entriegelt werden könnten, sodass die "NOT-AUS-Vorrichtung" nicht wirksam werde. Diese Bestimmung normiere jedoch keine Ausnahme dahingehend, dass in diesem Fall die Anforderungen des ersten bis dritten Satzes nicht erfüllt werden müssten. Vielmehr müssten, auch wenn die Voraussetzungen des letzten Satzes vorlägen, d.h. auch wenn ein Entriegeln der Schutzverkleidungen zur Durchführung von bestimmten Arbeiten unbedingt erforderlich sein sollte, "grundsätzlich (für alle anderen Arbeiten) die Vorkehrungen nach § 33 Abs. 6 erster bis dritter Satz AAV jedenfalls getroffen sein"; es dürften aber zusätzliche Einrichtungen vorhanden sein, die - zur Durchführung dieser bestimmten Arbeiten - trotzdem ein Entriegeln ermöglichten.

§ 33 Abs. 6 letzter Satz AAV enthalte somit keine Ausnahmeregelung, "die geeignet wäre, gegen die dem Beschuldigten vorgeworfene Tat, nämlich den Anforderungen des ersten bis dritten Satzes nicht entsprochen zu haben, eingewendet zu werden." Entgegen der Auffassung der belangten Behörde hätte dem Mitbeteiligten auch keinesfalls das "Nichtvorliegen dieser Voraussetzung innerhalb der Frist des § 31 Abs. 2 VStG" vorgeworfen werden müssen, weil die Frage, ob diese Voraussetzungen vorlägen oder nicht, in keinem Zusammenhang mit der vorgeworfenen Verwaltungsübertretung stünden. Die belangte Behörde habe somit § 33 Abs. 6 letzter Satz AAV falsch, nämlich als Ausnahmeregelung dahingehend ausgelegt, dass in diesem Fall die sonstigen Anforderungen des § 33 Abs. 6 AAV nicht erfüllt werden müssten, und davon ausgehend die §§ 31 Abs. 2, 44a Z. 1 und § 45 Abs. 1 Z. 3 VStG unrichtig angewendet.

Der Beschwerde kommt Berechtigung zu, ohne dass die belangte Behörde und der Mitbeteiligte ihr in ihren Gegenschriften wirksam entgegentreten könnten.

Dem letzten Satz des § 33 Abs. 6 AAV ist nämlich nicht zu entnehmen, dass diese Bestimmung die für den Normalbetrieb erforderlichen Schutzmaßnahmen nach Satz 2 und 3 überflüssig (entbehrlich) machen würde. Der letzte Satz lässt vielmehr eine zusätzliche Ausstattung mit einer Einrichtung zu (arg.: "dürfen"), die die Durchführung von bestimmten Arbeiten während des Betriebes im unbedingt erforderlichen Ausmaß ermöglicht.

§ 33 Abs. 6 letzter Satz stellt somit - entgegen der von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid vertretenen Meinung - keine in die Tatumschreibung aufzunehmende "Ausnahmeregelung" dar, weil die beweglichen Verkleidungen und Verdeckungen jedenfalls auch den nach § 33 Abs. 6 Satz 2 und 3 AAV für den Normalbetrieb angeordneten Voraussetzungen zu entsprechen haben.

Die belangte Behörde hat daher in diesem für ihre Entscheidung maßgeblichen Punkt die Rechtslage verkannt, weshalb der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

Wien, am 17. Dezember 1999

Schlagworte

"Die als erwiesen angenommene Tat" Begriff Tatbild Beschreibung (siehe auch Umfang der Konkretisierung) Mängel im Spruch Fehlen von wesentlichen Tatbestandsmerkmalen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1999:1997020119.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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