TE Vwgh Erkenntnis 2018/8/8 Ra 2017/04/0112

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 08.08.2018
beobachten
merken

Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
40/01 Verwaltungsverfahren;
97 Öffentliches Auftragswesen;

Norm

AVG §59 Abs1;
AVG §60;
AVG §68 Abs1;
BVergG 2006 §129 Abs2;
BVergG 2006 §325;
VwGVG 2014 §17;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Rigler, Hofrat Dr. Mayr, Hofrätin Mag. Hainz-Sator sowie die Hofräte Dr. Pürgy und Mag. Brandl als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Tiefenböck, über die Revision der Bietergemeinschaft bestehend aus

1. B Gesellschaft mbH in B und 2. A GmbH in N, vertreten durch die Hochleitner Rechtsanwälte GmbH in 4320 Perg, Herrenstraße 3, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich vom 24. Juli 2017, Zl. LVwG-AV-745/006-2015, betreffend vergaberechtliches Feststellungsverfahren (mitbeteiligte Partei:

Marktgemeinde W, vertreten durch die Estermann Pock Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Heinrichsgasse 4/1),

Spruch

I. zu Recht erkannt:

Das angefochtene Erkenntnis wird im Umfang der Zurückweisung des Feststellungsantrags der Revisionswerberin zu lit. b wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Niederösterreich hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

II. den Beschluss gefasst:

Im Übrigen wird die Revision zurückgewiesen.

Begründung

1 1. Der vorliegenden Revision liegt folgender Verfahrensablauf zugrunde:

2 Mit Schreiben vom 8. Februar 2008 gab die Gemeinde W (Auftraggeberin, mitbeteiligte Partei) im Zuge eines von ihr durchgeführten Vergabeverfahrens betreffend Maßnahmen zum Donau-Hochwasserschutz der näher bezeichneten Bietergemeinschaft (Revisionswerberin) bekannt, dass ihr Angebot ausgeschieden werde. Die Ausscheidensentscheidung wurde darauf gestützt, dass zum einen eine verlangte Aufklärung nicht fristgerecht erfolgt sei und zum anderen entgegen den Ausschreibungsunterlagen ein Subunternehmer (konkret ein externer Statiker, der die Überprüfung der Objektstatik vornehmen sollte) nicht im Angebot genannt worden sei. Unter einem gab die Auftraggeberin der Revisionswerberin die Zuschlagsentscheidung zugunsten der I GmbH bekannt.

3 Mit Bescheid vom 29. April 2008 wies der Unabhängige Verwaltungssenat im Land Niederösterreich (UVS) den Antrag der Revisionswerberin auf Nichtigerklärung der Ausscheidensentscheidung ab, weil der erste der genannten Ausscheidensgründe vorliege. Die ebenfalls gestellten Anträge der Revisionswerberin auf Nichtigerklärung der Zuschlagsentscheidung sowie weiterer Festlegungen der Auftraggeberin wies der UVS mangels Antragslegitimation zurück.

Mit Erkenntnis vom 21. März 2011, 2008/04/0083, hat der Verwaltungsgerichtshof diesen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben, weil - so die auf das Wesentlichste zusammengefasste Begründung - die Fristversäumung allein das Ausscheiden des Angebotes nach § 129 Abs. 2 BVergG 2006 noch nicht rechtfertige.

4 Seitens der Revisionswerberin wurde daraufhin ein (auf die Feststellung der Rechtswidrigkeit der gegenständlichen Auftraggeberentscheidungen gerichteter) Fortsetzungsantrag gestellt.

Mit Bescheid vom 19. Dezember 2013 gab der UVS dem Feststellungsantrag, die Ausscheidensentscheidung der Auftraggeberin vom 8. Februar 2008 für rechtswidrig zu erklären, statt. Der UVS erachtete das Ausscheiden wegen fehlender fristgerechter Aufklärung fallbezogen als gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung verstoßend. Zur behauptetermaßen fehlenden Nennung eines Subunternehmers hielt der UVS fest, es bestehe keine Verpflichtung, einen heranzuziehenden Ziviltechniker als Subunternehmer anzuführen, wenn der Bieter die Leistung selbst zu erbringen beabsichtige und sich dies lediglich von einem Ziviltechniker hinsichtlich der Statik bestätigen lasse. Da die an einen Ziviltechniker gestellten Anforderungen im Ziviltechnikergesetz normiert seien und jeder, der die entsprechende Berechtigung besitze, diese Tätigkeiten ausführen könne, sei es für die Auftraggeberin unerheblich, welcher Ziviltechniker tatsächlich eingesetzt werde.

Die dagegen erhobene Revision der Auftraggeberin wurde vom Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 22. Juli 2014, Ro 2014/04/0055, wegen fehlender Darlegung einer grundsätzlichen Rechtsfrage zurückgewiesen.

5 In der Folge ergingen im Zusammenhang mit der Frage, inwieweit im zugrunde liegenden Feststellungsverfahren noch Anträge - konkret der Antrag lit. b betreffend die Zuschlagsentscheidung sowie die Anträge lit. c bis lit. e betreffend drei weitere Festlegungen der Auftraggeberin (beim Antrag lit. a handelte es sich um den mit Bescheid des UVS vom 19. Dezember 2013 erledigten Feststellungsantrag betreffend die Ausscheidensentscheidung) - unerledigt seien, zwei weitere Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes (siehe VwGH 14.10.2015, Ra 2015/04/0074; 12.9.2016, Ra 2016/04/0052).

6 2. Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis vom 24. Juli 2017 wies das zuständig gewordene Landesverwaltungsgericht Niederösterreich den Feststellungsantrag der Revisionswerberin vom 21. April 2011 im Umfang seiner lit. b bis lit. e zurück. Die ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG wurde nicht zugelassen.

7 Das Verwaltungsgericht stellte fest, dass im Auftragsfall (neben der Grundstatik) auch eine an das konkrete Projekt angepasste Objektstatik erarbeitet werden hätte müssen. Diese Objektstatik wäre von einem der beiden Mitglieder der Bietergemeinschaft erstellt und (wie der Auftraggeberin auf Anfrage mitgeteilt worden sei) vom Prüfstatiker DI G als Ziviltechniker überprüft worden. DI G sei kein Mitarbeiter eines an der Bietergemeinschaft beteiligten Unternehmers und er sei im Angebot nicht genannt worden. In den Ausschreibungsunterlagen sei festgelegt, dass ein Bieter einen allfälligen Subunternehmer bereits im Angebot zu benennen habe und dass ein Angebot ausgeschieden werden müsse, wenn dieser zwingenden Vorgabe nicht entsprochen werde.

8 Das Verwaltungsgericht ging auf Grund der (näher dargestellten) Ausschreibungsunterlagen und der Angaben der Bietergemeinschaft davon aus, dass DI G bereits im Angebot zwingend als Subunternehmer genannt werden hätte müssen. Da dies unbestritten nicht geschehen sei, liege ein unbehebbarer Mangel und damit ein zwingender Ausscheidensgrund vor. Dass es sich bei einem Prüfstatiker um einen Subunternehmer handle, ergebe sich auch aus näher zitierter Judikatur des Obersten Gerichtshofes (Verweis auf OGH 13.12.2005, 1 Ob 232/05g). Da die Bietergemeinschaft somit auszuscheiden gewesen wäre, fehle es ihr an der Antragslegitimation. Dem stehe die rechtskräftige Entscheidung des UVS vom 19. Dezember 2013 nicht entgegen, wobei dies wie folgt begründet wurde:

"Die bescheidmäßig festgestellte rechtswidrige Ausscheidung bedeutet nämlich nicht, dass nicht andere Gründe eine Ausscheidung rechtfertigen können. Somit wurde keine verbindliche Feststellung getroffen, dass überhaupt keine Ausscheidungsgründe vorliegen und daher nicht aus anderen Gründen ausgeschieden werden dürfe."

9 Hinsichtlich der Anträge zu lit. c bis lit. e führte das Verwaltungsgericht (unter anderem) noch aus, sonstige Verfahren auf Feststellung seien nur im Rahmen einer ausdrücklichen gesetzlichen Grundlage zulässig, eine derartige Grundlage sei im gegenständlichen Fall aber nicht gegeben.

10 3. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

11 Die mitbeteiligte Partei erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der sie die Zurückweisung der Revision, in eventu deren Abweisung, beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

12 4.1. Die Revisionswerberin bringt zur Zulässigkeit ihrer Revision vor, das Verwaltungsgericht habe mit seiner Entscheidung die Bindungs- und Rechtskraftwirkung des Bescheides des UVS vom 19. Dezember 2013 übersehen. Mit diesem Bescheid sei die Ausscheidensentscheidung der Auftraggeberin vom 8. Februar 2008 als rechtswidrig festgestellt worden. Es sei somit rechtskräftig darüber entschieden worden, dass die von der Auftraggeberin in der bekämpften Ausscheidensentscheidung behaupteten Ausscheidensgründe (verspätete Information, fehlende Subunternehmerangabe) nicht vorlägen. Insbesondere sei festgehalten worden, dass keine Verpflichtung bestanden habe, den heranzuziehenden Ziviltechniker als Subunternehmer anzuführen. Dieser Entscheidung widerspreche das nunmehr angefochtene Erkenntnis.

13 Dazu ist Folgendes festzuhalten:

14 4.2. Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

15 4.3. Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurden vier Feststellungsanträge der Revisionswerberin zurückgewiesen. Es handelt sich dabei um voneinander trennbare Spruchpunkte (siehe das bereits zitierte Erkenntnis VwGH Ra 2016/04/0052). Liegen trennbare Absprüche vor, so ist die Zulässigkeit einer dagegen erhobenen Revision getrennt zu prüfen (siehe VwGH 22.5.2018, Ra 2017/17/0812, mwN).

16 4.4. Das Verwaltungsgericht hat die Zurückweisung zwar hinsichtlich aller vier Feststellunganträge (lit. b bis lit. e) auf die fehlende Antragslegitimation der Revisionswerberin gestützt. Allerdings wurde die Zurückweisung der Anträge lit. c bis lit. e darüber hinaus noch auf weitere Gründe gestützt, unter anderem darauf, dass es an einer gesetzlichen Grundlage für die entsprechenden Feststellungen fehle.

17 Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits wiederholt ausgesprochen, dass die Revision unzulässig ist, wenn das angefochtene Erkenntnis auf einer tragfähigen Alternativbegründung beruht und dieser keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung zugrunde liegt (siehe VwGH 22.3.2018, Ro 2017/22/0017, mwN). Im vorliegenden Fall richtet sich das dargestellte Zulässigkeitsvorbringen der Revisionswerberin nur gegen die Ausführungen im Zusammenhang mit ihrer (fehlenden) Antragslegitimation, nicht aber gegen die im Zusammenhang mit der Zurückweisung der Anträge lit. c bis lit. e alternativ ins Treffen geführte Begründung des Verwaltungsgerichtes.

18 Ausgehend davon war die Revision, soweit sie sich gegen die Zurückweisung der Feststellungsanträge zu den lit. c bis lit. e richtet, wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

19 4.5. Im Übrigen ist die Revision im Hinblick auf das unter Rn. 12 dargestellte Vorbringen zulässig.

20 5.1. Diesbezüglich ist zunächst vorauszuschicken, dass es auf die Richtigkeit der im angefochtenen Erkenntnis (und in der Revisionsbeantwortung) vertretenen Auffassung zum Erfordernis der Namhaftmachung des DI G als Subunternehmer im Angebot der Revisionswerberin nur dann ankommen kann, wenn das Verwaltungsgericht diese Frage überhaupt eigenständig beurteilen konnte (vgl. zur Unerheblichkeit dessen, ob eine rechtskräftige Vorfragenentscheidung rechtmäßig ist oder nicht, die Nachweise bei Hengstschläger/Leeb, AVG § 38 Rz. 25). Es ist daher zu klären, welche Rechtsfolgen sich aus dem Bescheid des UVS vom 19. Dezember 2013 für das hier gegenständliche Verfahren ergeben.

21 5.2. Das Verwaltungsgericht sieht in der angefochtenen Entscheidung deshalb keinen Widerspruch zum Bescheid des UVS vom 19. Dezember 2013, weil mit der darin festgestellten Rechtswidrigkeit der Ausscheidensentscheidung vom 8. Februar 2008 keine verbindliche Feststellung dahingehend getroffen worden sei, dass überhaupt keine Ausscheidensgründe vorlägen und das Angebot daher nicht aus anderen Gründen ausgeschieden werden dürfe.

22 5.3. Der Verwaltungsgerichtshof hat diesbezüglich festgehalten, dass Gegenstand eines Verfahrens über die Nichtigerklärung einer konkreten Ausscheidensentscheidung einer Auftraggeberin betreffend ein bestimmtes Angebot nicht die abschließende und umfassende Beurteilung der Ausschreibungskonformität dieses Angebotes ist. Ein Erkenntnis, mit dem eine Ausscheidensentscheidung für nichtig erklärt worden ist, stellt keine rechtskräftige Entscheidung dahingehend dar, dass das betreffende Angebot aus keinem Grund auszuscheiden bzw. in jeder Hinsicht ausschreibungskonform war (siehe zu allem VwGH 20.12.2017, Ra 2017/04/0003).

23 5.4. Ausgehend davon basiert die (unter Rn. 21 wiedergegebene) Aussage des Verwaltungsgerichtes zu den Wirkungen des Bescheides des UVS vom 19. Dezember 2013 zwar auf einer dem Grunde nach zutreffenden Prämisse. Unklar ist allerdings, aus welchen Gründen das Verwaltungsgericht fallbezogen auf das Vorliegen anderer Ausscheidensgründe Bezug nimmt. Nach Auffassung des Verwaltungsgerichtes wäre das Angebot der Revisionswerberin deswegen auszuscheiden gewesen, weil eine bestimmte Person (DI G) im Angebot als Subunternehmer genannt werden hätte müssen. Die Ausscheidensentscheidung der Auftraggeberin vom 8. Februar 2008, die mit Bescheid des UVS vom 19. Dezember 2013 als rechtswidrig festgestellt worden ist, gründete sich (wie sich sowohl den Sachverhaltsfeststellungen im angefochtenen Erkenntnis als auch den Unterlagen des vorliegenden Verfahrensaktes entnehmen lässt) unter anderem ebenfalls darauf, dass der (für die Überprüfung der Objektstatik verantwortliche) DI G im Angebot nicht als Subunternehmer genannt worden sei. Somit liegt beiden Verfahren die Beurteilung ein und desselben Ausscheidensgrundes zugrunde.

24 Aus diesem Grund lässt sich aus dem zitierten Erkenntnis Ra 2017/04/0003 für den gegenständlichen Fall nichts gewinnen.

25 Die Auftraggeberin bringt in ihrer Revisionsbeantwortung diesbezüglich zwar vor, das Verwaltungsgericht habe zusätzliche Feststellungen getroffen und seiner Beurteilung daher einen "ergänzten Sachverhalt" zugrunde gelegt. Dem ist allerdings entgegenzuhalten, dass die hier gegenständliche Bedeutung der fehlenden Namhaftmachung des DI G als Subunternehmer in beiden Verfahren auf Grund ein und derselben Ausschreibungsunterlagen und anhand ein und desselben Angebotes zu beurteilen war. Diesbezüglich kann daher keine Änderung der Sachlage eingetreten sein. Der Verwaltungsgerichtshof hat wiederholt ausgesprochen, dass Identität der Sache auch dann vorliegt, wenn die Behörde im bereits rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren die Rechtsfrage etwa aufgrund eines mangelhaften Ermittlungsverfahrens entschieden hat (siehe VwGH 31.7.2006, 2006/05/0158; sowie die Nachweise bei Hengstschläger/Leeb, AVG § 68 Rz. 24 f (Stand April 2018)). Ob die Feststellungen im ersten Verfahren allenfalls mangelhaft erfolgt sind, ist daher für die Identität der Sache nicht relevant.

26 6.1. Der Verwaltungsgerichtshof hat auch zum VwGVG bereits ausgesprochen, dass auf dem Boden der tragenden Grundsätze des Verfahrensrechts und der Rechtssicherheit über in Rechtskraft erwachsene Entscheidungen (grundsätzlich) nicht mehr in merito entschieden werden darf. Die Beachtung rechtskräftiger Entscheidungen zählt zu den Grundsätzen eines geordneten rechtsstaatlichen Verfahrens. Über ein und dieselbe Rechtssache ist nur einmal rechtskräftig zu entscheiden (ne bis in idem). Mit der Rechtskraft ist die Wirkung verbunden, dass die mit der Entscheidung unanfechtbar und unwiderruflich erledigte Sache nicht neuerlich entschieden werden kann (Wiederholungsverbot). Einer nochmaligen Entscheidung steht das Prozesshindernis der entschiedenen Sache (res iudicata) entgegen. Zudem folgt aus dem Gedanken der materiellen Rechtskraft grundsätzlich eine Bindungswirkung an eine behördliche Entscheidung. Bei der Prüfung des Vorliegens der entschiedenen Sache ist auch vom Verwaltungsgericht von der rechtskräftigen Vorentscheidung (dort: einer Verwaltungsbehörde) auszugehen, ohne die sachliche Richtigkeit derselben nochmals zu überprüfen. Identität der Sache liegt dann vor, wenn sich gegenüber der früheren Entscheidung weder die Rechtslage noch der wesentliche Sachverhalt geändert hat und sich das neue Parteibegehren im Wesentlichen mit dem früheren deckt (siehe zu allem VwGH 24.5.2016, Ra 2016/03/0050, mit zahlreichen weiteren Nachweisen).

27 Der Verwaltungsgerichtshof hat zudem - auch im Zusammenhang mit vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren - festgehalten, dass Gegenstand der Rechtskraft nur der Bescheidspruch selbst ist. Nur er erlangt rechtliche Geltung (Verbindlichkeit) und legt dadurch die Grenzen der Rechtskraft fest (siehe VwGH 17.6.2014, 2013/04/0029). Die Begründung eines Bescheides spielt lediglich insoweit eine Rolle, als sie zur Auslegung des Spruches heranzuziehen ist (siehe VwGH 27.10.2014, 2012/04/0143). In seinem (noch zum BVergG 2002 ergangenen) Erkenntnis vom 27. Juni 2007, 2005/04/0111, hat der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, eine Bindung der belangten Behörde (dort des Bundesvergabeamtes) sei nur innerhalb der Grenzen der Rechtskraft gegeben; es lägen dann verschiedene "Sachen" vor, wenn unterschiedliche Auftraggeberentscheidungen (dort: zwei auf unterschiedliche Unternehmer lautende Zuschlagsentscheidungen) angefochten worden und damit Verfahrensgegenstand seien.

28 6.2. Davon ausgehend ist für das hier gegenständliche Verfahren Folgendes auszuführen:

29 Vorauszuschicken ist zunächst, dass es vorliegend um die Frage der Bindung des Verwaltungsgerichtes an den Bescheid des UVS vom 19. Dezember 2013, nicht hingegen darum geht, inwieweit ein Auftraggeber an die die Nichtigerklärung einer Auftraggeberentscheidung tragenden Gründe gebunden ist (vgl. diesbezüglich VwGH 2005/04/0111).

30 Die Auftraggeberin weist in ihrer Revisionsbeantwortung zwar dem Grunde nach zutreffend darauf hin, dass mit dem Bescheid des UVS vom 19. Dezember 2013 über einen Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Ausscheidensentscheidung vom 8. Februar 2008 entschieden worden sei, während der hier angefochtenen Entscheidung ein Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit (insbesondere) einer Zuschlagsentscheidung zugrunde gelegen sei. Allerdings war im Zuge der Prüfung der Zuschlagsentscheidung als Vorfrage zu klären, ob das Angebot der Revisionswerberin auszuscheiden gewesen wäre (vgl. zur Bindungswirkung bei der vorfrageweise vorzunehmenden Beurteilung einer Frage VwGH 7.4.2016, 2013/08/0261; sowie die Nachweise bei Hengstschläger/Leeb, AVG § 38 Rz. 21, 27). Ausgehend davon ist es nicht hinreichend, wenn die Auftraggeberin in ihrer Revisionsbeantwortung auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 28. Juni 2017, Ra 2015/07/0085 bis 0087, und das darin angesprochene Übereinstimmen des Parteibegehrens verweist, weil die hier zu klärende Frage einer allfälligen Bindung des Verwaltungsgerichtes bei einer Vorfragenbeurteilung in diesem Erkenntnis nicht gegenständlich war.

31 Auch wenn der Bescheid des UVS vom 19. Dezember 2013 keine abschließende Entscheidung dahingehend enthält, dass das Angebot der Revisionswerberin aus keinem Grund auszuscheiden und somit ihre Antragslegitimation im Verfahren betreffend die Zuschlagsentscheidung jedenfalls zu bejahen war (vgl. diesbezüglich erneut VwGH Ra 2017/04/0003), ist zu klären, ob die (in der hier angefochtenen Entscheidung) im Vorfragenweg zu beurteilende Antragslegitimation der Revisionswerberin mit der Sache des durch Bescheid des UVS vom 19. Dezember 2013 erledigten Verfahrens betreffend die Ausscheidensentscheidung vom 8. Februar 2008 Überschneidungen aufweist.

32 6.3. Mit (dem bereits wiederholt angesprochenen) Bescheid des UVS vom 19. Dezember 2013 wurde dem Feststellungsantrag der Revisionswerberin, die Ausscheidensentscheidung der Auftraggeberin vom 8. Februar 2008, mit welcher die Revisionswerberin aus dem Vergabeverfahren ausgeschieden worden ist, für rechtswidrig zu erklären, stattgegeben. Die durch den Spruch erledigte Sache und damit die Reichweite der Bindungswirkung werden in einem Fall wie diesem (in dem die Feststellung der Rechtswidrigkeit einer bestimmten Auftraggeberentscheidung begehrt wurde) durch den Antrag und die zugrunde liegende Ausscheidensentscheidung bestimmt. Wie sich der Darstellung im angefochtenen Erkenntnis und der im Akt befindlichen Ausscheidensentscheidung entnehmen lässt, wurde der Revisionswerberin von der Auftraggeberin mitgeteilt, dass ihr Angebot nicht berücksichtigt werden könne, weil (zwei) zwingende Ausscheidensgründe vorlägen. Als zweiter Ausscheidensgrund (der erste Ausscheidensgrund ist für das hier gegenständliche Verfahren nicht von Relevanz) wurde angeführt, dass die fehlende Nennung des DI G als Subunternehmer im Angebot auf Grund einer näher zitierten Festlegung in den Ausschreibungsunterlagen ein zwingender Ausscheidensgrund sei.

33 Somit wurde mit Bescheid des UVS vom 19. Dezember 2013, mit dem die eben dargestellte Ausscheidensentscheidung für rechtswidrig erklärt wurde, auch verbindlich ausgesprochen, dass der herangezogene Ausscheidensgrund nicht vorlag. Zwar sind die Gründe, aus denen der UVS damals das Vorliegen dieses Ausscheidensgrundes verneint hat, als der Begründung zuzuordnend nicht in Rechtskraft erwachsen. Die Frage, ob dieser Ausscheidensgrund beim Angebot der Revisionswerberin gemessen an der Ausschreibung der Auftraggeberin vorlag oder nicht, wurde durch den genannten Bescheid des UVS vom 19. Dezember 2013 allerdings bindend beantwortet und konnte daher nicht einer erneuten, abweichenden Erledigung zugeführt werden.

34 7. Ausgehend davon ist dem Verwaltungsgericht fallbezogen nicht beizupflichten, wenn es davon ausgegangen ist, dass der rechtskräftige Bescheid des UVS vom 19. Dezember 2013 der Verneinung der Antragslegitimation der Revisionswerberin aus dem dargestellten Grund nicht entgegenstand.

35 Das angefochtene Erkenntnis war daher in dem Umfang, in dem die Zurückweisung allein auf die fehlende Antragslegitimation der Revisionswerberin gestützt wurde - somit im Umfang der Zurückweisung des Feststellungsantrags der Revisionswerberin zu lit. b - gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

36 Von der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden, weil das Verwaltungsgericht - ein Tribunal im Sinn des Art. 6 MRK und ein Gericht im Sinn des Art. 47 GRC - eine mündliche Verhandlung durchgeführt hat.

37 Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG, insbesondere § 50 VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 8. August 2018

Schlagworte

Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtswirkungen von Bescheiden Rechtskraft VwRallg9/3

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2018:RA2017040112.L00

Im RIS seit

04.09.2018

Zuletzt aktualisiert am

16.10.2018
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten