TE Bvwg Beschluss 2018/6/25 L521 2196378-2

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Veröffentlicht am 25.06.2018
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Entscheidungsdatum

25.06.2018

Norm

AsylG 2005 §3
BFA-VG §18 Abs1 Z2
BFA-VG §18 Abs5
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §28 Abs3

Spruch

L521 2196378-2/7E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch den Richter MMag.

Mathias Kopf, LL.M. im Verfahren über die Beschwerde von XXXX StA.:

Irak, vertreten durch Diakonie Flüchtlingsdienst gemeinnützige GmbH und Volkshilfe Flüchtlings- und MigrantInnenbetreuung GmbH als Mitglieder der ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, 1170 Wien, Wattgasse 48, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11.05.2018, Zl. 1088262710-151812162:

A)

I. Der Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, wird als unzulässig zurückgewiesen.

II. Der Beschwerde wird Folge gegeben, der angefochtene Bescheid aufgehoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer stellte im Gefolge seiner schlepperunterstützten unrechtmäßigen Einreise in das Bundesgebiet am 19.11.2015 vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes einen Antrag auf internationalen Schutz.

Im Rahmen der niederschriftlichen Erstbefragung am 20.11.2015 vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes des Stadtpolizeikommandos Schwechat gab der Beschwerdeführer an, den Namen XXXX zu führen und Staatsangehöriger des Irak zu sein. Er sei am XXXX in XXXX geboren und habe dort zuletzt im Bezirk

XXXX gelebt, sei Angehöriger der arabischen Volksgruppe, Moslem und ledig.

Im Hinblick auf seinen Reiseweg brachte der Beschwerdeführer zusammengefasst vor, den Irak am 20.07.2014 legal im Luftweg von Bagdad ausgehend über Ägypten in die Türkei verlassen zu haben. In weiterer Folge sei schlepperunterstützt auf dem Seeweg nach Griechenland gelangt und von dort mit einem Lastkraftwagen in das Bundesgebiet verbracht worden. Nachdem er von der Polizei angehalten worden sei, habe er einen Asylantrag gestellt und sei am 16.08.2015 erkennungsdienstlich behandelt worden. Zu einer Erstbefragung sei es nicht gekommen und er habe in der Folge mit der Eisenbahn Österreich und Deutschland durchquert und schließlich in Schweden einen weiteren Asylantrag gestellt. Zuletzt sei er aufgrund der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 vom 26.06.2013 nach Österreich rücküberstellt worden.

Zu den Gründen seiner Ausreise aus dem Heimatland befragt, führte der Beschwerdeführer aus, die Milizen des Islamischen Staates hätten ihn, seinen Vater und seinen Onkel der Zusammenarbeit mit Regierungsstellen bezichtigt und deshalb bedroht. Er habe daraufhin eine Anzeige erstattet. Später habe der Islamische Staat seine Heimatstadt erobert, sodass er in Ermangelung einer sicheren Aufenthaltsalternative ausgereist sei.

2. Nach Zulassung des Verfahrens wurde dem Beschwerdeführer die Übersiedelung nach Oberösterreich Bewilligung und der Verfahrensakt der Regionaldirektion Oberösterreich des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl zur weiteren Bearbeitung übermittelt.

3. In der Folge wurde der Beschwerdeführer wiederholt straffällig. Mit Urteil des Landesgerichtes Linz vom 03.05.2017 zu XXXX wurde Beschwerdeführer des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften gemäß § 27 Abs. 1 Z. 1 und Abs. 2 und Abs. 4 Z. 1 SMG, ferner des Vergehens des unbefugten Besitzes verbotener Waffen gemäß § 50 Abs. 1 Z. 2 WaffG, des Vergehens der versuchten Bestimmung zur falschen Beweisaussage gemäß § 288 Abs. 1 StGB sowie des Vergehens der versuchten Nötigung gemäß § 105 Abs. 1 StGB schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt. Die verhängte Strafe wurde unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen.

4. Mit Verfahrensanordnung vom 01.08.2017 wurde dem Beschwerdeführer der Verlust seines Aufenthaltsrechtes im Bundesgebiet gemäß § 13 Abs. 2 AsylG 2005 wegen Straffälligkeit mitgeteilt.

5. Anlässlich einer Durchsuchung des Beschwerdeführers am 21.09.2017 wurde der irakische Reisepass des Beschwerdeführers von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes sichergestellt.

6. Mit Urteil des Landesgerichtes Linz vom 13.10.2017 zu XXXX wurde Beschwerdeführer des Vergehens der gefährlichen Drohung gemäß § 107 StGB sowie des Verbrechens der versuchten Erpressung gemäß § 144 StGB schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe von 15 Monaten, davon fünf Monate unbedingt, verurteilt.

7. Am 04.04.2018 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Oberösterreich, im Beisein eines geeigneten Dolmetschers in arabischer Sprache niederschriftlich vor dem zur Entscheidung berufenen Organwalter einvernommen.

Eingangs bestätigte der Beschwerdeführer, die arabische Sprache zu verstehen. Er bekenne sich zum Islam der sunnitischen Glaubensrichtung und könne sich mit seinem irakischen Reisepass ausweisen. Den Irak habe er am 27.07.2015 verlassen. Seine gesamte Kernfamilie lebe in Schweden, deshalb sei Schweden auch sein Zielland gewesen. In Samarra verfüge er noch über einen Onkel und vier Tanten väterlicherseits sowie fünf Onkel und zwei Tanten mütterlicherseits. Zur Lage im Herkunftsstaat gab der Beschwerdeführer an, dass sich Samarra nunmehr unter der Kontrolle schiitischer Milzen befinden, die dort den Islamischen Staat bekämpft hätten.

Befragt nach dem Grund für das Verlassen des Heimatstaates gab der Beschwerdeführer an, er habe der politischen Partei XXXX angehört, einer Nachfolgeorganisation der Baath-Partei. Vor der Ausreise habe er im elterlichen Unternehmen gearbeitet und dabei bei einer Transportfahrt von einem Offizier gezwungen worden, einen Wachturm der Polizei aufzuladen. Dabei sei er von den Milizen des Islamischen Staates fotografiert worden. In der Folge habe der Islamische Staat einen Haftbefehl gegen ihn erlassen und diesen in der gesamten Stadt verteilt. Von da an habe er sich versteckt halten müssen. Mit der Zeit hätten iranische Milizen in Samarra den Islamischen Staat bekämpft und dabei auch Männer entführt, die der Partei XXXX angehört hätten. Nachdem er gesehen habe, dass sein Freunde von Milizen verhaftet worden wären, habe er sich einen Reisepass ausstellen lassen und sei ausgereist.

Auf Nachfrage legte der Beschwerdeführer dar, dass Milizen gezielt Teilnehmer von Demonstrationen verhaftet hätten, die sich vor dem Einmarsch des Islamischen Staates ereignet hätten. Einige seiner festgenommenen Freunde wären in der Folge verschwunden, von anderen habe man die Leichen gefunden. Er selbst erachte sich als gefährdet, da er für die Teilnahme an den Demonstrationen von seiner Partei sogar ausgezeichnet worden sei. Der Rest seiner Familie sei auch ausgereist, die verbliebenen Onkel wären von schiitischen Milizen geschlagen worden.

8. Mit Urteil des Landesgerichtes Linz vom 26.04.2018 zu XXXX wurde der Beschwerdeführer des Verbrechens des Suchtgifthandels gemäß § 28a Abs. 1 5. Fall, Abs. 2 Z. 2 und Abs. 4 Z. 3 SMG, des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften gemäß § 27 Abs. 1 Z. 1 und Abs. 2 SMG sowie des Vergehens der versuchten schweren Körperverletzung gemäß § 84 Abs. 4 StGB schuldig erkannt und unter Bedachtnahme auf das Urteil des Landesgerichtes Linz vom 13.10.2017 zu einer Zusatzfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt.

9. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11.05.2018 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) sowie bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG 2005 erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG 2005 festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers in den Irak gemäß § 46 FPG 2005 zulässig sei (Spruchpunkt V.). Die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung wurde gemäß § 18 Abs. 1 Z. 2 BFA-VG aberkannt (Spruchpunkt VI.). Gemäß § 55 Abs. 1a 2005 wurde ausgesprochen, dass keine Frist für eine freiwillige Ausreise bestehe (Spruchpunkt VII.). Ferner erkannt, dass der Beschwerdeführer sein Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet ab dem 31.05.2017 gemäß § 13 Abs. 2 Z. 1 AsylG 2005 verloren habe (Spruchpunkt VIII.) und wider den Beschwerdeführer ein Einreiseverbot für die Dauer von sieben Jahren erlassen (Spruchpunkt IX.).

10. Mit Verfahrensanordnung vom 15.05.2018 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG amtswegig ein Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren beigegeben.

11. Gegen den dem Beschwerdeführer am 15.05.2018 durch Übergabe in der Justizanstalt Linz eigenhändig zugestellten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl richtet sich die selbstverfasste Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht vom 22.05.2018. In der Beschwerde bringt der Beschwerdeführer vor, er habe im Irak Probleme mit anderen Personen und es würden viele Menschen ermordet. Da er gegen die irakische Politik aufgetreten sei werde er gesucht und im Rückkehrfall getötet werden.

12. Die Beschwerdevorlage langte am 12.06.2018 beim Bundesverwaltungsgericht ein. Die Rechtssache wurde in weiterer Folge der nun zur Entscheidung berufenen Abteilung des Bundesverwaltungsgerichts zugewiesen.

13. Mit Schriftsatz vom 12.06.2018, beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt am 18.06.2018, gaben Diakonie Flüchtlingsdienst gemeinnützige GmbH und Volkshilfe Flüchtlings- und MigrantInnenbetreuung GmbH als Mitglieder der ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe die Übernahme der rechtsfreundlichen Vertretung des Beschwerdeführers bekannt und erhoben ebenfalls Beschwerde gegen den Bescheid des Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11.05.2018.

In der Beschwerde wird - soweit hier von Relevanz - ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren, inhaltliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheids sowie Verletzung von Verfahrensvorschriften moniert und beantragt, den angefochtenen Bescheid abzuändern und dem Antrag auf internationalen Schutz Folge zu geben und dem Beschwerdeführer den Status eines Asylberechtigten oder hilfsweise eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen. Ferner wird eventualiter beantragt, die erlassene Rückkehrentscheidung auf Dauer für unzulässig zu erklären und ein Aufhebungsantrag gestellt sowie die Behebung des Verlusts des Aufenthaltsrechtes sowie des Einreiseverbotes, eventualiter dessen Herabsetzung begehrt und beantragt, eine mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht anzuberaumen. Schließlich wird die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde gemäß § 18 BFA-VG ausdrücklich beantragt.

der Sache bringt der Beschwerdeführer im Wesentlichen vor, das belangte Bundesamt habe die angefochtene Entscheidung auf unzureichende Feststellungen zur Lage im Irak und im Besondere zur Lage in Samarra und in den vom Islamischen Staat zurückeroberten und nunmehr von schiitischen Milizen kontrollierten Gebieten gestützt. Aus einschlägigen länderkundlichen Berichten und selbst aus den Feststellungen des angefochtenen Bescheids ergebe sich, dass schiitische Milizen massive Menschenrechtsverletzungen zu verantworten hätten. Ferner tritt die Beschwerde der Beweiswürdigung des angefochtenen Bescheides im Einzelnen substantiiert entgegen und bringt schließlich vor, in Österreich seit etwa eineinhalb Jahren eine Beziehung zu einer österreichischen Staatsangehörigen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Verfahrensbestimmungen

Gemäß § 27 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I 33/2013 idF BGBl. I Nr. 138/2017, hat das Verwaltungsgericht, soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4 VwGVG) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3 VwGVG) zu überprüfen.

Gemäß § 28 Absatz 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

Gemäß § 28 Absatz 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Gemäß § 28 Abs. 3 zweiter und dritter Satz VwGVG kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen hat. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zur Frage, unter welchen Voraussetzungen das Verwaltungsgericht den Bescheid einer Verwaltungsbehörde gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG aufheben und die Sache zurückverweisen kann, sind nachstehende Grundsätze maßgeblich:

Die Aufhebung des Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit an die Verwaltungsbehörde kommt erst dann in Betracht, wenn die in § 28 Abs. 2 VwGVG normierten Voraussetzungen, die eine Pflicht des Verwaltungsgerichtes zur meritorischen Entscheidung nach sich ziehen, nicht vorliegen. Vielmehr verlangt § 28 VwGVG, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird.

Wenn etwa die Behörde den entscheidungswesentlichen Sachverhalt sehr unzureichend festgestellt hat, indem sie keine für die Entscheidung in der Sache brauchbaren Ermittlungsergebnisse geliefert hat, ist eine Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3 VwGVG zulässig (VwGH 28.03.2017, Ro 2016/09/0009 mwN)

Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterlassen hat, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, 06.07.2017, Ra 2015/01/0123 mwN).

Ergänzend zu obigen Ausführungen ist aber auch die jüngste Judikatur des Europäischen Gerichtshof zu erwähnen und § 28 Abs. 3 VwGVG auch unter diesem Licht zu betrachten. Der Gerichtshof hatte in seinem Urteil vom 14.06.2017, C-685, die Frage zu klären, ob nationale Bestimmungen, welche dem Verwaltungsgericht die amtswegige Ermittlung des maßgeblichen Sachverhalts (anstelle der Behörde) - bei entsprechender Untätigkeit der Behörde - der in der europarechtlichen Judikatur geforderten Objektivität bzw. Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit des Gerichts entgegenstehen. Nach Ansicht der Gerichtshofes können die Gerichte nach den nationalen Verfahrensregeln zwar verpflichtet sein, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um die Vorlage solcher Beweise zu fördern, doch können sie nicht verpflichtet sein, anstelle der genannten Behörden die Rechtfertigungsgründe vorzubringen, die nach dem Urteil vom 30.04.2014, C-390/12, Robert Pfleger u.a., diese Behörden vorzubringen haben. Werden diese Rechtfertigungsgründe wegen der Abwesenheit oder der Passivität dieser Behörden nicht vorgebracht, müssen die nationalen Gerichte alle Konsequenzen ziehen dürfen, die sich aus einem solchen Mangel ergeben.

Der EuGH führte weiter aus, dass die Art. 49 und 56 AEUV, wie sie insbesondere im Urteil vom 30.04.2014, C-390/12, ausgelegt wurden, im Licht des Art. 47 der Charta dahin zu interpretieren sind, dass sie einer nationalen Verfahrensregelung, nach der in Verwaltungsverfahren das Gericht, bei der Prüfung des maßgeblichen Sachverhalts die Umstände der bei ihm anhängigen Rechtssache von Amts wegen zu ermitteln hat, nicht entgegenstehen, sofern diese Regelung nicht zur Folge hat, dass das Gericht an die Stelle der zuständigen Behörden des betreffenden Mitgliedstaats zu treten hat, denen es obliegt, die Beweise vorzulegen, die erforderlich sind, damit das Gericht eine entsprechende Prüfung durchführen kann. Hinsichtlich des Rechts nach Art. 47 Abs. 2 der Charta auf ein unabhängiges und unparteiisches Gericht umfasst der Begriff der "Unabhängigkeit", die der Aufgabe des Richters innewohnt, nämlich zwei Aspekte. Der erste, externe, Aspekt setzt voraus, dass die Stelle vor Interventionen oder Druck von außen geschützt ist, die die Unabhängigkeit des Urteilens ihrer Mitglieder im Hinblick auf die ihnen unterbreiteten Rechtsstreite gefährden könnten (Urteil vom 09.10.2014, C-222/13, Rn. 30 und die dort angeführte Rechtsprechung). Der zweite, interne, Aspekt steht mit dem Begriff der "Unparteilichkeit" in Zusammenhang und bezieht sich darauf, dass hinsichtlich der Parteien des Rechtsstreits und ihren jeweiligen Interessen an dessen Gegenstand ein gleicher Abstand gewahrt wird. Dieser Aspekt verlangt, dass Sachlichkeit obwaltet und neben der strikten Anwendung der Rechtsnormen keinerlei Interesse am Ausgang des Rechtsstreits besteht.

Was das Zusammenspiel zwischen der den nationalen Gerichten nach dem nationalen Recht obliegenden Pflicht, in den bei ihnen anhängigen Rechtssachen den Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln, und dem Urteil vom 30.04.2014, C-390/12, anbelangt, ist in den Rn. 50 bis 52 des vorliegenden Urteils darauf hingewiesen worden, dass die nationalen Gerichte nach dem Unionsrecht eine Gesamtwürdigung der Umstände, unter denen eine restriktive Regelung erlassen worden ist und durchgeführt wird, auf der Grundlage der Beweise vornehmen müssen, die die zuständigen Behörden des Mitgliedstaats vorgelegt haben.

Diese Gerichte können nach den nationalen Verfahrensregeln zwar verpflichtet sein, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um die Vorlage solcher Beweise zu fördern, doch können sie - wie die Generalanwältin in den Nrn. 51 bis 56 und 68 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat - nicht verpflichtet sein, anstelle der genannten Behörden die Rechtfertigungsgründe vorzubringen, die nach dem Urteil vom 30.04.2014, C-390/12, diese Behörden vorzubringen haben. Werden diese Rechtfertigungsgründe wegen der Abwesenheit oder der Passivität dieser Behörden nicht vorgebracht, müssen die nationalen Gerichte alle Konsequenzen ziehen dürfen, die sich aus einem solchen Mangel ergeben.

Die obigen Ausführungen des Europäischen Gerichtshofs beziehen sich zwar auf ein Verwaltungsstrafverfahren, sie sind aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes in ihren sich daraus ergebenden Grundsätzen zu der Rolle des Verwaltungsgerichtes im Verhältnis zu jener der ermittelnden Behörde jedoch auch im gegenständlichen Fall anwendbar.

Im Lichte einer GRC-konformen Interpretation der verfassungsrechtlichen Bestimmungen, wonach das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z. 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden hat, finden diese demnach jedenfalls dort ihre Grenze, wenn das Gericht an die Stelle der zuständigen belangten Behörde zu treten hätte, der es eigentlich obliegt, dem Gericht die Beweise - nämlich die Ergebnisse zur Ermittlung des maßgeblichen Sachverhalts getätigten Erhebungen - vorzulegen. Wird diese Grenze überschritten ist das Gericht ermächtigt - wenn nicht sogar im Sinn obiger, vom EuGH aufgezeigter Grundsätze verpflichtet - eine kassatorische Entscheidung gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG zu treffen.

2. Feststellungen:

2.1. Der Beschwerdeführer führt den im Spruch angegebenen Namen, ist Staatsangehöriger des Irak, Angehöriger der arabischen Volksgruppe und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam. Er wurde am XXXX im Irak und dort eigenen Angaben zufolge in der Stadt Samarra geboren, ist ledig und hat keine Kinder.

Der Beschwerdeführer verließ den Irak am 23.07.2015 legal im Luftweg von Bagdad ausgehend und stellte nach seiner Rücküberstellung von Schweden aufgrund der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 vom 26.06.2013 nach Österreich am 19.11.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2.2. Der Verfahrensgang vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl gestaltete sich wie unter Punkt I. dieser Erledigung dargestellt.

2.3. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat im Verfahren erster Instanz notwendige Ermittlungen zur Lage in der Herkunftsregion des Beschwerdeführers, insbesondere im Hinblick auf die dort nach dem Vorbringen des Beschwerdeführers von schiitischen Milizen aktuell ausgehende Verfolgung der sunnitischen Bevölkerung im Allgemeinen und der Mitglieder der politischen Partei "XXXX" im Besonderen, unterlassen und unzureichende Feststellungen hiezu getroffen, dies in der Intention, dass diese schwierigen Ermittlungen durch das Bundesverwaltungsgericht vorgenommen werden. Ferner hat das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die notwendige Einvernahme einer Zeugin unterlassen.

3. Beweiswürdigung:

3.1. Beweis wurde erhoben wurde durch Einsichtnahme in den von der belangten Behörde vorgelegten Verfahrensakt unter zentraler Zugrundelegung der niederschriftlichen Angaben des Beschwerdeführers sowie des Inhaltes der gegen den angefochtenen Bescheid erhobenen Beschwerde einschließlich der Beschwerdeergänzung sowie durch die Einholung aktueller Auszüge aus dem Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister, dem Zentralen Melderegister und dem Strafregister den Beschwerdeführer betreffend.

3.2. Der eingangs angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unbestrittenen Inhalt des vorgelegten Verfahrensakts der belangten Behörde.

Identität und Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers ergeben sich aus dem ihm im Zuge einer Durchsuchung am 21.09.2017 durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes abgenommenen irakischen Reisepass, dessen Echtheit im Wege einer kriminaltechnischen Untersuchung bestätigt wurde.

3.3. Dass das belangte Bundesamt keine spezifischen Ermittlungen zur Lage in der Herkunftsregion des Beschwerdeführers, insbesondere im Hinblick auf die dort nach dem Vorbringen des Beschwerdeführers von schiitischen Milizen aktuell ausgehende Verfolgung der sunnitischen Bevölkerung, vorgenommen hat, ergibt sich zweifelsfrei aus dem Akteninhalt. Hinsichtlich der weiteren Feststellung, dass dies in der Intention erfolgte, dass die fehlenden Ermittlungen durch das Bundesverwaltungsgericht vorgenommen werden, wird auf die folgenden Ausführungen verwiesen. Aus dem Akteninhalt geht ferner zweifelsfrei hervor, dass seitens des belangten Bundesamtes keine Zeugen einvernommen wurden.

4. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

4.1. Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung festgehalten, dass § 18 Abs. 5 erster Satz BFA-VG regelt, dass das Bundesverwaltungsgericht der Beschwerde die aufschiebende Wirkung unter den dort genannten Voraussetzungen zuzuerkennen hat. Ein Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung - wie er etwa in § 13 Abs. 3 und 4 und § 22 Abs. 1 und 3 VwGVG sowie § 30 Abs. 2 VwGG vorgesehen ist - ist in § 18 Abs. 5 BFA-VG nicht vorgesehen. Ein (zusätzlicher) Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung nach § 18 Abs. 5 BFA-VG ist somit unzulässig (vgl. statt aller VwGH 27.06.2017, Fr 2017/18/0022), sodass dieser zurückzuweisen ist.

4.2. Die Beschwerde ist im Sinn des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrages berechtigt.

Nach ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs muss von den Asylbehörden erwartet werden, dass sie insoweit, als es um Feststellungen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat als Grundlage für die Beurteilung des Vorbringens von Asylwerbern geht, von den zur Verfügung stehenden Informationsmöglichkeiten Gebrauch machen und insbesondere Berichte der mit Flüchtlingsfragen befassten Organisationen in die Entscheidung einbeziehen (VwGH 7.9.2016, Ra 2015/19/0303mwN).

Bei instabilen und sich rasch ändernden Verhältnissen im Herkunftsstaat können auch zeitlich nicht lange zurückliegende Berichte ihre Aktualität bereits verloren haben (VwGH 10.12.2014, Ra 2014/18/0078; 22.3.2017, Ra 2016/18/0267).

Die Asylbehörden haben davon ausgehend in der Beweiswürdigung den realen Hintergrund der vom Asylwerber vorgetragenen Fluchtgeschichte in ihre Überlegungen einzubeziehen und die Glaubwürdigkeit seiner Behauptungen auch im Vergleich zur einschlägigen Berichtslage zu messen (VwGH 28.01.2015, Ra 2014/18/0108). Erforderlich ist eine ganzheitliche Würdigung des individuellen Vorbringens eines Asylwerbers unter dem Gesichtspunkt der Konsistenz der Angaben, der persönlichen Glaubwürdigkeit des Asylwerbers und der objektiven Wahrscheinlichkeit seines Vorbringens, wobei letzteres eben die Auseinandersetzung mit einschlägigen und im Hinblick auf das Vorbringen des Asylwerbers relevanten Länderberichten verlangt (VwGH 26.11.2003, Zl 2003/20/0389).

4.2. Das belangte Bundesamt geht in den Feststellungen des angefochtenen Bescheides von einer Rückkehrmöglichkeit nach Samarra besteht, alternativ könne der Beschwerdeführer "nach Bagdad umziehen". Die vorgebrachte Verfolgung durch schiitische Milizen wird seitens des belangten Bundesamtes verneint.

Im angefochtenen Bescheid wurden zur allgemeinen Lage im Irak unter anderem folgende Feststellungen getroffen (Hervorhebungen durch das Bundesverwaltungsgericht):

... Die prekäre Sicherheitslage in den vom IS zurückeroberten Gebieten ist v.a. durch IEDs (improvised explosive devices) und Minen sowie durch Konflikte zwischen Milizen geprägt (ÖB 12.2016). Besonders in ethnisch gemischten Gebieten werden nach Befreiungsoperationen eskalierende Kämpfe zwischen verschiedenen Gruppen, die an der Rückeroberung teilgenommen haben, dokumentiert (USDOS 3.3.2017). Auch Angriffe seitens des IS können in diesen Gebieten weiterhin eine Rolle spielen (S. Abschnitt zu IDPs und Flüchtlingen). ...

... Staatliche Stellen, insbesondere die irakische Armee und ihre Verbündeten sind nach wie vor für zahlreiche schwere Übergriffe und Menschenrechtsverletzungen verantwortlich und trotz erkennbarem Willen der Regierung Abadi nicht in der Lage, die in der Verfassung verankerten Rechte und Grundfreiheiten zu gewährleisten (ÖB 12.2016; AA 7.2.2017). Von Seiten der Regierungskräfte wurden u.a. Massenexekutionen, Misshandlungen während der Haft, "Verschwindenlassen", das Verstümmeln von Leichen (HRW 12.1.2017), sowie Folter dokumentiert (AI 22.2.2017). Insbesondere den Popular Mobilisation Forces (PMF) werden Massenerschießungen, Tötungen von Gefangenen und Festgenommenen (ohne Gerichtsverfahren) vorgeworfen (ÖB 12.2016). Den staatlichen Stellen ist es nicht möglich, das Gewaltmonopol des Staates sicherzustellen, insbesondere schiitische Milizen, aber auch sunnitische Stammesmilizen handeln eigenmächtig. Dies geht einher mit Repressionen, mitunter auch Vertreibungen von Angehörigen der jeweils anderen Konfession Minderheiten geraten oft zwischen die Fronten (AA 7.2.2017).

In Gebieten, die vom IS zurückerobert wurden, kommt es zu Massenvergeltungsmaßnahmen an sunnitisch-arabischen und turkmenischen Einwohnern und Rückkehrern aufgrund ihrer tatsächlichen oder vermuteten Verbindung zum IS (AA 7.2.2017; vgl. UNHCR 14.11.2016). Daran beteiligt sind mit den PMF verbündete Streitkräfte, Stammesgruppen und kurdische Sicherheitskräfte (UNHCR 14.11.2016). Es kommt zu Repressionen durch schiitische und sunnitische Milizen, durch die kurdischen Peschmerga, sowie in geringerem Maße durch Milizen der verschiedenen konfessionellen Minderheiten (AA 7.2.2017). Auch im Zuge der Mossul-Offensive verhafteten und misshandelten Stammesmilizen Einwohner der Gebiete, die vom IS zurückerobert worden waren, und es kam zu Racheakten der schiitischen Milizen (HRW 12.1.2017; Harrer 10.8.2017; vgl. BAMF 26.6.2017). Die irakischen Sicherheitskräfte misshandelten und töteten Berichten zufolge Männer und Knaben, die aus Mossul flüchteten (HRW 30.6.2017). Allgemein kam es von Seiten Angehöriger der ISF und verbündeter Gruppen zu Vergehen an der flüchtenden Zivilbevölkerung, an Binnenvertriebenen und Rückkehrern. In Gebieten, die vom IS zurückerobert wurden, ist auch von Plünderungen und der willkürlichen Inbrandsetzung und Zerstörung von Wohnhäusern, Geschäften und Moscheen berichtet worden (UNHCR 14.11.2016). Zum Teil wurden gesamte arabische Dörfer zerstört, bei gleichzeitiger Deportation der Einwohner, obwohl es dafür keine militärische Notwendigkeit gab. In vielen Fällen handelte es sich dabei um Kriegsverbrechen (HRW 12.1.2017). Bezüglich der Frage der Rückkehrer hat die lokale Regierung in der Provinz Salahuddin im Jahr 2016 ein Dekret erlassen, nach dem jeder, der Verbindungen zum IS hat, nicht in die Region zurückkommen dürfe - Iraker, die ihre IS-assoziierten Verwandten töten würden, wären ausgenommen (OA/EASO 2.2017, vgl. HRW 5.3.2017).

Die große Zahl der Binnenvertriebenen im Irak und die weitverbreitete Pauschal-Auffassung, dass sunnitische Araber IS-Mitglieder sind oder mit dem IS sympathisieren, hat Berichten zufolge dazu geführt, dass immer mehr sunnitische Araber und sunnitische Turkmenen, die nicht vertrieben wurden und in Bagdad und anderen von der Regierung kontrollierten Gebieten leben, nach dem Anti-Terror-Gesetz von 2005 verhaftet werden (UNHCR 14.11.2016). Teilweise unterzogen die Regierungskräfte alle männlichen Personen im kampffähigen Alter (etwa zwischen 15 und 65 Jahren), die aus Gebieten unter IS-Kontrolle geflohen waren, einer Sicherheitsüberprüfung. Sie wurden in behelfsmäßige Hafteinrichtungen oder provisorische Auffanglager gebracht, in denen sie Tage oder sogar Monate ausharren mussten, häufig unter extrem harten Bedingungen. Terrorverdächtige wurden an Sicherheitsbehörden wie die Abteilung für Verbrechensbekämpfung, die Abteilung für Terrorismusbekämpfung oder die Geheimdienstabteilung des Innenministeriums überstellt, wo ihnen Folter und andere Misshandlungen drohten, und regelmäßig wurde ihnen der Kontakt zu ihren Familien oder Rechtsbeiständen verwehrt. Sicherheitskräfte und Milizen nahmen mutmaßliche Terrorverdächtige ohne Haftbefehl in ihren Wohnungen, an Kontrollpunkten und in Lagern für Binnenvertriebene fest und informierten weder die Betroffenen noch deren Angehörige über die Gründe für die Festnahme (AI 22.2.2017). Häufig befinden sich diese Kontrollpunkte in der Nähe der Front. Zwar werden manche Personen nach einigen Tagen wieder entlassen, andere werden jedoch Berichten zufolge wochen- oder gar monatelang festgehalten, bis sie schließlich freigelassen oder in die Obhut der zuständigen Sicherheitsbehörden überstellt werden (UNHCR 14.11.2016).

Die zielgerichtete Gewalt gegen sunnitische Araber hat in Bagdad und anderen von der Regierung kontrollierten Gebieten des Irak seit 2014 zugenommen. Sunnitische Araber erhalten Todesdrohungen, ihre Häuser werden zerstört und sie werden zwangsweise vertrieben, entführt/verschleppt und außergerichtlich hingerichtet. Die sunnitische Zivilbevölkerung wird nach IS-Attacken auf die schiitische Zivilbevölkerung von den ISF und verbündeten Streitkräften der PMU regelmäßig ins Visier genommen und im Rahmen offensichtlicher Vergeltungsmaßnahmen wurden sunnitische Zivilpersonen getötet und ihre Häuser, Geschäfte und Moscheen zerstört. Lager für Binnenvertriebene sind Anschlägen zum Ziel gefallen (UNHCR 14.11.2016). ...

Die Behörden unternahmen nichts, um den Aufenthaltsort und das Schicksal Tausender sunnitischer arabischer Männer und Jungen zu klären, die Milizen und Regierungstruppen in den vergangenen Jahren in Wohnhäusern, an Kontrollpunkten und in Lagern für Binnenvertriebene aufgegriffen hatten und die seitdem "verschwunden" sind (AI 22.2.2017).

4.3. Der Verwaltungsgerichthof hat in seinen Erkenntnissen vom 18.10.2017, Ra 2017/19/0141 und vom 13.12.2017, Ra 2017/19/0166, erkannt, dass vor dem Hintergrund von Feststellungen zur Lage im Irak betreffend das Verhalten der Angehörigen von schiitischen Milizen gegenüber Muslimen sunnitischer Glaubensrichtung nicht davon ausgegangen werden kann, dass Muslime sunnitischer Glaubensrichtung im Irak keiner Gruppenverfolgung durch schiitische Milizen aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit ausgesetzt sind. Die getroffenen Feststellungen erforderten vielmehr eine nähere Auseinandersetzung mit der Lage in der Herkunftsregion des jeweiligen Beschwerdeführers, insbesondere im Hinblick auf die dort allenfalls von schiitischen Milizen aktuell ausgehende Verfolgung der sunnitischen Bevölkerung.

4.4. Ausgehend von der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, die das Bundesverwaltungsgericht zu berücksichtigen hat, erweist sich der angefochtene Bescheid im Hinblick auf die Feststellungen zur Lage der sunnitischen Bevölkerung in der Herkunftsregion des Beschwerdeführers, insbesondere im Hinblick auf die dort allenfalls von schiitischen Milizen aktuell ausgehende Verfolgung, als mangelhaft, worauf auch in der Beschwerde zutreffend hingewiesen wird.

Das belangte Bundesamt hat im angefochtenen Bescheid explizit festgestellt, dass es in "Gebieten, die vom IS zurückerobert wurden, .. es zu Massenvergeltungsmaßnahmen an sunnitisch-arabischen und turkmenischen Einwohnern und Rückkehrern aufgrund ihrer tatsächlichen oder vermuteten Verbindung zum IS" kommt. Ferner wird - ohne jede Einschränkung - festgestellt, dass sunnitische Araber Todesdrohungen erhalten, ihre Häuser werden zerstört und dass sunnitische Araber zwangsweise vertrieben, entführt/verschleppt und außergerichtlich hingerichtet werden.

Ausgehend von diesen Feststellungen findet die ebenfalls getroffene Feststellung, es könne nicht festgestellt werden, dass dem Beschwerdeführer im Rückkehrfall Verfolgung aufgrund seiner Religionszugehörigkeit drohen würde, keine Deckung in den Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens, zumal mit den vorstehend bereits zitierten Feststellungen zur allgemeinen Lage im Irak gerade das Gegenteil vom belangten Bundesamt festgestellt wird, nämlich dass die sunnitische Zivilbevölkerung im Irak - ohne dass dabei von einer gebietsmäßigen Einschränkung die Rede wäre - breit angelegten und systematischen Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt sind und die sunnitische Zivilbevölkerung im Irak zwangsweise vertrieben, entführt/verschleppt und außergerichtlich hingerichtet wird. Der angefochtene Bescheid leidet somit auch unter widersprüchlichen Feststellungen schon zur Lage der Sunniten im Irak. Aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes ist in diesem Zusammenhang nicht nachvollziehbar, weshalb das belangte Bundesamt auf Seite 16 des angefochtenen Bescheides nicht feststellen kann, dass die sunnitische Zivilbevölkerung im Irak verfolgt wird, auf dessen Seite 91 jedoch zur gegenteiligen Feststellung gelangt, dass die sunnitische Zivilbevölkerung - wie bereits erwähnt - zwangsweise vertrieben, entführt/verschleppt und außergerichtlich hingerichtet wird. Die erwähnten Feststellungen stehen eindeutig in diametralem Widerspruch. Die diesbezüglichen beweiswürdigenden Erwägungen auf Seite 132 des angefochtenen Bescheides vermögen daran nichts zu ändern, da das belangte Bundesamt dennoch (und angesichts der Beweiswürdigung nicht nachvollziehbar) die erwähnten Feststellungen auf Seite 91 des angefochtenen Bescheides trifft. Es ist geradezu kurios, dass das belangte Bundesamt auf den Seiten 132 und 133 seine eigenen Feststellungen im Ergebnis als unzutreffend darstellt, diese aber dennoch trifft. Wenn in diesem Zusammenhang die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts angesprochen wird, ist dem zu entgegnen, dass das Bundesverwaltungsgericht regelmäßig zu anderslautenden Feststellungen zur Lage im Irak gelangt und dementsprechend die Ausgangsbasis für die rechtliche Beurteilung eine andere ist.

Da der Beschwerdeführer vorgebracht hat, als Rückkehrfall aufgrund seiner sunnitischen Konfession von schiitischen Milizen bedrängt zu werden und gerade hinsichtlich dessen Herkunftsprovinz in den Feststellungen sogar zugestanden wird, dass schiitischen Milizen im Gouvernement Salah ad-Din Einfluss ausüben, kann ohne weitergehende Ermittlungen und stringente Feststellungen nicht davon ausgegangen werden, dass der Beschwerdeführer jedenfalls keiner Verfolgung aufgrund seines Religionsbekenntnisses im Rückkehrfall ausgesetzt sein wird.

4.5. Überhaupt können dem angefochtenen Bescheid keine spezifischen Feststellungen zur Sicherheitslage im Gouvernement Salah ad-Din, der Herkunftsprovinz des Beschwerdeführers, und insbesondere in der Stadt Samarra entnommen werden und wurde auch keinerlei diesbezüglichen Ermittlungsschritte gesetzt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in den vorstehend zitierten Judikaten eine nähere Auseinandersetzung mit der Lage in der Herkunftsregion des jeweiligen Beschwerdeführers verlangt, insbesondere im Hinblick auf die dort allenfalls von schiitischen Milizen aktuell ausgehende Verfolgung der sunnitischen Bevölkerung. Eine solche nähere Auseinandersetzung mit der Lage in der Herkunftsregion des Beschwerdeführers, dem Gouvernement Salah ad-Din, ist fallbezogen nicht einmal im Ansatz erfolgt. Vielmehr begnügt sich das belangte Bundesamt mit wortwörtlichen Übernahme der Informationen aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zum Irak vom 24.08.2017 (in der Fassung der Kurzinformation eingefügt am 23.11.2017). Mit der gegenwärtigen Lage in Samarra bzw. dem Gouvernement Salah ad-Din hat sich das belangte Bundesamt jedoch überhaupt nicht auseinandergesetzt, obwohl es nach der Lage des Falles und der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dazu verhalten wäre, weil eine Rückkehrmöglichkeit in die Herkunftsregion bejaht wird.

Die mangelnde Ermittlungstätigkeit im Hinblick auf die Lage in der Herkunftsregion entzieht zunächst der Beweiswürdigung des belangten Bundesamtes im Hinblick auf den vorgebrachten Fluchtgrund weitgehend die Grundlage. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes setzt eine Plausibilitätskontrolle des Vorbringens des Asylwerbers eine Betrachtung der konkreten Lage im Herkunftsstaat des Betreffenden voraus (VwGH 18.04.2002, Zl. 2001/01/0023). Die Asylbehörden haben davon ausgehend in der Beweiswürdigung den realen Hintergrund der vom Asylwerber vorgetragenen Fluchtgeschichte in ihre Überlegungen einzubeziehen und die Glaubwürdigkeit seiner Behauptungen auch im Vergleich zur einschlägigen Berichtslage zu messen (VwGH 28.01.2015, Ra 2014/18/0108). Erforderlich ist eine ganzheitliche Würdigung des individuellen Vorbringens eines Asylwerbers unter dem Gesichtspunkt der Konsistenz der Angaben, der persönlichen Glaubwürdigkeit des Asylwerbers und der objektiven Wahrscheinlichkeit seines Vorbringens, wobei letzteres eben die Auseinandersetzung mit einschlägigen und im Hinblick auf das Vorbringen des Asylwerbers relevanten Länderberichten verlangt (VwGH 26.11.2003, Zl 2003/20/0389). Die Asylbehörden sind von dieser Ermittlungspflicht selbst dann nicht entbunden, wenn die vom Beschwerdeführer gegebene Schilderung von vornherein als kaum glaubwürdig und als irreal erscheint (VfGH 02.10.2001, B 2136/00).

Das belangte Bundesamt setzt sich in diesem Zusammenhang ferner mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers betreffend Teilnahme an Demonstrationen auseinander (Seite 126 des angefochtenen Bescheids) und spricht davon, dass aus Sicht des Bundesamtes die Demonstrationen in Samarra "nicht so groß oder so wichtig gewesen wären" sowie dass von einer Schutzwilligkeit und Schutzfähigkeit der Behörden auszugehen sei, da die Demonstrationen zugelassen worden wären. Eine Berichterstattung im Fernsehen sei nicht anzunehmen, da die lokale Regierung dies verhindert hätte. Derartige Erwägungen sind freilich ohne eine entsprechende Absicherung durch länderkundliche Berichte rein spekulativ und es verwundert, dass das Bundesamt offenbar in Kenntnis der in den Jahren 2012 und 2013 üblichen Vorgehensweise der Behörden in Samarra bei Demonstrationen ist. Zwar ist in der Beweiswürdigung des angefochtenen Bescheides die Rede von entsprechenden (ergebnislosen) Erhebungen des Bundesamtes, diesbezüglichen Hinweise im Akt fehlen jedoch zur Gänze, sodass sich die Erwägungen als nicht nachprüfbar darstellen.

Hinsichtlich der behauptenden Verfolgung durch schiitische Milizen darf außerdem nicht übersehen werden, dass sich diese Verfolgungssituation mit den Feststellungen des Bundesamtes zur Lage in zurückeroberten Gebieten deckt und schon deshalb eine nähere Auseinandersetzung mit der Lage in Samarra geboten wäre. In diesem Kontext ist von Bedeutung, dass der Anspruch auf internationalen Schutz nicht voraussetzt, dass der Asylwerber bereits Opfer von Verfolgung war, sondern es reicht aus, wenn seine Furcht vor - zukünftiger - Verfolgung aus einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe begründet ist (VwGH 16.04.2002, Zl. 99/20/0604 mwN). Ob der Beschwerdeführer bereits selbst bedroht wurde oder nicht, ist demgemäß belanglos. Er brachte substantiiert vor, dass ihm bekannte junge sunnitische Männer von schiitischen Milizen entführt bzw. ermordet worden wären, was ebenfalls Deckung in den Länderberichten findet, sodass auch insoweit nähere Ermittlungen zu tätigen wären, um die Wahrscheinlichkeit eines vergleichbaren Schicksals im Rückkehrfall beurteilen zu können. Das belangte Bundesamt wäre demnach dazu verhalten gewesen, zu erheben, ob von schiitischen Milizen im Gouvernement Salah ad-Din und dort im Besonderen in Samarra eine dermaßen große Gefahr ausgeht, dass Personen mit dem Profil des Beschwerdeführers im Fall einer Rückkehr dorthin mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt wären. Dazu sind Ermittlungen zu den Aktivitäten der dort präsenten Milizen (diese werden im angefochtenen Bescheid auch festgestellt) und den dokumentierten Übergriffen auf Dritte zu pflegen, um die Behauptungen des Beschwerdeführers zur Rückkehrgefährdung wiederlegen zu können (oder diese allenfalls zu verifizieren).

Schließlich kann dem angefochtenen Bescheid weder eine substantiierte Auseinandersetzung mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers entnommen werden, aufgrund der Zugehörigkeit zur politischen Partei "XXXX" besonders gefährden zu sein und wurden auch keine diesbezüglichen Ermittlungen angestellt. Auch in dieser Hinsicht erweist sich der Sachverhalt als mangelhaft ermittelt, sodass insgesamt kein Interesse des belangten Bundesamtes an einer den Verfahrensvorschriften entsprechenden Ermittlungstätigkeit erkannt werden kann.

4.6. Im Übrigen vermögen die - dislozierten Erwägungen - des belangten Bundesamtes eine innerstaatliche Fluchtalternative in Bagdad aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes nicht zu begründen, zumal insbesondere jegliche Erwägungen zur Zumutbarkeit fehlen. Der Verwaltungsgerichtshof hat jüngst in einer zusammenfassenden Würdigung seiner bisherigen Rechtsprechung erkannt, dass es nicht ausreicht, dem Asylwerber entgegen zu halten, dass er in einem bestimmten Gebiet keine Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu erwarten habe. Es müsse ihm vielmehr möglich sein, im Gebiet der innerstaatlichen Fluchtalternative nach allfälligen anfänglichen Schwierigkeiten Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können (VwGH 23.01.2018, Ra 2018/18/0001). Das Bundesamt hat sich damit überhaupt nicht auseinandergesetzt, zumal lediglich in den Feststellungen erwähnt wird, dass der Beschwerdeführer nach Bagdad "umziehen" könne. Eine innerstaatliche Fluchtalternative wird damit nicht aufgezeigt. Den Ausführungen in der rechtlichen Beurteilung zu Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides ist damit die Grundlage entzogen, zumal dort aus nicht nachvollziehbaren Gründen nur eine Rückkehr des Beschwerdeführers nach Bagdad erörtert und die Lage im Fall einer Rückkehr nach Samarra unter dem Gesichtspunkt des § 8 AsylG 2005 gar nicht geprüft wird (was freilich im Ergebnis nicht überrascht, da das belangte Bundesamt in Ermangelung von Ermittlungen und Feststellungen zur Lage im Gouvernement Salah ad-Din und dort im Besonderen in Samarra über keinen festgestellten Sachverhalt verfügt, anhand dessen eine mögliche Rückkehr des Beschwerdeführers nach Samarra unter dem Gesichtspunkt des § 8 AsylG 2005 geprüft werden könnte. Auch insoweit wurde der maßgebliche Sachverhalt unzureichend ermittelt.

4.7. Unter den angeführten Gesichtspunkten der leidet der angefochtene Bescheid unter Ermittlungsmängeln in Bezug auf die Frage der maßgeblichen Wahrscheinlichkeit einer gegen den Beschwerdeführer gerichteten Verfolgung maßgeblicher Intensität im Fall einer Rückkehr in den Irak aufgrund seines sunnitischen Bekenntnisses, der Rückkehr in ein vormals vom Islamischen Staat und nunmehr von schiitischen Milizen dominierten Region sowie einer vormaligen politischen Tätigkeit und erweist sich für das Bundesverwaltungsgericht der vorliegende Sachverhalt zur Beurteilung einer allfälligen Gefährdung des Beschwerdeführers unter dem Aspekt der Gewährung des Status des Asylberechtigten als so mangelhaft, dass weitere notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes diesbezüglich unerlässlich erscheinen.

Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens und eine erstmalige Ermittlung und Beurteilung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Bundesverwaltungsgericht liegt nicht im Sinne der maßgeblichen verfahrensrechtlichen Vorschriften, insbesondere bei Berücksichtigung des Umstandes, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl als Spezialbehörde im Rahmen der Staatendokumentation gemäß § 5 BFA-Einrichtungsgesetz für die Sammlung relevanter Tatsachen zur Situation in den betreffenden Staaten samt den Quellen zuständig ist und weil eine ernsthafte Prüfung des Antrages nicht erst beim Bundesverwaltungsgericht beginnen und zugleich enden soll. Somit war in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückzuverweisen.

Das belangte Bundesamt wird im fortgesetzten Verfahren Ermittlungen zur Lage der sunnitischen Zivilbevölkerung einerseits sowie den Aktivitäten schiitischer Milizen andererseits in der Herkunftsregion des Beschwerdeführers, insbesondere im Hinblick auf die dort allenfalls von schiitischen Milizen aktuell ausgehende Verfolgung zu veranlassten und diesbezüglich aktuelle, eindeutige und sachverhaltsbezogene Feststellungen - auch zu allfälligen innerstaatlichen Fluchtalternativen bzw. erforderlichenfalls zur Schutzfähigkeit und Schutzwilligkeit der irakischen Behörden - zu treffen haben. Ausgehend davon ist zu beurteilen, ob dem Beschwerdeführer im Fall einer Rückkehr in seine Herkunftsregion Verfolgung aufgrund seiner sunnitischen Religionszugehörigkeit oder einer ihm allenfalls unterstellten Sympathien für den Islamischen Staat droht. Es erscheint in diesem Zusammenhang zweckmäßig, die in den letzten Monaten in der Herkunftsregion des Beschwerdeführers dokumentierten Übergriffe schiitischer Milizen sowie die Zielgruppen solcher Aktivitäten zu erheben, um ein repräsentatives Bild hinsichtlich der Intensität dieser Übergriffe, den Kreis der Opfer sowie die Verantwortlichen und deren Vorgehensweise zu gewinnen. Ausgehend davon wird eine Prognose anzustellen sein, ob der Beschwerdeführer im Fall einer Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit (die Bedeutung der maßgeblichen Wahrscheinlichkeit der Verfolgung wurde bereits angesprochen) ebenfalls Übergriffe zu gewärtigen haben wird oder nicht.

Das Bundesverwaltungsgericht verkennt nicht, dass die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu kassatorischen Entscheidungen der Verwaltungsgerichte gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG äußerst restriktiv ist. Die Anwendbarkeit der Zurückverweisungsbestimmung des § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG 2014 erstreckt sich nach der Rechtsprechung nicht auf die von § 28 Abs. 2 VwGVG 2014 erfassten Fälle. Eine Aufhebung des Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit an die Verwaltungsbehörde kommt erst dann in Betracht, wenn die in § 28 Abs. 2 VwGVG 2014 normierten Voraussetzungen, die eine Pflicht des Verwaltungsgerichtes zur Entscheidung in der Sache selbst nach sich ziehen, nicht vorliegen. Die Voraussetzungen der Z 1 und 2 des § 28 Abs. 2 VwGVG 2014 sind angesichts der Zielsetzung der grundsätzlichen meritorischen Entscheidung durch die Verwaltungsgerichte weit zu verstehen (VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063; 05.04.2017, Ra 2016/04/0144).

Die hier zur Entscheidung berufene Abteilung des Bundesverwaltungsgerichtes hat sich bereits in den Beschlüssen vom 22.01.2018 bzw. vom 23.01.2018 zu den Zahlen L521 2150883-1, L521 2147677-1 und L521 2174682-1 mit der unzureichenden Ermittlung der Lage im Herkunftsstaat auseinandergesetzt. In einer gegen (erstaunlicherweise nur) einen dieser Beschlüsse erhobenen bislang unterledigen Amtsbeschwerde führt das belangte Bundesamt insbesondere aus, dass "[s]oweit die Länderberichte des Bescheids die vom BVwG gewünschten näheren Informationen zur Verfolgung von Sunniten durch schiitische Milizen nicht enthalten, wären jedenfalls nur noch ergänzende Ermittlungen zu tätigen gewesen, die das BVwG selbst durchführen hätte müssen, weil es sich dabei lediglich um einen Aspekt der für den gegenständlichen Fall relevanten Länderberichte handelt". Das Bundesamt habe nämlich ansonsten "umfangreiche Länderberichte eingeholt und die mP auch persönlich zu ihren Fluchtgründen einvernommen". Eine krasse Ermittlungslücke im Sinn der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes liege demnach nicht vor.

Das Bundesverwaltungsgericht gewinnt bei einer Gesamtbetrachtung der vorstehend zitieren Rechtssachen, der gegenständlichen Rechtssache und der Argumentation des belangten Bundesamtes den Eindruck, dass das Bundesamt die in einem Asylverfahren gebotene eigene Ermittlungstätigkeit in (a) einer (einmaligen) Einvernahme des Asylwerbers und (b) dem Kopieren des Inhalts des Länderinformationsblattes in den Bescheid sieht. Fallbezogen wurde diesem Muster (wie auch in den Asylverfahren, die den oben zitierten Beschlüssen zugrunde lagen - entsprochen - der Beschwerdeführer wurde einmal einvernommen und die Lage im Herkunftsstaat wurde im Wege der Übernahme des dem belangten Bundesamt ohnehin vorliegenden Inhalts des Länderinformationsblattes betreffend den Irak festgestellt. Mit der Frage, ob nicht weitere Ermittlungen geboten wären, hat sich das belangte Bundesamt - soweit ersichtlich - nicht einmal beschäftigt. In der zitieren Amtsbeschwerde des Direktors des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wird aus Sicht der hier zur Entscheidung berufenen Abteilung des Bundesverwaltungsgerichtes auch klar zum Ausdruck gebracht, dass über das Einfügen der Inhalte des Länderinformationsblattes hinausgehende Ermittlungen im Verfahren erster Instanz stets nur ergänzende Ermittlungen sein können, die im Rechtsmittelverfahren zu pflegen sind und demnach nicht vom Bundesamt vorgenommen werden müssen. In jedem Fall würden bei einer Einfügung der Inhalte des Länderinformationsblattes in den Bescheid keine krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken mehr bestehen, die eine kassatorische Entscheidung rechtfertigen würden.

Aus Sicht der hier zur Entscheidung berufenen Abteilung des Bundesverwaltungsgerichtes legt das belangte Bundesamt damit selbst explizit dar, dass es berechtigt ist, die über die Einfügung der Inhalte des Länderinformationsblattes in den Bescheid hinausgehenden Ermittlungsschritte an das Bundesverwaltungsgericht zu delegieren. Damit verkennt das belangte Bundesamt, dass es sich dabei - wie vorstehend ausführlich erläutert - nicht nur um vom Bundesverwaltungsgericht "gewünschte" nähere Informationen handelt, sondern um grundlegende Ermittlungen zur Frage einer aktuell bestehenden, individuell gegen den Beschwerdeführer gerichteten Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit. Insoweit kann auch keine Rede davon sein, dass Ermittlungsschritte die über das Einfügen der Inhalte des Länderinformationsblattes in den Bescheid hinausgehen immer nur als ergänzende Ermittlungen anzusehen sind. In Anbetracht dessen ist fallbezogen erst recht evident, dass das belangte Bundesamt die eingangs angesprochenen notwendigen Ermittlungen - die zweifellos schwierig sind, weil sie eine einzelfallbezogene Recherche und anschließende Würdigung der Rechercheergebnisse im Hinblick auf die Lage im Gouvernement Salah ad-Din und dort im Besonderen in Samarra erfordern und sich die Ermittlungstätigkeit eben nicht in der Einfügung der Inhalte des Länderinformationsblattes in den Bescheid erschöpft - unterlassen hat, damit diese durch das Bundesverwaltungsgericht vorgenommen werden. Bei diesem Ergebnis ist das Bundesverwaltungsgericht jedoch der Entscheidung VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, zufolge berechtigt, den angefochtenen Bescheid aufzuheben und die Rechtssache zur Verfahrensergänzung zurückzuverweisen. Es ist jedenfalls nicht Aufgabe des Bundesverwaltungsgerichts, sämtliche über das Einfügen der Inhalte des Länderinformationsblattes in den Bescheid hinausgehenden Ermittlungsschritte selbst durchzuführen und kann ein solcher Standpunkt auch der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht entnommen werden.

Eine kassatorische Entscheidung ist fallbezogen auch unter verfahrensökonomischen Gesichtspunkten geboten, zumal für die angesprochenen Erhebungen die Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl heranzuziehen sein wird. Die Staatendokumentation ist eine Abteilung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (B/III), sodass aufgrund der monokratischen Behördenstruktur eine unmittelbare Einflussnahme auf die Dringlichkeit der Bearbeitung im Weisungsweg möglich ist. Demgegenüber kann das Bundesverwaltungsgericht auf die Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl nur im Wege der Amtshilfe zugreifen (§ 5 Abs. 3 BFA-Einrichtungsgesetz). Dies hat zur Folge, dass das Bundesverwaltungsgericht auf die Raschheit bzw. Reihung von Anfragebeantwortungen keinerlei Einfluss nehmen kann. Vielmehr ist das Bundesverwaltungsgericht derzeit mit einer langen Wartezeit bei der Beantwortung von Anfragen (hier: zum Staat Irak) konfrontiert und wurde gerade zuletzt dem Bundesverwaltungsgericht mehrfach mitgeteilt, dass aufgrund "prioritärer Aufgaben" weitere Verzögerungen zu erwarten sind. Da das Bundesverwaltungsgericht nicht im Weisungsweg auf organisatorische Angelegenheiten der Staatendokumentation einwirken kann (im Gegensatz zu jenen Stellen, die die Staatendokumentation oder deren Mitarbeiter zur Wahrnehmung "prioritäre Aufgaben" veranlassen können), und letztlich gegenüber der Staatendokumentation nur Ersuchen nach Maßgabe des § 5 Abs. 3 BFA-Einrichtungsgesetz stellen kann, ohne Weisungen zu erteilen oder Sanktionen aussprechen zu können, ist es für eine rasche Erledigung des gegenständlichen Verfahrens zweckmäßig, dieses wiederum dem Bundesamt zur neuerlichen Erledigung zurückzuverweisen und dermaßen eine raschere Bearbeitung eines Rechercheauftrags durch die Staatendokumentation zumindest zu ermöglichen. Die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Bundesverwaltungsgericht selbst wäre hingegen nicht im Interesse der Raschheit gelegen und auch mit keiner Kostenersparnis verbunden, zumal das Bundesverwaltungsgericht - wie erörtert - von vornherein keine Beschleunigung der Ermittlungen der Staatendokumentation bewirken kann.

Zusammengefasst steht aufgrund der vorstehenden Erwägungen weder der maßgebliche Sachverhalt fest, noch ist die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Bundesverwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden. Die gebotene Berücksichtigung des § 28 Abs. 2 VwGVG steht einer kassatorischen Entscheidung in diesem Fall daher nicht entgegen.

4.9. Dem Bundesamt ist ferner anzulasten, eine notwendige Zeugeneinvernahme unterlassen zu haben.

Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes liegt ein willkürliches Verhalten, das in die Verfassungssphäre eingreift, etwa im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (vgl. VfGH 20.02.2015, E 1278/2014 mwN).

Ein solcher Fehler ist dem belangten Bundesamt unterlaufen. Im gegenständlichen Fall war das belangte Bundesamt aufgrund der Angaben des Beschwerdeführers in Kenntnis darüber, dass dieser (behauptetermaßen) seit mehreren Jahren eine Beziehung zu einer österreichischen Staatsbürgerin unterhält (Seite 13 des angefochtenen Bescheides). Da eine entsprechende Feststellung im angefochtene Bescheid nicht getroffen wird, geht das Bundesamt offenbar davon aus, dass diese Beziehung entgegen dem Vorbringen des Beschwerdeführers nicht existiert.

Aufgrund des Vorbringens des Beschwerdeführers wäre die belangte Behörde in Anbetracht ihrer aus § 37 AVG iVm § 39 Abs. 2 AVG hervorgehenden Verpflichtung, den für die Erledigung der Verwaltungssache maßgebenden Sachverhalt von Amts wegen vollständig zu ermitteln und festzustellen, dazu gehalten gewesen, zunächst den Beschwerdeführer im Rahmen seiner Einvernahme zu den näheren Umständen des vorgebrachten Privat- un

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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