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L92007 Sozialhilfe Grundsicherung Mindestsicherung Tirol;Norm
AVG §37;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl sowie die Hofräte Dr. Lukasser, Dr. Hofbauer und Dr. Fasching und die Hofrätin Dr. Leonhartsberger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Kacic-Löffler, LL.M., über die Revision der A A in I, vertreten durch Mag. Caroline Weiskopf, Rechtsanwältin in 6020 Innsbruck, Burggraben 6/Hörtnaglpassage, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Tirol vom 17. Juli 2017, Zl. LVwG- 2017/17/0138-1, betreffend Mindestsicherung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Innsbruck), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Tirol hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Mit Bescheid der belangten Behörde vom 30. November 2016 wurden der Revisionswerberin (u.a.) gemäß den §§ 5, 6 und 9 Tiroler Mindestsicherungsgesetz (TMSG) für den Zeitraum vom 15. September 2016 bis zum 30. September 2016 eine einmalige Unterstützung für Hilfe zur Sicherung des Lebensunterhaltes in der Höhe von EUR 251,33, für Oktober 2016 eine einmalige Unterstützung für Miete in der Höhe von EUR 440,25, für den Zeitraum vom 1. November 2016 bis zum 28. Februar 2017 eine monatliche Unterstützung für Miete in der Höhe von EUR 38,08 sowie für den Monat Dezember 2016 eine einmalige Sonderzahlung in der Höhe von EUR 150,80 zuerkannt.
2 Mit dem angefochtenen Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Tirol vom 17. Juli 2017 wurde eine dagegen von der Revisionswerberin erhobene Beschwerde abgewiesen. Weiters wurde ausgesprochen, dass die Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig sei.
3 Begründend führte das Verwaltungsgericht nach Darstellung des Verfahrensganges aus, es stehe folgender Sachverhalt fest: Die am 11. Mai 1998 geborene Revisionswerberin lebe mit ihrem Lebensgefährten und ihrem gemeinsamen Kind in R. Die Familie bewohne eine Wohnung im Ausmaß von ca. 60 m2, die Miete inklusive Betriebskosten betrage EUR 550. Der Lebensgefährte der Revisionswerberin habe zum Zeitpunkt der Antragstellung und der Beschwerdeerhebung bei der Firma B.M. in Innsbruck gearbeitet und ein durchschnittliches monatliches Gehalt in der Höhe von EUR 1.246,70 erhalten. Am 24. Dezember 2016 sei die Tochter geboren worden, für diese erhalte die Revisionswerberin Kinderbetreuungsgeld in der Höhe von EUR 20,80 pro Tag sowie Familienbeihilfe.
4 In seiner rechtlichen Beurteilung führte das Verwaltungsgericht nach Wiedergabe der maßgeblichen Rechtsvorschriften - soweit hier von Relevanz - aus, im gegenständlichen Fall stelle sich die Frage, ob für die Revisionswerberin der Richtsatz nach § 5 Abs. 2 lit. a TMSG oder jener nach § 5 Abs. 2 lit. b. leg. cit. heranzuziehen sei. Aus näher dargestellten Gründen (Verweis auf VwGH 27.1.2016, Ra 2015/10/0059) habe die belangte Behörde zu Recht den zuletzt genannten Richtsatz herangezogen "und das Einkommen des Lebensgefährten bei der Berechnung entsprechend berücksichtigt".
5 Die belangte Behörde habe im angefochtenen Bescheid nicht behauptet, dass die Revisionswerberin von ihrem Lebensgefährten Unterhalt beziehe. Sie stütze sich lediglich auf § 18 Abs. 2 TMSG, wonach zu den bedarfsdeckenden oder bedarfsmindernden Leistungen Dritter neben den Leistungen, auf die der Hilfesuchende einen Anspruch nach § 17 Abs. 1 leg. cit. habe, auch das Einkommen der mit ihm in Lebensgemeinschaft lebenden Person zähle, soweit dieses den Mindestsatz nach § 5 Abs. 2 lit. b TMSG zuzüglich des auf diese Person entfallenden Wohnkostenanteils übersteige.
6 Soweit die Revisionswerberin geltend mache, dass sie von ihrem Lebensgefährten keinen Unterhalt erhalte, sei nochmals darauf hinzuweisen, dass bei der Berechnung der Höhe der Mindestsicherung das Einkommen, das ihr Mitbewohner habe und das ebenfalls aufgrund der gesetzlichen Gegebenheiten berücksichtigt werden müsse, hinzugerechnet werde. Die Revisionswerberin habe ihre finanzielle Situation nachvollziehbar dargestellt, trotzdem könne ihr die finanzielle Unterstützung nur im Rahmen dieser gesetzlichen Voraussetzungen gewährt werden. Es sei daher spruchgemäß der Bescheid der belangten Behörde zu bestätigen gewesen.
7 Den Ausspruch nach § 25a Abs. 1 VwGG begründete das Verwaltungsgericht im Wesentlichen mit einem Verweis auf den Wortlaut des Art. 133 Abs. 4 B-VG.
8 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision. 9 Das Verwaltungsgericht legte die Akten vor.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
10 Das Tiroler Mindestsicherungsgesetz, LGBl. Nr. 99/2010
idF LGBl. Nr. 130/2013 (TMSG), lautet auszugsweise:
"§ 17
Verfolgung von Ansprüchen gegenüber Dritten
(1) Vor der Gewährung von Mindestsicherung hat der Hilfesuchende öffentlich-rechtliche oder privatrechtliche Ansprüche auf bedarfsdeckende oder bedarfsmindernde Leistungen gegen Dritte zu verfolgen, soweit dies nicht offensichtlich aussichtslos oder unzumutbar ist.
...
§ 18
Ausmaß der Mindestsicherung
(1) Das Ausmaß der Leistungen der Mindestsicherung ist im Einzelfall unter Berücksichtigung des Einsatzes der eigenen Mittel und der Bereitschaft des Hilfesuchenden zum Einsatz seiner Arbeitskraft sowie der bedarfsdeckenden oder bedarfsmindernden Leistungen Dritter zu bestimmen.
(2) Zu den bedarfsdeckenden oder bedarfsmindernden Leistungen Dritter zählt neben den Leistungen, auf die der Hilfesuchende einen Anspruch nach § 17 Abs. 1 hat, auch das Einkommen der mit ihm in Lebensgemeinschaft lebenden Person oder der mit ihm im gemeinsamen Haushalt lebenden und ihm gegenüber unterhaltsverpflichteten Personen, soweit dieses den Mindestsatz nach § 5 Abs. 2 lit. b zuzüglich des auf diese Person entfallenden Wohnkostenanteiles übersteigt. Von diesem Einkommen sind allfällige Unterhaltsverpflichtungen gegenüber Dritten in Abzug zu bringen.
(3) Hat der Hilfesuchende auf eine bedarfsdeckende oder
bedarfsmindernde Leistung keinen Anspruch nach § 17 Abs. 1, so ist
diese bei der Bestimmung des Ausmaßes der Mindestsicherung nur zu
berücksichtigen, soweit sie
a) regelmäßig in einem Ausmaß erbracht wird, das wesentlich
zur Deckung der Grundbedürfnisse des Hilfesuchenden beiträgt, oder
b) in einem Ausmaß erbracht wird, das wesentlich zur
Bewältigung außergewöhnlicher Schwierigkeiten des Hilfesuchenden beiträgt.
..."
11 Die Revision macht zu ihrer Zulässigkeit (u.a.) geltend, das Verwaltungsgericht gehe - ohne Durchführung einer Verhandlung und unter gravierender Verletzung von Verfahrensvorschriften - davon aus, dass "die Anrechnung des Unterhaltes des Lebensgefährten der Revisionswerberin keinen konkret geleisteten Unterhalt durch diesen" voraussetze und "bereits aufgrund der gesetzlichen Anordnung des § 18 Abs. 2 TMSG eine solche Anrechnung in abstracto erfolgen könne". Nach § 18 Abs. 3 TMSG könnten allfällige Zahlungen des Lebensgefährten aber nur insoweit auf den Anspruch der Revisionswerberin angerechnet werden, als diese tatsächlich regelmäßig in einem Ausmaß erbracht würden, das wesentlich zur Deckung der Grundbedürfnisse der Hilfesuchende beitrage (Hinweis auf VwGH 23.10.2012, 2011/10/0201). Sowohl die belangte Behörde als auch das Verwaltungsgericht hätten es im gesamten Verfahren unterlassen, Feststellungen dazu zu treffen, ob der Lebensgefährte der Revisionswerberin derartige Zahlungen leiste. Bei einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren hätte festgestellt werden müssen, dass dies nicht der Fall sei.
12 Die Revision erweist sich als zulässig und begründet. 13 Nach § 18 Abs. 2 TMSG zählt zu den bedarfsdeckenden oder
bedarfsmindernden Leistungen Dritter neben den Leistungen, auf die der Hilfesuchende einen Anspruch nach § 17 Abs. 1 leg. cit. hat, auch das Einkommen der mit ihm in Lebensgemeinschaft lebenden Person oder der mit ihm im gemeinsamen Haushalt lebenden und ihm gegenüber unterhaltsverpflichteten Personen, soweit dieses den Mindestsatz nach § 5 Abs. 2 lit. b leg. cit. zuzüglich des auf diese Person entfallenden Wohnkostenanteiles übersteigt. Hat der Hilfesuchende auf eine bedarfsdeckende oder bedarfsmindernde Leistung keinen Anspruch nach § 17 Abs. 1 TMSG, so ist diese gemäß § 18 Abs. 3 leg. cit. bei der Bestimmung des Ausmaßes der Mindestsicherung nur zu berücksichtigen, soweit sie regelmäßig in einem Ausmaß erbracht wird, das wesentlich zur Deckung der Grundbedürfnisse des Hilfesuchenden beiträgt (lit. a), oder in einem Ausmaß erbracht wird, das wesentlich zur Bewältigung außergewöhnlicher Schwierigkeiten des Hilfesuchenden beiträgt (lit. b).
14 Der Verwaltungsgerichtshof hat in Bezug auf im gemeinsamen Haushalt lebende und unterhaltsverpflichtete Personen iSd § 18 Abs. 2 TMSG wiederholt darauf hingewiesen, dass eine nach den Kriterien des § 18 Abs. 3 lit. a TMSG vorzunehmende Anrechnung voraussetzt, dass die den Rechtsanspruch übersteigende Unterhaltsleistung tatsächlich regelmäßig erbracht wird (vgl. VwGH 28.6.2016, Ro 2014/10/0037, mit Verweis auf VwGH 19.2.2014, 2013/10/0125 und 2013/10/0172; 28.2.2013, 2012/10/0203; 23.10.2012, 2011/10/0201). Nichts anderes gilt für den keiner Unterhaltspflicht entsprechenden Anteil im Falle von Lebensgefährten (VwGH 24.6.2015, Ro 2014/10/0103).
15 Das Verwaltungsgericht geht nach Ausweis der oben wiedergegebenen Begründung - trotz der bereits in der Beschwerde enthaltenen Bezugnahme darauf, dass allfällige Zahlungen des Lebensgefährten nur insoweit auf einen Anspruch auf Mindestsicherung angerechnet werden könnten, als diese regelmäßig in einem Ausmaß erbracht würden, das wesentlich zur Deckung der Grundbedürfnisse der Hilfesuchenden beitrage - in keiner Weise auf die Bestimmung des § 18 Abs. 3 TMSG ein und hat auch keine Feststellungen dazu getroffen, ob - trotz gegenteiliger Behauptungen der Revisionswerberin - von einer regelmäßigen Bedarfsdeckung im Sinne des § 18 Abs. 3 lit. a leg. cit. durch den Lebensgefährten auszugehen ist. Das Verwaltungsgericht scheint vielmehr den - unzutreffenden - Standpunkt einzunehmen, dass das Einkommen des Lebensgefährten jedenfalls "aufgrund der gesetzlichen Gegebenheiten berücksichtigt werden müsse". Der Umstand, dass im Falle von Lebensgefährten eine Zurverfügungstellung des Einkommensanteils anzunehmen ist, wenn keine konkreten Anhaltspunkte dagegen sprechen (VwGH 24.6.2015, Ro 2014/10/0103), entbindet das Verwaltungsgericht nicht von der Verpflichtung, nachvollziehbare Feststellungen zu derartigen tatsächlichen Leistungen zu treffen (vgl. VwGH 28.6.2016, Ro 2014/10/0037), dies insbesondere dann, wenn derartige Leistungen bestritten werden.
16 Das angefochtene Erkenntnis war daher schon deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben, ohne dass auf das weitere Revisionsvorbringen einzugehen war.
17 Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014. Wien, am 8. August 2018
Schlagworte
Sachverhalt SachverhaltsfeststellungBesondere RechtsgebieteVerfahrensbestimmungenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2018:RA2017100155.L00Im RIS seit
03.09.2018Zuletzt aktualisiert am
25.09.2018