Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 23. August 2018 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé, Dr. Oshidari, Dr. Michel-Kwapinski und Dr. Brenner in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Wieser als Schriftführerin in der Strafsache gegen Mario B***** und einen weiteren Angeklagten wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 4 Z 3 SMG und weiterer strafbarer Handlungen, AZ 603 Hv 4/18f des Landesgerichts Korneuburg, über die von der Generalprokuratur gegen das Urteil dieses Gerichts als Schöffengericht vom 4. April 2018, GZ 603 Hv 4/18f-62, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Höpler, und des Verteidigers Mag. Häussler zu Recht erkannt:
Spruch
Das Urteil des Landesgerichts Korneuburg als Schöffengericht vom 4. April 2018, GZ 603 Hv 4/18f-62, verletzt
1./ im Schuldspruch A./I./1./ betreffend 33 Stück Lexotanil 3 mg-Tabletten enthaltend Bromazepam, 20 Stück Xanor 0,5 mg-Tabletten enthaltend Alprazolam und sechs Stück Praxiten 15 mg-Tabletten enthaltend Oxazepam § 27 Abs 1 Z 1 zweiter Fall SMG;
2./ im Schuldspruch A./II./ § 30 Abs 1 zweiter Fall SMG;
3./ im Schuldspruch A./I./3./a./ § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 4 Z 3 SMG;
4./ in den Schuldsprüchen A./I./3./b./ und B./I./2./c./ § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 3 SMG;
5./ im Schuldspruch B./I./2./a./ § 28a Abs 1 fünfter Fall SMG;
6./ im Schuldspruch A./IV./ § 105 Abs 1 StGB.
Das Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, wird in den Schuldsprüchen A./I./, A./II./, A./IV./ und B./I./, demgemäß in den die Verurteilten Mario B***** und Marcus R***** betreffenden Strafaussprüchen (einschließlich der Vorhaftanrechnungen) aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Korneuburg verwiesen.
Text
Gründe:
Mit rechtskräftigem (ON 61 S 22) Urteil des Landesgerichts Korneuburg als Schöffengericht vom 4. April 2018, GZ 603 Hv 4/18f-62, wurden
Mario B***** der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 zweiter Fall SMG (A./I./1./ und A./I./2./), jeweils eines Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 4 Z 3 SMG (A./I./3./a./) und nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 3 SMG (A./I./3./b./) sowie der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 achter Fall SMG (A./I./3./c./ und A./I./3./d./), des unerlaubten Umgangs mit psychotropen Stoffen nach (richtig) § 30 Abs 1 zweiter Fall SMG (A./II./), des Diebstahls nach § 127 StGB (A./III./), der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB (A./IV./) und nach § 50 Abs 1 Z 3 WaffG (A./V./) und
Marcus R***** „des“ Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach (richtig) § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall SMG ([richtig] B./I./1./), des Vergehens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 3 SMG (B./I./2./a./), „des“ Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 achter Fall, Abs 2 SMG (B./I./2./b./), des „Vergehens“ des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 3, Abs 3 SMG (B./I./2./c./) und des Vergehens nach § 50 Abs 1 Z 2 WaffG (B./II./)
schuldig erkannt.
Danach haben
A./ Mario B*****
I./ vorschriftswidrig Suchtgift
1./ zumindest am 23. August 2017 in K***** besessen, und zwar
ein Gripsäckchen Cannabiskraut und ein Gripsäckchen Cannabisharz enthaltend „Delta-9-THC/THCA“,
zwei grüne Tabletten mit dem Logo „Spinne“ enthaltend MDMA und MDE,
ein Briefchen mit braunem Pulver, einen Ball mit braunem Pulver und ein Schnupfröhrchen, jeweils enthaltend Heroin und Monoacetylmorphin,
eine rote Tablette „Alien-Kopf“, eine lila Tablette, eine rote Tablette „Popcorn“, eine rote Tablette sternförmig, eine weiße Tablette „Dominostein“ und eine blaue Tablette „Cry later“, jeweils enthaltend MDMA,
ein Braunglasfläschchen „Codipertussin“ enthaltend Codein,
fünf Tramadolor 100 mg-Ampullen enthaltend Tramadol,
33 Stück Lexotanil 3 mg-Tabletten enthaltend Bromazepam,
36 Stück Vendal-retard 200 mg-Filmtabletten enthaltend Morphin,
eine Subutex 8 mg-Tablette enthaltend Buprenorphin,
20 Stück Xanor 0,5 mg-Tabletten enthaltend Alprazolam,
sechs Stück Praxiten 15 mg-Tabletten enthaltend Oxazepam;
2./ zumindest am 13. Dezember 2017 in K***** besessen, und zwar 31,24 Gramm Cannabiskraut;
3./ anderen überlassen, und zwar
a./ vom Frühjahr 2016 bis zum November 2017 in W***** dem Marcus R***** insgesamt zumindest 1.400 Gramm Kokain mit einem Reinheitsgehalt von zumindest 30 %, somit mit einer das Fünfundzwanzigfache der Grenzmenge übersteigenden Reinsubstanz von zumindest 420 Gramm „Cocain.HCl“, zwecks Lagerung zum späteren Weiterverkauf durch Mario B***** an unbekannte Abnehmer;
b./ vom Frühjahr 2016 bis zum November 2017 an nicht mehr feststellbaren Orten eine Teilmenge des zu A./I./3./a./ genannten Kokains von rund 1 kg brutto, somit mit einer die Grenzmenge um das Fünfzehnfache übersteigenden Reinsubstanz, nachdem er es von Marcus R***** wieder abgeholt hatte, durch Verkauf an unbekannte Abnehmer;
c./ an Michaela W***** vom Jahr 2013 bis zum Sommer 2017 in W***** rund zwei Gramm Cannabiskraut und in K***** zwei Gramm Kokain;
d./ an Evelyne M***** vom Dezember 2016 bis zum Mai 2017 in W***** zumindest sechs Gramm Cannabiskraut;
II./ zumindest am 23. August 2017 in K***** vorschriftswidrig einen psychotropen Stoff, und zwar eine Tablette enthaltend 4-AcO-DMT, besessen;
III./ vor dem 23. August 2017 (US 9) in W***** im Urteil teils namentlich genannten Patienten sowie Verfügungsberechtigten des Geriatriezentrums D***** fremde bewegliche Sachen in nicht mehr feststellbarem Wert mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz weggenommen, nämlich
- eine Packung Lexotanil mit 50 Tabletten,
- eine Flasche Codipertussin,
- eine Packung Haldol 2 mg/ml Tropfen,
- fünf Ampullen Tramadolor 100 mg – Ampullen,
- 33 Tabletten Lexotanil 33 mg,
- 20 Tabletten Xanor 0,5 mg,
- sechs Tabletten Praxiten 15 mg und
- ein Stethoskop;
IV./ in K***** im Juli oder August 2017 den David Bu***** durch die Worte, Bu***** solle sich schleichen, sonst werde er ihm eine mit der Staffel überziehen, wobei er eine 5/8-Holzstaffel in Händen hielt, zum Verlassen seines Standplatzes genötigt;
V./ in K***** eine Waffe, nämlich ein Bajonett, besessen, obwohl ihm dies gemäß § 12 WaffG verboten war;
B./ Marcus R***** in W*****
I./ vorschriftswidrig Suchtgift
1./ vom Dezember 2015 bis zum Dezember 2017 erworben und besessen, und zwar insgesamt 6 kg Marihuana, beinhaltend Delta-9-THC und THCA, von unbekannten Lieferanten und zumindest 1.400 Gramm Kokain, beinhaltend zumindest 420 Gramm „Cocain.HCl“ von Mario B*****;
2./ anderen überlassen, und zwar
a./ vom Dezember 2015 bis zum Dezember 2017 (US 9) insgesamt 4.800 Gramm Marihuana, somit in einer die Grenzmenge übersteigenden Menge an Delta-9-THC und THCA, und
b./ vom Frühjahr 2016 bis zum Dezember 2017 (US 8 f) zumindest 10 Gramm Kokain, beinhaltend „Cocain.HCl“,
durch gewinnbringenden Verkauf an Dritte, wobei er selbst an Suchtmittel gewöhnt war und die Taten vorwiegend deshalb beging, um sich für seinen persönlichen Gebrauch Suchtmittel oder Mittel zu deren Erwerb zu verschaffen;
c./ vom Frühjahr 2016 bis zum November 2017 eine Teilmenge des zu A./I./3./a./ genannten Kokains von rund 1 kg brutto mit einer die Grenzmenge um das Fünfzehnfache übersteigenden Reinsubstanz von zumindest 300 Gramm „Cocain.HCl“ dem Mario B***** zwecks Weiterverkauf an unbekannte Abnehmer;
II./ zumindest am 13. Dezember 2017 eine verbotene Waffe, nämlich eine Stahlrute, besessen.
II./ Dieses Urteil verletzt – wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend aufzeigt – in mehrfacher Hinsicht das Gesetz.
Rechtliche Beurteilung
Zu den Gesetzesverletzungen:
1./ Zu A./I./1./ wurde Mario B***** schuldig erkannt, vorschriftswidrig Suchtgift, darunter auch Medikamente enthaltend die Wirkstoffe Bromazepam, Alprazolam und Oxazepam besessen und hiedurch die Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 zweiter Fall SMG begangen zu haben.
Nach § 2 SMG sind Suchtgifte im Sinn des Suchtmittelgesetzes Stoffe und Zubereitungen, die mit Verordnung des Bundesministers oder der Bundesministerin für Gesundheit als Suchtgifte bezeichnet oder Suchtgiften gleichgestellt werden, somit gemäß § 1 der Verordnung der Bundesministerin für Arbeit, Gesundheit und Soziales über den Verkehr und die Gebarung mit Suchtgiften (Suchtgiftverordnung – SV) die in den dort genannten Anhängen erfassten Stoffe und Zubereitungen (Anhänge I.1., I.2., II, III, IV.1., IV.2., V.1. und V.2.).
Die Wirkstoffe Bromazepam, Alprazolam und Oxazepam sind in diesen Anhängen nicht genannt, sodass der Schuldspruch nach § 27 Abs 1 Z 1 zweiter Fall SMG insoweit zu Unrecht erfolgte. Vielmehr sind diese Wirkstoffe in der Anlage 1 der Verordnung der Bundesministerin für Arbeit, Gesundheit und Soziales über den Verkehr und die Gebarung mit psychotropen Stoffen (Psychotropenverordnung – PV) angeführt und unterliegt unter anderem deren vorschriftswidriger Besitz der Strafbarkeit nach den §§ 30 ff SMG (vgl § 3 SMG; Hinterhofer in Hinterhofer SMG2 §§ 1–4 Rz 50 ff).
2./ Zu A./II./ wurde Mario B***** wegen des Besitzes des psychotropen Stoffs „4-AcO-DMT“ des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit psychotropen Stoffen nach § 30 Abs 1 zweiter Fall SMG schuldig erkannt.
Nach § 3 SMG sind psychotrope Stoffe im Sinn des Suchtmittelgesetzes Stoffe und Zubereitungen, die mit Verordnung des Bundesministers oder der Bundesministerin für Gesundheit als psychotrope Stoffe bezeichnet oder psychotropen Stoffen gleichgestellt werden, somit gemäß § 1 der Verordnung der Bundesministerin für Arbeit, Gesundheit und Soziales über den Verkehr und die Gebarung mit psychotropen Stoffen (Psychotropenverordnung – PV) die in der dort genannten Anlage 1 erfassten Stoffe und Zubereitungen.
Ob es sich bei dem Wirkstoff „4-AcO-DMT“, der in der Anlage 1 der PV nicht genannt ist, um einen der dort angeführten Wirkstoffe, oder allenfalls um den in Anhang V.1. der Suchtgiftverordnung genannten Wirkstoff DMT handelt, kann auf Urteilsbasis mangels entsprechender Feststellungen nicht beurteilt werden.
3./ Zu A./I./3./a./ und A./I./3./b./ sowie B./I./2./c./ sprach das Gericht Mario B***** und Marcus R***** wegen des Überlassens von „Cocain.HCl“ in einer das Fünfzehnfache (A./I./3./b./; B./I./2./c./) und das Fünfundzwanzigfache (A./I./3./a./) der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge schuldig.
Die vom Erstgericht konstatierte Reinsubstanz „Cocain.HCl“ enthält zwar jedenfalls Cocain in Reinsubstanz im Sinn der Suchtgiftverordnung, entspricht jedoch nicht der im Anhang unter 1./ zur Verordnung des Bundesministers für Gesundheit über die Grenzmengen der Suchtgifte (Suchtgift-Grenzmengenverordnung – SGV) genannten Substanz „Cocain“; die zu dieser festgesetzte Grenzmenge von 15 Gramm bezieht sich gemäß § 2 SGV nur auf die Base dieses Suchtgifts. Eine Überschreitung der Grenzmenge (§ 28b SMG) sowie des Fünfzehnfachen und des Fünfundzwanzigfachen der Grenzmenge lässt sich auf dieser Sachverhaltsgrundlage nicht beurteilen (RIS-Justiz RS0114428 [T5]).
4./ Zu Schuldspruch B./I./2./c./ stellte das Gericht fest, dass Marcus R***** in seiner Wohnung Kokain für Mario B***** aufbewahrte, welches sich dieser teilweise wieder in Teilmengen abholte (US 8 f; „überlassen, sprich zurück geben“ [US 9]) und sprach ihn wegen des Überlassens von Suchtgift (an Mario B*****) schuldig.
Die vorschriftswidrige Weitergabe von Suchtgift an andere Personen ist kein „Überlassen“ von Suchtgift (§ 27 Abs 1 Z 1 achter Fall, § 28a Abs 1 fünfter Fall SMG), wenn diese Personen zuvor schon zumindest (Mit-)Gewahrsam an diesem Suchtgift erlangt und diesen Gewahrsam in weiterer Folge auch nicht aufgegeben haben (RIS-Justiz RS0115882). Der Gewahrsamsbegriff im Zusammenhang mit dem Überlassen von Suchtgift ist in gleicher Weise auszulegen, wie jener bei den Vermögensdelikten. Er knüpft als faktisch-normativer Begriff an die mit Herrschaftswillen verbundene tatsächliche Sachherrschaft an. Das solcherart angesprochene Verhältnis erfordert keine greifbare Nähe zur Sache. Vielmehr reicht auch jede Form eines sogenannten gelockerten Gewahrsams im Sinn einer sozialen Zuordnung eines Gegenstands zu einer Person. Diese im Gewahrsam befindliche Sache muss auch bei fehlender körperlicher Anwesenheit des Gewahrsamsträgers diesem kraft sozialer Zuschreibungsmomente zuordenbar sein. An Sachen, die jemand zurücklässt und dort wieder an sich nimmt, bleibt ein Mitgewahrsam auch dann bestehen, wenn ein anderer zwischenzeitig Zugriff auf diese Sache hat (vgl hiezu 14 Os 123/07f mwN).
Feststellungen, wonach Mario B***** hinsichtlich jenes Suchtgiftes, welches er bei Marcus R***** lagerte (vgl US 8: „versteckte der Erstangeklagte“) und in Teilmengen wieder abholte, keinen Mitgewahrsam behielt, wurden nicht getroffen, wären jedoch Voraussetzung für den in diesem Zusammenhang ergangenen Schuldspruch des Marcus R***** wegen des Überlassens von Suchtgift an Mario B*****.
5./ Zu A./I./3./a./ stellte das Gericht fest, dass Mario B***** im Zeitraum vom Frühjahr 2016 bis zum November 2017 „rund 1400 Gramm Kokain, beinhaltend zumindest 420 Gramm Cocain.HCl“, in der Wohnung des Marcus R***** versteckte (US 8), zu A./I./3./b./, dass er hievon immer wieder Teilmengen („rund 1000 Gramm brutto mit einer Reinsubstanz von zumindest 300 Gramm Kokain HCl“) abholte und an seine Abnehmer weiterverkaufte (US 9). Zur subjektiven Tatseite konstatierten die Tatrichter, dass Mario B***** „über die Gesamtmenge Bescheid gewusst“ habe (US 8). Sie subsumierten die Taten als Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 4 Z 3 SMG (A./I./3./a./) und nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 3 SMG (A./I./3./b./).
Für sich alleine die Grenzmenge (§ 28b SMG) nicht erreichende Suchtgiftmengen mehrerer einzelner Tathandlungen sind nur dann zu addieren, wenn auf der subjektiven Seite der (zumindest bedingte) Vorsatz des Täters von vornherein jeweils auch den an die bewusst kontinuierliche Begehung geknüpften Additionseffekt mitumfasst (Matzka/Zeder/Rüdisser, SMG³ § 28b Rz 18; vgl RIS-Justiz RS0124018).
Einen solchen (mengenbezogenen) Additionsvorsatz hat das Gericht zu den genannten Schuldsprüchen nicht festgestellt.
6./ Zu B./I./2./a./ stellte das Gericht fest, dass Marcus R***** rund 4.800 Gramm Cannabiskraut, beinhaltend Delta-9-THC an unbekannte Abnehmer weiterverkaufte, „wobei er dabei in seinen Vorsatz aufgenommen hat, dass er durch die Addition der jeweils verkauften Mengen insgesamt eine große bzw übergroße Menge an Suchtgift anderen überlässt“ (US 9). Feststellungen zum Reinheitsgehalt dieses Suchtgiftquantums enthält das Urteil nicht.
Die bloße Nennung der Menge von Suchtgift unter Hinzufügung der Bezeichnung „in einer die Grenzmenge übersteigenden Menge“ ohne jegliche Feststellungen über die Beschaffenheit dieses Suchtmittels erlaubt keine verlässliche Beurteilung, ob durch die vom Schuldspruch erfasste Weitergabe tatsächlich eine große Menge im Sinne des § 28b SMG iVm § 1 der Suchtgift-Grenzmengenverordnung in Verkehr gesetzt wurde (RIS-Justiz RS0111350).
7./ Zu A./IV./ wurde Mario B***** schuldig erkannt, David Bu***** durch die Worte, Bu***** solle sich schleichen, sonst werde er ihm eine mit der Staffel überziehen, wobei er eine 5/8-Holzstaffel in Händen hielt, zum Verlassen seines Standplatzes genötigt zu haben. Darüber hinausgehende Feststellungen zum Bedeutungsgehalt der inkriminierten Äußerung enthält das Urteil nicht (US 11 f).
Eine gefährliche Drohung nach § 74 Abs 1 Z 5 StGB ist nur eine solche mit einer Verletzung an Körper, Freiheit, Ehre, Vermögen oder des höchstpersönlichen Lebensbereichs, nicht jedoch mit bloßer Misshandlung (12 Os 49/15w; 14 Os 103/06p; EvBl 2007/24, 119 = SSt 2006/70; Leukauf/Steininger/Tipold StGB4 § 74 Rz 22; Jerabek in WK² StGB § 74 Rz 29 mwN), sodass entsprechende Feststellungen, welche die insoweit entscheidende Abgrenzung zulassen, erforderlich sind.
Zur Zuerkennung konkreter Wirkung gemäß § 292 letzter Satz StPO:
Aus der verfehlten Subsumtion der 33 Stück Lexotanil 3 mg-Tabletten enthaltend Bromazepam, 20 Stück Xanor 0,5 mg-Tabletten enthaltend Alprazolam und sechs Stück Praxiten 15 mg-Tabletten enthaltend Oxazepam nach § 27 Abs 1 Z 1 zweiter Fall SMG erwächst dem Verurteilten Mario B***** kein konkreter Nachteil, zumal der Schuldspruch aufgrund des unrechtmäßigen Besitzes darüber hinausgehender Suchtgifte (A./I./1./ und 2./) wegen einer unbestimmten Anzahl von Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 zweiter Fall SMG erfolgte.
Da in Ansehung der übrigen Rechtsfehler eine nachteilige Wirkung für die Verurteilten nicht auszuschließen ist, sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, deren Feststellung auf die im Spruch ersichtliche Weise mit konkreter Wirkung zu verknüpfen (§ 292 letzter Satz StPO) und zur Aufhebung der Schuldsprüche A./I./3./a./ und A./I./3./b./ zur Gänze (vgl RIS-Justiz RS0115884; Ratz, WK-StPO § 289 Rz 18) sowie der Schuldsprüche A./I./1./ und 2./, A./I./3./c./, A./I./3./d./, B./I./1./ und B./I./2./b./, deren Zulässigkeit davon abhängt, ob den Verurteilten im zweiten Rechtsgang jeweils neuerlich eine weitere, über § 27 Abs 1 oder 2 SMG hinausgehende (vgl insoweit § 35 Abs 1 iVm § 37 SMG) Straftat nach dem Suchtmittelgesetz zur Last fällt (RIS-Justiz RS0119278, RS0115884) bestimmt (§ 289 zweiter Satz iVm § 292 erster Satz StPO).
Mit Blick auf den zweiten Rechtsgang bleibt anzumerken:
1./ Auch für den Fall, dass die Urteilsfeststellungen zu B./I./2./a./ und B./I./2./c./ in Ansehung der Suchtgiftmengen – entgegen der von der Generalprokuratur zutreffend aufgezeigten Konstatierungsdefizite (siehe oben Punkte 3./ und 6./) – die rechtliche Beurteilung als Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 3, Abs 3 SMG (B./I./2./c./) und des Vergehens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 3 SMG (B./I./2./a./) getragen hätten, wäre die gesonderte Annahme eines Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 3, Abs 3 SMG (B./I./2./c./) und jeweils eines Vergehens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 3 SMG (B./I./2./a./) und des unerlaubten Umgangs mit Suchtmitteln nach § 27 Abs 1 Z 1 achter Fall, Abs 2 SMG (B./I./2./b./) rechtlich verfehlt:
Bezugspunkt des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 SMG ist „eine die Grenzmenge (§ 28b) übersteigende Menge“. Weil das Wort „übersteigend“ keine Begrenzung nach oben zulässt und das Wort „eine“ nicht als Zahlwort verstanden werden kann (12 Os 21/17f [verstärkter Senat], EvBl 2018/13, 83; RIS-Justiz RS0131856), ist daher ausgehend von dem hier festgestellten Additionsvorsatz (vgl RIS-Justiz RS0131856 [T1]) des Marcus R***** (US 8, 9, 11) das Überlassen über die Grenzmenge hinausgehender (geringer) Suchtgiftquanten nicht gesondert § 27 Abs 1 achter Fall, Abs 2 SMG zu subsumieren (vgl B./I./2./a./ und B./I./2./b./). Nach Erreichen der in § 28a Abs 2 Z 3 SMG gezogenen Grenze (B./I./2./c./) ist zudem – erneut ausgehend vom hier festgestellten, auf das Überschreiten des Fünfzehnfachen der Grenzmenge (§ 28b SMG) bezogenen Additionsvorsatz – das Vergehen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 3 SMG (vgl B./I./2./a./ und B./I./2./c./) nicht gesondert anzunehmen.
2./ Die dargestellten rechtlichen Erwägungen wären auch für den Fall eines neuerlichen Schuldspruchs des Mario B***** nach § 28a Abs 4 Z 3 SMG zu beachten.
3./ Auf die allenfalls zur Anwendung zu bringende Bestimmung des § 30 Abs 3 SMG wird hingewiesen.
Textnummer
E122546European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2018:0120OS00078.18I.0823.000Im RIS seit
03.09.2018Zuletzt aktualisiert am
27.07.2021