TE Bvwg Erkenntnis 2018/6/26 L512 2198711-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 26.06.2018
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Entscheidungsdatum

26.06.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §13 Abs2 Z2
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §18 Abs1 Z2
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z1
FPG §55 Abs1a

Spruch

L512 2198711-1/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Marlene JUNGWIRT als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, StA. der islamischen Republik Iran alias Afghanistan, vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Wien, Außenstelle Wien, vom 17.05.2018, Zl. XXXX, zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird gemäß § 3 Abs. 1, § 8 Abs. 1, § 10 Abs. 1 Z 3, § 57 AsylG 2005 idgF iVm § 9 BFA-VG sowie § 52 Abs. 2 Z 2 und Abs. 9, § 46, § 55 Absatz 1 a FPG 2005 idgF und § 18 Absatz 1 Ziffer 2 BFA-VG, § 13 Abs. 2 Ziffer 2 AsylG und § 53 Absatz 1 iVm Abs. 2 FPG als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

I.1. Der Beschwerdeführer (in weiterer Folge kurz als "BF" bezeichnet), ein Staatsangehöriger der islamischen Republik Iran, (in weiterer Folge "Iran" genannt), stellte nach illegaler Einreise am 27.01.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes brachte der BF am 28.01.2016 Folgendes vor: Er sei ledig, sei in Afghanistan geboren und sei afghanischer Staatsangehöriger. Bereits in der Befragung gab der BF an, er möchte ausschließlich richtige Angaben machen. Er korrigierte sein Geburtsdatum und gab an, dass er iranischer Staatsbürger sei und im Iran geboren sei. Er sei Christ und gehöre der persischen Volksgruppe an. Der afghanischen Schlepper im Iran habe zu ihm gesagt, er solle sich als afghanischer Flüchtling ausgeben, damit er leichter Asyl bekomme. Er wolle aber nicht lügen.

Zum Fluchtgrund befragt gab der BF an, er habe den Iran verlassen, da er Christ sei. Er sei vor 2,5 Jahren konvertiert. Die ersten beiden Jahre habe es nie jemand bemerkt. In den letzten ca. 6 Monaten sei sein Name von Freunden, die auch konvertiert seien, bei der Polizei genannt worden. Manche Freunde seien geflüchtet, manche seien festgenommen worden. Die Mutter des BF habe gesagt, dass die Polizei schon zwei Mal bei ihnen zu Hause gewesen wäre, weil sie den BF festnehmen wollten. Sie habe zum BF gesagt, er müsse flüchten. Bei einer Rückkehr in seine Heimat befürchte der BF festgenommen zu werden.

Der BF wurde mit Urteil vom XXXX des Bezirksgerichtes XXXX wegen dem Vergehen des versuchten Diebstahls nach §§ 15, 127 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 2 Monaten bedingt unter Bestimmung einer Probezeit von 3 Jahren verurteilt.

Am 20.11.2017 wurde seitens der Staatsanwaltschaft XXXX mitgeteilt, dass gegen den BF Anklage wegen §§ 127, 129 Abs 2, 298 StGB erhoben wurde.

Im Zuge einer Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in weiterer Folge kurz "BFA") brachte der BF am 26.03.2018 vor, er habe bei der Erstbefragung Dokumente mit falschen Personalien bei sich gehabt, sodass die Beamten davon ausgingen, dass der BF ein Afghane sei. Er habe dies aber gleich klargestellt. Der BF legte Unterlagen zu seiner Identität vor und gab nunmehr an, einen anderen Vor- bzw. Nachnamen zu haben.

Die Einvernahme wurde vertagt. Dem BF wurde eine Verfahrensanordnung gemäß § 13 AsylG ausgefolgt.

Am 28.03.2018 wurde seitens der Staatsanwaltschaft XXXX mitgeteilt, dass gegen den BF Anklage wegen §§ 27 Abs. 2 SMG, § 15 StGB erhoben wurde.

Vor einem Organwalter des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (in weiterer Folge kurz "BFA") brachte der BF am 04.04.2018 im Wesentlichen weiters vor: Er habe seine Personaldaten erst nachträglich richtiggestellt, da man ihm gesagt habe, dass würde nur gehen, wenn er Originaldokumente vorweisen könne.

Zum Fluchtgrund ergänzte der BF, er sei in einer muslimischen Familie zur Welt gekommen. Als er älter wurde, habe er viele Widersprüche im Islam gemerkt. Er habe eine Abneigung zum Islam entwickelt. Er habe eine Religion gesucht, die ihm ein zu Hause geben könne. Der BF fand das Christentum. Er habe die Lehre aufgenommen und habe ca. 2 1/ 2 Jahre als Christ im Iran gelebt. Er habe eine Hauskirche besucht. Er habe seine Eltern nichts darüber erzählt. Fremde seien auf Empfehlung anderer Kirchenmitglieder zur Hauskirche gekommen. Der BF habe diese Leuten nicht getraut. Nach einiger Zeit hätten diese Personen nicht mehr die Hauskirche besucht. Dann seien die Probleme entstanden. Es sei zu einer Hausdurchsuchung in der Kirche gekommen. Man habe aber nichts finden können. Trotzdem sei die Wohnung gesperrt worden. Die Personen hätten die Namen und Fotos von den Mitgliedern der Kirche weitergegeben. Die Beamten seien zwei Mal zum Haus des BF gekommen. Beim ersten Mal sei der BF nicht zu Hause gewesen, beim zweiten Mal habe sich der BF im Haus versteckt.

I.2. Der gegenständliche Antrag des BF auf internationalen Schutz wurde folglich mit im Spruch genannten Bescheid der belangten Behörde gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I). Gem. § 8 Abs 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Iran nicht zugesprochen (Spruchpunkt II). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt (Spruchpunkt III). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung in den Iran gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V). Es wurde festgehalten, dass gemäß § 55 Absatz 1a 3 FPG keine Frist zur freiwilligen Ausreise bestehe (Spruchpunkt VI). Einer Beschwerde gegen diese Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz wurde gemäß § 18 Absatz 1 Ziffer 2 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt VII). Gemäß § 13 Absatz 2 Ziffer 2 AsylG wurde festgestellt, dass der BF das Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet ab dem 20.11.2017 verloren habe (Spruchpunkt VIII). Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs 2 FPG wurde gegen den BF ein auf die Dauer von 5 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen.

I.2.1. Die belangte Behörde führte unter anderem aus, dass das Vorbringen des BF nicht glaubhaft sei. Die persönliche Glaubwürdigkeit sei bereits aufgrund der unterschiedlichen Angaben des BF zu seiner Staatsangehörigkeit, seines Geburtsdatums und seines Namens erheblich erschüttert worden. Der BF habe aufgrund seiner vagen und mit groben Wissenslücken über den christlichen Glauben verbundenen Angaben nicht nachvollziehbar verdeutlichen können, dass er Angehöriger der christlichen Glaubensgemeinschaft sei. Der BF habe weder detailliert noch konkret geschildert, warum er sein Heimatland verlassen habe. Auch nach wiederholten Nachfragen hat der BF seine Angaben weder konkretisiert noch Abläufe ausführlich dargestellt oder Details mit in sein Vorbringen einfließen lassen. So habe der BF bspw. nicht verdeutlichen können, wie geschulte und erfahrene Exekutivbeamte den BF, versteckt in einem Loch über der Wendeltreppe, nicht finden konnten. Die Angaben des BF zum Christentum seien zum Großteil detailarm, abstrakt und nicht nachvollziehbar gewesen. So habe der BF das zentrale Konzept der Trinität, die wichtigsten Tage im christlichen Jahreskalender nichts gewusst. Der BF habe über das Osterfest und die damit verbundene Auferstehung Jesu nichts sagen können, obwohl die Einvernahme nur 2 Tage nach dem Osterfest stattfand. Der BF habe nicht nachvollziehbar erklären können, warum er Ostern nicht gefeiert habe. Der BF habe seine Glaubensgemeinschaft nicht klar von anderen christlichen Glaubensrichtungen wie dem Katholizismus unterscheiden können. Dabei wäre es von einem am Christentum Interessierten zu erwarten, dass sich dieser mit derartigen Unterschieden beschäftigt. Der BF habe den Ablauf einer Messer nicht nachvollziehbar wiedergeben können. Würde der BF tatsächlich eine Messe besuchen, dann könnte er zumindest ein Lied namentlich benennen. Der Name jener Kirche, die der BF behauptet zu besuchen, war ihm kein Begriff, obwohl der Name der Kirche auf dem Taufschein ersichtlich ist. Zudem würde das strafrechtliche Verhalten des BF - mehrmaliger Versuch des Diebstahls, die Gleichgültigkeit des BF gegenüber mit dem christlichen Glauben und seiner zu Grunde liegenden Gebote ("Du sollst nicht stehle.") verdeutlichen.

I.2.2. Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Iran traf die belangte Behörde ausführliche, aktuelle Feststellungen mit nachvollziehbaren Quellenangaben.

I.2.3. Rechtlich führte die belangte Behörde aus, dass weder ein unter Art. 1 Abschnitt A Ziffer 2 der GKF noch unter § 8 Abs. 1 AsylG zu subsumierender Sachverhalt hervorkam. Es hätten sich weiters keine Hinweise auf einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG ergeben und stelle die Rückkehrentscheidung auch keinen ungerechtfertigten Eingriff in Art. 8 EMRK dar. Zudem sei die Abschiebung zulässig, da kein Sachverhalt im Sinne des § 50 Abs 1, 2 und 3 FPG vorliege. Gemäß 18 Abs 1 Ziffer 2 BFA-VG war der Beschwerde gegen die abweisende Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz die aufschiebende Wirkung abzuerkennen, da die sofortige Ausreise des BF angesichts des Verhaltens des BF im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich sei. Da keine reale Gefahr einer Menschenrechtsverletzung vorliege, sei es dem BF zumutbar, den Ausgang seines Verfahrens in seinem Herkunftsstaat abzuwarten. Gemäß § 55 Absatz 1a FPG bestehe keine Frist zur freiwillige Ausreise, da ein Verfahren gemäß § 18 BFA-VG vorliege. Gemäß § 13 Absatz 2 Ziffer 2 Asylgesetz wurde festgestellt, dass das Recht des BF zum Aufenthalt im Bundesgebiet ab dem 20.11.2017 verloren ging, da der BF gemäß § 13 Absatz 2 Ziffer 2 erfüllt habe. Gemäß § 53 2 FPG wurde ein Einreiseverbot unter Berücksichtigung des Art. 8 EMRK verhängt.

I.2.4. Die Zustellung des Bescheides erfolgte am 29.05.2018.

I.3. Gegen diesen Bescheid wurde mit im Akt ersichtlichen Schriftsatz innerhalb offener Frist wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes, mangelhafter bzw. unrichtiger Bescheidbegründung sowie Rechtswidrigkeit infolge von Verletzungen der Verfahrensvorschriften Beschwerde erhoben und der Bescheid zur Gänze angefochten.

I.3.1. Der BF stellte die Anträge,

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den angefochtenen Bescheid dahingehend abzuändern, dass dem BF der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen sei;

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in eventu dem BF den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen;

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in eventu einen Aufenthaltstitel aus brücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 55, 57 AsylG zu erteilen;

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in eventu den Bescheid ersatzlos zu beheben und zur neuerlichen Verhandlung an das BFA zurückzuverweisen;

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die ausgesprochene Rückkehrentscheidung und den Ausspruch über die Zulässigkeit der Abschiebung in den Iran aufzuheben.

I.4. Hinsichtlich des Verfahrensherganges im Detail wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

II.1.1. Der Beschwerdeführer

Beim BF handelt es sich um einen männlichen, iranischen Staatsbürger, welcher die Sprache Farsi spricht und über eine mehrjährige Schulausbildung verfügt. Er ist ledig und gehört der persischen Volksgruppe an. Der BF ist Drittstaatsangehöriger.

Der BF ist ein junger, gesunder, arbeitsfähiger Mensch. Er verfügt über bestehende familiäre Anknüpfungspunkte im Herkunftsstaat und einer - wenn auch auf niedrigerem Niveau als in Österreich - gesicherten Existenzgrundlage.

Familienangehörige des BF - seine Eltern, Halbgeschwister, Onkel und Tanten- leben nach wie vor im Herkunftsstaat des BF. Der BF hat zu Verwandten mütterlicherseits Kontakt.

Der BF hat keine Verwandten in Österreich. Der BF verfügt in Österreich über keine eigenen, den Lebensunterhalt deckenden Mittel. Er lebt von der Grundversorgung. Der BF besuchte einen Deutschkurs auf A1 Niveau. Der BF wurde mit Urteil vom XXXX des Bezirksgerichtes XXXX wegen dem Vergehen des versuchten Diebstahls nach §§ 15, 127 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 2 Monaten bedingt unter Bestimmung einer Probezeit von 3 Jahren verurteilt.

Die Identität des BF steht nicht fest.

II.1.2. Die Lage im Herkunftsstaat Iran

Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Iran werden folgende Feststellungen getroffen:

Neueste Ereignisse

Die USA ziehen sich aus dem Atom-Deal mit dem Iran zurück, und Präsident Trump unterschrieb sofort die Wiedereinsetzung der Sanktionen gegen Teheran. Es handelt sich um jene Sanktionen, die im Laufe des jahrelangen Atomstreits mit dem Iran verhängt und 2015 nach Abschluss des JCPOA (Joint Comprehensive Plan of Action), wie der Atom-Deal offiziell heißt, aufgehoben wurden. Trump behauptete gar nicht, dass der Iran den JCPOA verletze, aber er führte an, dass es nun einen "definitiven Beweis" dafür gebe, dass der Iran gelogen habe, nämlich durch die von Israels Premier Benjamin Netanjahu vor einer Woche in einer Präsentation vorgelegten Dokumente. Nun sind sich jedoch unabhängige Experten auf der ganzen Welt einig, dass diese Dokumente nichts Neues bieten. Auch die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) in Wien hatte die "Enthüllung" Netanjahus abgetan. Trumps Entscheidung war erwartet worden, sie rief dennoch vor allem Bestürzung hervor. Alle anderen 2015 am Zustandekommen des JCPOA Beteiligten wollen diesen erhalten: die EU, Großbritannien, Frankreich, Deutschland, Russland und China. Die Europäer sehen die von den USA kritisierten Verhaltensmuster des Iran ebenso negativ:

das ballistische Raketenprogramm, die Einmischungspolitik in vielen Ländern des Nahen Ostens und vor allem die militärische Präsenz in Syrien, die Unterstützung der libanesischen Hisbollah und anderer schiitischer Milizen in Syrien und im Irak und der Huthi-Rebellen in Jemen. Die Befürworter heben jedoch den Wert des Atomdeals in dem Bemühen darum, das iranische Atomprogramm, vor allem die Urananreicherung, einzudämmen, hervor. Wie es weitergeht, weiß im Moment niemand: Auch wenn die anderen Beteiligten beim Deal bleiben, könnte für den Iran der Punkt kommen, dass er sich wirtschaftlich nicht mehr auszahlt. Denn international werden Banken und Firmen noch mehr als bisher davor zurückscheuen, Geschäfte mit dem Iran zu machen: Sie müssen befürchten, dass ihnen daraus in den USA Probleme und Nachteile erwachsen. Trump sagte in seiner Rede auch, die USA würden Sanktionen gegen jene Länder verhängen, die dem Iran bei seinem Atomprogramm helfen. Das ist aber ein sehr dehnbarer Begriff. Aus dem Iran kamen unterschiedliche Signale, wie man reagieren werde. Der JCPOA, der der iranischen Bevölkerung weniger gebracht hat, als sie erwartete - die Begeisterung 2015 war groß - verliert an Unterstützung. Der US-Austritt ist ein schwerer Schlag für die pragmatischen Kräfte im Iran. Es gab immer starke Gegner des Deals im Iran: jene aus ideologischen Gründen, aber auch solche, die unter den Sanktionen beste Geschäfte gemacht hatten (Standard.at 8.5.2018).

Irans Präsident Hassan Ruhani kündigte an, das Gespräch mit den verbliebenen Vertragspartnern zu suchen, um das Abkommen zu bewahren. Zugleich warf er Trump "psychologische Kriegsführung" gegen sein Land vor und drohte, zur "unbegrenzten industriellen Urananreicherung" zurückzukehren, wenn die Gespräche mit den anderen Vertragspartnern in den folgenden Wochen erfolglos blieben. Es bleibe nur "kurze Zeit", um zu prüfen, ob Irans Interessen gemeinsam mit den anderen Ländern noch gewahrt werden könnten, sagte Ruhani und betonte, dass der Iran sich voll an das Abkommen gehalten habe. Die USA dagegen hätten in den vergangenen 40 Jahren "nie ihre Verpflichtungen eingehalten" und eine feindliche Haltung gegenüber dem Iran und den anderen Völkern der Region gezeigt (Kurier.at 9.5.2018).

Quellen:

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Standard.at (8.5.2018): Nach Trumps Rückzug aus dem Atomdeal: Wie es weitergeht, weiß im Moment niemand, https://derstandard.at/2000079440038/Niemand-weiss-wie-es-nach-Trumps-Rueckzug-aus-dem-Iran, Zugriff 9.5.2018

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Kurier.at (9.5.2018): Trump kündigt Iran-Abkommen: So reagiert die Weltgemeinschaft,

https://kurier.at/politik/ausland/trump-kuendigt-iran-abkommen-so-reagiert-die-weltgemeinschaft/400033003, Zugriff 9.5.2018

Gefälschte bzw. mit falschen Angaben erstellte Dokumente sind im Iran einfach erhältlich. Die vorgelegten Dokumente sind in den meisten Fällen echt, der Inhalt gefälscht oder verfälscht. Sowohl die von iranischen Behörden als auch von der afghanischen Botschaft im Iran ausgestellten Dokumente bestätigen unrichtige Angaben. Eine Überprüfung ist seitens der Botschaft nicht möglich. Die Überprüfungen von Dokumenten im Wege des Vertrauensanwaltes mussten eingestellt werden, da ihm seitens iranischer Stellen dies eindringlich nahegelegt wurde. Die Überprüfung von Haftbefehlen kann von der Botschaft aufgrund des Datenschutzes nicht durchgeführt werden. Die Überprüfung von Dokumenten von Afghanen (Aufenthaltsbestätigungen, Arbeitserlaubnis,...) ist auch kaum möglich, da deren Erfassung durch die staatlichen Behörden selten erfolgt, viele illegal im Land sind, geduldet werden und sich auch die Wohnorte häufig ändern. Allfällige allgemeine Erhebungen durch den Vertrauensanwalt führen daher zu nicht wirklich belastbaren, da nicht überprüfbaren Aussagen. Die afghanische Botschaft hat laut UNHCR jedenfalls kürzlich begonnen, Identitätsnachweise an afghanische Personen im Iran auszustellen (ÖB Teheran 9.2017).

Quellen:

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ÖB Teheran (9.2017): Asylländerbericht

Die Polizei im streng islamischen Iran will Frauen, die sich auf den Straßen "unislamisch" kleiden oder benehmen, belehren statt bestrafen. Frauen, die (in der Öffentlichkeit) die islamischen Vorschriften nicht beachten, würden laut Teherans Polizeichef seit einiger Zeit nicht mehr auf die Wache gebracht. Vielmehr würden sie gebeten, an Lehrklassen teilzunehmen, um ihre Sichtweise und ihr Benehmen zu korrigieren. Im Iran müssen alle Frauen und Mädchen ab neun Jahren gemäß den islamischen Vorschriften in der Öffentlichkeit ein Kopftuch und einen langen, weiten Mantel tragen, um Haare und Körperkonturen zu verbergen. "Sünderinnen" droht die Festnahme durch die Sittenpolizei, in manchen Fällen auch ein Strafverfahren und eine saftige Geldstrafe. Die Gesetze - und Strafmaßnahmen - gibt es schon seit fast 40 Jahren, genauso lange haben sie nicht viel gebracht. Die Kopftücher wurden und werden immer kleiner und die Mäntel immer kürzer und enger. Auch strengere Kontrollen der Sittenpolizei auf den Straßen führten nicht zu dem erhofften Sinneswandel der Frauen. Laut Polizeichef Rahimi gab es in diesem Jahr bereits mehr als 120 solcher Aufklärungsklassen, an denen fast 8.000 Frauen teilgenommen haben. Bewirkt haben sie anscheinend aber wenig. Nach der Wiederwahl des moderaten Präsidenten Hassan Rohani und der Ausweitung der gesellschaftlichen Freiheiten werden besonders abends immer mehr Frauen ohne Kopftuch in Autos, Cafés und Restaurants der Hauptstadt gesehen (Standard.at 27.12.2017, vgl. Kurier.at 27.12.2017).

Quellen:

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Standard.at (27.12.2017): Belehrung statt Bestrafung für "unislamisch" gekleidete Iranerinnen, https://derstandard.at/2000071088880/Belehrung-statt-Bestrafung-fuer-unislamisch-gekleidete-Iranerinnen, Zugriff 5.1.2018

-

Kurier.at (27.12.2017): Belehrung statt Bestrafung für "unislamisch" gekleidete Iranerinnen, https://kurier.at/politik/ausland/belehrung-statt-bestrafung-fuer-unislamisch-gekleidete-iranerinnen/303.910.665, Zugriff 5.1.2018

Das geistliche Oberhaupt des Iran, Ayatollah Ali Khamenei, hat die "Feinde" des Landes beschuldigt, hinter den tödlichen Protesten gegen das Regime zu stehen. "Die Feinde haben sich vereint und nutzen all ihre Mittel, ihr Geld, ihre Waffen, Politik und Sicherheitsdienste, um dem islamischen Regime Probleme zu bereiten", hieß es in einer im Staatsfernsehen veröffentlichten Erklärung Khameneis mit Blick auf "die Ereignisse der vergangenen Tage". Khamenei äußerte sich erstmals zu den Protesten, die am Donnerstag [28.12.2017] in der zweitgrößten iranischen Stadt Mashhad begonnen und sich dann auf das ganze Land ausgebreitet hatten. Zuvor hatte der iranische Sicherheitsrat (SNSC) die Proteste am Dienstag als einen vom Ausland gesteuerten "Stellvertreterkrieg" bezeichnet. SNSC-Sekretär Ali Shamkhani beschuldigte US-Präsident Donald Trump und Irans Erzfeind Saudi-Arabien, hinter den Unruhen zu stecken. Präsident Hassan Rohani aber hatte bei einer Krisensitzung am Montag gesagt, es wäre ein Fehler, die Proteste nur als ausländische Verschwörung einzustufen. "Auch sind die Probleme der Menschen nicht nur wirtschaftlicher Natur, sondern sie fordern auch mehr Freiheiten." Er kritisierte damit indirekt die Hardliner im Klerus, die seine Reformen blockieren (Presse 2.1.2018).

Im Zusammenhang mit den Protesten im Iran sind bisher insgesamt 21 Menschen getötet worden, darunter 16 Demonstranten. In der Hauptstadt Teheran wurden in den vergangenen drei Tagen nach Angaben der Behörden rund 450 Menschen festgenommen. 200 Menschen seien am Samstag festgenommen worden, 150 am Sonntag und rund hundert am Montag, sagte Ali-Asghar Naserbakht, ein Vertreter des Gouverneurbüros von Teheran, am Dienstag der Nachrichtenagentur Ilna, die den reformorientierten Kräften nahe steht. Eine genaue Zahl für die Verhaftungen im ganzen Land liegt noch nicht vor, es sollen aber unbestätigten Berichten zufolge mehrere Hundert sein (Kurier 2.1.2018).

Die Proteste hatten sich an gestiegenen Preisen für Lebensmittel und der hohen Arbeitslosigkeit entzündet. Trotz der Aufhebung von Wirtschaftssanktionen im Zuge des Atomabkommens kommt der Aufschwung im Iran nur schleppend in Gang. Viele junge Iraner bekommen ihn gar nicht zu spüren, die Jugendarbeitslosigkeit beträgt fast 29 Prozent.

Zugleich streben viele Iraner nach Wandel: Zunehmend wurde bei den Protesten scharfe Kritik an der Führung in Teheran laut. Dazu zählten auch Rücktrittsforderungen an Khamenei (Presse 2.1.2018).

Quellen:

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Presse.at (2.1.2018): Iran-Proteste: Khamenei macht "Feinde" Teherans verantwortlich,

https://diepresse.com/home/ausland/aussenpolitik/5346731/IranProteste_Khamenei-macht-Feinde-Teherans-verantwortlich, Zugriff 2.1.2018

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Kurier.at (2.1.2018): Iran: Khamenei macht "Feinde" verantwortlich,

https://kurier.at/politik/ausland/iran-weitere-todesopfer-450-festnahmen/304.638.193, Zugriff 2.1.2018

Am 19.5.2017 wurde der als moderat geltende Präsident Hassan Rohani im Amt bestätigt. Er setzte sich gegen den Konservativen Ebrahim Raisi durch. Seine Wahl gilt als Signal, dass die iranische Bevölkerung seinen Kurs der internationalen Öffnung des Landes unterstützt (Zeit 21.5.2017).

Als Verlierer der Wahl sieht die Frankfurter Allgemeine Zeitung den Obersten Führer Ali Khameini, da der Verlierer Raisi sein Kandidat war. Raisi war vor der Abstimmung als möglicher Nachfolger des kränkelnden Khamenei genannt worden. Das Amt des Präsidenten, hieß es, werde für Raisi im Falle eines Wahlsieges nur ein Zwischenschritt sein. Diesen Plan hat die Jugend in Irans Städten mit ihrem Ruf nach mehr Freiheit durchkreuzt. Das Votum zeigt: Der Oberste Führer ist nicht allmächtig. Amtsinhaber Rohani hat ein starkes Mandat erhalten, seine Politik der Öffnung des Landes fortzusetzen. Ein Grund zum Jubeln ist das aber noch lange nicht. Schon die erste Amtszeit Rohanis hat gezeigt, dass ihm die Kraft fehlt, um die von ihm versprochenen Freiheiten und Reformen durchzusetzen. Mit großer Härte ist die Justiz auch in den vergangenen vier Jahren gegen Regimekritiker vorgegangen. Meinungs- und Versammlungsfreiheit bleiben eingeschränkt. Die Sittenpolizei patrouilliert weiter, wenn auch weniger aggressiv als unter Rohanis Amtsvorgänger. Wenn Irans Reformer sich dennoch entschlossen haben, Rohani abermals mit ihrer beachtlichen Wählerbasis zu unterstützen, liegt das nicht daran, dass Rohani selbst ein Reformer wäre. Vielmehr haben sie ihre Hoffnungen, dass ein schneller Wandel möglich wäre, spätestens seit der Niederschlagung der Protestbewegung von 2009 aufgegeben. Auch die von Rohani verkündete Annäherung an den Westen kommt nur in kleinen Schritten voran. Einer Normalisierung der Beziehungen zum Westen steht zudem Irans militärisches Vorgehen in der Region entgegen. Teheran hat Tausende Milizionäre nach Syrien entsandt, um Diktator Baschar al-Assad an der Macht zu halten. Es finanziert und bewaffnet die libanesische Hizbollah und die palästinensische Hamas, die beide Israel bedrohen. Präsident Rohani wird daran auch in seiner zweiten Amtszeit nichts ändern. Nicht er bestimmt die Sicherheitspolitik, sondern der Oberste Führer. Wirkliche Veränderungen werden im Iran erst möglich sein, wenn Ali Khamenei nicht mehr Oberster Führer ist (FAZ 22.5.2017).

Am selben Tag der Präsidentschaftswahl fanden auch Kommunalwahlen in Teheran statt. Die Vertreter einer gemäßigten Politik haben auch den Stadtrat von Teheran erobert - alle 21 Sitze gingen an Kandidaten des moderaten Lagers. Damit verloren die Konservativen zum ersten Mal seit 14 Jahren die Macht im Stadtrat der iranischen Hauptstadt. Das Ergebnis der Kommunalwahl in Teheran ist eine schwere Niederlage für den amtierenden konservativen Bürgermeister Mohammed Bagher Ghalibaf. Er hatte seine Kandidatur für das Präsidentenamt kurz vor der Wahl zurückgezogen, um Raisi zu unterstützen. Ghalibaf war zwölf Jahre lang Bürgermeister von Teheran, er folgte 2005 dem ultrakonservativen Hardliner Mahmud Ahmadinedschad (Zeit 21.5.2017).

Quellen:

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FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung (22.5.2017): Präsidentenwahl in Iran. Kein Grund zum Jubeln, http://www.faz.net/aktuell/politik/praesidentenwahl-in-iran-kein-grund-zum-jubeln-15025515.html, Zugriff 22.5.2017

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Zeit (21.5.2017): Moderates Lager gewinnt Mehrheit in Teheran, http://www.zeit.de/politik/ausland/2017-05/iran-wahl-teheran-stadtrat-hassan-rohani, Zugriff 22.5.2017

Politische Lage

Die komplexen Strukturen politischer Macht in der Islamischen Republik Iran sind sowohl von republikanischen als auch autoritären Elementen gekennzeichnet. Höchste politische Instanz ist der "Oberste Führer der Islamischen Revolution", Ayatollah Seyed Ali Khamene'i, der als Ausdruck des Herrschaftsprinzips des "velayat-e faqih" (Vormundschaft des Islamischen Rechtsgelehrten) über eine verfassungsmäßig verankerte Richtlinienkompetenz verfügt, Oberbefehlshaber der Streitkräfte ist und das letzte Wort in politischen Grundsatz- und ggf. auch Detailfragen hat. Er wird von einer vom Volk auf acht Jahre gewählten Klerikerversammlung (Expertenrat) auf unbefristete Zeit bestimmt. Leiter der Exekutive ist der iranische Staatspräsident, seit August 2013 Dr. Hassan Rohani, der vom Volk in direkten Wahlen auf vier Jahre gewählt und vom Revolutionsführer bestätigt wird. Die letzten Präsidentschaftswahlen fanden im Juni 2013 statt. Der Staatspräsident bildet ein Kabinett; das Parlament muss den einzelnen Ministern zustimmen und kann ihnen das Vertrauen auch wieder entziehen. Auch das Parlament wird auf vier Jahre direkt vom Volk gewählt. Sowohl Parlament als auch Regierung haben legislatives Initiativrecht. Als Kontrollinstanz fungiert im Gesetzgebungsverfahren der "Wächterrat" (bestehend aus sechs vom Revolutionsführer ausgewählten islamischen Rechtsgelehrten und sechs vom Parlament bestellten juristischen Experten), der auch über weitreichende Befugnisse der Verfassungsauslegung und bei der Vorauswahl der Kandidaten bei Parlaments-, Präsidentschafts- und Expertenratswahlen verfügt. Der "Schlichtungsrat" fungiert im Gesetzgebungsverfahren als vermittelndes Gremium und hat darüber hinaus die Aufgabe, auf die Wahrung der "Gesamtinteressen des Systems" zu achten (AA 6.2016a, vgl. ÖB Teheran 10.2016).

Das iranische Volk hat am 26. Februar 2016 das Parlament und den Expertenrat gewählt. Während Letzterer weiterhin stark konservativ dominiert ist, ist das neue Parlament deutlich zentristischer als zuvor. Der wiedergewählte traditionell-konservative Parlamentspräsident Larijani und Teile seiner Unterstützer haben sich im Zuge des Konflikts um die Verabschiedung des Nuklearabkommens im letzten Sommer der Regierung sichtbar angenähert. Die pragmatische Unterstützung Rohanis durch Larijani dürfte sich auch in Zukunft fallabhängig wiederholen und wirkt insgesamt systemstabilisierend. Weiterhin zeigen institutionelle Vetorechte des konservativen Establishments der Regierung Rohani und ihrer innenpolitischen Agenda von mehr Bürgerrechten und mehr Freiheiten Grenzen auf. Die Regierung Rohani ist überdies weiterhin bestrebt, den Iran aus seiner außenpolitischen Isolierung herauszuführen. Wichtige Grundlage hierfür war der Abschluss des Nuklearabkommens. Die Revolutionsgarden (IRGC) bleiben militärischer, politischer und wirtschaftlicher Machtfaktor im Gefüge der Islamischen Republik. Sie begrenzen die Macht des Staatspräsidenten in grundsätzlichen Fragen. Es gelang der Regierung, den dramatischen Rückgang der Wirtschaftsaktivität seit 2011 aufzuhalten, die Inflation auf unter 10 % zurückzufahren und die Währung zu stabilisieren (AA 8.12.2016).

Seit 1979 ist der Iran eine Islamische Republik, wobei versucht wird, demokratische und islamische Elemente miteinander zu verbinden. Die Verfassung besagt, dass alle Gesetze sowie die Verfassung auf islamischen Kriterien beruhen müssen. Mit einer demokratischen Verfassung im europäischen Sinne kann sie daher nicht verglichen werden. Das iranische Regierungssystem ist ein präsidentielles, d.h. an der Spitze der Regierung steht der vom Volk für vier Jahre direkt gewählte Präsident (Amtsinhaber seit 2013 Hassan Rohani). Ebenfalls alle vier Jahre gewählt wird die Majlis - Majles-e Shorâ-ye Eslami / Islamische Beratende Versammlung -, ein Einkammerparlament mit 290 Abgeordneten, das (mit europäischen Parlamenten vergleichbare) legislative Kompetenzen hat sowie Regierungsmitgliedern das Vertrauen entziehen kann. Über dem Präsidenten, der laut Verfassung auch Regierungschef ist, steht der Oberste Führer, seit 1989 Ayatollah Seyed Ali Hosseini Khamenei. Der Oberste Führer ist wesentlich mächtiger als der Präsident, ihm unterstehen u.a. die Revolutionsgarden (Pasdaran; Abk.: IRGC) und damit auch die mehrere Millionen Mitglieder umfassenden, paramilitärischen Basij-Milizen. Für die entscheidenden Fragen der Islamischen Republik ist letztlich der Oberste Führer verantwortlich (ÖB Teheran 10.2016).

Ausschließlich politische Parteien und Fraktionen, die sich dem Establishment und der Staatsideologie als loyal erweisen, ist es erlaubt, im Iran zu arbeiten. Reformistische Parteien und Politiker sind seit 2009 immer wieder unter Druck geraten (FH 2017).

Das Parlament, der Expertenrat sowie der Präsident werden in geheimen und direkten Wahlen vom Volk gewählt. Dabei sind Ablauf, Durchführung sowie Kontroll- und Überprüfungsmechanismen der Wahlen in technischer Hinsicht grundsätzlich gut konzipiert. Den OECD-Standards entspricht das Wahlsystem jedoch schon aus dem Grund nicht, dass sämtliche Kandidaten im Vorfeld durch den vom Revolutionsführer und Justizchef ernannten Wächterrat zugelassen werden müssen (AA 8.12.2016, vgl. IPG 27.1.2014). Der Revolutionsführer ist oberste Entscheidungsinstanz und Schiedsrichter, kann zentrale Entscheidungen aber nicht gegen wichtige Machtzentren treffen. Parteien [im westeuropäischen Verständnis] gibt es in Iran nicht. Politische Gruppierungen bilden sich um Personen oder Verwandtschaftsbeziehungen oder die Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen (z.B. Klerus). Die Mitgliedschaft und Allianzen untereinander unterliegen dabei ständigem Wandel. Aufgrund der schwierigen Lage der reformorientierten Opposition unterstützt diese im Wesentlichen den im politischen Zentrum des Systems Islamische Republik angesiedelten Präsidenten Rohani (AA 8.12.2016).

Die Mitte Juli 2015 in Wien erfolgreich abgeschlossenen Verhandlungen über das iranische Atomprogramm im "Joint Comprehensive Plan of Action" (JCPOA) genannten Abkommen und dessen Umsetzung am 16. Jänner 2016 führten zu einer Veränderung der Beziehungen zwischen dem Iran und der internationalen Gemeinschaft:

Die mit dem iranischen Atomprogramm begründeten Sanktionen wurden aufgehoben bzw. ausgesetzt. Seither gibt es einen intensiven Besuchs- und Delegationsaustausch mit dem Iran, zahlreiche neue Wirtschaftsverträge wurden unterzeichnet. Die Erwartung, dass durch den erfolgreichen Abschluss des JCPOA die reformistischen Kräfte im Iran gestärkt werden, wurde in den Parlamentswahlen im Februar bzw. April (Stichwahl) 2016 erfüllt: Die Reformer und Moderaten konnten starke Zugewinne erreichen, so gingen erstmals alle Parlamentssitze für die Provinz Teheran an das Lager der Reformer. 217 der bisherigen 290 Abgeordneten wurden nicht wiedergewählt. Auf Reformbestrebungen bzw. die wirtschaftliche Öffnung des Landes durch die Regierung Rohanis wird von Hardlinern in Justiz und politischen Institutionen mit verstärktem Vorgehen gegen "unislamisches" oder konterrevolutionäres Verhalten reagiert. Es kann daher nicht von einer wirklichen Verbesserung der Menschenrechtslage gesprochen werden; insbesondere für einige religiöse Minderheiten, wie die Bahai, und Journalisten wird eher von einer Verschlechterung der Situation im Jahr 2015 ausgegangen. Dies zeigt sich gegenwärtig etwa in der Vorlage einer Gesetzesnovelle für das Medienrecht, welche die Meinungsfreiheit von Journalisten weiter einschränkt. (ÖB Teheran 10.2016).

Die Machtkämpfe zwischen Hardlinern und Reformern dauern im Iran schon fast vierzig Jahre an. Nie zuvor jedoch disqualifizierten die greisen Kleriker des allmächtigen Wächterrates so viele Bewerber bei einer Parlamentswahl [26.2.2016] wie diesmal. Sieben lange Wochen dauerte das Ringen hinter den Kulissen, sieben kurze Tage der eigentliche Wahlkampf. Am Ende kam auf den Stimmzetteln ein Reformkandidat auf 30 Hardliner. Landesweit lag die Zahl der zugelassenen Politiker, die für eine Öffnung der Islamischen Republik eintreten, bei kümmerlichen 200 und damit sogar unterhalb der Gesamtmenge von 290 Wahlkreisen. Und trotzdem erteilte das Volk den durch beispiellose klerikale Machtwillkür dezimierten Mitstreitern des moderaten Präsidenten Hassan Rohani ein eindeutiges Mandat. In der 16-Millionen-Metropolregion Teheran eroberten die Reformer sämtliche Sitze. In der Provinz verschoben sich ebenfalls die Gewichte, wenn auch nicht so fundamental wie in der Hauptstadt. Doch die lähmende Dominanz der Erzkonservativen ist vorbei. Die Mehrheit der Iraner zeigte auf dem Stimmzettel, dass sie dem Ende des Atomkonflikts zustimmt und für mehr Offenheit und Pluralität im Inneren votiert. Hassan Rohani, der den Wahltag zu einem Referendum über seine Politik erklärt hatte, ist gestärkt. Er kann künftig bei der Regierungsbildung freier agieren. Zudem sind die Hardliner durch diese Niederlage mit ihrem Ziel gescheitert, den Handlungsspielraum des Präsidenten in einer möglichen zweiten Amtszeit ab 2017 einzuschränken. Nun aber hat Rohani gute Chancen, während der ersten Neuwahl eines Revolutionsführers in der Geschichte der Islamischen Republik Präsident zu sein. Machthaber Ali Chamenei ist betagt [76 Jahre] und hat [Prostata]Krebs. 2009 verhinderten er und seine erzkonservative Gefolgschaft den Ansturm der Reformer mit einer Unterdrückungskampagne. Doch seit dem Atomkompromiss verschieben sich die innenpolitischen Gewichte massiv. Das Volk will nach dem außenpolitischen Aufbruch nun auch die Umsetzung der Reformen im Inneren. 2013 bei seiner Wahl hatte Rohani den Bürgern sogar eine Grundrechtecharta in Aussicht gestellt, die die Willkürmacht der islamischen Herrschaft begrenzen soll. Gut zwei Jahre hielten die 81 Millionen Iraner still und ertrugen die Betonfraktion, wohl wissend, dass ihr Präsident zunächst den Atomstreit lösen würde. Die Zahl der Hinrichtungen stieg auf ein Rekordniveau, politische Aktivisten und sogar Musiker wurden zu drakonischen Haftstrafen verurteilt, Zeitungen geschlossen. Entsprechend lang ist die politische, soziale und kulturelle Forderungsliste der Menschen für die nächsten beiden Jahre - angefangen von Pressefreiheit und Parteienvielfalt bis hin zur Freilassung aller politischen Häftlinge, allen voran der Ikonen der Grünen Bewegung von 2009, die damaligen Präsidentschaftsbewerber Mir Hossein Mussawi und Mehdi Karroubi. Ob Rohani diese Erwartungen erfüllen kann, ist ungewiss (Zeit Online 29.2.2016).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (8.12.2016): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran

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AA - Auswärtiges Amt (6.2016a): Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Iran/Innenpolitik_node.html, Zugriff 13.3.2017

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FH - Freedom House (2017): Freedom in the World 2017, https://freedomhouse.org/report/freedom-world/2017/iran, Zugriff 25.4.2017

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IPG - Internationale Politik und Gesellschaft (27.1.2014): Wer jetzt Druck fordert, versteht den Iran nicht!

http://www.ipg-journal.de/kommentar/artikel/wer-jetzt-an-druck-glaubt-versteht-den-iran-nicht-244/, Zugriff 13.3.2017

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ÖB Teheran (10.2016): Asylländerbericht

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Zeit Online (29.2.2016): Neue Aufgabe für den Meisterstrategen, http://www.zeit.de/politik/ausland/2016-02/iran-wahl-parlament-reformer-hassan-ruhani, Zugriff 13.3.2017

Sicherheitslage

Auch wenn die allgemeine Lage als ruhig bezeichnet werden kann, bestehen latente Spannungen im Land, speziell in den größeren Städten. Sie haben in der Vergangenheit gelegentlich zu Kundgebungen geführt, besonders während (religiösen) Feiertagen und Gedenktagen. Dabei ist es verschiedentlich zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen den Sicherheitskräften und Demonstranten gekommen, die Todesopfer und Verletzte gefordert haben. Das Risiko von Anschlägen kann nicht ausgeschlossen werden (EDA 21.3.2016). In Iran kommt es, meistens in Minderheitenregionen, unregelmäßig zu Zwischenfällen mit terroristischem Hintergrund. Seit den Pariser Anschlägen vom November 2015 haben iranische Behörden die allgemeinen Sicherheitsmaßnahmen im Grenzbereich zu Irak und zu Pakistan, aber auch in der Hauptstadt Teheran, erhöht (AA 10.5.2017b).

In der Provinz Sistan-Belutschistan (Südosten, Grenze zu Pakistan/Afghanistan) kommt es regelmäßig zu Konflikten zwischen iranischen Sicherheitskräften und bewaffneten Gruppierungen. Die Bewegungsfreiheit ist eingeschränkt und es gibt vermehrte Sicherheits- und Personenkontrollen (AA 10.5.2017b, vgl. BMEIA 10.5.2017).

In der Provinz Kurdistan und der ebenfalls von Kurden bewohnten Provinz West-Aserbaidschan gab es vor einigen Jahren wiederholte Anschlagsserien gegen lokale Repräsentanten aus Justiz, Sicherheitskräften und sunnitischem Klerus. In diesem Zusammenhang haben Sicherheitskräfte ihr bereits seit Frühjahr 2009 intensiviertes Vorgehen gegen kurdische Separatistengruppen noch einmal verstärkt. Seit März 2011 gab es in der Region wieder verstärkt Kampfhandlungen zwischen Militär und kurdischen Separatistenorganisation wie PJAK und DPIK, mit mehreren Todesopfern auf beiden Seiten. Insbesondere die Grenzregionen zum Irak und die Region um die Stadt Sardasht waren betroffen. Trotz eines im September 2011 vereinbarten Waffenstillstandes kam es im Jahr 2015 und verstärkt im Sommer 2016 zu gewaltsamen Konflikten. In bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen iranischen Sicherheitskräften und Angehörigen der DPIK am 6. und 7. September 2016 nahe der Stadt Sardasht wurden zehn Personen und drei Revolutionsgardisten getötet. Seit Juni 2016 kam es in der Region zu mehreren derartigen Vorfällen. Bereits 2015 hatte es nahe der Stadt Khoy, im iranisch-türkischen Grenzgebiet (Provinz West-Aserbaidschan), Zusammenstöße mit mehreren Todesopfern gegeben. In Kurdistan besteht ein erhöhtes Aufkommen an Sicherheitskräften, mit häufigen Kontrollen bzw. Checkpoints ist zu rechnen (AA 21.3.2016b, vgl. BMeiA 10.5.2017).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (10.5.2017b): Iran: Reise- und Sicherheitshinweise,

http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Laenderinformationen/00-SiHi/IranSicherheit.html, Zugriff 10.5.2017

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BMeiA - Bundesminsterium für europäische und internationale Angelegenheiten (10.5.2017): Reiseinformation Iran, http://www.bmeia.gv.at/aussenministerium/buergerservice/reiseinformation/a-z-laender/iran-de.html, Zugriff 10.5.2017

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EDA - Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (10.5.2017): Reisehinweise Iran, http://www.eda.admin.ch/eda/de/home/travad/hidden/hidde2/iran.html, Zugriff 10.5.2017

Verbotene Organisationen

Zu den militanten separatistischen Gruppen im Iran zählen insbesondere die kurdisch marxistische Komalah-Partei, die Democratic Party of Iranian Kurdistan (DPIK), die aus Belutschistan stammende Jundallah, und die Party for a Free Life in Kurdistan (PJAK), die eng mit ihrer Schwesterorganisation, der PKK, zusammenarbeitet. Im Jahr 2015 wurden mehrere Todesurteile gegen Angehörige dieser Vereinigungen ausgesprochen (AA 8.12.2016).

An sich gäbe es ein breites Spektrum an Ideologien, die die Islamische Republik ablehnen, angefangen von den vielen Nationalisten bis hin zu Monarchisten und Kommunisten. Eine markante Führungspersönlichkeit fehlt bei sämtlichen außerhalb des Regimes stehenden oppositionellen Gruppen. Der Spielraum für außerparlamentarische Opposition wird vor allem durch einen allumfassenden Überwachungsstaat eingeschränkt, was die Vernetzung oppositioneller Gruppen extrem riskant macht (Einschränkung des Versammlungsrechts, Telefon- und Internetüberwachung, Spitzelwesen, Omnipräsenz von Basij-Vertretern u.a. in Schulen, Universitäten sowie Basij-Sympathisanten im öffentlichen Raum, etc.): Die Verfassung lässt die Gründung politischer Parteien, von Berufsverbänden oder religiösen Organisation so lange zu, als sie nicht gegen islamische Prinzipien, die nationale Einheit oder die Souveränität des Staates verstoßen und nicht den Islam als Grundlage des Regierungssystems in Frage stellen. Hinzu kommen immer wieder verhängte drakonische Strafen auf Grund diffuser Strafrechtstatbestände ("regimefeindliche Propaganda", "Beleidigung des Obersten Führers" etc.). Darüber hinaus werden Angehörige der außerparlamentarischen Opposition immer wieder unter anderen Vorwürfen festgenommen, etwa Drogendelikten. Im Frühling 2016 wurde ein Gesetz zu politischen Verbrechen erlassen, welches zwar eine Sonderbehandlung für politische Häftlinge einführt (eigene Gefängnisse, keine Gefängniskleidung), den Begriff "politisches Vergehen" aber sehr offen definiert, weshalb weiter willkürliche Verfolgung zu befürchten ist. Statistiken zur Zahl der politischen Gefangenen sind nicht verfügbar. Es wird aber von mehr als 1.000 politischen Gefangenen ausgegangen, wobei diese Zahl auch Menschen, die wegen ihrer religiösen Überzeugung festgehalten werden, beinhaltet (ÖB Teheran 10.2016).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (8.12.2016): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran

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ÖB Teheran (10.2016): Asylländerbericht

Volksmudschaheddin (Mudjahedin-e-Khalq - MEK, MKO; People's Mojahedin Organisation of Iran - PMOI)

Die militante iranische Exil-Oppositionsbewegung Mujahedin-e Khalq (MEK, oder auch MKO, "iranische Volksmudschahedin") gilt im Iran als Terror-Organisation, die für die Ermordung von 17.000 IranerInnen verantwortlich gemacht wird. Die Streichung der MEK von der Liste terroristischer Organisation durch die EU und die Vereinigten Staaten wurde von iranischer Seite scharf verurteilt. Verbindungen zur MEK gelten als moharebeh (Waffenaufnahme gegen Gott), worauf die Todesstrafe steht (ÖB Teheran 10.2016).

Es handelt sich um eine linksgerichtete Gruppierung, die in den 1960er Jahren gegründet wurde, um sich gegen den Schah zu stellen. Nach der Islamischen Revolution 1979 wendete sie sich gegen die klerikalen Führer. Die Führung in Teheran macht die Gruppierung für Tausende Morde an iranischen Zivilisten und Beamten verantwortlich. Während des Iran-Irak-Krieges in den 1980er Jahren verlegten die Volksmudschaheddin ihr Camp in den Irak. Nach der US-geführten Invasion des Irak 2003, bei der Saddam Hussein gestürzt wurde, wurde die Gruppierung entwaffnet. 2012 strichen die USA die Volksmudschaheddin von ihrer Terrorliste, was von Teheran scharf verurteilt wurde. Nun hat der iranische Botschafter im Irak verlautbart, dass der Iran bereit sei, hunderte Mitglieder der Volksmudschaheddin zu amnestieren, die niemanden getötet haben oder gegen die keine Gerichtsverfahren anhängig sind. 423 Personen, die keine rechtlichen Probleme im Iran haben, können laut dem Botschafter in den Iran zurückkehren. Das sind ca. 14% der geschätzten 3.000 Mitglieder, die im Exil im Camp Liberty nahe Bagdad leben (Dailystar 19.3.2014, vgl. Global Security o.D., ACCORD 7.2015).

Die Entwaffnung der Kämpfer der Volksmudschaheddin im Camp Ashraf und an anderen Orten nahe Bagdad bei der US-Invasion im Irak ist durch die Amerikaner passiert. Die MEK-Führung habe sich von Saddam Hussein distanziert und ihre Opposition gegenüber der islamischen Regierung in Teheran betont. Ab diesem Zeitpunkt habe sich die MEK aus Sicht der Amerikaner neu erfunden. Die MEK-Führung stellt sich selbst als demokratische und populäre Alternative zum islamischen Regime dar und behauptet, über Unterstützung der iranischen Bevölkerungsmehrheit zu verfügen. Diese Behauptung wird von AkademikerInnen und anderen Iran-ExpertInnen bestritten. Im Exil hat die MEK-Führung den Nationalen Widerstandsrat gegründet (Guardian 21.9.2012, vgl. ACCORD 9.2013).

Die MEK ist im Iran verboten und wird von den iranischen Behörden als feindlich eingestuft, obwohl es in den letzten Jahren keine gewalttätigen Aktionen der MEK im Iran gab. Momentan konzentriert sich

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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