TE Bvwg Erkenntnis 2018/7/20 I411 2170716-1

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Veröffentlicht am 20.07.2018
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Entscheidungsdatum

20.07.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs2
AsylG 2005 §57
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs1 Z1
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs2

Spruch

I411 2170716-1/13E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Robert POLLANZ als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, StA. TUNESIEN, vertreten durch Mag. Franz SCHARF, Rechtsanwalt in 1010 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 22.08.2017, Zl. XXXX, nach Durchführung der mündlichen Verhandlung vom 16.11.2017 zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die Beschwerdeführerin, eine in Österreich geborene tunesische Staatsbürgerin, ehelichte am 16.07.2011 in Sidi Thabet, Tunesien, den britischen Staatsbürger XXXX. In weiterer Folge brachte sie einen Antrag auf Ausstellung einer Aufenthaltskarte ein. Der Ehegatte der Beschwerdeführerin erhielt am 19.01.2012 die Anmeldebescheinigung "Arbeitnehmer". Die Beschwerdeführerin übernahm ihre Aufenthaltskarte am 02.04.2012

2. Zuletzt reiste die Beschwerdeführerin am 24.11.2016 in das österreichische Bundesgebiet ein.

3. Am 27.01.2017 stellte die Beschwerdeführerin einen Antrag auf Ausstellung einer Daueraufenthaltskarte aufgrund der Ehe.

4. Mit Schreiben vom 01.02.2017 setzte die Magistratsabteilung 35, Amt der Wiener Landesregierung, das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl darüber in Kenntnis, dass im Zuge des eingebrachten Antrages auf Ausstellung einer Daueraufenthaltskarte nunmehr bekannt geworden sei, dass der Ehegatte der Beschwerdeführerin seit 03.10.2012 über keinen aufrechten Wohnsitz im Bundesgebiet mehr verfüge (sogar amtlich abgemeldet worden sei). Laut Versicherungsdatenauszug sei er nur im Zeitraum 12.10.2011 bis 20.02.2012 einer Beschäftigung nachgegangen. Da sich das Aufenthaltsrecht der Beschwerdeführerin von ihrem britischen Gatten ableite, welcher aufgrund seines Wegzuges aus dem Bundesgebiet im Jahr 2012 die Voraussetzungen nach § 51 NAG nicht erfülle, seien jedenfalls die Voraussetzungen für das Aufenthaltsrecht der Beschwerdeführerin weggefallen.

5. Am 06.04.2017 wurde die Beschwerdeführerin vor der belangten Behörde niederschriftlich einvernommen.

6. Mit dem im Spruch angeführten Bescheid der belangten Behörde wurde der Beschwerdeführerin kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt und eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt I.). Weiters wurde festgestellt, dass die Abschiebung nach Tunesien zulässig ist (Spruchpunkt II.) und die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt III.).

7. Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin durch den im Spruch angeführten Rechtsvertreter mit Schreiben vom 12.09.2017 Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Darin wurde beantragt, den Bescheid der belangten Behörde aufzuheben. Begründend wurde ausgeführt, dass die Beschwerdeführerin einen Deutschkurs absolviert habe und zwei Erwerbsbeschäftigungen nachgehe. Seit März 2015 lebe die Beschwerdeführerin von ihrem Ehemann getrennt, dieser lebe in Großbritannien. Die Scheidung der Ehe sei beabsichtigt. Die Beschwerdeführerin erfülle die für EWR-Bürger geltenden Voraussetzungen des § 51 NAG, sodass ihr das Aufenthaltsrecht der Ehegattin nach § 53 Abs 6 NAG erhalten bleibe. Sie sei in Österreich tief integriert und pflege Freundschaften.

8. Mit Schriftsatz vom 13.09.2017, beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt am 15.09.2017, legte die belangte Behörde dem Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde samt Verwaltungsakt vor.

9. Vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde am 16.11.2017 eine öffentliche mündliche Verhandlung durchgeführt, zu der die Beschwerdeführerin, ihre Rechtsvertretung und ein Zeuge und vier Zeuginnen erschienen sind.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person der Beschwerdeführerin:

Die volljährige Beschwerdeführerin ist Staatsangehörige von Tunesien, verheiratet und Mutter einer fast vierjährigen Tochter, welche in Tunesien lebt. Ihre Identität steht fest.

Die Beschwerdeführerin ist am XXXX in Österreich geboren und ging hier in den Kindergarten. Im Jahr 1997 ist sie mit der ganzen Familie nach Tunesien zurückgekehrt, es fanden jedoch regelmäßig Besuche in Österreich statt.

Die Beschwerdeführerin ist gesund und arbeitsfähig.

Am 16.07.2011 heiratete die Beschwerdeführerin in Sidi Thabet, Tunesien, den britischen Staatsbürger XXXX. Am 02.04.2012 übernahm sie die ihr ausgestellte Aufenthaltskarte mit einer Gültigkeit vom 29.02.2012 bis 29.02.2017.

Seit 05.04.2012 ist sie durchgehend in Österreich gemeldet. Derzeit lebt sie bei den Eltern einer ihrer Freundinnen.

Von 2012 bis 2016 hielt sich die Beschwerdeführerin gelegentlich in Österreich auf. Seit November 2016 ist sie durchgehend im Bundesgebiet aufhältig.

Die Familie der Beschwerdeführerin, welche unter anderem aus ihrem Vater, einem Bruder, einer Schwester und einer Tante besteht, sowie die Tochter der Beschwerdeführerin leben in Tunesien. In Österreich verfügt der Beschwerdeführer über keine Verwandten und über keine maßgeblichen privaten und familiären Beziehungen.

Der Beschwerdeführerin hat in Tunesien Biomedizinische Analytik studiert und fehlt ihr zur Erlangung des akademischen Grades lediglich noch das Verfassen der Diplomarbeit. In Österreich ist die Beschwerdeführerin seit 16.01.2017 unselbstständig erwerbstätig.

Sie hat eine Deutschprüfung auf Niveau A1 positiv absolviert und an einem Deutschkurs auf Niveau A2 teilgenommen.

Die Beschwerdeführerin ist in Österreich nicht vorbestraft.

Der Ehegatte der Beschwerdeführerin verfügt seit 03.10.2012 über keinen aufrechten Wohnsitz mehr im Bundesgebiet. Er hält sich wahrscheinlich in Großbritannien auf.

1.2. Zur Situation in Tunesien:

Hinsichtlich der aktuellen Lage im Herkunftsstaat der Beschwerdeführerin wurde im angefochtenen Bescheid das "Länderinformationsblatt der Staatendokumentation" zu Tunesien zitiert. Es sind gegenüber den im angefochtenen Bescheid vom 22.08.2017 getroffenen Feststellungen keine entscheidungsmaßgeblichen Änderungen eingetreten.

Tunesien ist ein sicherer Herkunftsstaat, der willens und im Stande ist, seine Staatsbürger zu schützen. Die Grund- und Freiheitsrechte, insbesondere die Meinungs-, Presse- und Informationsfreiheit, sind in Tunesien seit der Revolution von 2011 faktisch gewährleistet. Die Versammlungsfreiheit wurde nach 2011 wiederhergestellt und eine Amnestie für politische Gefangene durchgeführt. Die neue tunesische Verfassung enthält umfangreiche Garantien bürgerlicher, politischer, wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Grundrechte. Das Recht friedlicher Versammlungen und Demonstrationen ist verfassungsrechtlich garantiert. Lediglich während des Ausnahmezustandes zuletzt im Jahr 2015 war dieses Recht eingeschränkt. De jure verbotene Demonstrationen wurden trotz Verbots de facto geduldet und auf deren gewaltsame Auflösung verzichtet. Die tunesische Verfassung garantiert den Schutz der Menschenwürde und der körperlichen Unversehrtheit. Tunesien hat das Zusatzprotokoll zur Konvention der Vereinten Nationen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Strafe am 29.06.2011 ratifiziert. Im Zusammenhang mit Terrorabwehrmaßnahmen werden Misshandlungen von Inhaftierten durch Sicherheitskräfte gemeldet. Die in Tunesien für Mord, Vergewaltigung mit Todesfolge und Landesverrat sowie für bestimmte Delikte im Zusammenhang mit Terrorismus und Geldwäsche vorgesehene Todesstrafe wird von Gerichten verhängt, aber seit 1991 nicht mehr vollstreckt. Todesurteile werden häufig durch Amnestie in lebenslange Haftstrafen umgewandelt. Illegal aus Tunesien ausgereisten Personen droht nach dem Gesetz eine Geld- oder Freiheitsstrafe.

Eine nach Tunesien zurückkehrende Person, bei welcher keine berücksichtigungswürdigen Gründe vorliegen, wird durch eine Rückkehr nicht automatisch in eine unmenschliche Lage versetzt.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zum Sachverhalt:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben der Beschwerdeführerin vor dieser, in den bekämpften Bescheid und in den Beschwerdeschriftsatz sowie in das aktuelle "Länderinformationsblatt der Staatendokumentation" zu Tunesien sowie durch Einvernahme der Beschwerdeführerin und der Zeugen XXXX, XXXX, XXXX, XXXX und XXXX in der mündlichen Verhandlung vom 16.11.2017.

Der unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes. Auskünfte aus dem Strafregister, dem Zentralen Melderegister und der Grundversorgung wurden ergänzend zum Akt eingeholt.

Soweit in der gegenständlichen Rechtssache Feststellungen zur Identität und zur Staatsangehörigkeit der Beschwerdeführerin getroffen wurden, beruhen diese auf den im Bescheid getroffenen Feststellungen, denen auch in der gegenständlichen Beschwerde nicht entgegengetreten wurde sowie auf dem in Kopie vorliegenden tunesischen Reisepass der Beschwerdeführerin.

Die Feststellung bezüglich der Eheschließung der Beschwerdeführerin und ihrer Aufenthaltskarte als Angehörige eines EWR-Bürgers ergeben sich aus dem Verwaltungsakt und dem Schreiben der MA 35, Amt der Wiener Landesregierung, vom 01.02.2017 sowie aus den glaubhaften Aussagen der Beschwerdeführerin bei ihrer Einvernahme vor dem Bundesverwaltungsgericht am 16.11.2017.

Ebenfalls aus den glaubhaften Angaben der Beschwerdeführerin bei ihrer Einvernahme vor dem Bundesverwaltungsgericht ergeben sich die Feststellungen zu ihren familiären Anknüpfungspunkten in Österreich und Tunesien, ihrer Ausbildung und ihrer Kindheit.

Die Feststellung zu ihrer Erwerbstätigkeit ergibt sich aus der im Verwaltungsakt erliegenden Kopie des Versicherungsdatenauszugs der Beschwerdeführerin.

Die Feststellungen zum Gesundheitszustand und zur Arbeitsfähigkeit der Beschwerdeführerin ergeben sich aus dem Verwaltungsakt und den glaubhaften Aussagen der Beschwerdeführerin bei ihrer Einvernahme vor dem Bundesverwaltungsgericht.

Dass die Beschwerdeführerin eine Deutschprüfung auf Niveau A1 positiv absolviert und an einem Deutschkurs auf Niveau A2 teilgenommen hat, ergibt sich aus den im Akt erliegenden Teilnahmebestätigungen bzw. dem ÖSD Zertifikat.

Die Feststellung bezüglich der strafgerichtlichen Unbescholtenheit ergibt sich aus dem, dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Strafregisterauszug.

Die Feststellung zum Aufenthalt der Beschwerdeführerin ergeben sich aus dem Datenbestand des Zentralen Melderegisters.

Dass der Ehegatte der Beschwerdeführerin seit 03.10.2012 über keine aufrechte Meldung im Bundesgebiet mehr verfügt, ergibt sich ebenfalls aus dem Datenbestand des Zentralen Melderegisters sowie dem Schreiben der MA 35, Amt der Wiener Landesregierung, vom 01.02.2017. Dass er sich vermutlich in Großbritannien aufhält, ergibt sich aus der glaubhaften Aussage der Beschwerdeführerin bei ihrer Einvernahme.

Die Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat beruhen auf dem Länderinformationsbericht der Staatendokumentation für Tunesien samt den dort publizierten Quellen und Nachweisen Dieser Länderinformationsbericht stützt sich auf Berichte verschiedener ausländischer Behörden, etwa die allgemein anerkannten Berichte des Deutschen Auswärtigen Amtes, als auch jene von internationalen Organisationen, wie bspw. dem UNHCR, sowie Berichte von allgemein anerkannten unabhängigen Nachrichtenorganisationen.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Abweisung der Beschwerde

3.1. Zur Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt I., erster Satz des angefochtenen Bescheides)

3.1.1. Rechtslage

Gemäß § 58 Abs 1 AsylG hat das Bundesamt die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG (Aufenthaltstitel besonderer Schutz) von Amts wegen zu prüfen, wenn der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird (Z 2) oder wenn ein Fremder sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG fällt (Z 5). Gemäß § 58 Abs 2 AsylG hat das Bundesamt einen Aufenthaltstitel gemäß § 55 AsylG (Aufenthaltstitel aus Gründen des Art 8 EMRK) von Amts wegen zu erteilen, wenn eine Rückkehrentscheidung auf Grund des § 9 Abs 1 bis 3 BFA-VG auf Dauer für unzulässig erklärt wird. Das Bundesamt hat über das Ergebnis der von Amts wegen erfolgten Prüfung der Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55 und 57 im verfahrensabschließenden Bescheid abzusprechen (§ 58 Abs 3 AsylG). Auch wenn der Gesetzgeber das Bundesamt im Verfahren zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung zur Prüfung und spruchmäßigen Erledigung der Voraussetzungen der §§ 55 und 57 AsylG von Amts wegen, dh auch ohne dahingehenden Antrag des Beschwerdeführers, verpflichtet, ist die Frage der Erteilung eines solchen Titels auch ohne vorhergehenden Antrag im Beschwerdeverfahren gegen den negativen Bescheid durchsetzbar und daher Gegenstand der Sachentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl VwGH 28.01.2015, Ra 2014/20/0121).

3.3.2. Anwendung der Rechtslage auf den gegenständlichen Fall

Indizien dafür, dass die Beschwerdeführerin einen Sachverhalt verwirklicht, bei dem ihr ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG (Aufenthaltstitel besonderer Schutz) zu erteilen wäre, sind weder vorgebracht worden, noch hervorgekommen: Weder war der Aufenthalt der Beschwerdeführerin seit mindestens einem Jahr im Sinne des § 46a Abs 1 Z 1 oder Z 3 FPG geduldet, noch ist dieser zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen notwendig, noch ist die Beschwerdeführerin Opfer von Gewalt im Sinne des § 57 Abs 1 Z 3 AsylG. Ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG war daher nicht zu erteilen.

Die Beschwerde erweist sich daher insoweit als unbegründet, dass sie hinsichtlich des Spruchpunktes I., erster Satz des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs 2 VwGVG iVm § 57 AsylG, abzuweisen war.

3.2. Zur Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt I., zweiter Satz des angefochtenen Bescheides):

3.2.1. Rechtslage

Gemäß § 10 Abs 2 AsylG ist, wenn einem Fremden, der sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG fällt, von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt wird, die Entscheidung mit einer Rückkehrentscheidung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden

Gemäß § 52 Abs 1 Z 1 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn er sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält.

Gemäß § 9 Abs 1 BFA-VG ist die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, wenn dadurch in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen wird, zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art 8 Abs 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK sind insbesondere die in § 9 Abs 2 Z 1 bis 9 BFA-VG aufgezählten Gesichtspunkte zu berücksichtigen (die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration, die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts etc.). Weiters ist eine gewichtende Gegenüberstellung der öffentlichen Interessen an einer Aufenthaltsbeendigung mit dem persönlichen Interesse des Fremden an einem weiteren Verbleib in Österreich vorzunehmen. Dieses Interesse nimmt grundsätzlich mit der Dauer des bisherigen Aufenthalts des Fremden zu. Die bloße Aufenthaltsdauer ist aber nicht allein maßgeblich, sondern es ist anhand der jeweiligen Umstände des Einzelfalles vor allem zu prüfen, inwieweit der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit dazu genützt hat, sich sozial und beruflich zu integrieren. Bei der Einschätzung der besagten persönlichen Interessen ist aber auch auf die Auswirkungen, die eine Rückkehrentscheidung auf die familiären oder sonstigen Bindungen des Fremden hätte, Bedacht zu nehmen (VwGH 15.12.2011, 2010/18/0248).

3.4.2. Anwendung der Rechtslage auf den Beschwerdefall

Zu prüfen ist, ob eine Rückkehrentscheidung mit Art 8 EMRK vereinbar ist, weil sie nur dann zulässig wäre und nur im verneinenden Fall ein Aufenthaltstitel nach § 55 AsylG überhaupt in Betracht käme. Die Vereinbarkeit mit Art 8 EMRK ist aus folgenden Gründen gegeben:

Die Beschwerdeführerin verfügte aufgrund ihrer Eigenschaft als Angehörige eines EWR-Bürgers über eine Aufenthaltskarte gültig für den Zeitraum 29.02.2012 bis 29.02.2017 und hielt sich damit rechtmäßig im Bundesgebiet auf. Sie ist zwar seit 05.04.2012 durchgehend im Bundesgebiet gemeldet hielt sich jedoch bis November 2016 nur gelegentlich in Österreich auf und reiste letztmalig am 24.11.2016 nach Österreich ein. Da sie sich erst seit November 2016 durchgehend in Österreich aufhält und davor die meiste Zeit in Tunesien verbracht hat, ist sie in Tunesien nicht völlig entwurzelt.

Der Ehegatte der Beschwerdeführerin ist seit 03.10.2012 nicht mehr im Bundesgebiet behördlich gemeldet und hält sich vermutlich in Großbritannien auf.

Sämtliche Familienangehörigen und Verwandten der Beschwerdeführerin sowie insbesondere ihre Tochter leben in Tunesien. In Österreich verfügt die Beschwerdeführerin über keinerlei Verwandtschaftsbeziehungen oder Familie, sondern lediglich über Freundschaften, welche sie auch bereits von Tunesien aus pflegte. Es besteht daher kein im Sinne des Art. 8 EMRK schützenswertes Familienleben im Inland.

Die Beschwerdeführerin geht in Österreich einer Beschäftigung nach, lebt bei den Eltern einer Freundin und ist strafrechtlich unbescholten.

Sie studierte in Tunesien Biomedizinische Analytik und fehlt ihr für den Abschluss des Studiums lediglich noch das Verfassen der Diplomarbeit. Darüber hinaus ist sie gesund und arbeitsfähig und verfügt über Berufserfahrung. Vor diesem Hintergrund ist daher davon auszugehen, dass sie bei einer Rückkehr nach Tunesien ihren Lebensunterhalt bestreiten können wird.

Dem allenfalls bestehenden Interesse der Beschwerdeführerin an einem Verbleib in Österreich (bzw Europa) stehen zudem öffentliche Interessen gegenüber.

Ihm steht das öffentliche Interesse daran gegenüber, dass das geltende Migrationsrecht auch vollzogen wird, indem Personen, die ohne Aufenthaltstitel aufhältig sind auch zur tatsächlichen Ausreise verhalten werden. Bei einer Gesamtbetrachtung wiegt unter diesen Umständen das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung der Durchsetzung der geltenden Bedingungen des Einwanderungsrechts und an der Befolgung der den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften, denen aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechthaltung der öffentlichen Ordnung - und damit eines von Art 8 Abs 2 EMRK erfassten Interesses - ein hoher Stellenwert zukommt (vgl zB VwGH 30.04.2009, 2009/21/0086), schwerer als die schwach ausgebildeten privaten Interessen der Beschwerdeführerin am Verbleib in Österreich.

Ebenso wenig vermag die strafgerichtliche Unbescholtenheit ihre persönlichen Interessen entscheidend zu stärken (VwGH 25.02.2010, 2010/18/0029).

Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung kann daher nicht im Sinne von § 9 Abs 2 BFA-VG als unzulässig angesehen werden, weshalb auch die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG nicht in Betracht kommt.

Die sonstigen Voraussetzungen einer Rückkehrentscheidung nach § 10 Abs 2 AsylG und § 52 Abs 1 FPG sind erfüllt. Sie ist auch sonst nicht (zB vorübergehend nach Art 8 EMRK, vgl § 9 Abs 3 BFA-VG und VwGH 28.04.2015, Ra 2014/18/0146) unzulässig. Die Beschwerdeführerin verfügt auch über kein sonstiges Aufenthaltsrecht.

Die Beschwerde erweist sich daher insoweit als unbegründet, dass sie hinsichtlich des Spruchpunktes I., zweiter Satz des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs 2 VwGVG iVm § 10 Abs 2 AsylG iVm § 9 BFA-VG und § 52 Abs 1 FPG abzuweisen war.

3.3. Zum Ausspruch, dass die Abschiebung nach Tunesien zulässig ist (Spruchpunkt II.):

3.3.1. Rechtslage

Gemäß § 52 Abs 9 FPG hat das Bundesamt mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 FPG in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist. Die Abschiebung in einen Staat ist gemäß § 50 Abs 1 FPG unzulässig, wenn dadurch Art 2 oder 3 EMRK oder deren 6. bzw 13. ZPEMRK verletzt würden oder für den Betroffenen als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes verbunden wäre. Gemäß § 50 Abs 2 FPG ist die Abschiebung in einen Staat unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort das Leben des Betroffenen oder seine Freiheit aus Gründen seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder persönlichen Ansichten bedroht wäre, es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative. Nach § 50 Abs 3 FPG ist die Abschiebung unzulässig, solange ihr die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht.

3.5.2. Anwendung der Rechtslage auf den vorliegenden Fall

Im vorliegenden Fall liegen keine Gründe vor, wonach die Abschiebung in den Herkunftsstaat gemäß § 50 Abs 1 FPG unzulässig wäre.

Die Abschiebung ist auch nicht unzulässig im Sinne des § 50 Abs 2 FPG, da der Beschwerdeführerin keine Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Weiters steht keine Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte der Abschiebung entgegen.

Die im angefochtenen Bescheid getroffene Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung nach Tunesien erfolgte daher zu Recht.

Die Beschwerde erweist sich daher insoweit als unbegründet, dass sie hinsichtlich des Spruchpunktes II. des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs 2 VwGVG iVm § 52 Abs 9 FPG abzuweisen war.

3.6. Zum Ausspruch, dass eine Frist von 14 Tagen für die freiwillige Ausreise besteht (Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides):

Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt nach § 55 Abs. 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen.

Derartige "besondere Umstände" wurden von der Beschwerdeführerin nicht ins Treffen geführt und sind auch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht nicht hervorgekommen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Im gegenständlichen Fall wurde keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen. Die vorliegende Entscheidung basiert auf den oben genannten Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes.

Schlagworte

Interessenabwägung, öffentliches Interesse, Resozialisierung,
Rückkehrentscheidung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:I411.2170716.1.00

Zuletzt aktualisiert am

31.08.2018
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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