TE Vfgh Erkenntnis 2017/6/9 E3235/2016

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Veröffentlicht am 09.06.2017
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
AsylG 2005 §2, §3, §8, §10, §55, §57
FremdenpolizeiG 2005 §46, §52, §55
BFA-VG §9

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten bzw subsidiär Schutzberechtigten für einen aus dem Militärdienst desertierten irakischen Staatsangehörigen; kein Begründungswert der sich in einer Aneinanderreihung von floskelhaften, aus Textbausteinen zusammengesetzten Passagen und bloßer Verweise auf die verwaltungsbehördliche Begründung erschöpfenden Entscheidung

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I.       Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1.       Im Juni 2015 reiste der Beschwerdeführer, ein irakischer Staatsangehöriger arabischer Abstammung und moslemisch sunnitischer Religionszugehörigkeit, in das Bundesgebiet ein und stellte einen Antrag auf internationalen Schutz. Er sei in Basra aufgewachsen und habe dort bis zur Vertreibung seiner Familie durch Schiiten 2006 gelebt. Dann nach Mosul übersiedelt, sei die Familie von dort infolge Bedrohung durch Mitglieder des IS im Februar 2013 nach Ramadi gezogen. Zuletzt habe der Beschwerdeführer in Bagdad gelebt. Er sei Berufssoldat bei der irakischen Armee gewesen, wobei er nicht gekämpft sondern in einer Werkstatt gearbeitet, insbesondere Fahrzeuge gereinigt oder Ölwechsel durchgeführt habe. Er habe jedoch seine Arbeit ohne Meldung und den Irak aus Gründen der schlechten Behandlung von Sunniten in Bagdad verlassen. Im Falle einer Rückkehr habe er wegen Desertion Verfolgung und Strafe durch die Regierung zu befürchten; auch seien alle sunnitischen Gebiete vom IS besetzt.

2.       Mit Bescheid vom 13. Juli 2016 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) den Antrag des Beschwerdeführers hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß §3 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß §8 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 AsylG 2005 in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak ab (Spruchpunkt II.). Es erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §57 AsylG 2005; erließ gemäß §10 Abs1 Z3 AsylG 2005 iVm §9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß §52 Abs2 Z2 FPG und stellte gemäß §52 Abs9 FPG fest, dass seine Abschiebung in den Irak gemäß §46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt III.). Schließlich gewährte das BFA gemäß §55 Abs1 bis 3 FPG eine 14-tägige Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt IV.).

In dem Bescheid stellt das BFA zur Person des Beschwerdeführers u.a. fest, dass der Beschwerdeführer aus seinem "Heimatland Syrien […] legal" ausgereist sei. Unter der Überschrift "D) Beweiswürdigung" führt das BFA hinsichtlich der Feststellungen zu den Gründen für das Verlassen des Herkunftsstaats und zur Situation im Falle einer Rückkehr u.a. eine Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom Oktober 2015 an, wonach ein das Militär ohne Erlaubnis verlassender Berufssoldat als Deserteur gelte und von der Militärpolizei verfolgt werde. Wer sich länger als 15 Tage von der Truppe entferne oder seinen Dienst nicht antrete, sei mit bis zu drei Jahren Gefängnis, wer während seiner Militärdienstzeit in ein anderes Land flüchte mit bis zu fünf Jahren zu bestrafen. Die Wiedergabe dieser Anfragebeantwortung leitet das BFA mit dem Satz ein, dass diese der Aussage des Beschwerdeführers widerspreche. Nach deren Wiedergabe hält das BFA fest, dass der Beschwerdeführer im ganzen Land für die irakische Armee bzw. in einer Werkstätte arbeiten bzw. überhaupt jede Arbeit annehmen könne. Sodann führt das BFA aus, dass es trotz vorgelegter Dienstausweise an der vom Beschwerdeführer angeführten Berufstätigkeit zweifle, da jedes Dokument gegen entsprechende Bezahlung zu beschaffen sei. Nach einem Textbaustein führt das BFA aus, dass die legale Ausreise des Beschwerdeführers darauf hindeute, dass dieser keine Verfolgungshandlungen durch seinen Herkunftsstaat zu befürchten habe. Auch verweist das BFA auf das als sicher einzustufende Bagdad als eine innerstaatliche Fluchtalternative hinsichtlich der Verfolgung durch den IS.

3.       Die dagegen erhobene Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht moniert Verfahrens- und inhaltliche Begründungsmängel, u.a., dass das BFA die erwähnte Anfragebeantwortung sinnwidrig in das Gegenteil verdreht und eine Dokumentenfälschung schlicht unterstellt habe.

4.       In seiner abweisenden Entscheidung führt das Bundesverwaltungsgericht u.a. aus, dass die vom Beschwerdeführer behauptete Furcht vor Verfolgung in seinem Herkunftsstaat aus den in der GFK genannten Gründen unbegründet sei und die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht gegeben seien. Die Beweiswürdigung des BFA sei substantiiert und schlüssig; die unsubstantiierte Beschwerde habe insbesondere nicht näher ausgeführt, inwiefern das BFA in seiner Beweiswürdigung die Auskunft der Staatendokumentation und des Verbindungsbeamten sinnwidrig ins Gegenteil verdreht habe und weshalb der Vorwurf der Dokumentenfälschung völlig aus der Luft gegriffen sei. "Der Vollständigkeit halber" hält das Bundesverwaltungsgericht fest, dass, soweit der Bescheid anstelle des Iraks Syrien als Herkunftsstaat anführe, es sich dabei um einen vernachlässigbaren Flüchtigkeitsfehler handle. Der Beschwerdeführer sei ein arbeitsfähiger, gesunder, junger Mann, bei dem davon ausgegangen werden könne, dass er bei Rückkehr in den Irak ein ausreichendes Einkommen erwirtschaften könne. Er habe nicht darlegen können, wie sich eine Rückkehr in den Herkunftsstaat konkret auf seine individuelle Situation auswirke, insbesondere weshalb er einem realen Risiko einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre.

5.       Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird. Der Beschwerdeführer sei in seinem Heimatland mehrfach Bedrohungen ausgesetzt, einerseits durch den IS, andererseits wegen seines sunnitischen Glaubens und schließlich durch die irakischen Militärstrafbehörden auf Grund der Ablehnung des Militärdienstes. Die Gefahr der Strafverfolgung wegen Desertion ergebe sich aus der im angefochtenen Erkenntnis selbst abgedruckten Auskunft der Staatendokumentation.

6.       Das Bundesverwaltungsgericht hat die Gerichts- und Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Äußerung unter Verweis auf die Begründung des angefochtenen Erkenntnisses abgesehen und beantragt, die Beschwerde abzuweisen.

II.      Erwägungen

Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.

1.       Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungs-sphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechts-lage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

2.       Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

2.1.    Nach dem Spruch schildert das Bundesverwaltungsgericht eingangs den bisherigen Verfahrensgang, wobei es u.a. die im Bescheid des BFA getroffenen Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers, zu den Gründen für das Verlassen seines Herkunftsstaats und zur Situation im Fall seiner Rückkehr auszugsweise direkt zitiert und festhält, dass das BFA anschließend "aktuelle Feststellungen mit nachvollziehbaren Quellenangaben zur allgemeinen Lage im Irak" traf. Sodann druckt das Bundesverwaltungsgericht die Beweiswürdigung und rechtliche Beurteilung des BFA ab und verfährt entsprechend mit dem Beschwerdeschriftsatz. Feststellungen trifft es zur Identität des Beschwerdeführers und seiner Familiensituation im Irak.

Zum "Vorbringen der beschwerdeführenden Partei" hält es unter der Überschrift "Beweiswürdigung" fest, dass das BFA ein mängelfreies, ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren durchgeführt und in der Bescheidbegründung dessen Ergebnisse, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammengefasst und die näher bezeichneten Spruchpunkte des Bescheides zu Recht getroffen habe. Es schließt sich dann vollinhaltlich den Ausführungen des BFA an, tritt dem Verfahrensergebnis bei und hält fest, dass die Beschwerde mangels näherer Ausführung der Beschwerdegründe der schlüssigen und nachvollziehbaren Beweiswürdigung des BFA nicht fundiert entgegenzutreten vermochte. Zur "Lage im Herkunftsstaat" führt das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die vom BFA getroffenen Länderfeststellungen "auf mannigfaltigen Quellen, denen keine Voreingenommenheit unterstellt werden kann", basieren würden, denen die Beschwerde nicht entgegengetreten sei.

Den Abschnitt "Rechtliche Beurteilung" untergliedert das Bundesverwaltungsgericht entsprechend den Spruchpunkten des Bescheides, stellt jeweils textbausteinhafte Ausführungen voran und hält dann jeweils fest, dass weder die näher ausgeführten Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten, des subsidiär Schutzberechtigten noch für die amtswegige Erteilung eines Aufenthaltstitels gegeben seien, sehr wohl aber für eine Rückkehrentscheidung und die 14-tägige Ausreisefrist.

2.2.    Damit erschöpft sich die Begründung der angefochtenen Entscheidung neben der Wiedergabe und dem Verweis auf die verwaltungsbehördliche Begründung in einer Aneinanderreihung von floskelhaften, aus Textbausteinen zusammengesetzten Passagen ohne für den vorliegenden Einzelfall nachvollziehbaren Begründungswert, die jeweils mit den – nicht näher erläuterten – Aussagen über das Ergebnis, zu dem das Bundesverwaltungsgericht gelangt, abschließen. Das Abdrucken der Begründung der verwaltungsbehördlichen Entscheidung ist zwar zulässig, stellt aber für sich keine ausreichend nachvollziehbare Begründung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung dar (zu den rechtsstaatlichen Bedenken gegen eine solche Begründungstechnik vgl. VfGH 7.3.2017, E2100/2016). Die bloße Behauptung einer unsubstantiierten Beschwerde – die zu dieser Qualifizierung führenden Überlegungen legt das Bundesverwaltungsgericht nicht offen – vermag eine Begründung seiner Entscheidung durch das Bundesverwaltungsgericht nicht zu ersetzen. Letztlich läuft die vom Bundesverwaltungsgericht gewählte Begründungstechnik, einerseits ausschließlich auf die verwaltungsbehördliche Begründung zu verweisen und andererseits der Beschwerde fehlende Substanz zu unterstellen, auf eine bloße Plausibilitäts- anstelle einer Rechtmäßigkeitskontrolle hinaus. Folglich erweist sich die Begründung als unzureichend und nicht nachvollziehbar, was das angefochtene Erkenntnis insgesamt mit Willkür belastet.

Im weiteren Verfahren wird das Bundesverwaltungsgericht insbesondere selbst zu begründen haben, auf Grund welcher Feststellungen und Beweise es dem Beschwerdeführer nicht glaubt, desertiert zu sein. Im Falle der Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers hätte es zudem die drohenden Gefängnisbedingungen zu erwägen. Jedenfalls wird sich das Bundesverwaltungsgericht im fortgesetzten Verfahren mit der behaupteten Eigenschaft des Beschwerdeführers als intern Vertriebener auseinanderzusetzen und entsprechende Ermittlungen zur aktuellen Lage in jener Region anzustellen haben, aus der der Beschwerdeführer stammt bzw. die als innerstaatliche Fluchtalternative fungieren soll, und diese in der Begründung des Erkenntnisses mit der individuellen Situation des Beschwerdeführers in Beziehung zu setzen haben (zu diesen Anforderungen in zwei den Irak betreffenden Fällen vgl. VfGH 7.3.2017, E2100/2016; 7.3.2017, E1848/2015).

III.    Ergebnis

1.       Der Beschwerdeführer ist somit durch die angefochtene Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

2.       Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

3.       Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4.       Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– enthalten. Ein Ersatz der Eingabengebühr ist nicht zuzusprechen, weil der Beschwerdeführer Verfahrenshilfe (auch) im Umfang des §64 Abs1 Z1 lita ZPO genießt.

Schlagworte

Asylrecht, Fremdenpolizei, Rückkehrentscheidung, Ermittlungsverfahren, Entscheidungsbegründung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2017:E3235.2016

Zuletzt aktualisiert am

31.08.2018
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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