Index
41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, AsylrechtNorm
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1Leitsatz
Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten bzw subsidiär Schutzberechtigten für einen aus dem Militärdienst desertierten irakischen Staatsangehörigen; kein Begründungswert der sich in einer Aneinanderreihung von floskelhaften, aus Textbausteinen zusammengesetzten Passagen und bloßer Verweise auf die verwaltungsbehördliche Begründung erschöpfenden EntscheidungSpruch
I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander gemäß ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl Nr 390/1973, verletzt worden.
Das Erkenntnis wird aufgehoben.
II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.680,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger Nigerias und stellte am 4. Dezember 2014 einen Antrag auf internationalen Schutz.
2. Der Beschwerdeführer brachte vor, dass das Grundstück seines Vaters 1999 von der nigerianischen Regierung beschlagnahmt worden sei. Im Jahr 2006 habe die Regierung diese unrechtmäßige Enteignung rückgängig gemacht und alle Betroffenen finanziell entschädigt. Der Vater des Beschwerdeführers sei verstorben, der Beschwerdeführer sei sein rechtmäßiger Erbe gewesen. Der Onkel des Beschwerdeführers sei aber ein einflussreicher Mann, habe den Beschwerdeführer überlistet und sowohl die Entschädigung als auch das Grundstück für sich beansprucht. Es sei zu einem Streit zwischen dem Onkel und dem Beschwerdeführer gekommen. Der Onkel habe den Beschwerdeführer mit einer Machete am linken Unterarm verletzt und sich die Machete in den Bauch gerammt, er sei gestorben. Der Beschwerdeführer werde beschuldigt, seinen Onkel ermordet zu haben und sei geflohen, weil ihm die Todesstrafe drohe.
3. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) vom 9. Jänner 2018 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen, ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Nigeria nicht zuerkannt, kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt, gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass eine Abschiebung nach Nigeria zulässig sei. Für die freiwillige Ausreise wurde eine Frist von zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung gesetzt. Das BFA sprach aus, dass der Beschwerdeführer sein Aufenthaltsrecht gemäß §13 Abs2 Z1 AsylG am 8. Juli 2016 verloren habe und erkannte einer Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung ab.
4. Das Bundesverwaltungsgericht wies die dagegen erhobene Beschwerde mit Erkenntnis vom 25. Jänner 2018 ab:
"Im Administrativverfahren gab der Beschwerdeführer zusammengefasst an, dass er Nigeria verlassen habe, nachdem sein Onkel bei einem Streit mit ihm zu Tode gekommen sei und er deswegen von der Polizei gesucht werde.
Dazu wird grundsätzlich festgehalten, dass sich das Bundesverwaltungsgericht der Beweiswürdigung der belangten Behörde vollinhaltlich anschließt. Die belangte Behörde zeigte im angefochtenen Bescheid auch eindeutig und fundiert auf, aus welchen Gründen sie dem Beschwerdeführer die Glaubwürdigkeit versagte und weshalb sie letztlich im Rahmen einer Gesamtbetrachtung aufgrund der aufgetretenen Unplausibilitäten seiner Schilderungen, zum Schluss gekommen ist, dass das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers hinsichtlich der Verfolgungsgründe nicht glaubwürdig ist und daher keine Asylrelevanz aufweist. Diese Beweiswürdigung ist begründet.
Insbesondere führte die belangte Behörde aus, dass der behauptete Fluchtgrund nicht glaubhaft gemacht werden konnte, da er bei seinen Einvernahmen in wesentlichen Punkten lückenhafte, widersprüchliche und unplausible Angaben machte. Diese Überlegung stützt sich auf die vagen, unsubstantiierten, oberflächlichen und widersprüchlichen Schilderungen des Beschwerdeführers zu den Geschehnissen, welche ihn letztlich dazu veranlasst haben sein Heimatland zu verlassen. Die Antworten des Beschwerdeführers blieben selbst auf Vorhalt und wiederholtem Nachfragen nicht nachvollziehbar. Wenn die belangte Behörde darüberhinaus in ihrer Beweiswürdigung anführt, dass es sich selbst bei Wahrunterstellung des Vorfalles, um einen Raufhandel mit Todesfolge oder Totschlag handeln würde, dies jedoch keine asylrelevante Verfolgung darstellen würde, so gründet sich dies auf den unbestritten gebliebenen Länderberichten, die die belangte Behörde ihrer Entscheidung zugrunde gelegt hat.
[…]
Des weiteren kann nicht davon ausgegangen werden, dass der gesunde und arbeitsfähige Beschwerdeführer, selbst wenn er über nur über eine geringgradige Schulbildung verfügt, insbesondere auch da er bereits berufliche Erfahrungen in der Landwirtschaft besitzt, bei einer Rückkehr ins Herkunftsland in Bezug auf existentielle Grundbedürfnisse in eine ausweglose Situation geraten würde, zumal er in Nigeria auch über ein familiäres Netzwerk verfügt.
[…]
Außerdem ist, wenn man davon ausgeht, dass in Nigeria kein Meldesystem oder nationales funktionierendes polizeiliches Fahndungssystem existiert, es in der Praxis äußerst schwierig, wenn nicht sogar unmöglich, nach verdächtigen Personen zu fahnden, weshalb dem Beschwerdeführer selbst bei Wahrunterstellung seines Fluchtvorbringens eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung (zu diesem Erfordernis vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 17. März 2011, Zl. 2008/01/0047) stehen würde und er dadurch einer hypothetischen Verhaftung entgehen könnte. Im gegenständlichen Fall wäre es dem Beschwerdeführer zumutbar gewesen, innerhalb Nigerias Schutz vor der von ihm behaupteten Gefahr zu suchen, da es sich bei ihm um einen gesunden Erwachsenen handelt, dem ein Ortswechsel ohne weiteres möglich gewesen wäre. Letzteres erschließt sich schon alleine aus dem Umstand, dass es dem Beschwerdeführer schließlich auch im Rahmen einer siebenjährigen Zeitspanne gelungen ist, aus Nigeria kommend illegal nach Österreich, über Niger, Libyen und Italien einzureisen. Die von ihm unsubstantiiert vorgebrachte Behauptung, dass man in Nigeria gefunden werde, wenn man gesucht wird, steht diametral zu den Länderinformationen und ist davon auszugehen, dass dies eine reine Schutzbehauptung darstellt."
Im Rahmen der Rückkehrentscheidung führt das Bundesverwaltungsgericht eine Interessenabwägung gemäß Art8 Abs2 EMRK durch und führt aus:
"Schließlich ist der Beschwerdeführer illegal in das Bundesgebiet eingereist; er hält sich erst seit 04.12.2014 und lediglich auf Grundlage eines unbegründeten Asylantrages in Österreich auf. Außerdem führt er in Österreich kein iSd Art8 EMRK geschütztes Familienleben.
[…]
Zu Lasten des Beschwerdeführers ist sein strafgesetzwidriges Fehlverhalten zu berücksichtigen, welches sich einerseits in seinen beiden Verurteilungen niederschlägt und andererseits durch 11 Eintragungen im kriminalpolizeilichen Aktenindex augenscheinlich ist. Wie der aktuelle Auszug des Strafregisters belegt, konnte ihn die erste Verurteilung nicht von der Begehung einer weiteren Straftat abhalten."
5. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der insbesondere die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes BGBl 390/1973) behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.
6. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Verwaltungs- und Gerichtsakten vorgelegt und von der Erstattung einer Gegenschrift unter Hinweis auf die Begründung des angefochtenen Erkenntnisses abgesehen.
7. Der Beschwerdeführer wurde mit Urteil des Bezirksgerichtes Innsbruck vom 14. November 2016 wegen Körperverletzung (§83 Abs1 StGB), sexueller Belästigung (§218 Abs1a StGB) und versuchten Diebstahls (§15 iVm §127 StGB) zu einer Geldstrafe von 200 Tagessätzen verurteilt. Mit Urteil des Bezirksgerichtes Innsbruck vom 9. Februar 2017 wurde der Beschwerdeführer wegen Körperverletzung (§83 Abs1 StGB) zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen verurteilt.
II. Erwägungen
1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.
Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).
2. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht bei seiner Entscheidung unterlaufen:
3. Das Bundesverwaltungsgericht konnte nicht feststellen, dass der Beschwerdeführer asylrelevant verfolgt wurde. In seiner Begründung verweist das Bundesverwaltungsgericht auf den Bescheid des BFA: Das Vorbringen des Antragstellers sei unglaubwürdig, weil der Beschwerdeführer "in wesentlichen Punkten lückenhafte, widersprüchliche und unplausible Angaben" gemacht habe. Der Beschwerdeführer habe seine angeblichen Fluchtgründe vage, unsubstantiiert, oberflächlich und widersprüchlich geschildert. Das Bundesverwaltungsgericht verabsäumt es aber, anhand konkreter Beispiele nachvollziehbar darzulegen aus welchen Gründen die Angaben des Beschwerdeführers lückenhaft, widersprüchlich und unplausibel bzw. vage, unsubstantiiert, oberflächlich und widersprüchlich sind. Die Begründung der angefochtenen Entscheidung erschöpft sich, neben dem Verweis auf die verwaltungsbehördliche Begründung, in einer Aneinanderreihung von floskelhaften, aus Textbausteinen zusammengesetzten Passagen ohne für den vorliegenden Einzelfall nachvollziehbaren Begründungswert (vgl. VfGH 9.6.2017, E3235/2017; 21.9.2017, E786/2017).
4. Das Bundesverwaltungsgericht geht davon aus, dass dem Beschwerdeführer selbst bei Wahrunterstellung – im Lichte der Länderberichte – keine Verletzung seiner gemäß Art2 und Art3 EMRK gewährten Rechte drohe. Die dazu herangezogenen Länderberichte beschreiben, dass extralegale Tötungen seitens der Sicherheitskräfte an der Tagesordnung stünden, dass Personen, die eines Gewaltverbrechens verdächtig sind, oft noch in Polizeigewahrsam "exekutiert" würden und dass die Anwendung von Folter integraler Bestandteil der Arbeit der Sicherheitsorgane sei. Das Bundesverwaltungsgericht unterlässt jegliche Auseinandersetzung mit diesen Länderberichten. Die Entscheidung ist daher auch zur Frage, ob dem Beschwerdeführer bei Wahrunterstellung Folter droht, nicht nachvollziehbar.
5. Bei diesem Ergebnis erübrigt es sich darauf einzugehen, ob der Verweis des Bundesverwaltungsgerichtes auf "11 Eintragungen im kriminalpolizeilichen Aktenindex" des Beschwerdeführers – im Hinblick auf die in Art6 EMRK garantierte Unschuldsvermutung – zulässig ist.
Damit erübrigt sich ein Abspruch über den Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.
III. Ergebnis
1. Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander gemäß ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973 verletzt worden.
Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevor-bringen einzugehen ist.
2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 240,– enthalten.
Schlagworte
Asylrecht, Fremdenpolizei, Rückkehrentscheidung, Ermittlungsverfahren, EntscheidungsbegründungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2018:E836.2018Zuletzt aktualisiert am
31.08.2018