TE Vwgh Erkenntnis 2018/8/7 Ro 2018/02/0010

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Veröffentlicht am 07.08.2018
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
90/01 Straßenverkehrsordnung;

Norm

B-VG Art130 Abs1 Z2;
B-VG Art132 Abs2;
StVO 1960 §97 Abs5;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Beck sowie den Hofrat Mag. Dr. Köller und die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Harrer, LL.M., über die Revision der Bezirkshauptmannschaft Bludenz gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Vorarlberg vom 15. März 2018, Zl. LVwG-2- 13/2017-R1, betreffend Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt (mitbeteiligte Partei: V in T, vertreten durch die Piccolruaz & Müller Anwaltspartnerschaft in 6700 Bludenz, Werdenbergerstraße 38), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Mit Erkenntnis vom 15. März 2018 wurde der vom Mitbeteiligten erhobenen Beschwerde wegen behaupteter Rechtswidrigkeit einer Verfolgung und gewaltsamen Anhaltung stattgegeben und die Verfolgung und gewaltsame Anhaltung für rechtswidrig erklärt. Gemäß § 35 VwGVG wurde dem Mitbeteiligten Kostenersatz zugesprochen. Weiters wurde die ordentliche Revision für zulässig erklärt.

Das Verwaltungsgericht stellte dabei folgenden Sachverhalt fest:

Am 27. Februar 2017 gegen 11.20 Uhr sei der Mitbeteiligte in T. mit einem nicht zum Verkehr zugelassenen Trial-Motorrad ohne Sturzhelm auf einer Straße mit öffentlichem Verkehr gefahren. Dies sei von dem mit einem Dienst-Kfz entgegenkommenden Polizeibeamten Insp. R., der sich dabei auf Streifendienst befunden habe, bemerkt worden. Darauf sei der Polizist mit seinem Dienst-Kfz dem Trial-Motorrad des Mitbeteiligten nachgefahren. Er habe zwei Mal mittels Lautsprecher den Mitbeteiligten zum Anhalten aufgefordert. Der Mitbeteiligte sei jedoch nicht stehen geblieben. In weiterer Folge sei der Mitbeteiligte in einen Schotterweg eingebogen, woraufhin der Polizeibeamte ihm weiterhin gefolgt sei. Auf einer längeren Geraden habe er den Mitbeteiligten überholen und in einer darauffolgenden Kurve anhalten wollen. Die Anhaltung habe er dermaßen bewerkstelligen wollen, dass er dem Mitbeteiligten in der Kurve den Weg blockiere, sodass dieser zum Anhalten gezwungen sei. Während des Überholens seien die beiden Fahrzeuge zusammengestoßen. Der Mitbeteiligte sei zum Sturz gekommen. Dabei habe er eine Rissquetschwunde an der Stirn erlitten, welche im Landeskrankenhaus Bludenz habe genäht werden müssen, sowie Abschürfungen im Gesicht.

In rechtlicher Hinsicht führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, dass gegenständlich zu klären sei, ob die Bestimmung des § 97 Abs. 5 StVO Organe der Straßenaufsicht berechtige, Verkehrsteilnehmer zum Anhalten zu zwingen, indem sie ihnen den Weg für die Weiterfahrt verstellen. Nach Anführung von Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu Befehls- und Zwangsgewalt sowie maßgeblicher Literatur kam das Verwaltungsgericht sodann zu dem Schluss, dass die Ermächtigung nach § 97 Abs. 5 StVO zur Ausübung von Befehls- und Zwangsgewalt im Zuge der Anhaltung von Verkehrsteilnehmern sich darauf beschränke, Fahrzeuglenker mittels optischer und/oder akustischer Zeichen anzuhalten. Diese Bestimmung ermächtige Organe der Straßenaufsicht nicht, darüber hinausgehende Befehls- und Zwangsgewalt - wie hier das Blockieren einer Fahrbahn durch ein Polizeifahrzeug, um ein anderes Fahrzeug zum Anhalten zu zwingen - auszuüben. Bei dem vom Polizeibeamten R. gewählten Verhalten, nämlich dem Anhalten durch Abschneiden des Weges, handle es sich somit um eine Ausübung von Zwangsgewalt, die die gesetzliche Ermächtigung nach § 97 Abs. 5 StVO überschritten habe. Aufgrund dessen sei der angefochtene Verwaltungsakt als rechtswidrig zu erklären gewesen.

Die Revision sei zulässig, da im gegenständlichen Verfahren eine Rechtsfrage zu lösen gewesen sei, der im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukomme, insbesondere weil Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu der Frage, ob § 97 Abs. 5 StVO den Organen der Straßenaufsicht das Recht einräume, andere Fahrzeuglenker durch Blockieren der Fahrbahn anzuhalten, fehle.

2 Dagegen richtet sich die vorliegende Amtsrevision der Bezirkshauptmannschaft Bludenz, in der beantragt wird, der Verwaltungsgerichtshof möge das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufheben. Der Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der er beantragte, die Revision als unbegründet abzuweisen und dem Mitbeteiligten Kostenersatz zuzuerkennen.

3 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

4 Die Revision ist aus dem vom Verwaltungsgericht und auch vom Revisionswerber genannten Grund zulässig, sie ist auch berechtigt.

5 Nach Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG erkennen die Verwaltungsgerichte über Beschwerden gegen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt. Eine Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt liegt dann vor, wenn ein Verwaltungsorgan im Rahmen der Hoheitsverwaltung einseitig gegen einen individuell bestimmten Adressaten einen Befehl erteilt oder Zwang ausübt und damit unmittelbar - d.h. ohne vorangegangenen Bescheid - in subjektive Rechte des Betroffenen eingreift. Das ist im Allgemeinen dann der Fall, wenn physischer Zwang ausgeübt wird oder die unmittelbare Ausübung physischen Zwangs bei Nichtbefolgung eines Befehls droht. Es muss ein Verhalten vorliegen, das als Ausübung von "Zwangsgewalt", zumindest aber als - spezifisch verstandene - Ausübung von "Befehlsgewalt" gedeutet werden kann. Als unverzichtbares Merkmal eines Verwaltungsakts in der Form eines Befehls gilt, dass dem Befehlsadressaten eine bei Nichtbefolgung unverzüglich einsetzende physische Sanktion angedroht wird. Liegt kein ausdrücklicher Befolgungsanspruch vor, so kommt es darauf an, ob bei objektiver Betrachtungsweise aus dem Blickwinkel des Betroffenen bei Beurteilung des behördlichen Vorgehens in seiner Gesamtheit der Eindruck entstehen musste, dass bei Nichtbefolgung der behördlichen Anordnung mit ihrer unmittelbaren zwangsweisen Durchsetzung zu rechnen ist (vgl. etwa VwGH 18.10.2017, Ra 2017/02/0041 m.w.H.). Rechtswidrig sind solche Akte, wenn sie entweder ohne gesetzliche Ermächtigung gesetzt werden oder wenn die gesetzliche Ermächtigung überschritten (missbraucht) wird (vgl. u.a. VwGH 6.7.2010, 2009/05/0231 m.w.H.).

6 Der hier maßgebliche § 97 Abs. 5 StVO lautet wie folgt:

"(5) Die Organe der Straßenaufsicht sind berechtigt, durch deutlich sichtbare oder hörbare Zeichen Fahrzeuglenker zwecks Lenker- oder Fahrzeugkontrolle, zwecks anderer, den Fahrzeuglenker oder eine beförderte Person betreffende Amtshandlungen oder zwecks Durchführung von Verkehrserhebungen (wie Verkehrszählungen u. dgl.) zum Anhalten aufzufordern. Der Fahrzeuglenker hat der Aufforderung Folge zu leisten. Bei solchen Amtshandlungen sind die Organe der Straßenaufsicht auch berechtigt, die aus Gründen der Verkehrssicherheit allenfalls notwendigen Verkehrsbeschränkungen (zB sogenannte Geschwindigkeitstrichter) anzuordnen und durch Straßenverkehrszeichen kundzumachen sowie eine allenfalls notwendige Regelung mit Lichtzeichen vorzunehmen. Art, Zeit und Dauer der angeordneten Verkehrsbeschränkungen sind in einem Aktenvermerk (§ 16 AVG) festzuhalten."

7 Im vorliegenden Fall steht unbestritten fest, dass der Polizeibeamte Insp. R. dem Mitbeteiligten nachfuhr, ihn mehrmals erfolglos zum Anhalten aufforderte und den Mitbeteiligten sodann überholte, um ihm den Weg abzusperren und den Mitbeteiligten zum Anhalten zu zwingen. Diese Vorgangsweise ist als Akt unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt zu qualifizieren (vgl. VfGH 26.2.1981, B 213/79; 23.11.1984, B 560/78). Dass der Überholvorgang unstrittig nicht beendet werden konnte, stellt entgegen der in der Revision dargelegten Ansicht keine lediglich "drohende, erst allenfalls zu einem späteren Zeitpunkt zu setzende Maßnahme" dar. Bereits der versuchte, jedoch aufgrund des Unfalles nicht beendete Überholvorgang mit dem Ziel, den Mitbeteiligten zum Anhalten zu zwingen, kann als Maßnahme angesehen werden (vgl. hierzu etwa VwGH 22.4.2015, Ra 2014/04/0046 betreffend eine versuchte Ausführung von Software-Programmen und VwGH 23.7.1999, 99/02/0021 betreffend eine versuchte Abschiebung).

8 Weiters ist entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts eine Maßnahme, die durch Blockieren der Fahrbahn ein Fahrzeug zum Anhalten bringen soll, grundsätzlich durch die Bestimmung des § 97 Abs. 5 StVO gedeckt (dahingehend vgl. VwGH 15.11.1989, 87/03/0056). In diesem Sinn hat auch der Verfassungsgerichtshof in einem ähnlich gelagerten Fall, in dem ein Lenker vom einem ihm nachfahrenden Organ der Straßenaufsicht durch Überholen und Abbremsen dessen Motorrads vor seinem Fahrzeug zum Anhalten gezwungen worden war, diese Zwangsmaßnahme als grundsätzlich vom Anwendungsbereich des § 97 Abs. 5 StVO umfasst angesehen (vgl. VfGH 23.11.1984, B 560/78); dieser Rechtsansicht schließt sich auch der Verwaltungsgerichtshof an.

9 Ob die vorliegend somit gegebene gesetzliche Ermächtigung im konkreten Fall allenfalls auf andere Weise überschritten oder missbraucht wurde bzw. ob der Mitbeteiligte aufgrund anderer Umstände des konkreten Falles in seinen subjektiven Rechten verletzt wurde, wäre vom Verwaltungsgericht im fortgesetzten Verfahren zu klären (vgl. hierzu allgemein etwa VwGH 15.11.2000, 99/01/0067 sowie zur weiterhin anwendbaren Judikatur VwGH 5.12.2017, Ra 2017/01/0373 m.w.H.).

10 Das angefochtene Erkenntnis war im Ergebnis wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Wien, am 7. August 2018

Schlagworte

Besondere RechtsgebieteAuslegung unbestimmter Begriffe VwRallg3/4

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2018:RO2018020010.J00

Im RIS seit

28.08.2018

Zuletzt aktualisiert am

11.09.2018
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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