TE Vwgh Erkenntnis 2018/8/9 Ra 2018/22/0076

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Veröffentlicht am 09.08.2018
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AVG §69 Abs1 Z1 idF 2013/I/033;
NAG 2005 §41a Abs9;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGVG 2014 §32 Abs1 Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Robl, die Hofrätin Mag.a Merl und die Hofräte Dr. Mayr, Dr. Schwarz und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Strasser, über die Revision des Landeshauptmannes von Wien gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 25. Jänner 2018, VGW- 151/007/12829/2016-4, betreffend Wiederaufnahme eines Verfahrens nach dem NAG (mitbeteiligte Partei: D N C, vertreten durch Dr. Michael Drexler, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Hörlgasse 4/5), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger von Nigeria, reiste im Oktober 2000 illegal in Österreich ein und stellte unter falscher Identität (falscher Name, falsches Geburtsdatum und Staatsangehörigkeit Uganda) insgesamt zwei Asylanträge, die beide rechtskräftig abgewiesen wurden. Ein gegen ihn 2001 erlassenes Aufenthaltsverbot (nach einer Verurteilung nach dem Suchtmittelgesetz) wurde 2011 von Amts wegen aufgehoben. Auch zwei Anträge des Revisionswerbers auf Erteilung von Aufenthaltstiteln wurden ab- bzw. zurückgewiesen und er wurde 2009 rechtskräftig aus dem Bundesgebiet ausgewiesen; dies alles erfolgte unter seiner falschen Identität.

2 Am 4. Oktober 2011 beantragte der Revisionswerber die Erteilung einer "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" gemäß § 41a Abs. 9 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), wiederum unter Verwendung der falschen Identität. Dieser Aufenthaltstitel wurde ihm mit Bescheid des Landeshauptmannes von Wien (Behörde) vom 8. Mai 2014 (zugestellt am 12. Mai 2014) erteilt.

3 Am 15. Mai 2014 legte der Revisionswerber - laut Verwaltungsgericht Wien (VwG) - "aus Reumütigkeit" seinen Reisepass vor und gab damit erstmals seine wahre Identität bekannt.

4 Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 24. September 2014 wurde der Revisionswerber gemäß § 293 Abs. 1 und 2 StGB (Fälschung von Beweismitteln) zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt.

5 Mit Bescheid vom 18. August 2016 nahm die Behörde das mit Bescheid vom 8. Mai 2014 abgeschlossene Verfahren von Amts wegen gemäß § 69 Abs. 1 Z 1 iVm Abs. 3 AVG "zufolge des Vorliegens des Erschleichungstatbestandes" wieder auf und wies den Antrag des Revisionswerbers vom 4. Oktober 2011 auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 41a Abs. 9 NAG ab.

6 Aufgrund der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde des Revisionswerbers hob das VwG den Bescheid vom 18. August 2016 auf und erklärte eine ordentliche Revision für unzulässig.

Begründend führte das VwG - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - im Wesentlichen aus, der Revisionswerber habe zweifellos unrichtige Angaben zu seiner Identität gemacht, er habe aber weder seinen Reisepass noch andere Dokumente gefälscht. Die Behörde sei bei der Zuerkennung des humanitären Aufenthaltstitels in Kenntnis aller relevanten Verfahrensschritte gewesen, sodass dem Revisionswerber auch bei Verwendung seiner richtigen Identität der Aufenthaltstitel gemäß § 41a Abs. 9 NAG erteilt worden wäre. Die Verwendung der falschen Identität sei zwar nicht ohne Bedeutung, es bestehe aber kein Kausalzusammenhang zwischen den unrichtigen Angaben des Revisionswerbers und dem Entscheidungswillen der Behörde (Hinweis auf VwGH 25.4.1995, 94/20/0779; 3.10.1997, 96/19/2173). Der Revisionswerber hätte auch bei Verwendung seiner wahren Identität Anspruch auf Erteilung des humanitären Aufenthaltstitels gehabt. Die Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme seien somit nicht gegeben.

7 Dagegen wendet sich die vorliegende Amtsrevision; sie bringt in der Zulässigkeitsbegründung vor, das VwG sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, weil § 69 Abs. 1 Z 1 AVG einen absoluten Wiederaufnahmegrund darstelle; dabei spiele es keine Rolle, ob die Partei in Irreführungsabsicht gehandelt habe (Hinweis auf VwGH 18.2.2002, 99/10/0238) oder die Behörde im wiederaufgenommenen Verfahren voraussichtlich zu einem anderen Verfahrensergebnis käme (Hinweis auf VwGH 25.9.1990, 86/07/0071; 8.6.2006, 2004/01/0470). Angesichts der rechtskräftigen Verurteilung des Revisionswerbers mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 24. September 2014 gemäß § 293 Abs. 1 und 2 StGB (Fälschung von Beweismitteln) sei es irrelevant, ob sich der Revisionswerber den Aufenthaltstitel in Irreführungsabsicht erschlichen habe.

8 Der Mitbeteiligte beantragte in der Revisionsbeantwortung, der Verwaltungsgerichtshof wolle die Revision "verwerfen, zurückweisen, bzw. abweisen".

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

9 Die Revision ist angesichts des aufgezeigten Widerspruchs zur hg. Rechtsprechung zulässig, sie ist auch berechtigt.

10 § 69 AVG, BGBl. Nr. 51/1991 idF BGBl. I Nr. 33/2013, lautet auszugsweise:

"Wiederaufnahme des Verfahrens

§ 69. (1) Dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens ist stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und:

1.        der Bescheid durch Fälschung einer Urkunde, falsches

Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Handlung

herbeigeführt oder sonstwie erschlichen worden ist oder

2.        ...

(2) ...

(3) Unter den Voraussetzungen des Abs. 1 kann die Wiederaufnahme des Verfahrens auch von Amts wegen verfügt werden. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Bescheides kann die Wiederaufnahme auch von Amts wegen nur mehr aus den Gründen des Abs. 1 Z 1 stattfinden.

(4) ..."

11 Die Behörde begründete ihren Bescheid vom 18. August 2016 betreffend die Wiederaufnahme des Verfahrens mit dem "Erschleichungstatbestand(..) gem § 69 Abs. 1 Z 1 AVG". Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes liegt das "Erschleichen" eines Bescheides vor, wenn dieser in einer Art zustande kam, dass bei der Behörde bzw. dem VwG von der Partei objektiv unrichtige Angaben von wesentlicher Bedeutung mit Irreführungsabsicht gemacht und diese Angaben dann der Entscheidung zugrunde gelegt wurden, sofern die Behörde bzw. das VwG auf die Angaben der Partei angewiesen ist und ihr bzw. ihm nicht zugemutet werden kann, von Amts wegen noch weitere Erhebungen durchzuführen (vgl. VwGH 8.6.2006, 2004/01/0470, mwN, betreffend die Wiederaufnahme eines Staatsbürgerschaftsverleihungsverfahrens).

Der Wiederaufnahmegrund nach § 69 Abs. 1 Z 1 AVG hat nach herrschender Ansicht absoluten Charakter; es kommt nicht darauf an, ob ohne das verpönte Verhalten voraussichtlich eine anders lautende Entscheidung ergangen wäre bzw. ob die Behörde oder das VwG im neuen Verfahren voraussichtlich zu einer anders lautenden Entscheidung gelangen wird (vgl. neuerlich VwGH 8.6.2006, 2004/01/0470; 4.9.2008, 2005/01/0129; vgl. auch Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2 (1998), § 69 AVG E 81; Hengstschläger/Leeb, AVG § 69, Rz. 27). Ermittlungen zur Frage der Relevanz des als Wiederaufnahmegrund herangezogenen Verhaltens sind daher grundsätzlich entbehrlich. Richtig ist lediglich, dass den zu beurteilenden unrichtigen Angaben wesentliche Bedeutung zukommen muss (vgl. nochmals VwGH 2004/01/0470). Das die Wiederaufnahme auslösende Verhalten der Partei muss auf die Erlassung eines konkreten Bescheides bzw. Erkenntnisses zielgerichtet sein bzw. das Verhalten denknotwendig der Erlassung des Bescheides bzw. Erkenntnisses vorangehen (vgl. Walter/Thienel, a.a.O., E 87 f). Dies wurde in dem vom VwG zitierten hg. Erkenntnis 94/20/0779 verneint; die (dortige) Asylantragstellerin konnte zum Zeitpunkt ihrer Antragstellung im November 1986 bzw. ihrer Erstbefragung im Dezember desselben Jahres ihren Aufenthalt in der Türkei im Dezember 1987 denklogisch nicht verschweigen; darüber hinaus datiert die erstinstanzliche Entscheidung aus dem Februar 1987 und somit vor dem "verschwiegenen" Türkeiaufenthalt im Dezember. Mit dem ebenfalls vom VwG angeführten hg. Erkenntnis 96/19/2173 wurde der dort angefochtene Bescheid wegen des Unterlassens von der Behörde zumutbaren Ermittlungen aufgehoben. Auch dieses Vorerkenntnis ist somit nicht geeignet, die Rechtsansicht des VwG zu stützen.

12 Der Kausalzusammenhang zwischen den unrichtigen Angaben des Revisionswerbers und der Erteilung des Aufenthaltstitels bezüglich seiner Identität kann freilich nicht in Zweifel gezogen werden, geht es doch in diesem Verfahren darum, einer ganz bestimmten, durch ihren Namen, ihr Geburtsdatum und ihre Nationalität identifizierbaren Person einen Aufenthaltstitel zu erteilen und dadurch ihren rechtlichen Status zu gestalten. Insofern kann jedenfalls nicht gesagt werden, es sei belanglos, für welche Identität ein Aufenthaltstitel erteilt wird (vgl. nochmals VwGH 2004/01/0470 betreffend die Verleihung der Staatsbürgerschaft).

13 Im Übrigen liegt im vorliegenden Fall auch der Wiederaufnahmegrund der Herbeiführung des Bescheides durch eine gerichtlich strafbare Handlung vor, wurde der Revisionswerber doch unbestritten mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 24. September 2014 gemäß § 293 Abs. 1 und 2 StGB verurteilt.

14 Das angefochtene Erkenntnis war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Wien, am 9. August 2018

Schlagworte

Besondere Rechtsgebiete

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018220076.L00

Im RIS seit

31.08.2018

Zuletzt aktualisiert am

03.09.2018
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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