TE OGH 2018/6/25 8Ob12/18z

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Veröffentlicht am 25.06.2018
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Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann-Prentner und Mag. Korn, den Hofrat Dr. Stefula und die Hofrätin Mag. Wessely-Kristöfel als weitere Richter in der Schuldenregulierungssache des Schuldners F***** T*****, über den Revisionsrekurs der R*****, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 7. Dezember 2017, GZ 47 R 331/17z-56, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 19. September 2017, GZ 68 S 51/09v-44, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, dass der abweisende Beschluss des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Text

Begründung:

Über das Vermögen des Schuldners wurde mit Beschluss des Erstgerichts vom 10. 6. 2010 das Abschöpfungsverfahren eingeleitet. Innerhalb der siebenjährigen Laufzeit der Abtretungserklärung erhielten die Gläubiger eine Quote von 0,299 % ihrer angemeldeten Forderungen.

Am 11. 9. 2017 beantragte der Schuldner die Erteilung der Restschuldbefreiung gemäß § 280 IO nF.

Das Erstgericht wies den Antrag ab. Die Übergangsbestimmung des § 280 IO sei noch nicht auf ein Verfahren wie das vorliegende anzuwenden, in dem der siebenjährige Abschöpfungszeitraum bereits am 10. 6. 2017 geendet habe.

Das Rekursgericht gab dem Rechtsmittel des Schuldners Folge. Es erklärte das Abschöpfungsverfahren für beendet und sprach aus, dass der Schuldner von den im Verfahren nicht erfüllten Verbindlichkeiten gegenüber den Insolvenzgläubigern befreit werde. Die Voraussetzungen für die Anwendung des § 280 IO, der mit 1. 8. 2017 in Kraft getreten sei, lägen vor. Das Abschöpfungsverfahren sei anhängig und die siebenjährige Abtretungserklärung abgelaufen. Auf die Erfüllung der Mindestquote oder das Vorliegen von Billigkeitsgründen komme es nicht mehr an.

Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil – soweit überschaubar – noch keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Anwendung des § 280 IO nF in einer vergleichbaren Verfahrenslage bestehe und die Entscheidung für eine Vielzahl gleichgelagerter Fälle von Bedeutung sei.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs der Gläubigerin ist aus den vom Rekursgericht ausgeführten Gründen zulässig. Er ist auch berechtigt.

Die für das Schuldenregulierungsverfahren maßgeblichen Änderungen der IO durch das IRÄG 2017 sind grundsätzlich anzuwenden, wenn das Insolvenzverfahren nach dem 31. 10. 2017 eröffnet wurde oder der Antrag auf Einleitung des Abschöpfungsverfahrens nach diesem Datum bei Gericht eingelangt ist.

Für „anhängige Abschöpfungsverfahren“ gilt nach § 280 IO idF IRÄG 2017 folgende Übergangsregelung:

Nach Einleitung des Abschöpfungsverfahrens bis zur Entscheidung über die Restschuldbefreiung ist auf Antrag des Schuldners das Abschöpfungsverfahren zu beenden, wenn die Abtretungserklärung abgelaufen ist oder seit dem 1. November 2017 fünf Jahre der Abtretungserklärung abgelaufen sind. § 213 Abs 1 zweiter bis vierter Satz in der vor dem IRÄG 2017 vorgesehenen Fassung sind anzuwenden.“

Der Revisionsrekurs führt ins Treffen, das Abschöpfungsverfahren des Schuldners habe in materieller Hinsicht bereits mit dem Ablauf der Abtretungserklärung am 10. 6. 2017 geendet, sodass im Zeitpunkt des Inkrafttretens des IRÄG 2017 kein Abschöpfungsverfahren mehr anhängig gewesen sei. Die Entscheidung sei hier allein auf Grundlage des § 213 IO aF und nicht nach § 280 IO zu treffen.

1. Es entspricht der nunmehr ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats, dass der Entfall der Mindestquote in den anhängigen Verfahren anzuwenden ist, in denen nach dem Inkrafttreten des IRÄG 2017 über die Erteilung einer Restschuldbefreiung zu entscheiden ist. Nach § 213 Abs 1 IO alter und neuer Fassung ebenso wie der Legaldefinition des § 280 IO ist ein Abschöpfungsverfahren so lange im Sinne des Gesetzes anhängig, bis es durch Gerichtsbeschluss für beendet erklärt wurde.

Der Beendigungsbeschluss ist sowohl nach § 213 Abs 1 IO aF als auch idF des IRÄG 2017 von Amts wegen und damit grundsätzlich unverzüglich zu treffen. Die tatsächliche Dauer der Entscheidungsfindung hängt aber von Umständen ab, die nicht nur in der Sphäre des Gerichts, sondern aller am Verfahren Beteiligten liegen können (ua Aufforderung zur Antragstellung nach § 213 Abs 2 bis 4 IO aF, Einholung von Stellungnahmen, abzuwartende Entscheidung über einen Einstellungsantrag, Rechtsmittelverfahren).

2. Die Interpretation des Rekursgerichts, dass es für die Anwendbarkeit des § 280 IO nicht darauf ankomme, zu welchem Zeitpunkt die Abtretungserklärung abgelaufen ist, solange das Verfahren noch nicht mit Beschluss beendet wurde, findet zweifellos im Wortlaut der Übergangsbestimmung Deckung. Sie würde in Fällen wie dem vorliegenden allerdings bedeuten, dass die Anwendung der Übergangsregelung nicht von objektiven Kriterien, sondern vom mehr oder weniger zufälligen bzw willkürlichen Zeitpunkt der Gerichtsentscheidung über die Beendigung des Verfahrens abhinge.

3. Wenn der Gesetzgeber den Anwendungsbereich von neuen Gesetzen von Stichtagen abhängig macht, bleibt es ihm grundsätzlich überlassen, den Stichtag festzulegen, ohne dass es für die Wahl des Stichtags einer besonderen Rechtfertigung bedarf. In diesem Sinn weist jede Stichtagsregelung ein gewisses Maß an Beliebigkeit auf und es fällt in den rechtspolitischen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers, wann eine neue, den Normadressaten begünstigende Bestimmung in Kraft treten soll und für welche Fälle sie zu gelten hat (VfSlg 17.238/2004, 19.308/2011; VfGH W IV 4/2016-23 ua).

Der Verfassungsgerichtshof hält aber in ständiger Spruchpraxis eine gesetzliche Stichtagsregelung mit dem Gleichheitssatz für unvereinbar, derzufolge „es von den verschiedensten Zufälligkeiten abhängt, vor allem aber auch von manipulativen Umständen“, ob eine bestimmte Rechtsfolge eintritt (VfSlg 7708/1975; 12.831/1991; 13.822/1994 ua).

4. Eine Interpretation des § 280 IO, die verfassungsrechtliche Bedenken in der dargestellten Hinsicht vermeidet, ist jedoch möglich. Wenn die Voraussetzung, dass „die Abtretungserklärung abgelaufen ist“ im Sinne der Entscheidung des Erstgerichts dahin einschränkend verstanden wird, dass die Abtretungserklärung frühestens bei oder nach dem Inkrafttreten des Gesetzes abgelaufen sein muss, ist die Anwendbarkeit der Übergangsbestimmung auf objektive Kriterien gegründet und die Gleichbehandlung aller Schuldner gewährleistet, deren Abschöpfungsverfahren zur gleichen Zeit eingeleitet wurde bzw deren Abtretungserklärung gleichzeitig geendet hat (vgl 8 Ob 79/18b).

5. Wie das Rekursgericht zutreffend ausgeführt hat, ist § 280 IO – mangels eigener Übergangsbestimmung – bereits am 1. 8. 2017 in Kraft getreten, die wesentlichen neuen Regelungen über das Abschöpfungsverfahren gemäß § 279 Abs 1 IO aber erst am 1. 11. 2017.

Nach der Reihung und inneren Beziehung der Übergangsbestimmungen der §§ 279 und 280 IO ist allerdings davon auszugehen, dass die Voraussetzungen der Anwendung des Letzteren zum Stichtag des Inkrafttretens des „neuen“ Schuldenregulierungsverfahrens am 1. 11. 2017 erfüllt sein müssen (idS offenbar auch Konecny, IRÄG 2017 und Neues im Insolvenzrecht für natürliche Personen, ecolex 2017, 1160 [1164]; Schneider, Das neue Privatinsolvenzrecht, VbR 2017/125 [191]; Mohr, Neuerungen im Privatinsolvenzrecht – IRÄG 2017, ZIK 2017, 97 [102]).

Das Problem des maßgeblichen Stichtags für den Anwendungsbereich des § 280 IO stellt sich im vorliegenden Verfahren aber ohnehin nicht, weil die Abtretungserklärung des Schuldners jedenfalls früher, nämlich bereits im Juni 2017 abgelaufen ist.

Dem Rekurs der Gläubigerin war daher Folge zu geben.

Textnummer

E122466

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2018:0080OB00012.18Z.0625.000

Im RIS seit

31.08.2018

Zuletzt aktualisiert am

24.01.2019
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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