Entscheidungsdatum
19.07.2018Index
40/01 VerwaltungsverfahrenNorm
VStG §3Text
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Landesverwaltungsgericht Tirol erkennt durch seine Richterin Dr.in Felizitas Luchner über die Beschwerde des AA, vertreten durch BB, Z, gegen das Straferkenntnis der Landespolizeidirektion Tirol vom 14.04.2017, zu Zl ****, betreffend Verwaltungsübertretung nach dem Fremdenpolizeigesetz,
zu Recht:
1. Der Beschwerde wird Folge gegeben, das erstinstanzliche Straferkenntnis behoben und das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs 1 Z 2 VStG zur Einstellung gebracht.
2. Die ordentliche Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
I. Verfahrensgang:
Mit dem erstinstanzlichen Straferkenntnis wurde dem Beschuldigten spruchgemäß nachstehender Sachverhalt zur Last gelegt:
„1. Sie halten sich als Fremder (2 Abs 4 Z 1 FPG) seit dem 28.03.2017 nicht rechtmäßig im Bundesgebiet am oben angeführten Tatort auf, da für den rechtmäßigen Aufenthalt eine rechtmäßig Einreise Voraussetzung ist und dürfen während des Aufenthalts im Bundesgebiet die Befristungen oder Bedingungen des Einreisetitels oder die durch zwischenstaatliche Vereinbarungen, Bundesgesetz oder Verordnung bestimmte Aufenthaltsdauer nicht überschritten werden. Sie waren auch nicht aufgrund einer Aufenthaltsberechtigung oder einer Dokumentation des Aufenthaltsrechtes nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz zur Niederlassung oder zum Aufenthalt oder auf Grund einer Verordnung für Vertriebene zum Aufenthalt berechtigt. Weder waren Sie Inhaber eines von einem Vertragsstaat ausgestellten Aufenthaltstitels noch bestand ein Aufenthaltsrecht nach asylrechtlichen Bestimmungen. Sie keine Beschäftigungsbewilligung nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz mit einer Gültigkeitsdauer bis zu sechs Monaten, eine Entsendebewilligung, eine EU-Entsendebestätigung, eine Anzeigebestätigung gemäß § 3 Abs. 5 AuslBG oder eine Anzeigebestätigung gemäß § 18 Abs. 3 AuslBG mit einer Gültigkeitsdauer bis zu sechs Monaten innehatten und sich dies auch nicht aus anderen bundesgesetzlichen Vorschriften ergibt.
Ihr Antrag auf internationalem Schutz wurde mit 20.03.2017 negativ beschieden. Mit 28.03.2017 wurde Ihnen die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde durchsetzbar aberkannt. Somit verlieren Sie nach Erlassung einer durchsetzbaren Entscheidung gern. § 13. Abs. 1 AsylG Ihr Aufenthaltsrecht und es liegen keine Voraussetzungen für einen rechtmäßigen Aufenthalt vor.
Der Beschuldigte hat dadurch folgende Rechtsvorschrift(en) verletzt:
§ 31 Abs. 1 Z 1,2,3,4,6 und 7 FPG i.V.m. § 120 Abs. 1a Fremdenpolizeigesetz
Wegen dieser Verwaltungsübertretung(en) wird (werden) über Sie folgende Strafe(n) verhängt:
Geldstrafe von
falls diese uneinbringlich Freiheitsstrafe von ist, Ersatzfreiheitsstrafe
von
Gemäß
€500,00
Tage(n) 19 Stunde(n) 0 Minute(n)
§ 120 Abs. 1a Fremdenpolizeigesetz
Weitere Verfügungen (zB Verfallsausspruch, Anrechnung von Vorhaft):
Ferner hat der Beschuldigte gemäß § 64 des Verwaltungsstrafgesetzes 1991 - VStG zu zahlen:
€ 50,00 als Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens, das sind 10% der Strafe, jedoch mindestens 10 Euro für jedes Delikt (je ein Tag Freiheitsstrafe wird gleich € 100,00 angerechnet).
€ als Ersatz der Barauslagen für
Der zu zahlende Gesamtbetrag (Strafe/Kosten/Barauslagen) beträgt daher € 550,00“
Gegen dieses Straferkenntnis hat der Beschuldigte fristgerecht durch seinen Rechtsvertreter Beschwerde erhoben und in dieser ausgeführt wie folgt:
„In umseitiger Rechtssache gibt der Beschwerdeführer(Bf) bekannt, dass er Rechtsanwälte CC, BB, Adresse 1, Z, mit seiner rechtsfreundlichen Vertretung beauftragt hat. Diese berufen sich gemäß § 10 AVG auf die erteilte Bevollmächtigung.
Der Beschuldigte erhebt innerhalb offener Frist
Beschwerde
gegen das Straferkenntnis der LPD Tirol vom 14.04.2017, GZ ****, zugestellt am 20.04.2017.
Der Beschwerdeführer ficht das angefochtene Straferkenntnis in seinem gesamten Umfang an und macht als Beschwerdegründe Mangelhaftigkeit des Verfahrens sowie inhaltliche Rechtswidrigkeit geltend.
Der Beschwerdeführer wird durch das angefochtene Straferkenntnis in seinem Recht auf ein ordnungsgemäßes, dem Verwaltungsstrafverfahren entsprechendes Verwaltungsstrafverfahren, in seinem Recht auf ein faires Verfahren iSd Art 6 EMRK und in seinem Recht nicht mit einer Strafe nach § 120Abs 1a FPG bestraft zu werden, verletzt.
Sachverhalt:
Mit 09.02.2017 wurde dem nunmehrigen Bf eine Aufforderung zur Rechtfertigung zugestellt, in welchem ihm vorgeworfen wurde „Ihr Antrag auf internationalen Schutz wurde in 2. Instanz rechtskräftig negativ beschieden. Ebenso wurde Ihr Antrag auf einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen abgewiesen"
Der Bf erstatte binnen offener Frist eine Rechtfertigung und wies die Behörde darauf hin, dass er erst am 08.02.2017 seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz eingebracht hat, deshalb keine in 2. Instanz negativ rechtskräftige Abweisung des Antrags bestehen kann und er seitdem ein asylrechtliches Aufenthaltsrecht hat.
Der Antrag auf internationalen Schutz wurde am 20.03.2017 negativ abgewiesen.
Am 20.04.2017 wurde beschwerdegegenständliches Straferkenntnis zugestellt, in welchem die Behörde entgegen der Aufforderung zur Rechtfertigung dem Bf einen anderen Sachverhalt vorwarf, ohne dass er davor eine Möglichkeit zur Rechtfertigung gehabt hätte.
Erst am 16.05.2017 wurde BB zum Verfahrenshelfer zur Einbringung einer außerordentlichen Revision an den Verwaltungsgerichtshof bestellt, wobei die aoRevision mit dem Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung noch am gleichen Tag eingebracht wurde.
Am 18.05.2017 wurde der Bf während des Laufes der Frist zur Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung in den Kosovo abgeschoben.
Verletzung Verfahrensvorschriften:
Die belangte Behörde hat in antizipierender Beweiswürdigung kein ordentliches Ermittlungsverfahren durchgeführt. Der Sachverhalt wurde gegenüber der Aufforderung zur Rechtfertigung vom 09.02.2017 einfach ausgetauscht, ohne dass ihm die Möglichkeit eines Parteiengehörs eingeräumt worden wäre.
Hätte der Bf Angaben machen können, hätte er angeben können, dass er aufgrund seiner geistigen Behinderung auf die Betreuung durch seine Eltern angewiesen ist, dass er über keinen Reisepass verfügt und daher nicht freiwillig Österreich verlassen kann. Aufgrund dieser Angaben hätte die belangte Behörde davon ausgehen müssen, dass den Bf kein Verschulden trifft und hätte er nicht bestraft werden dürfen.
Unrichtige rechtliche Beurteilung:
Der Bf brachte fristgerecht eine außerordentliche Revision ein, in welcher auch zum Aufenthaltstitel abgesprochen wird. Falls der VwGH die aufschiebende Wirkung zuerkennt, oder die außerordentliche Revision das Erkenntnis zweiter Instanz nicht bestätigt, sondern zu einem Aufenthaltstitel ändert, hatte der Bf zum jetzigen Zeitpunkt ein Aufenthaltsrecht.
ad Strafhöhe
Der erkennenden Behörde war bekannt, dass sich der Bf im Asylverfahren befand, keine Arbeit hat und geistig behindert ist. Er erhält nur Eur. 250,00 monatlich im Rahmen der Grundversorgung, womit er seinen Unterhalt bestreiten musste.
Gemäß § 19 VStG hätte die Behörde dies bei der Bemessung der Strafhöhe berücksichtigen müssen. Dies hat die Behörde im Zuge der sich das ganze Verfahren durchziehenden antizipierenden Beweiswürdigung unterlassen und die Strafe vollkommen falsch bemessen.
Gestützt auf obiges Vorbringen wird gestellt nachfolgender
Beschwerdeantrag:
Das Verwaltungsgericht wolle eine mündliche Beschwerdeverhandlung anberaumen, der Beschwerde Folge geben, den angefochtenen Bescheid aufheben und das Verwaltungsstrafverfahren einstellen;
in eventu den angefochtenen Bescheid aufheben und die Rechtssache zur Ergänzung des Verfahrens und neuerlichen Entscheidung an die Erstbehörde zurückverweisen.
Innsbruck, am 18.05.2017 für AA“
Beweis wurde aufgenommen durch Einsichtnahme in den erstinstanzlichen Verwaltungsstrafakt sowie durch Abhaltung einer öffentlichen mündlichen Beschwerdeverhandlung zu der der Beschwerdeführer jedoch nicht erscheinen konnte, da er bereits nach Kosovo abgeschoben worden ist.
Der Rechtsvertreter hat einen neurologischen Befundbericht des DD, Facharzt für Neurologie vorgelegt, der lautet unter anderem wie folgt:
„…
Beurteilung 09.04.15
Neurologisch besteht dzt kein Handlungsbedarf, die Schlafmedikation mit Quetiapin kann bedarfsweise verwendet werden, eventuell versuchsweise regelmäßig. Der kognitive Zustand des Patienten ist dergestalt, daß eine Betreuung durch den Vater und die Lebenshilfe dringend erforderlich ist, da der Entwicklungszustand eines etwa 8-12 Jährigen vorliegt, eine erneute Trennung vom Vater wäre sicher höchst unproduktiv. Ein Aufenthalt beim Vater daher dringend zu befürworten. Weiters sollte eine fachpsychiatrische Betreuung intermittierend erfolgen, der Pat dbzgl zu EE zugewiesen, allerdings aufgrund der fehlenden e-card noch nicht umgesetzt. Bzgl der Pansinusitis dzt kein Handlungsbedarf, HNO Vorstellung wenn erneute Exazerbation.
…
Anamnese 09.04.15
Pat kommt zur Befundbesprechung, CMRT/A unauffällig, Pansinusitis chronisch;“
Aufgrund dieses neurologischen Befundberichtes ist davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer auf dem geistigen Entwicklungsstand eines 8 bis 12-jährigen ist.
II. Rechtliche Erwägungen:
Das Verwaltungsstrafgesetz bestimmt in § 4, dass nicht strafbar ist, wer zur Zeit der Tat das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet hat.
Der Beschwerdeführer weist eine Intelligenzminderung IQ 50 bis 69, bei ihm 60 auf. Zweimal hat der Facharzt erwähnt, dass der Beschwerdeführer auf dem Entwicklungsstand eines 8 bis 12-jährigen ist.
In Österreich ist man erst ab dem 14. Lebensjahr strafmündig, weil man ab diesem Lebensjahr üblicherweise die geistige und moralische Reife aufweist, die nötig ist um das Recht bzw. Unrecht des eigenen Verhaltens zu erkennen.
Unmündige Minderjährige, also Personen bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres, gelten als schuldunfähig. Nichts anderes kann für geistig behinderte Menschen gelten, denen vom Facharzt bescheinigt wird, dass sie auf einem Entwicklungsstand eines 8 bis 12-jährigen sind.
Im gegenständlichen Fall handelt es sich um eine, beim Beschwerdeführer vorliegende Intelligenzschwäche ohne nachweisbare Ursachen.
Der Beschwerdeführer erachtet sich - seinem gesamten Vorbringen zufolge - durch den angefochtenen Bescheid im Recht, der ihm zur Last gelegten Verwaltungsübertretungen nicht schuldig erkannt und dafür auch nicht bestraft zu werden, verletzt. Er bringt hierzu im Wesentlichen vor, er sei aufgrund seiner Debilitas unfähig gewesen, das Unerlaubte seiner Tat einzusehen bzw. dieser Einsicht gemäß zu handeln. Wäre die belangte Behörde dem neurologischen Befundbericht vom 9.04.2015 gefolgt, hätte sie ebenfalls zu dieser Auffassung gelangen müssen.
Gemäß § 3 Abs. 1 VStG ist nicht strafbar, wer zur Zeit der Tat wegen Bewusstseinsstörung, wegen krankhafter Störung der Geistestätigkeit oder wegen Geistesschwäche unfähig war, das Unerlaubte seiner Tat einzusehen oder dieser Einsicht gemäß zu handeln.
Die Zurechnungsfähigkeit bildet demnach eine unbedingte Voraussetzung der Strafbarkeit.
Aufgrund der vorliegenden Geistesschwäche ergeben sich die fehlende Zurechnungsfähigkeit, die fehlende Schuldfähigkeit und die mangelnde Einsicht, dass es sich im gegenständlichen Fall um eine Straftat gehandelt haben könnte.
Es war daher das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs 1 Z 2 VStG zur Einstellung zu bringen.
III. Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:
Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g
Soweit die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof in Wien für zulässig erklärt worden ist, kann innerhalb von sechs Wochen ab dem Tag der Zustellung dieser Entscheidung eine ordentliche Revision erhoben werden. Im Fall der Nichtzulassung der ordentlichen Revision kann innerhalb dieser Frist nur die außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden.
Wenn allerdings in einer Verwaltungsstrafsache oder in einer Finanzstrafsache eine Geldstrafe von bis zu Euro 750,00 und keine Freiheitsstrafe verhängt werden durfte und im Erkenntnis eine Geldstrafe von bis zu Euro 400,00 verhängt wurde, ist eine (ordentliche oder außerordentliche) Revision an den Verwaltungsgerichthof wegen Verletzung in Rechten nicht zulässig.
Jedenfalls kann gegen diese Entscheidung binnen sechs Wochen ab der Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, Freyung 8, 1010 Wien, erhoben werden.
Die genannten Rechtsmittel sind von einem bevollmächtigten Rechtsanwalt bzw einer bevollmächtigten Rechtsanwältin abzufassen und einzubringen, und es ist eine Eingabegebühr von Euro 240,00 zu entrichten. Die Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ist direkt bei diesem, die (ordentliche oder außerordentliche) Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist beim Landesverwaltungsgericht Tirol einzubringen.
Es besteht die Möglichkeit, auf die Revision beim Verwaltungsgerichtshof und die Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof zu verzichten. Ein solcher Verzicht hat zur Folge, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof und eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof nicht mehr erhoben werden können.
Landesverwaltungsgericht Tirol
Dr.in Luchner
(Richterin)
Schlagworte
DebilitätEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGTI:2018:LVwG.2017.17.1292.3Zuletzt aktualisiert am
30.08.2018