Entscheidungsdatum
20.08.2018Index
40/01 VerwaltungsverfahrenNorm
AVG §8;Text
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Landesverwaltungsgericht Tirol erkennt über die Beschwerde der AA, vertreten durch Rechtsanwalt BB, Adresse 1, Z, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Y vom 27.06.2018, ****, betreffend Aberkennung der Parteistellung im Naturschutzgesetz,
zu Recht:
1. Der Beschwerde wird Folge gegeben und der AA, CC, vertreten durch BB, Adresse 1, Z, die Parteistellung im Verfahren der Bezirkshauptmannschaft Y, ****, betreffend der geplanten Errichtung einer Chaletdorf-Anlage in X zuerkannt.
2. Die ordentliche Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
I. Verfahrensgang:
Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Antrag der AA, vertreten durch Rechtsanwalt BB, Z auf Zuerkennung der Parteistellung in eventu Zustellung eines Bescheides im naturschutzrechtlichen Verfahren der Bezirkshauptmannschaft Y betreffend die geplante Errichtung einer Chaletdorf-Anlage durch die DD in X gemäß § 8 AVG 1991 mangels Beeinträchtigung bzw Gefährdung EU-rechtlich geschützten Rechtsgüter, im speziellen von verschiedenen Vogelarten welche in Anhang I der EU Vogelschutz Richtlinie angeführt sind, als unbegründet abgewiesen. Dagegen hat die betroffene NGO-Organisation Beschwerde erhoben und unter Hinweis auf das Urteil des europäischen Gerichtshofes in der Rechtssache C-664/15 vom 20.12.2017 sowie verschiedene Erkenntnisse der Landesverwaltungsgerichte die Zuerkennung der Parteistellung begehrt.
II. Sachverhalt:
Bei der Bezirkshauptmannschaft Y ist ein naturschutzrechtliches Bewilligungsverfahren betreffend die geplante Errichtung einer Chaletdorf-Anlage in X durch die DD anhängig. Bezüglich der Einhaltung der Vogelschutzrichtlinie hat der naturkundefachliche Sachverständige EE im Einzelnen ausgeführt „eine eigene avifaunistische Erhebung wurde nicht durchgeführt. Zur Beurteilung wurde eine Datenabfrage des Brutvogelatlas Tirol bearbeitet. Selbige erbrachte Vergleichsweise viele Vogelarten mit insgesamt 27 Arten wovon bei mehreren Arten eine Brut im Untersuchungsgebiet zumindest möglich ist. Mit dem Baumpieper und dem Grauspecht (Anhang I der Vogelschutzrichtlinie) wurden zwei Arten der Roten Liste Österreich, mit dem Grau- und dem Grünspecht zwei Arten nach der Roten Liste Tirol genannt. Betreffend die sensiblen Arten wurde auf das Vorkommen von tauglichen Nistplatzhöhlen geachtet, welche doch nicht nachgewiesen werden konnte. Zusammenfassend muss aus naturkundefachlicher Sicht gegenständlicher Bereich aufgrund der erhobenen Befunde betreffend Vögel sowie deren Lebensraum als auch anderer Tierarten speziell im Bezug zu den hier vorkommenden Feldgehölzen als ökologisch wertvoll und für gegenständlichen Landschaftsbereich typisch eingestuft werden.
Ausführungen im Gutachten:
Tiere während der Bauphase sind für alle hier vorkommenden Vogelarten zumindest für eine Brutsaison negative Einflüsse durch den Baulärm und optische Beeinträchtigung zu erwarten. Nachdem fast alle potenziell nachgewiesenen Arten generell in Tirol und Österreich als auch in der unmittelbaren Umgebung um das Projektsgebiet häufig vorkommen, ist aus fachlicher Sicht kaum mit erheblichen negativen Auswirkungen auf die Avifauna zu rechnen.
Dies gilt nicht für die in den Roten Listen genannten Spechtarten, speziell den Grauspecht (Anhang I der Vogelschutzrichtlinie) welche in Tirol als „gefährdet“ gilt. Hier ist bereits der Verlust eines Brutpaares als erheblich einzustufen. Nistplatztaugliche Höhlen in den geeigneten, älteren Baumindividuen auf der Projektsfläche wurden jedoch laut Einreichunterlagen nicht gefunden. Als Fazit dieses Gutachtens steht somit fest, dass keine erheblichen Auswirkungen auf geschützte Vogelarten durch das Projekt zu erwarten sind.
III. Beweiswürdigung:
Das Gutachten des naturkundefachlichen Amtssachverständigen wird durch die Beschwerdeführerin keineswegs in Zweifel gestellt. Es wurden auch keine zusätzlichen Beweisanträge in Bezug auf die Erhebung von Vogelarten gestellt. Es ist auch unbestritten, dass die Einschreiterin eine anerkannte NGO-Organisation ist.
IV. Rechtslage:
1. Zur Zulässigkeit der vorliegenden Beschwerde:
Die Beschwerde wurde innerhalb der vierwöchigen Beschwerdefrist nach § 7 Abs 4 VwGVG eingebracht und ist sie insofern rechtzeitig. Mangels gegenteiliger Anhaltspunkte ist die vorliegende Beschwerde auch zulässig.
2. Zur Sache:
Im vorliegenden Fall ist zunächst zu berücksichtigen, dass der Prüfumfang des Landesverwaltungsgerichtes nach § 27 VwGVG darauf beschränkt ist, den angefochtenen Bescheid auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs 1 Z 3 und 4) zu überprüfen, wobei die Beschwerde nach § 9 Abs 1 Z 3 und 4 VwGVG die Gründe, auf die sich die Behauptung der Rechtswidrigkeit stützt und das Begehren zu enthalten hat.
Zumal der Spruchpunkt 2. des angefochtenen Bescheides von den Beschwerdeführern nicht bekämpft wurde, beziehen sich die nachfolgenden Ausführungen nur auf Spruchpunkt 1. des angefochtenen Bescheides.
Der im vorliegenden Fall maßgebliche § 8 AVG lautet wie folgt:
„Beteiligte; Parteien
§ 8. Personen, die eine Tätigkeit der Behörde in Anspruch nehmen oder auf die sich die Tätigkeit der Behörde bezieht, sind Beteiligte und, insoweit sie an der Sache vermöge eines Rechtsanspruches oder eines rechtlichen Interesses beteiligt sind, Parteien.“
Die im vorliegenden Fall maßgeblichen Bestimmungen des TNSchG 2005 (§§ 36 und 43) lauten auszugsweise wie folgt:
„§ 36
Landesumweltanwältin bzw. Landesumweltanwalt
(1) (…)
(8) Der Landesumweltanwältin bzw. dem Landesumweltanwalt kommt in allen naturschutzrechtlichen Verfahren, mit Ausnahme von Verwaltungsstrafverfahren, Parteistellung im Sinne des § 8 AVG zu. Sie/Er hat bei der Ausübung ihrer/seiner Parteienrechte auf andere öffentliche Interessen, auch auf wirtschaftliche Interessen, Bedacht zu nehmen. Die Landesumweltanwältin bzw. der Landesumweltanwalt ist berechtigt, sich in den von der Bezirksverwaltungsbehörde durchzuführenden naturschutzbehördlichen Verfahren durch die Naturschutzbeauftragte bzw. den Naturschutzbeauftragten (§ 37) vertreten zu lassen sowie Ausgleichsmaßnahmen im Sinne des § 14 Abs. 6 und sonstige Maßnahmen im Sinne der Ziele nach § 1 Abs. 1 anzuregen. Die Landesumweltanwältin bzw. der Landesumweltanwalt ist weiters berechtigt, zum Schutz jener öffentlichen Interessen, deren Wahrnehmung ihr/ihm gesetzlich aufgetragen ist, gegen Bescheide der Bezirksverwaltungsbehörde Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht zu erheben.
(9) (…)“
„§ 43
Verfahren
(1) (…)
(4) In allen Verfahren zur Entscheidung über ein Ansuchen um die Erteilung einer naturschutzrechtlichen Bewilligung haben die vom betreffenden Vorhaben berührten Gemeinden zur Wahrnehmung ihrer Interessen in den Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches Parteistellung im Sinne des § 8 AVG. Mit dem Ablauf von zwei Jahren nach dem Ende der im § 29 Abs. 7 lit. d genannten Fristen für die Vollendung der Ausführung des Vorhabens erwächst eine naturschutzrechtliche Bewilligung auch gegenüber jenen Gemeinden in Rechtskraft, denen die Entscheidung nicht oder nicht vollständig zugestellt worden ist, es sei denn, sie hätten ihre Parteistellung bis dahin geltend gemacht.
(5) (…)“
Die im vorliegenden Fall maßgeblichen Bestimmungen der Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21.05.1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen (Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie) (Art 3 und 6) lauten auszugsweise wie folgt:
„Erhaltung der natürlichen Lebensräume und der Habitate der Arten
Artikel 3
(1) Es wird ein kohärentes europäisches ökologisches Netz besonderer Schutzgebiete mit der Bezeichnung ‚Natura 2000‘ errichtet. Dieses Netz besteht aus Gebieten, die die natürlichen Lebensraumtypen des Anhangs I sowie die Habitate der Arten des Anhangs II umfassen, und muss den Fortbestand oder gegebenenfalls die Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustandes dieser natürlichen Lebensraumtypen und Habitate der Arten in ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet gewährleisten.
Das Netz ‚Natura 2000‘ umfasst auch die von den Mitgliedstaaten aufgrund der Richtlinie 79/409/EWG ausgewiesenen besonderen Schutzgebiete.
(2) (...)“
„Artikel 6
(1) (…)
(3) Pläne oder Projekte, die nicht unmittelbar mit der Verwaltung des Gebietes in Verbindung stehen oder hierfür nicht notwendig sind, die ein solches Gebiet jedoch einzeln oder in Zusammenwirkung mit anderen Plänen und Projekten erheblich beeinträchtigen könnten, erfordern eine Prüfung auf Verträglichkeit mit den für dieses Gebiet festgelegten Erhaltungszielen. Unter Berücksichtigung der Ergebnisse der Verträglichkeitsprüfung und vorbehaltlich des Absatzes 4 stimmen die zuständigen einzelstaatlichen Behörden dem Plan bzw. Projekt nur zu, wenn sie festgestellt haben, dass das Gebiet als solches nicht beeinträchtigt wird, und nachdem sie gegebenenfalls die Öffentlichkeit angehört haben.
(4) (…)“
Die maßgeblichen Bestimmungen (Art 6 und 9) des am 25.6.1998 in Aarhus unterzeichneten und im Namen der Europäischen Gemeinschaft mit dem Beschluss 2005/370/EG des Rates vom 17.2.2005 genehmigten Übereinkommens über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten (Übereinkommen von Arhus) lauten auszugsweise wie folgt:
„Artikel 6
Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungen über bestimmte Tätigkeiten
(1) Jede Vertragspartei
a) (…)
b) wendet diesen Artikel in Übereinstimmung mit ihrem innerstaatlichen Recht auch bei Entscheidungen über nicht in Anhang I aufgeführte geplante Tätigkeiten an, die eine erhebliche Auswirkung auf die Umwelt haben können. Zu diesem Zweck bestimmen die Vertragsparteien, ob dieser Artikel Anwendung auf eine derartige geplante Tätigkeit findet;
c) (...)
(2) Die betroffene Öffentlichkeit wird im Rahmen umweltbezogener Entscheidungsverfahren je nach Zweckmäßigkeit durch öffentliche Bekanntmachung oder Einzelnen gegenüber in sachgerechter, rechtzeitiger und effektiver Weise frühzeitig unter anderem über Folgendes informiert:
a)-e) (...)
(3) Die Verfahren zur Öffentlichkeitsbeteiligung sehen jeweils einen angemessenen zeitlichen Rahmen für die verschiedenen Phasen vor, damit ausreichend Zeit zur Verfügung steht, um die Öffentlichkeit nach Absatz 2 zu informieren, und damit der Öffentlichkeit ausreichend Zeit zur effektiven Vorbereitung und Beteiligung während des umweltbezogenen Entscheidungsverfahrens gegeben wird.
(4) Jede Vertragspartei sorgt für eine frühzeitige Öffentlichkeitsbeteiligung zu einem Zeitpunkt, zu dem alle Optionen noch offen sind und eine effektive Öffentlichkeitsbeteiligung stattfinden kann.
(5) Jede Vertragspartei sollte, soweit angemessen, künftige Antragsteller dazu ermutigen, die betroffene Öffentlichkeit zu ermitteln, Gespräche aufzunehmen und über den Zweck ihres Antrags zu informieren, bevor der Antrag auf Genehmigung gestellt wird.
(6) Jede Vertragspartei verpflichtet die zuständigen Behörden, der betroffenen Öffentlichkeit - auf Antrag, sofern innerstaatliches Recht dies vorschreibt - gebührenfrei und sobald verfügbar Zugang zu allen Informationen zu deren Einsichtnahme zu gewähren, die für die in diesem Artikel genannten Entscheidungsverfahren relevant sind und zum Zeitpunkt des Verfahrens zur Öffentlichkeitsbeteiligung zur Verfügung stehen; das Recht der Vertragsparteien, die Bekanntgabe bestimmter Informationen nach Artikel 4 Absätze 3 und 4 abzulehnen, bleibt hiervon unberührt. Zu den relevanten Informationen gehören zumindest und unbeschadet des Artikels 4
a) eine Beschreibung des Standorts sowie der physikalischen und technischen Merkmale der geplanten Tätigkeit, einschließlich einer Schätzung der erwarteten Rückstände und Emissionen;
b) eine Beschreibung der erheblichen Auswirkungen der geplanten Tätigkeit auf die Umwelt;
c) eine Beschreibung der zur Vermeidung und/oder Verringerung der Auswirkungen, einschließlich der Emissionen, vorgesehenen Maßnahmen;
d) eine nichttechnische Zusammenfassung der genannten Informationen;
e) ein Überblick über die wichtigsten vom Antragsteller geprüften Alternativen und
f) in Übereinstimmung mit den innerstaatlichen Rechtsvorschriften die wichtigsten Berichte und Empfehlungen, die an die Behörde zu dem Zeitpunkt gerichtet wurden, zu dem die betroffene Öffentlichkeit nach Absatz 2 informiert wird.
(7) In Verfahren zur Öffentlichkeitsbeteiligung hat die Öffentlichkeit die Möglichkeit, alle von ihr für die geplante Tätigkeit als relevant erachteten Stellungnahmen, Informationen, Analysen oder Meinungen in Schriftform vorzulegen oder gegebenenfalls während einer öffentlichen Anhörung oder Untersuchung mit dem Antragsteller vorzutragen.
(8) Jede Vertragspartei stellt sicher, dass das Ergebnis der Öffentlichkeitsbeteiligung bei der Entscheidung angemessen berücksichtigt wird.
(9) Jede Vertragspartei stellt sicher, dass die Öffentlichkeit, sobald die Behörde die Entscheidung gefällt hat, unverzüglich und im Einklang mit den hierfür passenden Verfahren über die Entscheidung informiert wird. Jede Vertragspartei macht der Öffentlichkeit den Wortlaut der Entscheidung sowie die Gründe und Erwägungen zugänglich, auf die sich diese Entscheidung stützt.
(10) (...)“
„Artikel 9
Zugang zu Gerichten
(1) (…)
(2) Jede Vertragspartei stellt im Rahmen ihrer innerstaatlichen Rechtsvorschriften sicher, dass Mitglieder der betroffenen Öffentlichkeit,
(a) die ein ausreichendes Interesse haben oder alternativ
(b) eine Rechtsverletzung geltend machen, sofern das Verwaltungsverfahrensrecht einer Vertragspartei dies als Voraussetzung erfordert,
Zugang zu einem Überprüfungsverfahren vor einem Gericht und/oder einer anderen auf gesetzlicher Grundlage geschaffenen unabhängigen und unparteiischen Stelle haben, um die materiell-rechtliche und verfahrensrechtliche Rechtmäßigkeit von Entscheidungen, Handlungen oder Unterlassungen anzufechten, für die Artikel 6 und - sofern dies nach dem jeweiligen innerstaatlichen Recht vorgesehen ist und unbeschadet des Absatzes 3 - sonstige einschlägige Bestimmungen dieses Übereinkommens gelten.
Was als ausreichendes Interesse und als Rechtsverletzung gilt, bestimmt sich nach den Erfordernissen innerstaatlichen Rechts und im Einklang mit dem Ziel, der betroffenen Öffentlichkeit im Rahmen dieses Übereinkommens einen weiten Zugang zu Gerichten zu gewähren. Zu diesem Zweck gilt das Interesse jeder Nichtregierungsorganisation, welche die in Artikel 2 Nummer 5 genannten Voraussetzungen erfüllt, als ausreichend im Sinne des Buchstaben a. Derartige Organisationen gelten auch als Träger von Rechten, die im Sinne des Buchstaben b verletzt werden können.
Absatz 2 schließt die Möglichkeit eines vorangehenden Überprüfungsverfahrens vor einer Verwaltungsbehörde nicht aus und lässt das Erfordernis der Ausschöpfung verwaltungsbehördlicher Überprüfungsverfahren vor der Einleitung gerichtlicher Überprüfungsverfahren unberührt, sofern ein derartiges Erfordernis nach innerstaatlichem Recht besteht.
(3) Zusätzlich und unbeschadet der in den Absätzen 1 und 2 genannten Überprüfungsverfahren stellt jede Vertragspartei sicher, dass Mitglieder der Öffentlichkeit, sofern sie etwaige in ihrem innerstaatlichen Recht festgelegte Kriterien erfüllen, Zugang zu verwaltungsbehördlichen oder gerichtlichen Verfahren haben, um die von Privatpersonen und Behörden vorgenommenen Handlungen und begangenen Unterlassungen anzufechten, die gegen umweltbezogene Bestimmungen ihres innerstaatlichen Rechts verstoßen.
(4) Zusätzlich und unbeschadet des Absatzes 1 stellen die in den Absätzen 1, 2 und 3 genannten Verfahren angemessenen und effektiven Rechtsschutz und, soweit angemessen, auch vorläufigen Rechtsschutz sicher; diese Verfahren sind fair, gerecht, zügig und nicht übermäßig teuer. Entscheidungen nach diesem Artikel werden in Schriftform getroffen oder festgehalten. Gerichtsentscheidungen und möglichst auch Entscheidungen anderer Stellen sind öffentlich zugänglich.
(5) (...)“
Gemäß § 8 AVG sind Personen, soweit sie an der Sache vermöge eines Rechtsanspruches oder eines rechtlichen Interesses beteiligt sind, Parteien eines Verwaltungsverfahrens, wobei aber das AVG selbst weder die Parteistellung begründende subjektive Rechte einräumt, noch eine Regelung darüber enthält, welche Voraussetzungen gegeben sein müssen, damit von einem solchen Recht die Rede sein kann. Die Frage, wer in einem konkreten Verwaltungsverfahren Parteistellung besitzt, kann also nicht auf Grund des AVG allein, sondern muss vielmehr anhand der Vorschriften des materiellen Rechts, also des Besonderen Verwaltungsrechts – zB des TNSchG 2005 – gelöst werden (vgl Hengstschläger/Leeb, AVG § 8 RZ 3 und 4).
Das TNSchG 2005 trifft Regelungen betreffend den Kreis der in Betracht kommenden Verfahrensparteien. Neben dem Projektwerber sieht das TNSchG 2005 in Bewilligungsverfahren lediglich für den Landesumweltanwalt (§ 36 Abs 8) und für die berührten Gemeinden (§ 43 Abs 4) eine – teilweise eingeschränkte – Parteistellung vor. Weitere Parteistellungen, etwa für österreichweit tätige, anerkannte Umweltorganisationen im Sinn des § 19 Abs 6 und 7 UVP-G, wie sie die Beschwerdeführer unbestrittenermaßen darstellen, sind im TNSchG 2005 nicht vorgesehen.
Insofern war im vorliegenden Fall zu prüfen, ob sich – wie von den Beschwerdeführer behauptet – aus der Aarhus Konvention in Verbindung mit dem Unionsrecht eine Parteistellung der Beschwerdeführer in dem der gegenständlichen Beschwerde zugrundeliegenden Verwaltungsverfahren betreffend das Wasserkraftwerk Haslach am Kalserbach ergibt.
Dies ist aufgrund der folgenden Erwägungen zu bejahen:
Mit seinem Urteil in der Rechtssache C-664/15 vom 20.12.2017 stellte der EuGH klar, dass es unionsrechtswidrig ist, wenn anerkannte Umweltorganisationen in Wasserrechtsverfahren, in denen ein möglicherweise gegen die Verpflichtung des Art 4 der Europäischen Wasserrahmenrichtlinie (Verschlechterungsverbot) verstoßendes Vorhaben gebilligt wird, keinen Zugang zu Gerichten haben. Nationales Verfahrensrecht, das Umweltorganisationen nicht das Recht zuerkennt, sich an einem derartigen Bewilligungsverfahren als Partei zu beteiligen, und das Umweltorganisationen in Folge von Präklusion iSd § 42 AVG die Parteistellung nimmt, ist demnach nicht mit der Aarhus-Konvention, der EU-Grundrechtecharta und der Wasserrahmenrichtlinie vereinbar.
Gleiches gilt nun aber auch im Zusammenhang mit einem naturschutzrechtlichen Bewilligungsverfahren wie dem gegenständlichen. Dass nämlich auch im vorliegenden Fall ein Anwendungsfall des Unionsrechtes vorliegt, wurde von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid dargelegt und wurden diese Ausführungen auch nicht bestritten. Die belangte Behörde erachtet im vorliegenden Fall die Durchführung eines Verträglichkeitsprüfungsverfahrens gemäß § 14 Abs. 4 TNSchG 2005 für erforderlich, wobei durch diese Bestimmung Art 6 Abs 3 der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie umgesetzt werde. Von der Behörde sei daher eine Entscheidung im Rahmen dieser Richtlinienbestimmung zu treffen und handle es sich insofern entsprechend dem EuGH-Urteil vom 18.11.2016, C 243/15, um eine Entscheidung, die in den Anwendungsbereich des Übereinkommens von Aarhus fällt.
Auch von den Beschwerdeführern wurde im verfahrenseinleitenden Antrag und in der gegenständlichen Beschwerde hinreichend dargelegt, worin im vorliegenden Fall der Bezug zu Unionsrecht - woraus sich wiederum die Anwendbarkeit der Aarhus-Konvention als Bestandteil des Unionsrechtes ableitet - ergibt, und liegen zudem keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die gegenteilige Auffassung richtig bzw die von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid getroffenen Erwägungen zur Anwendbarkeit des Unionsrechtes falsch sein könnten.
Im Sinn der genannten EuGH-Entscheidung war somit auch im vorliegenden Fall eine an Art 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union in Verbindung mit Art 9 der Aarhus-Konvention orientierte Auslegung des nationalen Verfahrensrechtes mit dem Ergebnis vorzunehmen, dass die Beschwerdeführer als anerkannte Umweltorganisationen iSd § 19 Abs 7 UVP-G 2000 (Anerkennungsbescheide vom 2.5.2005, BMLFUW-UW.1.4.2/0031-V/1/2005, und 16.6.2005, BMLFUW-UW.1.4.2/0037-V/1/2005) über Parteistellung im vorliegenden naturschutzrechtlichen Bewilligungsverfahren verfügen.
Diese Auffassung wurde auch durch das VwGH-Erkenntnis vom 28.3.2018, Ra 2015/07/0055, bestätigt, mit welchem das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich vom 30.1.2015, LVwG-AV-33/001-2014, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben wurde.
Darin stellt der VwGH (Rn 25) zunächst klar, dass Parteistellung im Verwaltungsverfahren und die Befugnis zur Beschwerdeerhebung an ein Verwaltungsgericht nach der innerstaatlichen Rechtslage unmittelbar zusammenhängen und der Verlust der Parteistellung im Verfahren vor der Verwaltungsbehörde daher in einem Bewilligungsverfahren auch zum Verlust der Beschwerdelegitimation an das Verwaltungsgericht führt.
In weiterer Folge wird ausgeführt, dass eine anerkannte Umweltorganisation unabhängig davon, ob das verfahrensgegenständliche Vorhaben im Sinne von Art 6 Abs 1 lit b des Aarhus-Übereinkommens eine "erhebliche Auswirkung" auf die Umwelt haben könnte, am behördlichen Verfahren zu beteiligen ist.
Läge nämlich eine solche "erhebliche Auswirkung" vor, sei laut Rn 30 des genannten VwGH-Erkenntnisses „Art. 9 Abs. 2 des Aarhus-Übereinkommens anzuwenden und es wäre eine Umweltschutzorganisation wie Protect bereits im behördlichen Verfahren als Partei beizuziehen gewesen und die Umweltorganisation müsste auch in einem Überprüfungsverfahren vor einem Gericht eine Verletzung von nationalen Rechtsvorschriften, die die Rechtsvorschriften der Union im Bereich der Umwelt umsetzen, sowie von unmittelbar anwendbaren Vorschriften des Umweltrechts der Union geltend machen können.“
Aber auch, wenn von Vorneherein nicht mit „erheblichen Auswirkungen“ auf die Umwelt zu rechnen wäre und insofern ein Anwendungsfall des Art 9 Abs 3 der Aarhus-Konvention vorliegt, sei die Parteistellung einer anerkannten Umweltorganisation anzunehmen. In den Rn 36 f zieht der VwGH nämlich folgenden Schluss: „In Fällen, in denen eine Verknüpfung zwischen bestehender (aufrechterhaltener) Parteistellung im verwaltungsbehördlichen Verfahren und dem Recht auf gerichtlichen Rechtsschutz besteht, hat eine Umweltorganisation daher auch im Anwendungsbereich des Art. 9 Abs. 3 Aarhus-Konvention im verwaltungsbehördlichen Bewilligungsverfahren Parteistellung, sonst hätte dieses Recht auf gerichtlichen Rechtsschutz - wie der EuGH betonte - keine praktische Wirksamkeit. Die Revisionswerberin hätte daher auch im Falle des Anwendungsbereichs des Art. 9 Abs. 3 Aarhus-Konvention ein Recht auf Teilnahme bereits am behördlichen Verfahren.“
Insgesamt steht daher für das Landesverwaltungsgericht fest, dass den Beschwerdeführern im gegenständlichen naturschutzrechtlichen Verfahren betreffend das Chaletdorf in X auch dann Parteistellung zukommt, wenn keine „erheblichen Auswirkungen“ iSd Art 9 Abs 2 des Aarhus Übereinkommens zu erwarten sind. In diesem Fall steht nämlich die Parteistellung nach Art 9 Abs 3 der Aarhus-Konvention zu.
3. Zum Entfall der öffentlichen mündlichen Verhandlung:
Die vorliegende Entscheidung konnte iSd § 24 VwGVG ohne Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung getroffen werden. Nach dem Abs 1 dieser Bestimmung hat das Verwaltungsgericht nämlich – sofern, wie im vorliegenden Fall, kein Antrag gestellt wurde, nur dann eine Verhandlung durchzuführen, wenn es dies für erforderlich hält. Im vorliegenden Fall konnte die Entscheidung durch Ansicht des Landesverwaltungsgerichtes aufgrund des schriftlichen Vorbringens und der schriftlichen Unterlagen sowie der vorangegangenen Entscheidungen getroffen werden und hätte eine mündliche Verhandlung zu keiner weiteren Klärung der Rechtssache beigetragen, zumal keine Sachverhalts-, sondern lediglich rechtliche Fragen zu klären waren. In diesem Zusammenhang betont der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung siehe etwa VwGH 27.09.2013, 2012/05/0212 oder VwGH 29.01.2014, 2013/03/0004) außerdem, dass die staatlichen Behörde auch auf Aspekte der Effizienz und Verfahrensökonomie Rücksicht und auf das Gebot der angemessenen Verfahrensdauer Bedacht nehmen können.
V. Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:
Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Im vorliegenden Fall ist die ordentliche Revision zulässig, da keine Rechtsfragte iSd Art 133 Abs 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Eine solche liegt dann vor, wenn das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantworten wird. Die Frage, ob anerkannten Umweltorganisationen im Naturschutzverfahren Parteistellung zukommt hat der EuGH über Vorlagefrage des Verwaltungsgerichtshofes in der Rechtsache C–664/15 abschließend entschieden.
R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g
Gegen diese Entscheidung kann binnen sechs Wochen ab der Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, Freyung 8, 1010 Wien, oder ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden. Die Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ist direkt bei diesem, die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist beim Landesverwaltungsgericht Tirol einzubringen.
Die genannten Rechtsmittel sind von einem bevollmächtigten Rechtsanwalt bzw einer bevollmächtigten Rechtsanwältin abzufassen und einzubringen und es ist eine Eingabegebühr von Euro 240,00 zu entrichten.
Es besteht die Möglichkeit, auf die Revision beim Verwaltungsgerichtshof und die Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof zu verzichten. Ein solcher Verzicht hat zur Folge, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof und eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof nicht mehr erhoben werden können.
Landesverwaltungsgericht Tirol
Dr. Lehne
(Richter)
Schlagworte
Parteistellung anerkannter OrganisationenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGTI:2018:LVwG.2018.16.1677.1Zuletzt aktualisiert am
30.08.2018