TE Bvwg Erkenntnis 2018/6/21 W226 2177590-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 21.06.2018
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Entscheidungsdatum

21.06.2018

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §54 Abs1 Z1
AsylG 2005 §55 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9 Abs2
BFA-VG §9 Abs3
B-VG Art.133 Abs4
FPG §52

Spruch

W226 2177590-1/9E

W226 2177594-1/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. WINDHAGER als Einzelrichter über die Beschwerden von 1.) XXXX (BF1), geb. XXXX und 2.) XXXX (BF2), geb. XXXX, beide StA: Ukraine, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.10.2017, Zlen. 1.) 1003147002-14474983 und 2.) 1028340404-14875066, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 17.04.2018, zu Recht erkannt:

A) I. Die Beschwerden gegen die Spruchpunkte I. und II. der

angefochtenen Bescheide werden gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1 AsylG als unbegründet abgewiesen.

II. Im Übrigen wird den Beschwerden stattgegeben, eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG iVm § 9 Abs. 2 und 3 BFA-VG auf Dauer für unzulässig erklärt. Gemäß §§ 54 Abs. 1 Z 1 und Abs. 2 iVm 55 Abs. 1 AsylG wird 1.) XXXX der Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung plus" sowie gemäß §§ 54 Abs. 1 Z 2 iVm § 55 Abs. 2 AsylG 2.) XXXX der Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung", jeweils für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

1.1 Die Erstbeschwerdeführerin (im Folgenden: BF1) ist die Mutter der minderjährigen Zweitbeschwerdeführerin (im Folgenden: BF2). Das Vorbringen der Beschwerdeführerinnen (im Folgenden: BF) ist untrennbar miteinander verknüpft bzw. beziehen sich die BF auf dieselben Verfolgungsgründe, weshalb die Entscheidung unter Berücksichtigung des Vorbringens aller BF abzuhandeln war.

Die BF sind Staatsangehörige der Ukraine, gehören der Volksgruppe der Ukrainer an und bekennen sich zum christlich-orthodoxen Glauben.

Die BF1 reiste in das Bundesgebiet ein und stellte am 19.03.2014 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Im Zuge der Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 20.03.2014 gab die BF1 zum Grund für das Verlassen des Herkunftslandes an, dass ihr Lebensgefährte an den Demonstrationen in Kiew teilgenommen habe. Er sei dort Anfang Februar 2014 zusammengeschlagen worden und im Krankenhaus gewesen. Er habe sie aus dem Krankenhaus angerufen, dass er flüchten müsse, weil er verfolgt werde. Seitdem habe sie nichts mehr von ihm gehört. Zu ihr nach Hause seien unbekannte Personen gekommen und hätten sich nach dem Lebensgefährten erkundigt. Es sei ihr mitgeteilt worden, dass man "sprechen" werde, solle er nicht auftauchen. Was die Leute damit gemeint hätten und was diese von ihrem Lebensgefährten wollen würden, könne sie nicht sagen. Sie befürchte aber, dass sie sie dann misshandeln wollten. Konkret bedroht oder verfolgt sei sie nicht worden. Es sei nur die Angst, die ihr diese Männer durch ihr Erscheinen eingeflößt hätten. Sie habe Angst vor einem Krieg und Angst um ihr ungeborenes Kind. Das sei ihr einziger Flucht- und Asylgrund. Religiöse, ethnische oder politische Fluchtgründe habe sie nicht. Bei einer Rückkehr glaube sie, dass sie umgebracht werde.

Weiters gab die BF1 an, dass sie in der Ukraine in XXXX gelebt habe. Sie habe neun Jahre eine Grundschule, von 2006 bis 2009 ein College und von 2009 bis 2012 eine Wirtschaftsuniversität (mit Abschluss) besucht. Zuletzt (von 2010 bis 2013) habe sie als Verkäuferin gearbeitet. Sie sei im sechsten Monat schwanger. In der Ukraine würden noch ihre Eltern, ihre Schwester und ihr Lebensgefährt leben.

Bei der BF1 wurde ein ukrainischer Inlandsreisepass sichergestellt.

Die BF2 wurde am XXXX im Bundesgebiet geboren; für diese wurde am 12.08.2014 ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt. Die Geburtsurkunde der BF2 wurde in Kopie beigelegt.

Am 12.10.2017 wurde die BF1 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA), niederschriftlich einvernommen.

Die BF1 gab an, dass sie gesund sei. Ihr internationaler Reisepass sei bei ihren Eltern. Sie könne diesen nicht besorgen, da sie keinen Kontakt mehr mit ihren Eltern habe. Zuletzt habe sie in der Stadt XXXX mit ihrem Lebensgefährten zusammengewohnt. Mit diesem habe sie keinen Kontakt. Er sei verschwunden. Sie habe eine Berufsausbildung in Ökonomie. Sie wisse auch nicht, wo ihre Schwester lebe. Es lebe noch die Großmutter mütterlicherseits, Tanten und Onkeln in der Ukraine, aber sie habe mit ihnen keinen Kontakt.

Zu ihren persönlichen Verhältnissen in Österreich gab sie an, dass sie nur mit der BF2 zusammenlebe. Sie sei selbständig und verkaufe verschiedene Haushaltswaren, Spielzeuge etc. In der Grundversorgung sei sie nicht. Sie spreche Deutsch auf B1 Niveau.

Die BF1 stellte für die BF2 einen Antrag auf Familienverfahren gemäß § 34 AsylG und gab an, dass die BF2 keine eigenen Fluchtgründe habe.

Zu ihrem Fluchtgrund gab die BF1 an, dass ihr Lebensgefährte an Aktionen in Kiew teilgenommen habe. Er sei geschlagen worden und ins Spital gekommen. Aus dem Spital habe er angerufen und ihr gesagt, dass er sich für einige Zeit verstecken müsse. Seitdem habe sie nichts mehr von ihm gehört. Die sei Anfang Februar gewesen. Etwa einen Monat später seien unbekannte Männer zu ihr nach Hause gekommen und hätten sie gefragt, wo ihr Lebensgefährte sei. Sie habe gesagt, dass sie es nicht wisse. Als sie versucht habe, die Tür zu schließen, seien die Männer in die Wohnung eingedrungen. Einer habe sie zur Wand gehalten, der andere habe die Wohnung durchsucht. Sie habe geweint und gesagt, dass sie schwanger sei und ihr Kind verlieren könne. Der Mann habe sie dann an der Kehle gepackt und gesagt, sie solle aussagen. Dann seien die Männer gegangen und hätten gesagt, dass sie in ein paar Tagen wiederkommen würden und wenn er dann nicht da sei, werde sie bezahlen. Sie werde gar nicht erst zum Gebären kommen und sie solle nicht versuchen, sich zu verstecken. Danach sei sie zur Polizei gegangen. Diese hätten Fingerabdrücke aus der Wohnung genommen. Die Polizei habe ihr geraten, für einige Zeit bei Bekannten oder Verwandten zu wohnen. Sie sei nicht zu ihren Eltern gegangen, da sie ein schlechtes Verhältnis habe, da diese gegen ihren Lebensgefährten gewesen seien. Sie sei zu einer Freundin gegangen. Diese habe ihr zur Flucht geraten. Dann habe sie beschlossen, ihr Land zu verlassen. Ein Bekannter habe ihr bei der Flucht geholfen. Nach der Geburt ihrer Tochter habe sie ihre Eltern angerufen und ihre Mutter habe sie angeschrien, was sie gemacht habe und wo sie hineingeraten sei. Sie hätten den Vater geschlagen und Geld iHv USD 50.000,- gefordert. Die Mutter habe gesagt, dass sie jetzt alleine zurechtkommen müsse. Ihre Eltern seien zur Polizei gegangen und dort sei ihnen mitgeteilt worden, dass sie "zu hohen Leuten" in die Quere gekommen seien und die Polizei diese Leute nicht verfolgen könne. Zudem habe ihr die Mutter gesagt, dass ihr Lebensgefährte jetzt gegen die "unsrigen" kämpfe. Dann habe die Mutter aufgelegt und sei beim nächsten Anrufversuch nicht mehr erreichbar gewesen.

Nach Vorhalt der Behörde, dass sie bei der Erstbefragung etwas anderes angegeben habe, gab die BF1 an, dass sie die Dolmetscherin damals darauf hingewiesen habe, dass sie das nicht ganz so gesagt habe. Diese habe nur gesagt, dass dies nicht so wichtig sei und es vor allem darum gehe, wie sie gekommen sei. Genaueres solle sie dann beim Hauptinterview sagen. Die Dolmetscherin habe dies sehr schnell vorgelesen und sie habe dann gesagt, dass sie damit nicht einverstanden sei und ob man es korrigieren könne. Die Dolmetscherin habe dann gesagt, dass man es nicht korrigieren müsse, da es nicht so wichtig sei. Auf Nachfrage gab sie an, dass sie nicht gewusst habe, dass man einen Einwand protokollieren müsse.

Befragt, was dies für hohe Leute seien, gab die BF1 an, dass Politiker beteiligt gewesen seien. Sie glaube aber nicht, dass Politiker zu ihr gekommen seien. Es seien zwei unbekannte Männer mit kurzen Haaren und sportlicher Kleidung gewesen. Im August 2014 habe sie ihre Eltern angerufen.

Bei einer Rückkehr befürchte sie, dass man sie finde. Wenn die Leute sagen, dass ihr Lebensgefährte gegen die "unsrigen" kämpfe, werde sie diskriminiert und habe sie Angst, dass ihre Tochter in der Schule und im Kindergarten Probleme bekomme. Sie habe niemanden, zu dem sie zurückkehren könne.

Im Zuge der Einvernahme legte die BF1 folgende Unterlagen vor:

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ÖSD-Zertifikat vom 09.10.2017, wonach die BF1 die Prüfung B1 gut bestanden hat.

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Auszug aus dem Gewerbeinformationssystem, wonach die BF1 mit 04.11.2015 Gewerbeinhaberin eines Handelsgewerbes ist.

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Prüfungszeugnis, wonach die BF1 den ÖIF-Test Niveaustufe A2 am 19.09.2015 bestanden hat.

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Verständigung der Stadt XXXX vom 20.06.2016, wonach die BF1 zur Ausübung des Gewerbes "Handelsgewerbe mit Ausnahme der reglementierten Handelsgewerbe und Handelsagent" berechtigt ist.

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Bestätigung der Gebietskrankenkasse vom 10.10.2017, wonach die BF1 der Zahlungsverpflichtung der Beiträge nachgekommen ist und es keine Beitragsrückstände gibt.

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Bestätigung der Sozialversicherungsanstalt vom 10.10.2017, wonach auf dem Beitragskonto der BF1 derzeit kein Rückstand besteht.

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Daten des Steuerkontos der BF1 (Buchungen vom 01.01.2017 bis 11.10.2017).

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Bestätigung, wonach die BF2 von 01.09.2017 bis 09.10.2017 ein Kindertagesheim besucht hat.

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Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für die BF1 von 19.09.2017 bis 22.09.2017.

1.3. Mit den im Spruch angeführten Bescheiden des BFA vom 20.10.2017 wurde jeweils unter Spruchteil I. die Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen und unter Spruchteil II. gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 leg. cit. dieser Antrag auch bezüglich der Zuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf die Ukraine abgewiesen. Unter Spruchteil III. wurde den BF ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigenden Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm. § 9 BFA-VG wurde gegen die BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung der BF in die Ukraine gemäß § 46 FPG zulässig ist und in Spruchteil IV. gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt.

Die Identität der BF stehe fest. Sie seien ukrainische Staatsangehörige, würden sich zum christlichen Glauben bekennen und der Volksgruppe der Ukrainer angehören. Eine asylrelevante Verfolgung oder Gefährdung durch staatliche Organe oder Privatpersonen in der Ukraine habe nicht festgestellt werden können. Die BF1 habe keine individuelle und konkrete Bedrohungssituation schildern können, sondern lediglich ein abstraktes, vages Vorbringen präsentiert. Zudem habe die BF1 in der Erstbefragung angegeben, dass sie nicht konkret verfolgt oder bedroht worden wäre und ihr die unbekannten Männer nur Angst eingeflößt hätten und sich nach ihrem Lebensgefährten erkundigt hätten, während sie in der niederschriftlichen Einvernahme ihre Fluchtgeschichte dann steigerte und schilderte, dass die zwei unbekannten Männer sie an die Wand gedrückt, an der Kehle gepackt und sie bedroht hätten. Auch hab die BF1 in der niederschriftlichen Einvernahme erstmals erwähnt, dass ihre Eltern zur Polizei gegangen wären. Die BF1 habe keine Details erzählt und ihr Fluchtvorbringen nicht lebensnah geschildert, sondern lediglich einen höchst abstrakten und unkonkreten Sachverhalt behauptet.

Zu Spruchpunkt II. wurde ausgeführt, dass die BF gesund seien. Die BF1 sei arbeitsfähig und arbeitswillig, habe in der Ukraine die Schule und eine Universität besucht. Sie habe Berufserfahrung als Verkäuferin. Es habe nicht festgestellt werden können, dass die BF bei einer Rückkehr in die Ukraine in eine Existenz bedrohende Notlage geraten würden. Es sei der BF1 zuzumuten, sich in der Ukraine ihren Lebensunterhalt durch eigene Arbeit und durch familiäre Unterstützung zu sichern. Aus den Feststellungen zur allgemeinen Lage in der Ukraine ergebe sich kein Hinweis, dass im gesamten Staatsgebiet eine extreme Gefahrenlage mit besonders exzessiver und unkontrollierter Gewaltanwendung gegenüber der Zivilbevölkerung, oder eine unmenschliche Behandlung bewirkende humanitäre Situation im gesamten Staatsgebiet vorliege.

Zu Spruchteil III. führte die belangte Behörde aus, dass die BF in Österreich weder Verwandte noch Familienangehörige hätten. Die BF1 gehöre in Österreich weder einem Verein, noch einer sonstigen Organisation an. Sie verfüge über gute Sprachkenntnisse in Deutsch und gehe selbständig einem Handelsgewerbe nach. Sie habe keine vertiefende Form der Integration geltend machen können.

1.4. Gegen diese Bescheide haben die BF fristgerecht gleichlautende Beschwerden erhoben. Es wurde ausgeführt, dass die BF1 nach der Erstbefragung keine Möglichkeit gehabt habe, eine Korrektur durchzuführen, weil ihr gesagt worden sei, dass sie detaillierte Angaben bei der weiten Einvernahme machen könne bzw. die Erstbefragung nur der Befragung der Reiseroute diene. Bei der niederschriftlichen Einvernahme am 12.10.2017 habe es Probleme mit dem Dolmetscher gegeben. Er habe viele Begriffe nicht richtig gekannt und diese auch nicht richtig übersetzen können. Sie habe den Referenten darauf aufmerksam gemacht und verlangt eine entsprechende Korrektur durchzuführen, aber es sei ihr vorgehalten worden, dass sie dem Dolmetscher nicht vertraue und die Behörde die Meinung vertrete, dass der Dolmetscher sehr gut Russisch könne. Eigentlich habe sie einen Ukrainisch-Dolmetscher erwartet. Zudem habe sie um Ausfolgung der Länderfeststellungen ersucht, mit der Bitte binnen einer Frist Stellung zu nehmen, aber diese Möglichkeit sei ihr nicht gegeben worden. Man habe ihr gesagt, dass das Recht auf Beantragung einer Frist für die schriftliche Stellungnahme nur durch einen RA möglich sei und so habe sie die Möglichkeit nicht bekommen. Die Anmerkung des Referenten, dass man sich geeinigt habe, dass die Länderfeststellungen mit dem Bescheid kommen würden, würden nicht den Gegebenheiten entsprechen. Sie habe keine Wahl gehabt. Insgesamt seien bei der Rückübersetzung drei Korrekturen durchgeführt worden und eine weitere Ausbesserung der Niederschrift sei ihr - ohne Vermerk darüber- verweigert worden. Das BFA habe sich nicht ausreichend mit ihrem Fall auseinandergesetzt zu den Feststellungen nur allgemein Gesetzestexte eingefügt, ohne konkrete Angaben zu ihrer Person, zu ihrem Aufenthalt und ihrem Privatleben in Österreich zu machen.

Der Beschwerde wurden vier Empfehlungsschreiben für die BF1 beigelegt.

1.5. Die BF1 wurde im Zuge einer Beschwerdeverhandlung vom 17.04.2018 durch das erkennende Gericht nochmals ergänzend zu ihren Verwandten in der Ukraine, ihrem Lebensgefährten, dessen angeblicher Teilnahme an der Demonstration, dem Vorfall in ihrer Wohnung sowie zur ihrem Leben in Österreich befragt.

Im Zuge der Verhandlung legte die BF1 ein Schreiben ihrer Bilanzbuchhalterin vom 16.04.2018 vor.

1.6. Am 24.04.2018 langte eine Stellungnahme der BF1 beim Bundesverwaltungsgericht ein. Darin wurde im Wesentlichen vorgebracht, dass die BF1 mehrmals versucht habe mit ihrer Freundin in der Ukraine telefonisch Kontakt aufzunehmen, es ihr aber nicht gelungen sei. Das Protokoll aus der Ukraine könne die BF1 daher nicht vorlegen. Zudem wurde ausgeführt, dass die BF1 seit vier Jahren in Österreich lebe, viele Freunde und Bekannte in Österreich habe und ihr Mittelpunkt der Lebensinteressen hier sei. Sie beherrsche Deutsch auf B1 Niveau, führe selbständig ein Geschäft und sei seit mehr als zwei Jahren selbstunterhaltsfähig. Sie habe sich einen festen Freundes- und Bekanntenkreise in Österreich aufgebaut und sei in ihrem Lebensumfeld sozial integriert. Zudem sei sie unbescholten.

Mit der Stellungnahme legte die BF1 folgende Unterlagen vor:

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Bestätigung der Bilanzbuchhalterin, wonach die BF1 ein Geschäft betreibe und sie ein vorläufiges voraussichtliches Einkommen von monatlich etwa EUR 1.433,- hat.

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Einkommenssteuerbescheide aus den Jahren 2015, und 2016.

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Erfolgsrechnung per 31. Dezember 2017.

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Daten des Steuerkontos (Buchungen von 01.01.2014 bis 21.04.2018).

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat nach Durchführung einer Beschwerdeverhandlung wie folgt erwogen:

Beweis wurde erhoben durch den Inhalt der vorliegenden Verwaltungsakte der BF, beinhaltend die niederschriftlichen Einvernahmen vor dem BFA, die Beschwerden vom 21.11.2017, die Stellungnahme vom 24.04.2018, durch Einsicht in die vor dem BFA und im Beschwerdeverfahren vorgelegten Unterlagen, durch Einholung von Auszügen aus ZMR, GVS, IZR und Strafregister und schließlich durch Berücksichtigung aktueller Länderinformationen zum Herkunftsstaat.

1. Feststellungen:

Feststellungen zu den BF:

Die BF sind Staatsangehörige der Ukraine, gehören der Volksgruppe der Ukrainer an und bekennen sich zum christlich-orthodoxen Glauben. Die Identität der BF steht fest. Die BF1 reiste ins Bundesgebiet ein und stellte am 19.03.2014 einen Antrag auf internationalen Schutz. Die BF2 wurde am XXXX im österreichischen Bundesgebiet geboren und für sie wurde am 12.08.2014 ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

Die BF1 konnte nicht glaubhaft dartun, dass ihr in der Ukraine mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine an asylrelevante Merkmale anknüpfende Verfolgung maßgeblicher Intensität gedroht hat oder ihr aktuell droht.

Nicht festgestellt werden kann, dass die BF im Fall der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Ukraine in ihrem Recht auf Leben gefährdet wären, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen würden oder von der Todesstrafe bedroht wären.

Es konnte ferner nicht festgestellt werden, dass die BF im Fall ihrer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat in eine existenzgefährdende Notlage geraten würden und ihnen die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen wäre.

Die BF haben keine gesundheitlichen Beschwerden oder Krankheiten vorgebracht. Sie sind gesund.

Die BF1 war in der Ukraine in der Lage sich ihren Lebensunterhalt - zuletzt durch ihre berufliche Tätigkeit als Verkäuferin - zu sichern. In der Ukraine halten sich zudem Verwandte der BF (unter anderem die Eltern der BF1) sowie Freunde der BF1 auf.

Die unbescholtene BF1 hält sich seit über vier Jahren im Bundesgebiet auf. Die BF2 wurde im Juli 2014 in Österreich geboren. Die BF leben in einem gemeinsamen Haushalt in XXXX. Die BF1 beherrscht Deutsch auf B1-Niveau und hat am 04.11.2015 ein Handelsgewerbe angemeldet. Sie betreibt erfolgreich ein Geschäft in XXXX und erwirtschaftet durch ihre selbstständige Tätigkeit regelmäßige Einkünfte. Die BF1 ist dazu in der Lage, den Lebensunterhalt für sich und die BF2 zu sichern. Die BF beziehen keine Leistungen aus der Grundversorgung und sind sozialversichert. Die BF1 zeigte sich während ihres Aufenthaltes um eine umfassende Integration bemüht. Sie hat bereits zahlreiche soziale Kontakte in Österreich geknüpft, welche sich für den Verbleib der BF in Österreich einsetzen. In Österreich halten sich keine Familienangehörigen oder Verwandten der BF auf.

Länderfeststellungen zum Herkunftsstaat der BF:

1. Neueste Ereignisse - Integrierte Kurzinformationen

KI vom 19.12.2017, Antikorruption (relevant für Abschnitt 2/Politische Lage, Abschnitt 4/Rechtsschutz/Justizwesen und Abschnitt 7/Korruption)

Die Ukraine hat seit 2014 durchaus Maßnahmen gesetzt, um die Korruption zu bekämpfen, wie die Offenlegung der Beamtenvermögen und die Gründung des Nationalen Antikorruptionsbüros (NABU). Gemeinsam mit dem ebenfalls neu geschaffenen Antikorruptionsstaatsanwalt kann das NABU viele Fälle untersuchen und hat einige aufsehenerregende Anklagen vorbereitet, u.a. wurde der Sohn des ukrainischen Innenministers festgenommen. Doch ohne ein spezialisiertes Antikorruptionsgericht läuft die Arbeit der Ermittler ins Leere, so die Annahme der Kritiker, da an normalen Gerichten die Prozesse erfahrungsgemäß eher verschleppt werden können. Das Antikorruptionsgericht sollte eigentlich bis Ende 2017 seine Arbeit aufnehmen, wurde aber noch immer nicht formell geschaffen. Präsident Poroschenko äußerte unlängst die Idee, eine auf Korruption spezialisierte Kammer am Obersten Gerichtshof sei ausreichend und schneller einzurichten. Diesen Vorschlag lehnte jedoch der Internationale Währungsfonds (IWF) ab. Daher bot Poroschenko eine Doppellösung an: Zuerst solle die Kammer eingerichtet werden, später das unabhängige Gericht. Der Zeitplan dafür ist jedoch offen (NZZ 9.11.2017).

Kritiker sehen darin ein Indiz für eine Einflussnahme auf die Justiz durch den ukrainischen Präsident Poroschenko. Mit Juri Luzenko ist außerdem Poroschenkos Trauzeuge Chef der Generalstaatsanwaltschaft, welche von Transparency International als Behörde für politische Einflussnahme bezeichnet wird. Tatsächlich berichtet die ukrainische Korruptionsstaatsanwaltschaft von Druck und Einflussnahme auf ihre Ermittler (DS 30.10.2017).

Ende November 2017 brachten Abgeordnete der Regierungskoalition zudem einen Gesetzentwurf ein, der eine "parlamentarische Kontrolle" über das NABU vorsah und heftige Kritik der westlichen Partner und der ukrainischen Zivilgesellschaft auslöste (UA 13.12.2017). Daraufhin wurde der Gesetzesentwurf wieder von der Tagesordnung genommen (DS 7.12.2017), dafür aber der Vorsitzende des Komitees der Werchowna Rada zur Korruptionsbekämpfung entlassen, welcher die Ernennung des von der Regierung bevorzugten Kandidaten für das Amt des Auditors im NABU blockiert hatte (UA 13.12.2017).

Im Zentrum der ukrainischen Hauptstadt Kiew haben zuletzt mehrere Tausend Menschen für eine Amtsenthebung von Präsident Petro Poroschenko demonstriert. Die Kundgebung wurde von Micheil Saakaschwili angeführt - Ex-Staatschef Georgiens und Ex-Gouverneur des ukrainischen Odessa, der ursprünglich von Präsident Poroschenko geholt worden war, um gegen die Korruption vorzugehen. Saakaschwili wirft Poroschenko mangelndes Engagement im Kampf gegen die Korruption vor und steht seit einigen Wochen an der Spitze einer Protestbewegung gegen den ukrainischen Präsidenten. Mit seinen Protesten will er vorgezogene Neuwahlen erzwingen. Saakaschwili war Anfang Dezember, nach einer vorläufigen Festnahme, von einem Gericht freigelassen worden. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen ihn wegen Organisation eines Staatsstreiches (DS 17.12.2017).

Die EU hat jüngst die Auszahlung eines Hilfskredits über 600 Mio. €

an die Ukraine gestoppt, und der Internationale Währungsfonds (IWF) ist ebenfalls nicht zur Gewährung von weiteren Hilfskrediten bereit, solange der Kampf gegen die grassierende Korruption nicht vorankommt (NZZ 18.12.2017). Der IWF hat die Ukraine aufgefordert, die Unabhängigkeit von NABU und Korruptionsstaatsanwaltschaft zu gewährleisten und rasch einen gesetzeskonformen Antikorruptionsgerichtshof im Einklang mit den Empfehlungen der Venediger Kommission des Europarats zu schaffen (UA 13.12.2017).

Quellen:

-

DS - Der Standard (17.12.2017): Tausende fordern in Kiew Amtsenthebung von Poroschenko,

http://derstandard.at/2000070553927/Tausende-fordern-in-Kiew-Amtsenthebung-von-Poroschenko?ref=rec, Zugriff 19.12.2017

-

DS - Der Standard (7.12.2017): Interventionen verhindern Gesetz gegen ukrainisches Antikorruptionsbüro, http://derstandard.at/2000069775196/Ukrainischer-Antikorruptionsbehoerde-droht-Verlust-an-Unabhaengigkeit, Zugriff 19.12.2017

-

DS - Der Standard (30.10.2017): Die ukrainische Justizfassade bröckelt noch immer,

http://derstandard.at/2000066853489/Die-ukrainische-Justizfassade-broeckelt-noch-immer?ref=rec, Zugriff 19.12.2017

-

NZZ - Neue Zürcher Zeitung (18.12.2017): Das politische Risiko in der Ukraine ist zurück,

https://www.nzz.ch/finanzen/das-politische-risiko-in-der-ukraine-ist-zurueck-ld.1340458, Zugriff 19.12.2017

-

NZZ - Neue Zürcher Zeitung (9.11.2017): Der ukrainische Präsident verschleppt längst überfällige Reformen, https://www.nzz.ch/meinung/ukraine-revolution-im-rueckwaertsgang-ld.1327374, Zugriff 19.12.2017

-

UA - Ukraine Analysen (13.12.2017): Ukraine Analysen Nr. 193, http://www.laender-analysen.de/ukraine/pdf/UkraineAnalysen193.pdf?utm_source=newsletter&utm_medium=email&utm_campaign=Ukraine-Analysen+193&newsletter=Ukraine-Analysen+193, Zugriff 19.12.2017

2. Politische Lage

Die Ukraine ist eine parlamentarisch-präsidiale Republik. Ihr Staatsoberhaupt ist seit 7.6.2014 Präsident Petro Poroschenko. Regierungschef ist seit 14.4.2016 Ministerpräsident Wolodymyr Hroisman. Das Parlament (Verkhovna Rada) der Ukraine besteht aus einer Kammer; 225 Sitze werden über ein Verhältniswahlsystem mit Listen vergeben, 225 weitere Sitze werden in Mehrheitswahl an Direktkandidaten in den Wahlkreisen vergeben. 27 Mandate bleiben aufgrund der Krim-Besetzung und des Konflikts in der Ost-Ukraine derzeit unbesetzt. Im Parlament sind folgende Fraktionen und Gruppen vertreten (mit Angabe der Zahl der Sitze):

Block von Petro Poroschenko (Blok Petra Poroschenka)

142

Volksfront (Narodny Front)

81

Oppositionsblock (Oposyzijny Blok)

43

Selbsthilfe (Samopomitsch)

26

Radikale Partei von Oleh Ljaschko (Radykalna Partija Oleha Ljaschka)

20

Vaterlandspartei (Batkiwschtschyna)

20

Gruppe Wolja Narodu

19

Gruppe Widrodshennja

24

Fraktionslose Abgeordnete

48

(AA 2.2017a)

Der nach der "Revolution der Würde" auf dem Kiewer Maidan im Winter 2013/2014 und der Flucht von Wiktor Janukowytsch mit großer Mehrheit bereits im ersten Wahldurchgang zum Präsidenten gewählte Petro Poroschenko verfolgt seither mit unterschiedlichen Koalitionen eine europafreundliche Reformpolitik. Zu den Schwerpunkten des Regierungsprogramms gehören die Bekämpfung der Korruption sowie eine Verfassung- und Justizreform. Die Parteienlandschaft ist pluralistisch und reflektiert alle denkbaren Strömungen von national-konservativ bis links-sozialistisch. Die kommunistische Partei ist verboten. Die Regierung Hrojsman, die seit April 2016 im Amt ist, setzt den euroatlantischen Integrationskurs der Vorgängerregierung unter Arseni Jazenjuk fort und hat trotz zahlreicher koalitionsinterner Querelen und zum Teil großer Widerstände wichtige Reformen erfolgreich durchführen können. Gleichwohl sind die Erwartungen der Öffentlichkeit zu Umfang und Tempo der Reformen bei weitem nicht befriedigt (AA 7.2.2017).

Die Präsidentenwahlen des Jahres 2014 werden von internationalen und nationalen Beobachtern als frei und fair eingestuft (USDOS 3.3.2017a).

Ukrainische Bürger können seit 11. Juni 2017 ohne Visum bis zu 90 Tage in die Europäische Union reisen, wenn sie einen biometrischen Pass mit gespeichertem Fingerabdruck besitzen. Eine Arbeitserlaubnis ist damit nicht verbunden. Die Visabefreiung gilt für alle EU-Staaten mit Ausnahme Großbritanniens und Irlands (DS 11.6.2017).

Quellen:

-

AA - Auswärtiges Amt (7.2.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine, https://www.ecoi.net/file_upload/4598_1488455088_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-ukraine-stand-januar-2017-07-02-2017.pdf, Zugriff 31.5.2017

-

AA - Auswärtiges Amt (2.2017a): Ukraine, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/01-Nodes_Uebersichtsseiten/Ukraine_node.html, Zugriff 31.5.2017

-

DS - Der Standard (11.6.2017): Ukrainer feierten Aufhebung der Visapflicht für die EU,

http://derstandard.at/2000059097595/Ukrainer-feierten-Aufhebung-der-Visapflicht-fuer-die-EU, Zugriff 19.6.2017

-

USDOS - US Department of State (3.3.2017a): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/337222/480033_de.html, Zugriff 31.5.2017

3. Sicherheitslage

Der nach der "Revolution der Würde" auf dem Kiewer Maidan im Winter 2013/2014 und der Flucht von Wiktor Janukowytsch vom mit großer Mehrheit bereits im ersten Wahlgang am 07.06.2014 direkt zum Präsidenten gewählte Petro Poroschenko verfolgt eine europafreundliche Reformpolitik, die von der internationalen Gemeinschaft maßgeblich unterstützt wird. Diese Politik hat zu einer Stabilisierung der Verhältnisse im Inneren geführt, obwohl Russland im März 2014 die Krim annektierte und seit Frühjahr 2014 separatistische "Volksrepubliken" im Osten der Ukraine unterstützt (AA 7.2.2017).

Die ukrainische Regierung steht für einen klaren Europa-Kurs der Ukraine und ein enges Verhältnis zu den USA. Das 2014 von der Ukraine unterzeichnete und ratifizierte Assoziierungsabkommen mit der EU ist zum Jahresbeginn 2016 in Kraft getreten und bildet die Grundlage der Beziehungen der Ukraine zur EU. Es sieht neben der gegenseitigen Marktöffnung die Übernahme rechtlicher und wirtschaftlicher EU-Standards durch die Ukraine vor. Das Verhältnis zu Russland ist für die Ukraine von zentraler Bedeutung. Im Vorfeld der ursprünglich für November 2013 geplanten Unterzeichnung des EU-Assoziierungsabkommens übte Russland erheblichen Druck auf die damalige ukrainische Regierung aus, um sie von der EU-Assoziierung abzubringen und stattdessen einen Beitritt der Ukraine zur Zollunion/Eurasischen Wirtschaftsgemeinschaft herbeizuführen. Nach dem Scheitern dieses Versuchs und dem Sturz von Präsident Janukowytsch verschlechterte sich das russisch-ukrainische Verhältnis dramatisch. In Verletzung völkerrechtlicher Verpflichtungen und bilateraler Verträge annektierte Russland im März 2014 die Krim und unterstützt bis heute die bewaffneten Separatisten im Osten der Ukraine (AA 2.2017c).

Die sogenannten "Freiwilligen-Bataillone" nehmen offiziell an der "Anti-Terror-Operation" der ukrainischen Streitkräfte teil. Sie sind nunmehr alle in die Nationalgarde eingegliedert und damit dem ukrainischen Innenministerium unterstellt. Offiziell werden sie nicht mehr an der Kontaktlinie eingesetzt, sondern ausschließlich zur Sicherung rückwärtiger Gebiete. Die nicht immer klare hierarchische Einbindung dieser Einheiten hatte zur Folge, dass es auch in den von ihnen kontrollierten Gebieten zu Menschenrechtsverletzungen gekommen ist, namentlich zu Freiheitsberaubung, Erpressung, Diebstahl und Raub, eventuell auch zu extralegalen Tötungen. Diese Menschenrechtsverletzungen sind Gegenstand von allerdings teilweise schleppend verlaufenden Strafverfahren. Der ukrainische Sicherheitsdienst SBU bestreitet, trotz anderslautender Erkenntnisse von UNHCHR, Personen in der Konfliktregion unbekannten Orts festzuhalten und verweist auf seine gesetzlichen Ermittlungszuständigkeiten. In mindestens einem Fall haben die Strafverfolgungsbehörden bisher Ermittlung wegen illegaler Haft gegen Mitarbeiter der Sicherheitsbehörden aufgenommen (AA 7.2.2017).

Seit Ausbruch des Konflikts im Osten der Ukraine in den Regionen Lugansk und Donezk im April 2014 zählte das Büro des Hochkommissars für Menschenrechte der UN (OHCHR) 33.146 Opfer des Konflikts, davon

9.900 getötete und 23.246 verwundete Personen (inkl. Militär, Zivilbevölkerung und bewaffnete Gruppen). Der Konflikt wird von ausländischen Kämpfern und Waffen, die nach verschiedenen Angaben aus der Russischen Föderation in die nicht von der ukrainischen Regierung kontrollierten Gebiete (NGCA) gebracht werden, angeheizt. Zudem gibt es eine massive Zerstörung von zivilem Eigentum und Infrastruktur in den Konfliktgebieten. Auch Schulen und medizinische Einrichtungen sind betroffen. Zuweilen ist vielerorts die Strom- und Wasserversorgung unterbrochen, ohne die im Winter auch nicht geheizt werden kann. Der bewaffnete Konflikt stellt einen Bruch des Internationalen Humanitären Rechts und der Menschenrechte dar. Der Konflikt wirkt sich auf die ganze Ukraine aus, da es viele Kriegsrückkehrern (vor allem Männer) gibt und die Zahl der Binnenflüchtlinge (IDPs) hoch ist. Viele Menschen haben Angehörige, die getötet oder entführt wurden oder weiterhin verschwunden sind. Laut der Special Monitoring Mission der OSZE sind täglich eine hohe Anzahl an Brüchen der Waffenruhe, die in den Minsker Abkommen vereinbart wurde, zu verzeichnen (ÖB 4.2017).

Russland kontrolliert das Gewaltniveau in der Ostukraine und intensiviert den Konflikt, wenn es russischen Interessen dient (USDOS 3.3.2017a).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (7.2.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine, https://www.ecoi.net/file_upload/4598_1488455088_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-ukraine-stand-januar-2017-07-02-2017.pdf, Zugriff 31.5.2017

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AA - Auswärtiges Amt (2.2017b): Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Ukraine/Innenpolitik_node.html, Zugriff 31.5.2017

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AA - Auswärtiges Amt (2.2017c): Außenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Ukraine/Aussenpolitik_node.html, Zugriff 31.5.2017

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ÖB - Österreichische Botschaft Kiew (4.2017): Asylländerbericht Ukraine

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USDOS - US Department of State (3.3.2017a): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/337222/480033_de.html, Zugriff 12.7.2017

3.1. Halbinsel Krim

Die Halbinsel Krim wurde 2014 von der Russischen Föderation besetzt. Das "Referendum" über den Anschluss an Russland, welches auf der Krim durchgeführt wurde, wurde von der Generalversammlung der Vereinten Nationen für ungültig erklärt. Die Resolution 71/205 der Generalversammlung der UN bezeichnet die Russische Föderation als Okkupationsmacht auf der Krim. Seit 2014 sind konstant Menschenrechtsverletzungen seitens der Machthaber zu beobachten:

Gefangene legen Geständnisse ab, die durch Misshandlung und Folter erreicht wurden. Individuen bestimmter Gruppen werden in psychiatrische geschlossene Anstalten zwangseingewiesen. Anwälte können nicht uneingeschränkt ihrer Arbeit nachgehen. Menschen, die keinen russischen Pass haben, wird der Zugang zu staatlichen Dienstleistungen verwehrt. Weiters bestehen Diskriminierungen aufgrund von sexueller Orientierung und Genderidentität. Menschen mit anderer politischer Meinung werden verhaftet und unter Bezugnahme auf russische "Anti-Terror"-Gesetze zu Haftstrafen verurteilt. Auch werden Individuen entführt oder verschwinden plötzlich. Wenige bis keine dieser Fälle werden ausreichend investigativ und juristisch verfolgt. Besonders die ethnische Gruppe der Krimtataren, aber auch Ukrainer anderer ethnischer oder religiöser Gruppen, sind von Menschenrechtsverletzungen betroffen. Der Mejlis, die krimtatarische gewählte Versammlung zur Repräsentation der Krimtataren, wurde am 18. April 2016 durch die lokalen Behörden suspendiert und am 26. April vom Russischen Obersten Gerichtshof als "extremistisch" eingestuft und verboten. Menschenrechtsorganisationen sowie Journalisten haben keinen uneingeschränkten Zugang zur Krim. Bestimmte Webseiten werden blockiert und unabhängige Medien mussten auf das ukrainische Festland übersiedeln. Die Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit wird massiv eingeschränkt. Am 7. März 2016 wurden in Simferopol alle öffentlichen Versammlungen verboten, die nicht von den Machthabern organisiert wurden (ÖB 4.2017).

Auf der Krim haben ukrainische Behörden und Amtsträger zurzeit keine Möglichkeit, ihre Befugnisse wahrzunehmen und staatliche Kontrolle auszuüben. Auf der Krim werden seit der völkerrechtswidrigen Annexion durch Russland im März 2014 staatliche Aufgaben von russischen Behörden ausgeübt. Die Einwohner wurden pauschal eingebürgert, es wurde begonnen, sie mit russischen Inlandspässen, seit September 2014 auch mit russischen Reisepässen, auszustatten. Einwohner der Krim, die ihr Widerspruchsrecht nutzten haben damit u.

a. den Anspruch auf kostenlose medizinische Versorgung verloren. Die Minderheit der Krimtataren unterliegt erheblichen Restriktionen. Besorgniserregend sind weiterhin Meldungen, wonach exponierte Vertreter der tatarischen Minderheit verschwinden, nicht mehr auf die Krim reisen dürfen bzw. vielfältigen Diskriminierungen ausgesetzt sind. Außerdem werden tatarische Vereine in ihrer Handlungsfähigkeit beschnitten und unter Druck gesetzt, teilweise auch kriminalisiert oder zur Auflösung gezwungen. Die gewählte Versammlung der Krimtataren, das Selbstverwaltungsorgan Medschlis, wird von den de-facto-Behörden als terroristische Vereinigung eingestuft, seine Mitglieder werden verfolgt. Versuche, die tatarische Minderheit in eine den de-facto-Behörden willfährige Parallelstruktur einzubinden, blieben bisher ohne nennenswerten Erfolg. Medien stehen unter Druck, eine offene Zivilgesellschaft gibt es nicht mehr. Dem unabhängigen Fernsehsender der Tataren ATR wurde die Lizenz entzogen; er hat seinen Sitz nach Kiew verlegt. Seine Sendungen können auf der Krim nur noch im Internet und dort sehr eingeschränkt verfolgt werden. Auch jüngste Berichte von UNHCR sowie Amnesty International listen eine Reihe von Verletzungen der Menschenrechte und Grundfreiheiten auf der Krim auf, die von einer Einschränkung des Versammlungsrechts über willkürliche Verhaftungen bis hin zu Entführungen, Folter und Ermordung reicht. Versuche der Vereinten Nationen, der OSZE oder des Europarats eine kontinuierliche Beobachtung der Menschenrechtssituation auf der Krim vorzunehmen, sind bisher gescheitert (AA 7.2.2017).

Auf der Halbinsel Krim sind Dissidenten das Ziel systematischen Missbrauchs und der Verfolgung durch die russischen Behörden. Es gibt Berichte über Fälle von Verschwindenlassen. Internationalen und nationalen Menschenrechtsbeobachtern wird die Einreise auf die Krim verweigert. Wenn Gruppen versuchen dort tätig zu werden, werden sie zum Ziel erheblicher Drangsale und Einschüchterung (USDOS 3.3.2017a).

Im Feber 2014 besetzten russische Truppen die Halbinsel Krim militärisch. Im März wurde die Krim nach einem Scheinreferendum schließlich annektiert und zum Teil der Russischen Föderation erklärt. Die Vereinten Nationen verurteilten diesen Schritt und riefen Staaten und internationale Organisation auf, dies nicht anzuerkennen. Auf der Krim gilt seither de facto russisches Recht, es wurde eine russische Regierung installiert. Die russischen Sicherheitsbehörden konsolidieren ihre Kontrolle der Halbinsel weiterhin und beschränken die Menschenrechte durch unverhältnismäßige Anwendung repressiver russischer Gesetze. Abweichende und Meinungen und Opposition zur Annexion der Krim werden von den russischen Behörden durch Einschüchterung unterdrückt. Dazu gehören Entführungen, Verschwindenlassen, Misshandlung, politische Prozesse, wiederholte grundlose Vorladungen durch die Sicherheitsbehörden, gegenstandslose Festnahmen, usw. Bestimmte Gruppen, vor allem ethnische Ukrainer und Krimtataren werden systematisch diskriminiert und ihre Menschenrechte eingeschränkt. Der Selbstverwaltungskörper der krimtatarischen Minderheit, der demokratisch gewählte Mejlis, wurde als extremistische Organisation verboten. Personen, welche die Annahme der russischen Staatsbürgerschaft verweigern, werden beim Zugang zu Bildung, medizinischer Versorgung und Arbeitsmarkt diskriminiert. Es gibt auch Eingriffe in die Meinungsfreiheit und die Versammlungsfreiheit, speziell durch Behinderung bei der Pflege des kulturellen Erbes und durch Einschränkung des Zugangs zu Unterricht in ukrainischer und krimtatarischer Sprache. Die Medienfreiheit auf der Krim wird ebenfalls eingeschränkt, unabhängige Medien gibt es nicht mehr. Die wenigen verbleibenden unabhängigen bzw. kritischen Journalisten wurden eingesperrt und wegen Extremismus angeklagt. Es kommt zu politischer Einmischung in gerichtliche Verfahren, Einschränkung der Bewegungsfreiheit und Diskriminierung ethnischer und sexueller Minderheiten. Tausende Personen flüchteten als Binnenvertriebene in die Ukraine. Bei den russischen Behörden auf der Krim herrscht betreffend Menschenrechtsverletzungen ein Klima der Straflosigkeit. Fälle von Entführung oder Tötung von Einwohnern der Krim in den Jahren

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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