TE Bvwg Beschluss 2018/7/3 L526 2188473-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 03.07.2018
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

03.07.2018

Norm

AsylG 2005 §3
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §28 Abs3

Spruch

L526 2188473-1/8E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. SCHREY, LL.M. als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXXStA. Türkei, vertreten durch die Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH als Mitglied der ARGE Rechtsberatung, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 19.02.2018, XXXX beschlossen:

A)

In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang:

I.1. Der Beschwerdeführer (in weiterer Folge kurz als "BF" bezeichnet), ein türkischer Staatsangehöriger, Angehöriger der Volksgruppe der Kurden und muslimischen Glaubens, brachte am 18.04.2014 einen Antrag auf internationalen Schutz ein, welcher mit Bescheid vom 06.12.2014 als unzulässig zurückgewiesen und festgestellt wurde, dass Italien für die Prüfung des Antrages zuständig ist. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts (BVwG) vom 18.02.2015 als unbegründet abgewiesen.

I.2. Mit Urteil vom 19.02.2015 wurde der BF zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 2 Jahren wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach §§ 28a Abs. 1 5. und 6. Fall, Abs. 2 Z 3 SMG, § 15 Abs. 1 StGB sowie des Vergehens der Vorbereitung von Suchtgifthandel nach § 28 Abs. 1 1. und 2 Fall SMG verurteilt.

I.3. Der BF stellte am 12.01.2016 erneut einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

I.4. Bei seiner Einvernahme am 05.02.2018 gab der BF an, dass es ihm psychisch nicht so gut gehe. Er habe Drogen genommen und Alkohol getrunken. Er nehme auch Medikamente.

Ob der BF familiäre oder sonstige enge Bindungen in Österreich hat, wurde anlässlich dieser Einvernahme nicht erhoben.

Das Protokoll weist auch Widersprüche hinsichtlich einer erfolgten Rückübersetzung auf, da einerseits festgehalten wurde, dass das gesamte Protokoll wortwörtlich rückübersetzt wurde, andererseits aber festgehalten wurde, dass der BF auf die Rückübersetzung verzichte, weil er sich nicht gut fühle.

Der BF verweigerte die Unterfertigung der Niederschrift mit der Begründung: "Ich weiß nicht, warum ich das Protokoll heute mache und ob das negative Auswirkungen auf mich hat". Dazu wurde seitens der Behörde vermerkt, dass sich keine objektivierbaren Sachverhalte für eine solche Weigerung ergeben hätten, die Protokollierung den originären Aussagen zufolge erfolgt wäre und sich auch keine Verständigungsschwierigkeiten ergeben hätten. Nach Vorhalt weigerte sich der BF weiterhin unbegründet, das Protokoll zu unterfertigen. Vermerkt wurde, dass der Antragsteller einen völlig normalen Eindruck gemacht habe und sich keinerlei Anzeichen einer psychischen Beeinträchtigung ergeben hätten.

I.4. Mit dem im Spruch genannten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 19.02.2018 wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen. Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Türkei abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass dessen Abschiebung in die Türkei gemäß § 46 FPG zulässig sei. Ferner wurde festgehalten, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe und wurde gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen. Zudem wurde einer Beschwerde gegen diese Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 18 Abs. 1 Z 2 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt VII).

Zu seinem Privat- und Familienleben wurde u.a. festgehalten, dass der BF keine familiären Beziehungen oder enge Bindungen in Österreich habe. Hinsichtlich der Gründe für das Verlassen des Herkunftsstaates wurde festgestellt, dass die vom BF vorgebrachten Fluchtgründe und die diesbezüglich gemachten Angaben nicht glaubhaft seien. Der BF sei auch persönlich nicht glaubhaft. Diese Feststellungen wurden mit Ungereimtheiten beziehungsweise Widersprüchen in der Aussage des BF begründet.

I.5. Mit am 26.02.2018 - per E-Mail - fristgerecht beim BFA eingebrachten Schriftsatz erhob der BF durch die Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH Beschwerde an das BVwG. Eine entsprechende Vollmacht wurde angeschlossen. In der Beschwerde wurde unter anderem vorgebracht, dass der BF eine dreijährige Tochter in Österreich habe.

I.6. Die Beschwerdevorlage des BFA langte am 08.03.2018 beim BVwG ein.

I.7. Das BVwG erstellte aktuelle Datenbankauszüge aus dem Zentralen Melderegister, dem Grundversorgungsinformationssystem, dem Zentralen Fremdenregister und dem Strafregister den BF betreffend.

I.8. Mit Beschluss vom 14.03.2018 wurde der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

I.9. Mit Schreiben des BFA vom 19.03.2018 wurde dem BVwG eine Mitteilung über Anklageerhebung der StA XXXX vom 14.03.2018 wegen vorsätzlich begangener strafbarer Handlungen nach dem SMG gemacht.

I.10. Hinsichtlich des Verfahrensganges im Detail wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

II.1. Feststellungen:

Der relevante Sachverhalt ergibt sich aus den unter Punkt I getroffenen Ausführungen.

II.2. Beweiswürdigung:

Der für die gegenständliche Zurückverweisung des Bundesverwaltungsgerichtes relevante Sachverhalt ergibt sich aus der Aktenlage zweifelsfrei.

II.3. Rechtliche Beurteilung:

II.3.1. Zuständigkeit, Entscheidung durch den Einzelrichter

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I 2013/33 idF BGBl. I 2013/122, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.

Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.

II.3.2.

Zu A)

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Gemäß § 28 Abs. 3 hat, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 leg. cit nicht vorliegen, das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

Der Verwaltungsgerichtshof hat sich im seinem Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, mit der Sachentscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte auseinandergesetzt und darin folgende Grundsätze herausgearbeitet:

* Die Aufhebung eines Bescheides einer Verwaltungsbehörde durch ein Verwaltungsgericht komme nach dem Wortlaut des § 28 Abs. 1 Z 1 VwGVG nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht. Dies wird jedenfalls dann der Fall sein, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren geklärt wurde, zumal dann, wenn sich aus der Zusammenschau der im verwaltungsbehördlichen Bescheid getroffenen Feststellungen (im Zusammenhalt mit den dem Bescheid zu Grunde liegenden Verwaltungsakten) mit dem Vorbringen in der gegen den Bescheid erhobenen Beschwerde kein gegenläufiger Anhaltspunkt ergibt.

* Der Verfassungsgesetzgeber habe sich bei Erlassung der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl. I 51, davon leiten lassen, dass die Verwaltungsgerichte grundsätzlich in der Sache selbst zu entscheiden haben, weshalb ein prinzipieller Vorrang einer meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte anzunehmen ist.

* Angesichts des in § 28 VwGVG insgesamt verankerten Systems stelle die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Nach dem damit gebotenen Verständnis stehe diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 VwGVG verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlangt das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer "Delegierung" der Entscheidung an das Verwaltungsgericht).

Der Verwaltungsgerichtshof hat weiters mit Erkenntnis vom 10.09.2014, Ra 2014/08/0005 die im Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063 angeführten Grundsätze im Hinblick auf Aufhebungs- und Zurückweisungsbeschlüsse des Verwaltungsgerichtes gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG nochmals bekräftigt und führte ergänzend aus, dass selbst Bescheide, die in der Begründung dürftig sind, keine Zurückverweisung der Sache rechtfertigen, wenn brauchbare Ermittlungsergebnisse vorliegen, die im Zusammenhalt mit einer allenfalls durchzuführenden mündlichen Verhandlung im Sinn des § 24 VwGVG zu vervollständigen sind.

In einem erst jüngst ergangenen Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 28.02.2017, Ra 2015/11/0089 betonte dieser weiters das Interesse der Rechtsunterworfenen an einer raschen Entscheidung und führte dazu aus, dass es nicht zu erkennen sei, weshalb es nicht im Interesse der Raschheit gelegen sein sollte, wenn das Verwaltungsgericht - ausgehend freilich von einer zutreffenden Beurteilung der entscheidenden Rechtsfrage - selbst die notwendige Ergänzung des Ermittlungsverfahrens durch Einholung eines entsprechenden Sachverständigengutachtens veranlasst und den entscheidungsrelevanten Sachverhalt feststellt."

Einzelfallbezogen ergibt sich hieraus Folgendes:

1. Das Einvernahmeprotokoll vom 05.02.2018, welches der Entscheidung des BFA zugrunde gelegt wurde, wurde vom BF mit der Begründung, er wisse nicht, warum er das Protokoll heute mache und ob es negative Auswirkungen für ihn habe, nicht unterfertigt. Dazu wurde im Protokoll vermerkt, dass der Antragsteller einen völlig normalen Eindruck gemacht habe und sich keinerlei Anzeichen einer psychischen Beeinträchtigung ergeben hätten.

Gemäß § 15 AVG liefert, soweit nicht Einwendungen erhoben wurden, eine gemäß § 14 aufgenommene Niederschrift über den Verlauf und den Gegenstand der betreffenden Amtshandlung vollen Beweis. Der Gegenbeweis der Unrichtigkeit des bezeugten Vorganges bleibt zulässig. Weist die Niederschrift Mängel auf oder wurden gegen sie rechtzeitig zulässige Einwendungen erhoben, so obliegt es nicht der Partei, den Gegenbeweis zu führen. Vielmehr hat die Behörde - bei sonstiger Mangelhaftigkeit des Verfahrens - gemäß §§ 37 iVm 39 Abs. 2 AVG von Amts wegen den wahren Verlauf und Inhalt der strittigen Amtshandlung zu ermitteln. Diesfalls verliert die "Niederschrift" zwar nicht jeglichen Beweischarakter (vgl § 46 AVG), sie unterliegt aber gemäß § 45 Abs. 2 AVG der freien Beweiswürdigung der Behörde (Hengstschläger/Leeb, AVG § 15 [Stand 1.1.2014, rdb.at]).

Der Vermerk im Protokoll, wonach der BF einen völlig normalen Eindruck gemacht habe und sich keinerlei Anzeichen einer psychischen Beeinträchtigung ergeben hätten, steht im Widerspruch zu den Angaben des BF zu Beginn der Einvernahme, wonach er vorbrachte, dass es ihm psychisch nicht so gut gehe, er Drogen genommen und Alkohol getrunken habe und Medikamente nehme.

Die Behörde hat es bereits im Zuge der Einvernahme unterlassen, sich mit den gesundheitlichen Problemen des BF auseinanderzusetzen. Sofern im Bescheid mehrfach festgestellt wird, dass der BF gesund sei, ist nicht nachvollziehbar, wie die Behörde zu dieser Feststellung gelangt.

Ferner hätte die Behörde das Protokoll mit seinen Widersprüchen nicht dem Bescheid zugrunde legen dürfen, sondern hätte diese vielmehr aufgreifen und diesbezüglich weiterführende Erhebungen tätigen müssen, um den Sachverhalt umfassend zu ermitteln.

Widersprüchlich sind zudem die Angaben im Protokoll, wonach einerseits angemerkt wird, dass die gesamte Niederschrift wortwörtlich rückübersetzt werde und andererseits im darauffolgenden Satz dokumentiert wird, dass der BF angibt, auf die Rückübersetzung zu verzichten, da er sich nicht wohl fühle.

2. Das BFA hat nicht erhoben, ob familiäre oder sonstige enge Bindungen in Österreich bestehen - dies wird jedoch in der Beschwerde vorgebracht, wo der BF angibt, mit seiner in Wien lebenden, ehemaligen Lebensgefährtin eine dreijährige Tochter zu haben.

Bereits im Vorverfahren wurde festgestellt, dass der BF laut eigenen Angaben seit Mai 2014 eine Freundin in Wien habe. Die Behörde hat es unterlassen, diesen Angaben nachzugehen.

Ermittlungen dahingehend, ob ein Familienleben in Österreich aktuell besteht oder bestanden hat, wurden von der Behörde nicht vorgenommen - stattdessen stellte das BFA fest, dass zu Österreich keine besondere Bindung bestünde.

Das BFA wird jedenfalls weitere Erhebungen durchzuführen und insbesondere den BF zu seinem Gesundheitszustand und zu seinen familiären Verhältnissen genauer zu befragen zu haben.

3. Die Behörde hat - neben der rechtskräftigen Verurteilung vom 19.02.2015 - auch die wegen der unter I.9. genannten Tat verhängte Untersuchungshaft als Begründung für die Erlassung des Einreiseverbots herangezogen. Sofern dem BF vorgeworfen wird, dass er auch wegen der nunmehr über ihn verhängten Untersuchungshaft eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstellt, übersieht die Behörde, dass es sich bei einer Untersuchungshaft um die Inhaftierung eines Beschuldigten handelt, ohne dass damit über eine Strafsache rechtskräftig entschieden wird. Im gegenständlichen Fall wurde auch erst am 14.03.2018 eine Anklage erhoben. Insoferne stellt sich die Beweiswürdigung des BFA als spekulativ dar.

4. Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass sich im Bescheid Bezugnahmen auf "Nigeria" finden, welche fehl am Platz sind, stammt der BF doch aus der Türkei.

Zusammengefasst vermochte es das BFA nicht, die Abweisung des Antrages des BF auf internationalen Schutz tragfähig und widerspruchsfrei zu begründen und geht aus der Aktenlage vielmehr hervor, dass seitens des BFA kein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren durchgeführt wurde.

In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, dass die Behörde gemäß § 18 Abs. 1 AsylG in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen darauf hinzuwirken hat, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Beweismittel für diese Angaben bezeichnet oder die angebotenen Beweismittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Beweismittel auch von Amts wegen beizuschaffen.

Insgesamt ist der Eindruck entstanden, dass sich das BFA weder im Rahmen der Einvernahme noch in der darauf basierenden Beweiswürdigung des Bescheides eingehend mit der persönlichen Situation des BF - seiner familiären Situation und seinem Gesundheitszustand - auseinandergesetzt hat und somit letztendlich der Sachverhalt nicht geklärt ist. Erhebungen und Feststellungen in diese Richtung fehlen völlig, wären aber notwendig gewesen um eine entsprechende Beurteilung vornehmen zu können.

Gegenständlich liegen aus Sicht des erkennenden Gerichtes besonders gravierende Ermittlungslücken vor und es verstößt das Prozedere der belangten Behörde gegen die in § 18 Abs. 1 AsylG normierten Ermittlungspflichten. Die Asylbehörden haben in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen durch Fragestellung oder in anderer geeigneter Weise darauf hinzuwirken, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Beweismittel für diese Angaben bezeichnet oder die angebotenen Beweismittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Beweismittel auch von Amts wegen beizuschaffen. Diese Rechtsnorm, die eine Konkretisierung der aus § 37 AVG in Verbindung mit § 39 Abs. 2 leg. cit. hervorgehenden Verpflichtung der Verwaltungsbehörde, den maßgeblichen Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln und festzustellen ist, hat die Erstbehörde in diesem Verfahren missachtet.

Im gegenständlichen Fall ist das Ermittlungsverfahren der belangten Behörde im Ergebnis derart mangelhaft, dass die Zurückverweisung der Angelegenheit an die belangte Behörde zur Erlassung eines neuen Bescheides unvermeidlich erscheint. Weder erweist sich der Sachverhalt in Verbindung mit der Beschwerde als geklärt, noch ergibt sich aus den bisherigen Ermittlungen sonst zweifelfrei, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspräche.

Im Erkenntnis des VwGH vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, zur Sachentscheidungspflicht des Verwaltungsgerichtes, wonach die nach § 28 Abs. 3 VwGVG bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte darstellt und von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden soll, wird ausgeführt:

"Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden [...]".

Mangels Durchführung eines hinreichenden Ermittlungsverfahrens, auf dessen Grundlage tragfähige Feststellungen zu wesentlichen Tatbestandsmerkmalen erst möglich gewesen wären, wurde insofern im gegenständlichen Verfahren aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes der entscheidungswesentliche Sachverhalt für die abschließende Beurteilung bloß ansatzweise ermittelt, es lagen vielmehr besonders gravierende Ermittlungslücken vor (vgl. VwGH vom 30.09.2014, Ro 2014/22/0021), weshalb sich das erkennende Gericht zur Behebung der bekämpften Entscheidung und Zurückverweisung des Verfahrens an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur neuerlichen Durchführung desselben und Erlassung eines neuen Bescheides veranlasst sah.

Die belangte Behörde wird daher jenen Sachverhalt, welcher unter die von ihr anzuwendenden Rechtsnormen zu subsumieren ist, zu ermitteln und dem BF zur Kenntnis zu bringen haben. Dann wird sie über die abzusprechenden Rechtsfragen entscheiden können.

Im Zuge des fortgesetzten Verfahrens wird sich das BFA mit den oben aufgeworfenen Fragen bzw. Ungereimtheiten auseinanderzusetzen haben.

Sohin war spruchgemäß zu entscheiden.

II.3.3.

Zu B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Ermittlungspflicht, Gefährdungsprognose, gesundheitliche
Beeinträchtigung, Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung,
persönliche und soziale Bindungen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:L526.2188473.1.01

Zuletzt aktualisiert am

29.08.2018
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten