Entscheidungsdatum
04.07.2018Norm
AsylG 2005 §3Spruch
L526 2197374-1/2E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Petra Martina SCHREY, LL.M., über die Beschwerde desXXXX StA. Irak, vertreten durch die Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH als Mitglied der ARGE Rechtsberatung, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 02.05.2018, XXXX beschlossen:
A) In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid
behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
BEGRÜNDUNG:
I. Verfahrensgang
1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger des Irak, reiste illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am 17.11.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.
Bei der Erstbefragung vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 19.11.2015 brachte der Beschwerdeführer (in weiterer Folge kurz "BF" genannt) vor, dass er Staatsangehöriger des Irak und moslemischen (sunnitischen) Glaubens sei und der Volksgruppe der Araber angehöre. Zu seinem Fluchtgrund befragt gab der BF an, von unbekannten Organisationen bedroht worden zu sein. Sein Vater sei hochrangiger Offizier im irakischen Geheimdienst gewesen und seit 2010 verschollen. Seine Mutter habe vor vier Jahren das Land verlassen. Er sei in Bagdad geblieben in der Hoffnung, seinen Vater zu finden. Aufgrund mehrmaliger Drohungen habe der BF Angst um sein Leben gehabt. Sein Onkel habe ihm das Geld für die Flucht nach Österreich zu seiner Mutter gegeben.
Bei der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in weiterer Folge kurz "BFA" genannt) am 23.01.2018 brachte der BF zusammengefasst Folgendes vor: Sein Vater sei eine Zeit lang verschollen gewesen. Zu Zeiten Malikis sei dieser untergetaucht, da er Mitglied der Baath Partei gewesen sei. Von 2010 bis 2012 sei er von den Milizen gefangen gewesen. Er habe 2016 angerufen und gesagt, dass er im Iran gewesen wäre und bei der österreichischen Botschaft einen Antrag gestellt habe, sei dann aber nicht hergekommen. Er, der BF, sei 2010 festgenommen und zwei Monate lang gefangen gehalten worden; es habe sich dabei um eine Namensverwechslung gehandelt, aber es sei auch Absicht gewesen. Es hätte auch einen Festnahmeauftrag gegen seine Mutter und seinen Vater gegeben; seine Mutter sei dann geflüchtet. Sie lebe als subsidiär Schutzberechtigte in Österreich. Der BF lebe mit ihr zusammen. Zum Fluchtgrund befragt gab der BF an, von einer ihm unbekannten, bewaffneten Gruppierung mit einem Messer verletzt worden zu sein. Daraufhin sei er von der Rettung ins Krankenhaus gebracht worden, wo er drei Tage geblieben sei. Dann sei die Polizei gekommen und er habe beschlossen, das Land zu verlassen. Auf Nachfrage gab der BF an, dass es sich um eine einzige Bedrohungssituation gehandelt habe. Ergänzend fügte der BF hinzu, es gebe täglich Explosionen.
Zum Beweis seines Vorbringens brachte der BF verschiedene Dokumente und Schreiben in arabischer Sprache in Vorlage (Aktenseiten 37 bis 79). Diese wurden vom BFA keiner Übersetzung zugeführt.
2. Mit im Spruch genannten Bescheid des BFA vom 02.05.2018 wurde der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen. Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung in den Irak gemäß § 46 FPG zulässig sei. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.
Begründend führte das BFA im Wesentlichen aus, dass es mangels logischer nachvollziehbarer Aussagen offensichtlich sei, dass der BF ein frei erfundenes Fluchtvorbringen dargestellt habe, welches er in der niederschriftlichen Einvernahme noch gesteigert habe, um die Behörde zu täuschen. Der BF sei nicht in der Lage gewesen, ein stichhaltiges, detailliertes und nachvollziehbares Vorbringen rund um seinen Fluchtgrund darzulegen. Durch seine widersprüchlichen Aussagen, die Ungereimtheiten und nicht deckungsgleichen Angaben habe er der Behörde eine Verfolgung im Irak nicht glaubhaft machen können.
3. Mit am 30.05.2018 - per E-Mail - fristgerecht beim BFA eingebrachten Schriftsatz erhob der BF durch die Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH vollinhaltlich Beschwerde gegen den im Spruch genannten Bescheid.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG) geregelt. Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Zu Spruchteil A):
2.1. Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.
Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist, die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss. Gemäß Abs. 3 sind auf die Beschlüsse des Verwaltungsgerichtes § 29 Abs. 1 zweiter Satz, Abs. 4 und § 30 sinngemäß anzuwenden. Dies gilt nicht für verfahrensleitende Beschlüsse.
Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht (Z1) oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist (Z2).
Gemäß § 28 Abs. 3, 2. Satz VwGVG kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen hat. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.
2.2. Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 28 Abs. 3, 2. Satz VwGVG ist Voraussetzung für eine Aufhebung und Zurückverweisung nach dieser Bestimmung das Fehlen relevanter behördlicher Sachverhaltsermittlungen. Hinsichtlich dieser Voraussetzung gleicht die Bestimmung des § 28 Abs. 3, 2. Satz VwGVG jener des § 66 Abs. 2 AVG, der als - eine - Voraussetzung der Behebung und Zurückverweisung gleichfalls Mängel der Sachverhaltsfeststellung normiert, sodass insofern - auch wenn § 66 Abs. 2 AVG im Gegensatz zu § 28 Abs. 3, 2. Satz VwGVG als weitere Voraussetzung der Behebung und Zurückverweisung auch die Notwendigkeit der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung voraussetzt - auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zur Bestimmung des § 66 Abs. 2 AVG zurückgegriffen werden kann.
§ 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes, wenn "die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen" hat.
Der Verwaltungsgerichtshof hat sich im seinem Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, mit der Sachentscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte auseinandergesetzt und darin folgende Grundsätze herausgearbeitet:
Die Aufhebung eines Bescheides einer Verwaltungsbehörde durch ein Verwaltungsgericht komme nach dem Wortlaut des § 28 Abs. 1 Z 1 VwGVG nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht. Dies wird jedenfalls dann der Fall sein, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren geklärt wurde, zumal dann, wenn sich aus der Zusammenschau der im verwaltungsbehördlichen Bescheid getroffenen Feststellungen (im Zusammenhalt mit den dem Bescheid zu Grunde liegenden Verwaltungsakten) mit dem Vorbringen in der gegen den Bescheid erhobenen Beschwerde kein gegenläufiger Anhaltspunkt ergibt.
Der Verfassungsgesetzgeber habe sich bei Erlassung der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl. I 51, davon leiten lassen, dass die Verwaltungsgerichte grundsätzlich in der Sache selbst zu entscheiden haben, weshalb ein prinzipieller Vorrang einer meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte anzunehmen ist.
Angesichts des in § 28 VwGVG insgesamt verankerten Systems stelle die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Nach dem damit gebotenen Verständnis stehe diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 VwGVG verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlangt das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer "Delegierung" der Entscheidung an das Verwaltungsgericht).
3. Der angefochtene Bescheid erweist sich in Bezug auf den ermittelten Sachverhalt aus folgenden Gründen als mangelhaft:
Der BF stützte sein Vorbringen insbesondere darauf, dass sein Vater Mitglied der Baath Partei und, laut Erstbefragung, hochrangiger Offizier im irakischen Geheimdienst gewesen sei und von 2010 bis 2012 von den Milizen gefangen gewesen sei. Er selbst sei 2010 festgenommen und zwei Monate gefangen gehalten worden. Fluchtauslösend sei ein Vorfall gewesen, bei dem er von einer bewaffneten Gruppierung von ca. acht Personen, welche Messer und Waffen bei sich gehabt hätten, mit einem Messer verletzt worden sei.
Zu Beweiszwecken bzw. zur Untermauerung seines Vorbringens legte er Dokumente und Schreiben in arabischer Sprache vor, welche sich im Akt befinden und laut Niederschrift vom 23.01.2018, AS 31, Folgendes beinhalten:
"-
Flüchtlingskarte aus dem Irak
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Urkunden für die Sportart Gewichtheben
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Medizinisches Gutachten aus 2015, ich war Opfer eines versuchten Mordes
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Gutachten des Gesundheitsministeriums
-
Geburtsurkunde in Original".
Die Behörde unterzog die vorgelegten Dokumente nicht einmal einer Übersetzung, geschweige denn einer Überprüfung.
Selbst das angebliche medizinische Gutachten aus 2015, welches der BF vorgelegt hat, und das laut dessen Angaben beweisen soll, dass er Opfer eines versuchten Mordes gewesen sei, wurde vom BFA weder übersetzt noch gewürdigt. Die Behörde führte das Beweismittel im Bescheid bei der Aufzählung der vom BF vorgelegten Beweismittel an - hat es darüber hinaus jedoch gänzlich außer Acht gelassen, sich damit beweiswürdigend auseinanderzusetzen.
Die Beweiswürdigung des BFA zu den vorgelegten Dokumenten - ohne entsprechende Übersetzung - erweist sich daher als völlig unzureichend.
Der Aussage des BFA, der BF habe eine Verfolgung im Irak mangels logischer nachvollziehbarer Aussagen nicht glaubhaft machen können, ist entgegenzuhalten, dass dem BF zwar Gelegenheit gegeben wurde, seine Fluchtgründe zu schildern und er auch gefragt wurde, ob er weiter Gründe habe, die zum Verlassen des Heimatstaates geführt hätten, jedoch hat das BFA ein vertiefendes Nachfragen und eine Aufforderung zur umfassenden Darlegung der individuellen Ausreisegründe unterlassen und so dem BF die Möglichkeit genommen, die Ungereimtheiten in seiner Fluchtgeschichte zu klären.
Das BFA stützt den Befund der Unglaubwürdigkeit vor allem auf die Abweichung der Aussage des BF anlässlich der Ersteinvernahme - er sei mehrmals bedroht worden - und vor dem BFA - er sei nur einmal bedroht worden. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass der BF anlässlich seiner Befragung durch das BFA abgesehen von dem ausreisekausalen Vorfall auch von seiner Festnahme im Jahr 2010 aufgrund der politischen Aktivitäten seines Vaters sprach. Offen bleibt für den Leser des Einvernahmeprotokolles vor allem, worauf der BF mit seiner Aussage über die im Jahr 2010 erfolgte Inhaftierung und die politische Verfolgung des Vaters hinauswollte; insbesondere ob der BF überhaupt noch eine Verfolgung oder sonstige Bedrohung durch jene fürchtet, von denen die angebliche Verfolgung seiner Familie ausging.
Zudem wurde auch der Sachverhalt im Zusammenhang mit der behaupteten Messerattacke auf den BF nach dem Verlassen des Fitness-Studios nicht näher beleuchtet. Sofern der BF von einem Mordversuch auf ihn spricht, hätte das BFA etwa hinterfragen müssen, wie der BF zu dieser Einschätzung kommt und ob Spuren dieser Attacke verblieben sind - dies ist nach einem dreitätigen Krankenhausaufenthalt, von dem der BF sprach, nicht unwahrscheinlich. Gegebenenfalls hätte die Glaubwürdigkeit des Vorbringens, etwa durch Einholung eines medizinischen Gutachtens, überprüft werden müssen.
Der BF hat auch mehrfach angegeben, dass seine Mutter als subsidiär Schutzberechtigte in Österreich lebt und ihre genaue Wohnadresse angeführt, sodass es auch leicht möglich und - jedenfalls für den Fall, dass auch die angebliche Verfolgung der Eltern aus politischen Gründen mit ein Grund für die Ausreise des BF war - sogar notwendig gewesen wäre, diese zeugenschaftlich einzuvernehmen, um das Vorbringen des BF entsprechend würdigen und werten zu können und zu einer umfassenden Sachverhaltsfeststellung zu gelangen.
In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die Behörde gemäß § 18 Abs. 1 letzter Satz AsylG 2005 zusätzlich zur Aussage des BF zur Verfügung stehende, präsente Beweismittel auch von Amts wegen zu berücksichtigen hat, ohne dass ein auf Vernehmung einer Person gerichteter Beweisantrag vorliegt (VwGH 15.03.2016, Ra 2016/19/0022). Der Behörde wäre es auch mühelos möglich gewesen, die zeugenschaftliche Einvernahme der Mutter des BF im gegenständlichen Verfahren herbeizuführen, zumal sie an ihrem aufrecht gemeldeten Wohnsitz leicht auffindbar gewesen wäre. Das BFA wird deshalb zunächst zu ermitteln haben, auf welche Gründe der BF seine Ausreise tatsächlich stützt und für den Fall, dass die zeugenschaftliche Einvernahme der Mutter geeignet ist, zur Klärung des entscheidungsrelevanten Sachverhaltes beizutragen, diese nachzuholen haben, um ein mangelfreies Verfahren zu gewährleisten.
Zudem hat das BFA im angefochtenen Bescheid vom 02.05.2018 zwar Länderfeststellungen zum Irak herangezogen, allerdings - wie auch in der Beschwerde zurecht gerügt - fehlen vor allem Feststellungen über die Sicherheitslage in Bagdad, woher der BF stammt. Die objektive Lage hätte auch in Bezug zur konkreten Situation und dem Profil des BF gesetzt werden müssen.
Aufgrund der Tatsache, dass der Bescheid keine derartigen Länderfeststellungen enthält, hat die Behörde somit die erforderliche Ermittlungstätigkeit in diesem entscheidenden Punkt unterlassen, weshalb der Bescheid auch diesbezüglich mangelhaft ist.
Ergänzend sei darauf hingewiesen, dass die dem Bescheid zugrunde gelegten Länderfeststellungen unter dem Abschnitt "Sunnitische Araber" entsprechende Quellenangaben vermissen lassen.
Das BFA hat die aufgezeigten Mängel zu beheben bzw. den maßgeblichen Sachverhalt in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren lückenlos festzustellen. Dabei wird es insbesondere die Übersetzung der vom BF vorgelegten Dokumente zu veranlassen und diese zu würdigen und den BF ergänzend einzuvernehmen haben. Sofern sich dies nach einer ergänzenden Einvernahme des BF als notwendig erweist, wird das BFA auch die zeugenschaftliche Einvernahme der Mutter des BF nachzuholen haben.
Ausgehend von dem ermittelten Sachverhalt und dem Profil des BF wird das BFA eindeutige und auf dessen konkrete Situation bezogene aktuelle Feststellungen zur Lage im Irak, insbesondere über die Sicherheitslage in Bagdad und auch zu allfälligen innerstaatlichen Fluchtalternativen bzw. erforderlichenfalls zur Schutzfähigkeit und Schutzwilligkeit irakischer Behörden zu treffen haben. Auf dieser Basis ist zu beurteilen, ob dem Beschwerdeführer im Fall einer Rückkehr in seine Herkunftsregion Verfolgung oder eine sonstige reale Gefahr einer Verletzung von Bestimmungen der EMRK droht.
Wie oben ausgeführt, leidet der angefochtene Bescheid unter erheblichen Ermittlungsmängeln in Bezug auf die Frage der maßgeblichen Wahrscheinlichkeit einer konkret und gezielt gegen den Beschwerdeführer gerichteten Verfolgung maßgeblicher Intensität als auch zu der - in Bezug auf die Situation des BF - relevanten Lage im Land und erweist sich für das Bundesverwaltungsgericht der vorliegende Sachverhalt zur Beurteilung einer allfälligen Gefährdung des Beschwerdeführers unter dem Aspekt der Gewährung des Status des Asylberechtigten bzw. des subsidiär Schutzberechtigten als so mangelhaft, dass weitere notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes diesbezüglich unerlässlich erscheinen.
Damit hat die belangte Behörde im Sinne der oben zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes Ermittlungen in zentralen Fragen gänzlich unterlassen, wobei diese Ermittlungen nunmehr durch das Bundesverwaltungsgericht vorgenommen werden müssten.
Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens und eine erstmalige Ermittlung und Beurteilung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Bundesverwaltungsgericht kann nicht im Sinne des Gesetzes liegen, vor allem unter Berücksichtigung des Umstandes, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl als Spezialbehörde im Rahmen der Staatendokumentation gemäß § 5 BFA-Einrichtungsgesetz für die Sammlung relevanter Tatsachen zur Situation in den betreffenden Staaten samt den Quellen zuständig ist und weil eine ernsthafte Prüfung des Antrages nicht erst beim Bundesverwaltungsgericht beginnen und zugleich enden soll.
Da der maßgebliche Sachverhalt aufgrund der Unterlassung notwendiger Ermittlungen der belangten Behörde nicht feststeht und diese Ermittlungstätigkeit sowie die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes (erstmals) durch das Bundesverwaltungsgericht selbst vorgenommen werden müsste, war gemäß § 28 Abs. 3, 2. Satz VwGVG mit der Aufhebung des angefochtenen Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde vorzugehen.
Der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass die Verwaltungsbehörde (lediglich) an die rechtliche Beurteilung des gemäß § 28 Abs. 3, 2. Satz VwGVG aufhebenden und zurückverweisenden Beschlusses des Verwaltungsgerichtes gebunden ist (s. § 28 Abs. 3,
3. Satz VwGVG; vgl. auch z.B. VwGH 22.12.2005, Zl. 2004/07/0010, VwGH 08.07.2004, Zl. 2003/07/0141 zu § 66 Abs. 2 AVG); durch eine Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3, 2. Satz VwGVG tritt das Verfahren aber in die Lage zurück, in der es sich vor Erlassung des aufgehobenen Bescheides befunden hatte (Wirkung der Aufhebung ex tunc,
s. Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren (2013) Anm. 14 zu § 28 VwGVG; vgl. auch 22.05.1984, Zl. 84/07/0012), sodass die belangte Behörde das im Rahmen des Beschwerdeverfahrens erstattete weitere Parteivorbringen zu berücksichtigen und gemäß § 18 Abs. 1 AsylG gegebenenfalls darauf hinzuwirken haben wird, dass dieses ergänzt bzw. vervollständigt wird.
Im weiteren Verfahren wird die bB auch die zwischenzeitlich vorgelegten Dokumente zu berücksichtigen haben.
Der Vollständigkeit halber sei auch noch auf die Wahrung der Grundsätze des Parteiengehörs hingewiesen.
4. Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG unterbleiben, zumal aufgrund der Aktenlage in Verbindung mit dem Vorbringen in der Beschwerde feststeht, dass der angefochtene Bescheid zu beheben und zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückzuverweisen war.
Zu Spruchteil B):
Gemäß § 25a Abs. 1 Verwaltungsgerichtshofgesetz (VwGG) hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß
Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Die gegenständliche Entscheidung weicht nicht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063) ab. Durch das genannte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes fehlt es auch nicht an einer Rechtsprechung und die zu lösende Rechtsfrage wird in der Rechtsprechung auch nicht uneinheitlich beantwortet.
Schlagworte
Ermittlungspflicht, Kassation, mangelnde Asylrelevanz,European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2018:L526.2197374.1.00Zuletzt aktualisiert am
29.08.2018