Entscheidungsdatum
09.07.2018Norm
AsylG 2005 §5Spruch
W239 2179365-1/6E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Theresa BAUMANN als Einzelrichterin über die Beschwerde der XXXX auch XXXX , geb. XXXX, StA. Aserbaidschan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 06.11.2017, Zl. XXXX , zu Recht erkannt:
A) Die Beschwerde wird gemäß § 5 AsylG 2005 und § 61 FPG als
unbegründet abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige von Aserbaidschan, stellte im österreichischen Bundesgebiet am 18.08.2017 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.
Eine EURODAC-Abfrage ergab keinen Treffer. Die Beschwerdeführerin verfügte laut VIS-Abfrage über ein von 08.08.2017 bis 29.08.2017 gültiges Schengen-Visum Typ C, ausgestellt am 31.07.2017 von der Botschaft der Republik Lettland in Baku/Aserbaidschan.
Im Zuge der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am selben Tag (18.08.2017) gab die Beschwerdeführerin an, der Erstbefragung ohne Probleme folgen zu können. Zu ihrer Reiseroute führte sie aus, dass sie von ihrem Herkunftsland mit dem Flugzeug nach Ungarn geflogen und mit dem Taxi nach Österreich gefahren sei. Sie habe sich einen Tag in Ungarn aufgehalten und wolle nicht dorthin zurück, da ältere Menschen bzw. die Rechte der Menschen dort nicht unterstützt würden. Sie habe von Lettland ein Visum erhalten, habe es aber nicht angesehen und wisse daher nicht, wie lange es gültig sei. Ihr Sohn habe das Visum gekauft. Eigentlich habe sie nach Deutschland wollen.
Ihre Heimat habe die Beschwerdeführerin verlassen, da sie Mitglied einer Partei gewesen sei und mehrmals bedroht und verhaftet worden sei.
Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) richtete am 22.08.2017 ein auf Art. 12 Abs. 2 oder Abs. 3 der Verordnung (EU) 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (Dublin-III-VO) gestütztes Aufnahmeersuchen an Lettland. Mit Schreiben vom 18.09.2017 stimmte die lettische Dublin-Behörde dem Aufnahmeersuchen gemäß Art. 12 Abs. 2 Dublin-III-VO ausdrücklich zu und teilte mit, dass die Beschwerdeführerin in Lettland als XXXX registriert sei; dabei handelt es sich lediglich um eine andere Schreibweise des Nachnamens.
Nach durchgeführter Rechtsberatung fand am 05.10.2017 im Beisein eines Rechtsberaters die niederschriftliche Einvernahme der Beschwerdeführerin vor dem BFA statt. Dabei erklärte die Beschwerdeführerin zu Beginn über Nachfrage, ob sie sich psychisch und physisch in der Lage zu fühle, die gestellten Fragen wahrheitsgetreu zu beantworten, dass sie gerade eine Tablette wegen ihrer Diabetes genommen habe. Es gehe ihr aber ansonsten gut. Wie ihr Blutdruck sei, wisse sie nicht. Sie leide seit fünfzehn Jahren an Diabetes und nehme deswegen Medikamente. Auch gegen ihr Schilddrüsenproblem und wegen ihres Blutdruckes nehme sie Medikamente. Sie leide weiters unter einem Blutgerinnungsproblem und einem Herzproblem. Zudem habe sie noch Probleme mit ihrem Magen und Darmtrakt. Die Untersuchungen hätten allerdings ergeben, dass diese Probleme psychisch bedingt seien; dies habe ein Psychologe festgestellt. In Österreich seien ihr von einem Arzt auch Schlaf- und Beruhigungsmittel verschrieben worden. An ihrem Schilddrüsenproblem leide sie seit langem; sie sei im Jahr 1997 auch schon in ihrem Herkunftsland operiert worden. Ihr Blutdruckproblem habe sie sei 15 Jahren und an ihrem Herzproblem leide sie seit zwei Jahren. Im Oktober habe sie in einem Krankenhaus einen Termin wegen ihres Herzproblems. Sie nehme täglich eine Tablette für die Schilddrüse und 3x3 Tabletten gegen Diabetes, zudem müsse sie Insulin spritzen.
Die Beschwerdeführerin legte das Medikament Metformin Hexal 850 ml [Anm. BVwG: senkt den Blutzuckerspiegel] vor und gab an, Xartil 10 mg, Amlocard 5 mg [Anm. BVwG: senkt den Blutdruck] und Kaptapril [Anm. BVwG: gegen Bluthochdruck] einmal täglich zu nehmen.
In Österreich sei sie im Zuge der Erstuntersuchung beim Arzt gewesen und sie sei einmal selbständig im Lager zu einem Arzt gegangen. Wegen ihres hohen Blutdrucks sei dann die Rettung angerufen worden und sie sei ins Krankenhaus eingeliefert worden. Dort habe man ihren Kopf und ihren Beckenbereich geröntgt und untersucht. Dieser Vorfall sei ungefähr am 28.08.2017 gewesen. Als weiterer Untersuchungstermin sei lediglich ihre Herzuntersuchung am 19.10.2017 im Krankenhaus vereinbart worden. Medizinische Befunde gebe es diesbezüglich nicht, auch sei sie in Österreich noch nie stationär in einem Krankenhaus aufhältig gewesen. Ihre Reise von ihrem Herkunftsstaat bis nach Österreich habe sie nie unterbrechen müssen, um einen Arzt oder ein Krankenhaus aufzusuchen, da sie ihr Zuckermessegerät und ihre Medikamente bei sich gehabt habe.
In ihrem Heimatland habe die Beschwerdeführerin als Lehrerin gearbeitet, sie sei aber gekündigt worden. In Österreich befinde sie sich in der Grundversorgung und wolle vom österreichischen Staat geschützt und unterstützt werden. Angehörige oder sonstige Verwandte habe sie in Österreich keine. In Lettland habe sie sich nie aufgehalten und sie wolle auch nicht dorthin abgeschoben werden. Lettland sei kein westeuropäisches Land; es sei nicht so demokratisch entwickelt wie Österreich. Lettland sei eine altrussische Republik und pflege sehr gute Beziehungen zu Aserbaidschan. Daher habe sie die Befürchtung, dass sie von dort nach Aserbaidschan abgeschoben werde, wo ihr der Tod drohe. Sie sterbe lieber in Österreich, als dass die nach Lettland abgeschoben werde. Sie sei vor Angst von zuhause geflüchtet und habe deswegen keine ärztlichen Unterlagen mitbringen können.
Im Zuge des Verfahrens legte die Beschwerdeführerin folgende Dokumente vor:
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Klientenkarte vom 21.08.2017
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Befund eines Radiologen vom 05.09.2017 aus dem hervorgeht, dass sich bei der Beschwerdeführerin sowohl beim Röntgen des Schädels als auch des Beckens im Stehen keine knöchernen Verletzungszeichen ergeben hätten.
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Endbefund eines Labors, dem sich entnehmen lässt, dass im Stuhl der Beschwerdeführerin kulturelle Erregernachweise von Salmonellen, Shigellen, Campylobacter nicht gezüchtet worden seien.
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Arztbericht einer Universitätsklinik von 20.10.2017 mit der Entlassungsdiagnose: "Thoraxschmerzen (DD Im Rahmen Hypertensiver Entgleisung/DD muskuloskeletale Genese), verkalkte Lymphknoten und Rundherde pulmonal (DD postspezifischer Genese; CT 19.10.2017)" und der Empfehlung, mit dem Befund zum Hausarzt zu gehen. Es gebe derzeit keinen Hinweis auf ein akutes Koronarsyndorm. Im CT zeige sich keine Pulmonalembolie. Die angegebenen Beschwerden könnten daher derzeit nicht klar zugeordnet werden und seien möglicherweise muskuloskeletaler Genese, aggraviert durch die posttraumatische psychische Belastung. Es werde empfohlen bei Bedarf vorübergehend Mexalen 500 mg [Anm. BVwG: Schmerzmittel] bis vier Mal täglich einzunehmen. Zur weiteren Abklärung werde eine internistische Vorstellung über den Hausarzt empfohlen. Im CT würden sich verkalkte Lymphknoten und Rundherde pulmonal (DD postspezifischer Genese) zeigen. Zur weiteren Abklärung werde eine Vorstellung an der Infektiologischen Ambulanz für einen TBC-ELISPOT sowie eine psychiatrische Vorstellung über den Hausarzt empfohlen.
2. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 06.11.2017 wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass Lettland gemäß Art. 12 Abs. 2 Dublin-III-VO für die Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz zuständig sei (Spruchpunkt I.). Zudem wurde gemäß § 61 Abs. 1 Z 1 FPG gegen die Beschwerdeführerin die Außerlandesbringung angeordnet und festgestellt, dass demzufolge gemäß § 61 Abs. 2 FPG die Abschiebung der Beschwerdeführerin nach Lettland zulässig sei (Spruchpunkt II.).
Zur Lage in Lettland traf das BFA folgende Feststellungen (unkorrigiert und nunmehr gekürzt durch das Bundesverwaltungsgericht):
Allgemeines zum Asylverfahren
(...)
Das Amt für Staatsbürgerschaft und Migration (OCMA) untersteht dem lettischen Innenministerium und ist, in Kooperation mit der Grenzpolizei, in erster Instanz für das Führen von Asylverfahren zuständig (OCMA 20.4.2016a; vgl. LCFHR/UNHCR o.D.).
In Lettland gibt es ein Asylverfahren mit gerichtlicher Beschwerdemöglichkeit und der Möglichkeit auf kostenlose Rechtshilfe im Beschwerdeverfahren (OCMA 20.4.2016b; vgl. OCMA 20.4.2016c und LCFHR/UNHCR o.D.; für ausführliche Informationen siehe dieselben Quellen).
Quellen:
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Eurostat (3.3.2016a): Statistics explained, File: Asylum applicants (including first time asylum applicants), Q4 2014 - Q4 2015.png,
http://ec.europa.eu/eurostat/statistics-explained/index.php/File:Asylum_applicants_(including_first_time_asylum_applicants),_Q4_2014_%E2%80%93_Q4_2015.png, Zugriff 31.3.2016
-
Eurostat (18.9.2015a): Statistics explained, File:First instance decisions by outcome and recognition rates, 1st quarter 2015.png, http://ec.europa.eu/eurostat/statistics-explained/index.php/File:First_instance_decisions_by_outcome_and_recognition_rates,_1st_quarter_2015.png, Zugriff 11.2.2016
-
Eurostat (18.9.2015b): Statistics explained, File:First instance decisions by outcome and recognition rates, 2nd quarter 2015.png, http://ec.europa.eu/eurostat/statistics-explained/index.php/File:First_instance_decisions_by_outcome_and_recognition_rates,_2nd_quarter_2015.png, Zugriff 11.2.2016
-
Eurostat (10.12.2015): Statistics explained, File:First instance decisions by outcome and recognition rates, 3rd quarter 2015.png, http://ec.europa.eu/eurostat/statistics-explained/index.php/File:First_instance_decisions_by_outcome_and_recognition_rates,_3rd_quarter_2015.png, Zugriff 22.2.2016
-
Eurostat (3.3.2016b): Statistics explained, File: First instance decisions by outcome and recognition rates, 4th quarter 2015.png, http://ec.europa.eu/eurostat/statistics-explained/index.php/File:First_instance_decisions_by_outcome_and_recognition_rates,_4th_quarter_2015.png, Zugriff 31.3.2016
-
LCFHR/UNHCR - Latvian Centre for Human Rights/UNHCR (o.D.):
Seeking Asylum In Latvia,
http://www.rs.gov.lv/doc_upl/SeekingAsylum-inLatvia.pdf, Zugriff 28.4.2016
-
OCMA - Office of Citizenship and Migration Affairs (20.4.2016a):
ABOUT OCMA, http://www.pmlp.gov.lv/en/home/about-ocma/, Zugriff 28.4.2016
-
OCMA - Office of Citizenship and Migration Affairs (20.4.2016b):
ASYLUM SEEKING,
http://www.pmlp.gov.lv/en/home/services/asylum-seeking/, Zugriff 28.4.2016
-
OCMA - Office of Citizenship and Migration Affairs (20.4.2016c):
THE PROCEDURE OF GRANTING ASYLUM,
http://www.pmlp.gov.lv/en/home/services/asylum-seeking/the-procedure-of-granting-asylum.html, Zugriff 28.4.2016
Dublin-Rückkehrer
AW, deren Verfahren aufgrund der Dublin-Verordnung in Lettland geführt werden muss, erhalten ein reguläres Asylverfahren (LCFHR/UNHCR o.D.).
Als EU-Mitgliedsstaat hält das Land die Dublin-III-VO ein (USDOS 13.4.2016).
Quellen:
-
LCFHR/UNHCR - Latvian Centre for Human Rights/UNHCR (o.D.):
Seeking Asylum In Latvia,
http://www.rs.gov.lv/doc_upl/SeekingAsylum-inLatvia.pdf, Zugriff 28.4.2016
-
USDOS - US Department of State (13.4.2016): Country Report on Human Rights Practices 2015 - Latvia, https://www.ecoi.net/local_link/322544/462021_de.html, Zugriff 28.4.2016
Non-Refoulement
Ein Abschiebeauftrag oder eine Entscheidung zur zwangsweisen Außerlandesbringung eines negativ beschiedenen Asylwerbers kann aus humanitären Gründen aufgehoben oder verschoben werden (LCFHR/UNHCR o. D.).
Es gibt keine glaubhaften Beschwerden, dass die Behörden Asylwerber in Länder mit schlecht entwickelten Asylsystemen zurückschicken würden (USDOS 13.4.2016).
Quellen:
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LCFHR/UNHCR - Latvian Centre for Human Rights/UNHCR (o.D.):
Seeking Asylum In Latvia,
http://www.rs.gov.lv/doc_upl/SeekingAsylum-inLatvia.pdf, Zugriff 28.4.2016
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USDOS - US Department of State (13.4.2016): Country Report on Human Rights Practices 2015 - Latvia, https://www.ecoi.net/local_link/322544/462021_de.html, Zugriff 28.4.2016
Versorgung
Unterbringung
Nach Asylantragstellung werden AW in der Regel im Aufnahmezentrum Mucenieki in der Nähe von Riga untergebracht. Dort bekommt der Asylwerber alle grundlegenden Unterstützungsleistungen (LCFHR/UNHCR
o. D,; vgl EMN 24.8.2015).
Asylwerber werden für die Dauer des Asylverfahrens im Asylaufnahmezentrum Mucenieki untergebracht. Es ist das einzige derartige Zentrum in Lettland und hat Platz für 150 Personen. Jeder bedürftige Asylwerber erhält eine Zuwendung von EUR 2,15 pro Tag für Essen und Produkte des täglichen Bedarfs. Das Zentrum kooperiert auch mit NGO's und Kommunen, die soziale Projekte umsetzen. Es gibt Zweierzimmer, Familienzimmer, Küche, Wäscherei, Fernsehzimmer, Freizeiteinrichtungen usw. Spezielle Umbauten zur Unterbringung Behinderter wurden ebenfalls vorgenommen (OCMA 20.4.2016d).
Zusätzlich gibt es eine Unterbringungseinrichtung der Grenzpolizei für inhaftierte Fremde bzw. abzuschiebende Personen in Daugavpils. Dieses Zentrum wurde im Mai 2011 errichtet und ersetzt das alte Zentrum Olaine. Es hat eine Kapazität von 70 Plätzen, wobei die durchschnittliche Aufenthaltsdauer mit 2 Monaten angegeben wurde. Es gab seitens der Insassen keine Vorbringen über schlechte Behandlung. Die materiellen Bedingungen werden als ausgezeichnet beschrieben. Auch die medizinische Behandlung vor Ort wurde als adäquat angesehen (CoE 27.8.2013).
Bei der Unterbringung von Asylwerbern wird nach den entsprechenden gesetzlichen Bestimmungen auf spezifische medizinische, psychologische, familiäre, altersmäßige und geschlechtsspezifische Bedürfnisse der AW Rücksicht genommen (EMN 2014).
Es gibt eine Reihe von Unterstützungsdiensten aus dem NGO-Bereich, etwa The Society Shelter "Safe House" zur Unterstützung von Opfern von Menschenhandel, Immigranten, AW und Schutzberechtigte; Resource Center for Women "Marta" zur Unterstützung von Frauen mit psychologischer, sozialer und Rechtsberatung; Latvian Human Aid Centre; Lettisches Rotes Kreuz zur Unterstützung mit Beratung, Information, Kleidung und Unterkunft; und IOM zur Unterstützung bei der freiwilligen Rückkehr (LCFHR/UNHCR o.D,).
Quellen:
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CoE - Council of Europe (27.8.2013): Report to the Latvian Government on the visit to Latvia carried out by the European Committee for the Prevention of Torture and Inhuman or Degrading Treatment or Punishment (CPT) from 5 to 15 September 2011
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EMN - European Migration Network (2014): The Organisation of Reception Facilities for Asylum Seekers in different Member States
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EMN - European Migration Network (25.8.2015): Ad-Hoc Query on the Organization of Reception Centers, http://ec.europa.eu/dgs/home-affairs/what-we-do/networks/european_migration_network/reports/docs/ad-hoc-queries/ad-hoc-queries-2015.717_ahq_on_the_organization_of_reception_centres_compilation_wider_dissemination.pdf, Zugriff 28.4.2016
-
LCFHR/UNHCR - Latvian Centre for Human Rights/UNHCR (o.D.):
Seeking Asylum In Latvia,
http://www.rs.gov.lv/doc_upl/SeekingAsylum-inLatvia.pdf, Zugriff 28.4.2016
-
OCMA - Office of Citizenship and Migration Affairs (20.4.2016d):
Accommodation Centre for Asylum Seekers, http://www.pmlp.gov.lv/en/home/services/asylum-seeking/mucenieki.html, Zugriff 28.4.2016
Medizinische Versorgung
Im Zentrum Mucenieki werden AW auch psychosozial und medizinisch betreut (LCFHR/UNHCR o.D,).
Asylwerber, anerkannte Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte nehmen nicht am öffentlichen Krankenkassensystem teil, da ein solches in Lettland in dieser Form nicht existiert. Die Ansprüche von AW werden durch verschiedene Gesetze definiert. Schutzberechtigte Personen haben dieselben Rechte in Bezug auf medizinische Versorgung wie andere legal aufhältige Drittstaatsangehörige (EMN 3.2.2012).
Quellen:
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EMN - European Migration Network (3.2.2012): Ad-Hoc Query on the System of Public Health Insurance for Asylum Seekers, Persons who have been Granted Asylum and Persons who have been Granted Subsidiary Protection,
http://ec.europa.eu/dgs/home-affairs/what-we-do/networks/european_migration_network/reports/docs/ad-hoc-queries/protection/354_emn_ad-hoc_query_system_of_public_health_insurance_23nov2011_wider_dissemination_en.pdf, Zugriff 28.4.2016
-
LCFHR/UNHCR - Latvian Centre for Human Rights/UNHCR (o.D.):
Seeking Asylum In Latvia,
http://www.rs.gov.lv/doc_upl/SeekingAsylum-inLatvia.pdf, Zugriff 28.4.2016
Schutzberechtigte
Anerkannte Flüchtlinge erhalten eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis in Lettland, subsidiär Schutzberechtigte erhalten eine befristete Aufenthaltserlaubnis für ein Jahr (verlängerbar). Ein anerkannter Flüchtling oder subsidiär Schutzberechtigter genießt alle wirtschaftlichen, sozialen, individuellen und anderen Rechte und Freiheiten sowie Verpflichtungen gemäß Verfassung der Republik Lettland. Sie haben ein Recht auf Familienzusammenführung und eine Wohnunterstützung, sowie auf eine Unterstützung zum Lernen der Landessprache (OCMA 20.4.2016b; vgl. LCFHR/UNHCR o.D,).
Das Taggeld für anerkannte Flüchtlinge wurde im Oktober 2015 von EUR 256 auf EUR 139 gesenkt, während der Mindestlohn in Lettland bei EUR 370 liegt (UNHCR 14.1.2016).
Anerkannte Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte nehmen nicht am öffentlichen Krankenkassensystem teil, da ein solches in Lettland in dieser Form nicht existiert. Schutzberechtigte Personen haben dieselben Rechte in Bezug auf medizinische Versorgung wie andere legal aufhältige Drittstaatsangehörige (EMN 3.2.2012).
Quellen:
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EMN - European Migration Network (3.2.2012): Ad-Hoc Query on the System of Public Health Insurance for Asylum Seekers, Persons who have been Granted Asylum and Persons who have been Granted Subsidiary Protection,
http://ec.europa.eu/dgs/home-affairs/what-we-do/networks/european_migration_network/reports/docs/ad-hoc-queries/protection/354_emn_ad-hoc_query_system_of_public_health_insurance_23nov2011_wider_dissemination_en.pdf, Zugriff 28.4.2016
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LCFHR/UNHCR - Latvian Centre for Human Rights/UNHCR (o.D.):
Seeking Asylum In Latvia,
http://www.rs.gov.lv/doc_upl/SeekingAsylum-inLatvia.pdf, Zugriff 28.4.2016
-
OCMA - Office of Citizenship and Migration Affairs (20.4.2016b):
ASYLUM SEEKING,
http://www.pmlp.gov.lv/en/home/services/asylum-seeking/, Zugriff 28.4.2016
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UNHCR - Hoher Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (14.1.2016): Volunteers tackle prejudice against refugees in Latvia, http://www.unhcr.org/569799b86.html, Zugriff 28.4.2016
In seiner Begründung hielt das BFA unter anderem fest, dass im zuständigen Mitgliedstaat die Praxis der asylrechtlichen und subsidiären Schutzgewährung sowie die Grund- und Gesundheitsversorgung unbedenklich seien und den Grundsätzen des Unionsrechts genügen würden. Die Beschwerdeführerin lebe seit Jahren mit ihren Krankheiten und bekomme in Lettland vollen Zugang zu medizinischer Behandlung. Aus medizinischer Sicht spreche daher nichts gegen eine Rücküberstellung der Beschwerdeführerin nach Lettland. Es seien auch weder schützenswerte familiäre, noch besondere private Anknüpfungspunkte in Österreich gegeben, weshalb die Außerlandesbringung der Beschwerdeführerin keinen ungerechtfertigten Eingriff in das Grundrecht nach Art. 8 EMRK darstelle.
3. Gegen den Bescheid des BFA vom 06.11.2017 erhob die Beschwerdeführerin rechtzeitig das Rechtmittel der Beschwerde und hielt fest, dass der Bescheid zur Gänze angefochten werde. Gleichzeitig wurde angeregt, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.
Inhaltlich wurde auf das bereits erstattete Vorbringen verwiesen und gerügt, dass die Länderberichte gänzlich veraltet seien. Unter Verweis auf einen Bericht von Amnesty International wurde ausgeführt, dass in Lettland die Gefahr der Abschiebung in Länder bestehe, in denen Menschen mit schweren Menschenrechtsverletzungen zu rechnen hätten. Eine individuelle Zusicherung durch die lettischen Behörden, dass die Beschwerdeführerin adäquat untergerbacht, medizinisch versorgt und geschützt werde, sei nicht erfolgt. Die belangte Behörde hätte zu dem Schluss kommen müssen, dass eine Abschiebung der Beschwerdeführerin nach Lettland eine Verletzung der durch Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 GRC gewährleisteten Rechte der Beschwerdeführerin darstelle.
Der Beschwerde beigefügt waren folgende medizinischen Unterlagen:
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Schreiben eines Allgemeinmediziners vom 30.11.2017 mit der Diagnose: Hypertonie [Anm. BVwG: Bluthochdruck], Pulmonale Rundherde [Anm. BVwG: postinfektiösen Lungenveränderung] in Abklärung, insulinpflichtiger Diabetes II
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Bereits vorgelegter Arztbericht eines Universitätsklinikums vom 20.10.2017 (unvollständig)
4. Mit Schreiben vom 20.12.2017 setzte das BFA die lettische Dublin-Behörde davon in Kenntnis, dass die Beschwerdeführerin unbekannten Aufenthaltes und daher flüchtig sei, weshalb sich die Überstellungsfrist gemäß Art. 29 Abs. 2 Dublin-III-VO auf 18 Monate verlängere.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige von Aserbaidschan, reiste unter Verwendung eines von der lettischen Botschaft in Baku/Aserbaidschan ausgestellten Schengen-Visums, gültig im Zeitraum vom 08.08.2017 bis zum 29.08.2017, in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten ein und stellte im Bundesgebiet am 18.08.2017 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.
Das BFA richtete am 22.08.2017 ein auf Art. 12 Abs. 2 oder Abs. 3 Dublin-III-VO gestütztes Aufnahmeersuchen an Lettland, welchem Lettland mit Schreiben vom 18.09.2017 gemäß Art. 12 Abs. 2 Dublin-III-VO ausdrücklich zustimmte.
Das Bundesverwaltungsgericht schließt sich den Feststellungen des angefochtenen Bescheides zur Lage im Mitgliedstaat Lettland an.
Besondere, in der Person der Beschwerdeführerin gelegene Gründe, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung in Lettland sprechen, liegen nicht vor.
Die Beschwerdeführerin leidet an keinen äußerst schwerwiegenden oder lebensbedrohenden Krankheiten. Bei der Beschwerdeführerin wurde Bluthochdruck, Diabetes II, Pulmonale Rundherde [Anm. BVwG:
postinfektiösen Lungenveränderung] in Abklärung diagnostiziert. Die Beschwerdeführerin steht in medikamentöser Behandlung. Die Überstellbarkeit der Beschwerdeführerin, im Sinne der Reisefähigkeit, ist gegeben. Aus ärztlicher Sicht werden die kontinuierliche Einnahme der verschriebenen Medikamente, eine psychiatrische Vorstellung über den Hausarzt sowie die Abklärung der Lungenveränderung empfohlen. Alle diese Behandlungsmöglichkeiten bestehen in Lettland und es ist bei Inanspruchnahme dieser Möglichkeiten nicht davon auszugehen, dass sich der Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin im Falle einer Überstellung nach Lettland verschlechtert.
Besonders ausgeprägte private, familiäre oder berufliche Bindungen bestehen im österreichischen Bundesgebiet nicht.
Die Beschwerdeführerin ist unbekannten Aufenthaltes. Die Überstellungsfrist wurde auf 18 Monate verlängert.
2. Beweiswürdigung:
Auf Grund des vorliegenden Treffers in der VIS-Datenbank steht fest, dass die Beschwerdeführerin zum Zeitpunkt der Asylantragstellung am 18.08.2017 über ein vom 08.08.2017 bis zum 29.08.2017 gültiges Schengen-Visum Typ C, ausgestellt am 31.07.2017 von der Botschaft der Republik Lettland in Baku/Aserbaidschan, verfügte.
Die Feststellung bezüglich der Zustimmung zur Aufnahme der Beschwerdeführerin seitens Lettlands ergibt sich aus dem durchgeführten Konsultationsverfahren zwischen der österreichischen und der lettischen Dublin-Behörde. Der diesbezügliche Schriftwechsel ist Teil des Verwaltungsaktes.
Die Gesamtsituation des Asylwesens im zuständigen Mitgliedstaat resultiert aus den umfangreichen und durch aktuelle Quellen belegten Länderfeststellungen der angefochtenen Bescheide, welche auf alle entscheidungsrelevanten Fragen eingehen. Das BFA hat in seiner Entscheidung neben Ausführungen zur Versorgungslage von Asylwerbern in Lettland auch Feststellungen zur dortigen Rechtslage und Vollzugspraxis von asyl- und fremdenrechtlichen Bestimmungen (darunter konkret auch im Hinblick auf Rückkehrer nach der Dublin-III-VO) getroffen.
Aus den im angefochtenen Bescheid dargestellten Länderinformationen ergeben sich keinerlei Hinweise darauf, dass das lettische Asylwesen grobe systemische Mängel aufweisen würde. Individuelle, unmittelbare und vor allem hinreichend konkrete Bedrohungen, welche den Länderberichten klar und substantiell widersprechen würden, hat die Beschwerdeführerin nicht dargetan.
Die Feststellung des Nichtvorliegens gravierender gesundheitlicher Beeinträchtigungen basieren auf den Angaben der Beschwerdeführerin und den vorgelegten medizinischen Unterlagen. Dass die Beschwerdeführerin eine dringende medizinische Behandlung benötigen würde, ist den vorgelegten Unterlagen nicht zu entnehmen.
Dass die Beschwerdeführerin im Bundesgebiet weder über familiäre, verwandtschaftliche, noch über sonstige besonders ausgeprägte Bindungen verfügt, ergibt sich aus ihren eigenen Angaben.
Dass die Beschwerdeführerin unbekannten Aufenthaltes ist, ergibt sich aus dem Zentralen Melderegister, dem sich entnehmen lässt, dass sie zuletzt bis 11.12.2017 an einer näher genannten Adresse mit Hauptwohnsitz gemeldet war. Nach diesem Zeitpunkt scheinen keine aufrechten Meldungen im Bundesgebiet mehr auf. Dass sich die Überstellungsfrist auf 18 Monate verlängert hat, ergibt sich aus dem rechtzeitig an die lettischen Behörden gerichteten Mitteilungsschreiben des BFA vom 20.12.2017.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A) Abweisung der Beschwerde:
Die maßgeblichen Bestimmungen des Asylgesetzes 2005 (AsylG 2005) lauten:
"§ 5 (1) Ein nicht gemäß §§ 4 oder 4a erledigter Antrag auf internationalen Schutz ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin-Verordnung zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist. Mit der Zurückweisungsentscheidung ist auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Eine Zurückweisung des Antrages hat zu unterbleiben, wenn im Rahmen einer Prüfung des § 9 Abs. 2 BFA-VG festgestellt wird, dass eine mit der Zurückweisung verbundene Anordnung zur Außerlandesbringung zu einer Verletzung von Art. 8 EMRK führen würde.
(2) Gemäß Abs. 1 ist auch vorzugehen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin-Verordnung dafür zuständig ist zu prüfen, welcher Staat zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist.
(3) Sofern nicht besondere Gründe, die in der Person des Asylwerbers gelegen sind, glaubhaft gemacht werden oder beim Bundesamt oder beim Bundesverwaltungsgericht offenkundig sind, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung sprechen, ist davon auszugehen, dass der Asylwerber in einem Staat nach Abs. 1 Schutz vor Verfolgung findet.
§ 10 (1) Eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz ist mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn
1. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4 oder 4a zurückgewiesen wird,
2. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 5 zurückgewiesen wird,
3. ...
und in den Fällen der Z 1 und 3 bis 5 von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt wird sowie in den Fällen der Z 1 bis 5 kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 vorliegt.
..."
§ 9 Abs. 1 und 2 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) idF BGBl. I 70/2015 lautet:
"§ 9 (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.
(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:
1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,
2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,
3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,
4. der Grad der Integration,
5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,
6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,
7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,
8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,
9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist."
§ 61 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) idF BGBl. I 70/2015 lautet:
"§ 61 (1) Das Bundesamt hat gegen einen Drittstaatsangehörigen eine Außerlandesbringung anzuordnen, wenn
1. dessen Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4a oder 5 AsylG 2005 zurückgewiesen wird oder nach jeder weiteren, einer zurückweisenden Entscheidung gemäß §§ 4a oder 5 AsylG 2005 folgenden, zurückweisenden Entscheidung gemäß § 68 Abs. 1 AVG oder
2. ...
(2) Eine Anordnung zur Außerlandesbringung hat zur Folge, dass eine Abschiebung des Drittstaatsangehörigen in den Zielstaat zulässig ist. Die Anordnung bleibt binnen 18 Monaten ab Ausreise des Drittstaatsangehörigen aufrecht.
(3) Wenn die Durchführung der Anordnung zur Außerlandesbringung aus Gründen, die in der Person des Drittstaatsangehörigen liegen, eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde und diese nicht von Dauer sind, ist die Durchführung für die notwendige Zeit aufzuschieben.
(4) Die Anordnung zur Außerlandesbringung tritt außer Kraft, wenn das Asylverfahren gemäß § 28 AsylG 2005 zugelassen wird."
Die maßgeblichen Bestimmungen der Dublin-III-VO lauten:
"Artikel 3
Verfahren zur Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz
(1) Die Mitgliedstaaten prüfen jeden Antrag auf internationalen Schutz, den ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einschließlich an der Grenze oder in den Transitzonen stellt. Der Antrag wird von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III als zuständiger Staat bestimmt wird.
(2) Lässt sich anhand der Kriterien dieser Verordnung der zuständige Mitgliedstaat nicht bestimmen, so ist der erste Mitgliedstaat, in dem der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, für dessen Prüfung zuständig.
Erweist es sich als unmöglich, einen Antragsteller an den zunächst als zuständig bestimmten Mitgliedstaat zu überstellen, da es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Artikels 4 der EU-Grundrechtecharta mit sich bringen, so setzt der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat, die Prüfung der in Kapitel III vorgesehenen Kriterien fort, um festzustellen, ob ein anderer Mitgliedstaat als zuständig bestimmt werden kann.
Kann keine Überstellung gemäß diesem Absatz an einen aufgrund der Kriterien des Kapitels III bestimmten Mitgliedstaat oder an den ersten Mitgliedstaat, in dem der Antrag gestellt wurde, vorgenommen werden, so wird der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat der zuständige Mitgliedstaat.
(3) Jeder Mitgliedstaat behält das Recht, einen Antragsteller nach Maßgabe der Bestimmungen und Schutzgarantien der Richtlinie 32/2013/EU in einen sicheren Drittstaat zurück- oder auszuweisen.
Artikel 7
Rangfolge der Kriterien
(1) Die Kriterien zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats finden in der in diesem Kapitel genannten Rangfolge Anwendung.
(2) Bei der Bestimmung des nach den Kriterien dieses Kapitels zuständigen Mitgliedstaats wird von der Situation ausgegangen, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Antragsteller seinen Antrag auf internationalen Schutz zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt.
(3) Im Hinblick auf die Anwendung der in den Artikeln 8, 10 und 6 (Anmerkung: gemeint wohl 16) genannten Kriterien berücksichtigen die Mitgliedstaaten alle vorliegenden Indizien für den Aufenthalt von Familienangehörigen, Verwandten oder Personen jeder anderen verwandtschaftlichen Beziehung des Antragstellers im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats, sofern diese Indizien vorgelegt werden, bevor ein anderer Mitgliedstaat dem Gesuch um Aufnahme- oder Wiederaufnahme der betreffenden Person gemäß den Artikeln 22 und 25 stattgegeben hat, und sofern über frühere Anträge des Antragstellers auf internationalen Schutz noch keine Erstentscheidung in der Sache ergangen ist.
Artikel 12
Ausstellung von Aufenthaltstiteln oder Visa
(1) Besitzt der Antragsteller einen gültigen Aufenthaltstitel, so ist der Mitgliedstaat, der den Aufenthaltstitel ausgestellt hat, für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig.
(2) Besitzt der Antragsteller ein gültiges Visum, so ist der Mitgliedstaat, der das Visum erteilt hat, für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig, es sei denn, dass das Visum im Auftrag eines anderen Mitgliedstaats im Rahmen einer Vertretungsvereinbarung gemäß Artikel 8 der Verordnung (EG) Nr. 810/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über einen Visakodex der Gemeinschaft erteilt wurde. In diesem Fall ist der vertretene Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig.
(3) Besitzt der Antragsteller mehrere gültige Aufenthaltstitel oder Visa verschiedener Mitgliedstaaten, so sind die Mitgliedstaaten für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz in folgender Reihenfolge zuständig:
a) der Mitgliedstaat, der den Aufenthaltstitel mit der längsten Gültigkeitsdauer erteilt hat, oder bei gleicher Gültigkeitsdauer der Mitgliedstaat, der den zuletzt ablaufenden Aufenthaltstitel erteilt hat;
b) der Mitgliedstaat, der das zuletzt ablaufende Visum erteilt hat, wenn es sich um gleichartige Visa handelt;
c) bei nicht gleichartigen Visa der Mitgliedstaat, der das Visum mit der längsten Gültigkeitsdauer erteilt hat, oder bei gleicher Gültigkeitsdauer der Mitgliedstaat, der das zuletzt ablaufende Visum erteilt hat.
(4) Besitzt der Antragsteller nur einen oder mehrere Aufenthaltstitel, die weniger als zwei Jahre zuvor abgelaufen sind, oder ein oder mehrere Visa, die seit weniger als sechs Monaten abgelaufen sind, aufgrund deren er in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einreisen konnte, so sind die Absätze 1, 2 und 3 anwendbar, solange der Antragsteller das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten nicht verlassen hat.
Besitzt der Antragsteller einen oder mehrere Aufenthaltstitel, die mehr als zwei Jahre zuvor abgelaufen sind, oder ein oder mehrere Visa, die seit mehr als sechs Monaten abgelaufen sind, aufgrund deren er in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einreisen konnte, und hat er die Hoheitsgebiete der Mitgliedstaaten nicht verlassen, so ist der Mitgliedstaat zuständig, in dem der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wird.
(5) Der Umstand, dass der Aufenthaltstitel oder das Visum aufgrund einer falschen oder missbräuchlich verwendeten Identität oder nach Vorlage von gefälschten, falschen oder ungültigen Dokumenten erteilt wurde, hindert nicht daran, dem Mitgliedstaat, der den Titel oder das Visum erteilt hat, die Zuständigkeit zuzuweisen. Der Mitgliedstaat, der den Aufenthaltstitel oder das Visum ausgestellt hat, ist nicht zuständig, wenn nachgewiesen werden kann, dass nach Ausstellung des Titels oder des Visums eine betrügerische Handlung vorgenommen wurde.
Artikel 16
Abhängige Personen
(1) Ist ein Antragsteller wegen Schwangerschaft, eines neugeborenen Kindes, schwerer Krankheit, ernsthafter Behinderung oder hohen Alters auf die Unterstützung seines Kindes, eines seiner Geschwister oder eines Elternteils, das/der sich rechtmäßig in einem Mitgliedstaat aufhält, angewiesen oder ist sein Kind, eines seiner Geschwister oder ein Elternteil, das/der sich rechtmäßig in einem Mitgliedstaat aufhält, auf die Unterstützung des Antragstellers angewiesen, so entscheiden die Mitgliedstaaten in der Regel, den Antragsteller und dieses Kind, dieses seiner Geschwister oder Elternteil nicht zu trennen bzw. sie zusammenzuführen, sofern die familiäre Bindung bereits im Herkunftsland bestanden hat, das Kind, eines seiner Geschwister oder der Elternteil in der Lage ist, die abhängige Person zu unterstützen und die betroffenen Personen ihren Wunsch schriftlich kundgetan haben.
(2) Hält sich das Kind, eines seiner Geschwister oder ein Elternteil im Sinne des Absatzes 1 rechtmäßig in einem anderen Mitgliedstaat als der Antragsteller auf, so ist der Mitgliedstaat, in dem sich das Kind, eines seiner Geschwister oder ein Elte