Entscheidungsdatum
12.07.2018Norm
BFA-VG §18 Abs1 Z5Spruch
I405 2200479-1/3Z
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Sirma KAYA über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, StA. Nigeria, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, Alser Straße 20, 1090 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 28.05.2018, Zl. 1088242903-170896222, beschlossen:
A) Der Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt VI. des
angefochtenen Bescheides stattgegeben und dieser gemäß § 18 Abs. 1 Z 5 BFA-VG ersatzlos behoben.
B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Die Beschwerdeführerin (im Folgenden: BF), eine Staatsangehörige von Nigeria, stellte am 01.08.2017 einen Antrag auf internationalen Schutz.
2. Bei der Erstbefragung vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am selben Tag und bei der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 20.09.2017 brachte die BF vor, dass sie bisexuell sei. Sie sei von ihrem Freund beim Beischlaf mit ihrer Freundin erwischt worden, der sie dann bei der Polizei angezeigt hätte. Nun werde sie von der Polizei gesucht.
3. Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) vom 28.05.2018 wurde der Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 3 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF, bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt I.). Weiters wurde der Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 8 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG, bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Nigeria abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Absatz 1 Ziffer 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF, wurde gegen die BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Absatz 2 Ziffer 2 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG) idgF, erlassen (Spruchpunkt IV.). und wurde gemäß § 52 Absatz 9 FPG unter einem festgestellt, dass die Abschiebung der Beschwerdeführerin nach Nigeria gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). Weiters wurde einer Beschwerde gegen diese Entscheidung gemäß § 18 Abs. 1 Z 5 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt VI.).
Die Behörde beurteilte das Fluchtvorbringen und die homosexuelle Orientierung der BF als unglaubhaft. Ihr behaupteter Fluchtgrund sei in wesentlichen Punkten lückenhaften und unplausibel gewesen. Zur Aberkennung der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde führte die Behörde aus, dass festgestellt worden sei, dass das Vorbringen der BF zur Bedrohungssituation nicht den Tatsachen entspreche.
4. Dagegen richtet sich die fristgerecht erhobene Beschwerde, in der inhaltliche Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung sowie Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht wird.
5. Der Sachverhalt ergibt sich aus dem Verwaltungsakt und der Beschwerde.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I 33/2013 i.d.F. BGBl. I 22/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, unberührt.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Eine derartige Regelung wird in den einschlägigen Normen (VwGVG, BFA-VG, AsylG) nicht getroffen, und es liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.
Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.
Zu A)
2.1. Nach § 18. Abs. 1 BFA-VG kann das Bundesamt einer Beschwerde gegen eine abweisende Entscheidung über einen Antrag auf internationalen Schutz die aufschiebende Wirkung aberkennen, wenn
1. der Asylwerber aus einem sicheren Herkunftsstaat (§ 19) stammt,
2. schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass der Asylwerber eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung darstellt,
3. der Asylwerber das Bundesamt über seine wahre Identität, seine Staatsangehörigkeit oder die Echtheit seiner Dokumente trotz Belehrung über die Folgen zu täuschen versucht hat,
4. der Asylwerber Verfolgungsgründe nicht vorgebracht hat,
5. das Vorbringen des Asylwerbers zu seiner Bedrohungssituation offensichtlich nicht den Tatsachen entspricht,
6. gegen den Asylwerber vor Stellung des Antrags auf internationalen Schutz eine durchsetzbare Rückkehrentscheidung, eine durchsetzbare Ausweisung oder ein durchsetzbares Aufenthaltsverbot erlassen worden ist, oder
7. der Asylwerber sich weigert, trotz Verpflichtung seine Fingerabdrücke abnehmen zu lassen.
Das Bundesamt stützt sich in seiner gegenständlichen Entscheidung in Spruchpunkt V. auf § 18 Abs. 1 Z 5 BFA-VG. Diese Bestimmung entspricht § 6 Abs. 1 Z. 4 AsylG idF AsylG 1997 BGBl. I Nr. 101/2003; diese wiederum entspricht § 6 Z. 3 AsylG 1997 in der Stammfassung des AsylG 1997 (dort allerdings nicht auf Asylwerber eingeschränkt, welche über einen Flugplatz eingereist sind). Aufgrund der nur unmaßgeblich veränderten, im wesentlich aber nahezu wortidenten Formulierungen dieser Bestimmungen ist bei der Prüfung des Vorliegens dieses Tatbestands - somit als Prüfungsmaßstab für die Frage, ob ein Vorbringen offensichtlich nicht den Tatsachen entspricht - jedenfalls die Judikatur des VwGH zu den Vorgängerbestimmungen heranzuziehen. Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits zu § 6 Z 3 AsylG 1997 in der Stammfassung ausgesprochen, dass bei einem von der Behörde als unglaubwürdig angenommenen Vorbringen noch nichts darüber ausgesagt wird, ob es ein solches Maß an Unglaubwürdigkeit erreicht, dass der Tatbestand des § 6 Z 3 AsylG 1997 in der Stammfassung als erfüllt angesehen werden kann. Letzteres kann nur dann angenommen werden, wenn Umstände vorliegen, die besonders deutlich die Unrichtigkeit der erstatteten Angaben vor Augen führen. Es muss unmittelbar einsichtig ("eindeutig", "offensichtlich") sein, dass die abgegebene Schilderung tatsächlich wahrheitswidrig ist. Dieses Urteil muss sich quasi "aufdrängen", die dazu führenden Gesichtspunkte müssen klar auf der Hand liegen, sei es allenfalls auch deshalb, weil nach einem Ermittlungsverfahren "Hilfstatsachen" (z.B. fehlende Kenntnis der behaupteten Stammessprache) substantiell unbestritten bleiben. Im Ergebnis setzt die im gegebenen Zusammenhang erforderliche "qualifizierte Unglaubwürdigkeit" somit voraus, dass es weder weitwendiger Überlegungen noch einer langen Argumentationskette bedarf, um zu erkennen, dass das Vorbringen eines Asylwerbers nicht den Tatsachen entspricht (VwGH 21.8.2001, 2000/01/0214; 31.1.2002, 2001/20/0381; 11.6.2002, 2001/01/0266). Nur dann, wenn es "unmittelbar einsichtig" ist und sich das Urteil quasi "aufdrängt", die Schilderungen des Asylwerbers, die für die Beurteilung seines Asylansuchens maßgeblich sind, seien tatsächlich wahrheitswidrig, erreicht das Vorbringen ein solches Maß an Unglaubwürdigkeit, dass der Tatbestand des § 6 Z 3 AsylG 1997 erfüllt ist (VwGH 27.9.2001, 2001/20/0393). Bei der Anwendung des § 6 AsylG 1997 kann es typischerweise nur um die Klarstellung einfacher Fragen, aber nicht um diffizile Beweiswürdigungsprobleme gehen (VwGH 19.12.2001, 2001/20/0442). Erfordert es die Klärung des Sachverhaltes, ein Sachverständigengutachten einzuholen, dann liegen die Umstände, die zu einer "offensichtlichen" Unbegründetheit des Asylantrages führen, nicht so klar auf der Hand, dass sich das Urteil, der Asylantrag entbehre "eindeutig" jeder Grundlage, quasi "aufdrängt" (VwGH 27.9.2001, 2001/20/0393). Dem entspricht - bezogen auf die rechtliche Würdigung des Sachverhaltes - die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wonach das Erfordernis einer Beurteilung komplexer asylrechtlicher Zusammenhänge die Abweisung eines Asylantrages als offensichtlich unbegründet ausschließt (vgl. VwGH 21.08.2001, 2000/01/0214).
2.2 Zwar weisen die Angaben der BF die vom Bundesamt Unplausibilitäten auf, doch reichen diese nicht aus, um davon ausgehen zu können, dass das Vorbringen der BF zu ihrer Bedrohungssituation offensichtlich nicht den Tatsachen entspricht. Sollte sich das Vorbringen der BF als nicht glaubhaft herausstellen, so ist von einer schlichten und nicht von einer qualifizierten fehlenden Glaubhaftigkeit auszugehen. Die Z 5 leg. cit. liegt somit nicht vor.
Da im gegenständlichen Verfahren somit keine qualifizierte, sondern allenfalls eine schlichte Unglaubwürdigkeit des Asylwerbers vorliegt, ist der Anwendung des § 18 Abs. 1 Z. 5 BFA-VG der Boden entzogen; die "schlichte" Unglaubwürdigkeit ist im Zusammenhang mit § 18 Abs. 1 Z. 5 BFA-VG keine entscheidungswesentliches Element (vgl. dazu zur Vorgängerbestimmung VwGH vom 07.09.2000, Zl. 99/01/0273, 21.08.2001, Zl. 2000/01/0214).
Es bestehen keine Anhaltspunkte, dass einer der sonstigen Tatbestände des § 18 Abs. 1 BFA-VG heranzuziehen wäre.
2.3. Spruchpunkt V. war daher ersatzlos zu beheben. Somit kommt der Beschwerde wieder die aufschiebende Wirkung zu.
2.4. Über die Beschwerde gegen die übrigen Spruchpunkte des angefochtenen Bescheides wird gesondert entschieden werden.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Da die Entscheidung über die gegenständliche Beschwerde letztlich lediglich von Fragen der Beweiswürdigung abhängig war, ist die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Entscheidend für die Nichtzulassung der Revision war, dass die angegebenen Verfolgungsgründe nicht glaubwürdig bzw. nicht asylrelevant waren, d.h. die Entscheidung nur von Tatfragen abhängig war. Hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten liegt keine Abweichung von der Judikatur des EGMR bzw. der darauf abgestellten Judikatur des VwGH vor.
Schlagworte
aufschiebende Wirkung, aufschiebende Wirkung - Entfall, ersatzloseEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2018:I405.2200479.1.00Zuletzt aktualisiert am
27.08.2018